VIVID Grand Show: LED-Irokesen im Friedrichstadt-Palast
von Alexander Heber,
Der noch immer auch Techniker beeindruckende Friedrichstadt-Palast feierte 2019 seine 100-jährige Bühnengeschichte. Mit der Markthalle, in der einst Zirkusvorstellungen stattfanden, hat der 1984 errichtete Theaterbau jedoch rein gar nichts mehr gemein: Das Haus ist Spielstätte für Grand Shows von Weltklasse. Für dieses Niveau braucht es nicht nur leidenschaftliche Profis auf und hinter der Bühne, sondern auch eine technische Ausstattung, die den hohen Ansprüchen an Entertainment im 21. Jahrhundert gerecht werden kann. Wir liefern einen kleinen Einblick in das Licht- und Video-Setup der VIVID Grand Show
Wenn man ein eingespieltes Theatersetup betrachtet und damit beschäftigt ist, die technischen Lösungen in ihren Details zu verstehen, kann man schnell aus den Augen verlieren, unter welch komplexen Bedingungen ein Stück wie VIVID Grand Show überhaupt entsteht. Schließlich handelt es sich nicht um einen Showcase für technische Möglichkeiten, sondern eine Verbindung aus Kunst, Musik, Menschen, Ideen und Visionen, welche sich alle finden und arrangieren, während eine andere Weltklasseshow noch tagtäglich gespielt wird. Die theoretische Vorplanung lässt also kaum Luft für Fehler.
Damit das alles funktionieren kann, muss die Kommunikation stimmen und im Team gearbeitet werden. Für die technische Seite bedeutet das vor allem eine gute Zusammenarbeit mit dem Bühnendesigner. Die Zusammenarbeit zwischen Michael Cotton (Bühnendesign) und Chris Moylan (Lichtdesign) war harmonisch und konstruktiv. Das Ergebnis ist ein Setup, bei dem die Technik so nahtlos wie irgend möglich in den Setbau integriert ist.
»Die technische Planung beginnt bei der CAD-Zeichnung des Bühnenbildners, dann kommen Lichtdesign, technische Realisierung – und dann beginnt der Kampf um jeden Zentimeter, denn jeder will in die Mitte der Bühne.«
Andreas Stübler | Beleuchtungsmeister und Technischer Leiter Effekte
Der Setbau ist aber nur eine von vielen Schnittstellen: Die Showeinlage der Artisten des Wheel of Steel bedeuteten eine ganz besondere Herausforderung. Dieser riskante Akt erfordert eine gleichmäßige, statische und nicht blendende Lichtsituation für die Artisten, die jederzeit genau im Blick haben müssen, wo sich das Rad gerade befindet. Das bedeutet in der Regel, dass kein oder kaum Effektlicht zum Einsatz kommen kann. Für eine Show, bei der jederzeit und fast überall Action auf der Bühne ist, ist das natürlich keine Option.
Bild: Alexander Heber
Wheel of Steel Die waghalsige Showeinlage mit dem Wheel of Steel stellt besondere Anforderungen an Lichtdesign und Sicherheit. Einerseits verlangt die Show entsprechendes Effektlicht, andererseits dürfen die Artisten auf keinen Fall geblendet werden. Im Austausch mit den Artisten wurde hier gemeinsam ein entsprechendes Konzept erarbeitet (Foto rechts: Brinkhoff/Mögenburg)
Bild: Alexander Heber
Wheel of Steel Die waghalsige Showeinlage mit dem Wheel of Steel stellt besondere Anforderungen an Lichtdesign und Sicherheit. Einerseits verlangt die Show entsprechendes Effektlicht, andererseits dürfen die Artisten auf keinen Fall geblendet werden. Im Austausch mit den Artisten wurde hier gemeinsam ein entsprechendes Konzept erarbeitet (Foto rechts: Brinkhoff/Mögenburg)
Für VIVID Grand Show nahm man sich viel Zeit für dieses Thema und erarbeitete mit den Artisten zusammen eine Lichtsituation, die den hohen Sicherheitsanforderungen gerecht wird und dennoch eine Umgebung voller Effekte und Animationen ermöglicht. Das Ergebnis ist einzigartig auf der Welt.
So ähnlich wie man als Zuschauer der VIVID Grand Show immer wieder etwas Neues entdecken und bewundern kann, verhält es sich mit dem gesamten Friedrichstadt-Palast. Jeder noch so kleine Baustein ist durchdacht und liebevoll an seinen Platz gebracht. Hervoragende Technik allein liefert keine gute Show, die Hingabe, mit der man sie einsetzt und die Motivation, Neues und Aufregendes damit zu kreieren, sind noch wichtiger. Im Friedrichstadt-Palast mangelt es jedoch an keinem dieser Punkte.
Man kann solange in der Veranstaltungsbranche tätig sein wie man will – im Friedrichstadt-Palast in Berlin zu stehen, ist und bleibt beeindruckend. Nach ein paar Runden auf der 18 m großen Drehbühne bekommt man langsam einen Eindruck vom umfangreichen Technik-Setup – zumindest wenn die eingelassene 12 m Slopebühne ebenerdig bleibt und nicht ihren maximalen Neigungswinkel von 45° ausreizt. In der Hinterbühne findet das Orchester seinen Platz, es ist dekoriert und hat eigene szenische Auftritte während der Inszenierung. LED PARs beleuchten dort große Dekokristalle und Sunstrips sorgen für etwas Effektlicht am Orchesterplatz.
Blickt man nach oben, so fällt auf: Es ist eng an den Traversen im Dach des Friedrichstadt-Palastes. Die Licht-Traversen haben eine durchgehende, zentrale Pipe. Das ist nicht nur gut für eine gleichmäßige Lastverteilung, sondern sorgt auch für eine große Scheinwerferdichte. Die im Showdesign dekorierten Traversen sind bestückt mit Robe MegaPointe, JB Lighting A12 Washern und JB Lighting Varyscan P18. Die P18-Scheinwerfer setzten sich im Shootout des Friedrichstadt-Palastes zur Findung eines neuen Flaggschiffs in der Kategorie Movinglights durch. Gründe für die Wahl des P18 waren zum einen das saubere Farbmischsystem, welches in der Lage ist, sich homogen in bereits bestehende Setups einzufügen. Zum anderen sind die Scheinwerfer mit ihren LED-Modulen von 1.000 W äußerst hell und dabei noch kompakt. Mit DMX steuerbaren Blendenschiebern in jedem P18 werden die hohen Anforderungen an eine Lampe, die über Jahre dem Niveau des Friedrichstadt-Palasts gerecht werden muss, abgerundet.
Ein Teil des Seitenlichts versteckt sich in verfahrbaren Türmen hinter großen Deko-Segeln, welche ihrerseits von jeweils drei LED-Bars von Litecraft und weiteren drei ETC ColorSource PAR beleuchtet werden. Hier wurde die Wahl der Lampen von der Homogenität in den Grundfarben beeinflusst. Die Tower selbst sind bestückt mit Robe Pointe, JB Lighting Spark 7 und ClayPaky Alphaspot 800. Letztere sorgen mit Blendenschiebern für das Gassenlicht. Die Tower fahren ins Dach, wenn die großen Dekorationselemente ihre Auf- und Abgänge haben. Auch bei Einmietungen kann durch die verfahrbaren Türme zusätzlich Platz geschaffen werden. Dornen, die in Löchern im Boden versinken, oder auch eigens konstruierte Führungen entlang der Seite sorgen für eine sichere Fahrt und einen sicheren Stand der Türme.
Die Showtreppe in VIVID Grand Show ist eine eindrucksvolle Sonderkonstruktion, die in enger Kooperation mit T.C.M. Light-Solutions entstand. Die Front der Treppe ist mit Single-Pixel-LED-Stripes versehen und die Rückseite mit zusätzlichen RGBW-LED-Streifen. Die DMX-Signale werden mit einem WDMX-System von Wireless Solutions übertragen und für die RGBW-Stripes an einen LED-Dimmer weitergegeben.
Bild: Alexander Heber
Das Technik-Herz der Treppe Hier finden sich WDMX-Empfänger, 24 V Madrix_Rechner und LED-Dimmer
Bild: Alexander Heber
Showtreppe samt Fernsteuerung Die Sonderkonstruktion von T.C.M. Light-Solutions ist ein zentrales Element der Show, DMX-Signale werden mit WDMX von Wireless Solutions übertragen
Für die Ansteuerung der Single-Pixel-Stripes kommt zusätzlich eine MADRIX-Software zum Einsatz, über welche die Szenen und Animationen gespeichert sind und im richtigen Moment per DMX gefahren werden können. Auf diese Weise lassen sich Chaser und Szenenwechsel realisieren und sogar Videocontent darstellen. Viele dieser Animationen wären für eine reine WDMX-Übertragung zu schnell oder viel zu aufwändig in der konventionellen Programmierung. Wenn jedoch die Szenen und Lauflichter aus dem Rechner in der Treppe kommen, so reicht ein genau getimtes Triggersignal zum Start des jeweiligen Cues. Auch die Bewegung der Treppe erfolgt komplett drahtlos: sie fährt auf vier akkubetriebenen Wagen per Fernsteuerung auf die verschiedenen Positionen.
Bild: Brinkhoff-Mögenburg
Schattenspiel im Fun House Ein breiter Abstrahlwinkel bei möglichst gerichtetem Licht sorgt für scharfe Kanten im Schattenspiel, die Lösung fand sich in diesem Baustrahler (Foto links: Brinkhoff/Mögenburg)
Bild: Alexander Heber
Schattenspiel im Fun House Ein breiter Abstrahlwinkel bei möglichst gerichtetem Licht sorgt für scharfe Kanten im Schattenspiel, die Lösung fand sich in diesem Baustrahler (Foto links: Brinkhoff/Mögenburg)
Eine weitere zentrale Rolle in VIVID Grand Show spielt das Fun House. Das an einen Hut von Philip Treacy angelehnte, mehrstöckige Haus wurde in den Werkstätten der Mailänder Scala gefertigt und mit cleveren technischen Gimmicks ausgestattet. In den Fenstern des Hauses wird nicht nur ausgiebig getanzt und musiziert, sondern es finden auch Schattenspiele statt. Dafür gibt es DMX-steuerbare Rollleinwände und mit neuen Leuchtmitteln modifizierte Baustrahler. Die ursprünglichen LED-Leuchtmittel wurden durch dimmbare LED ersetzt. Die Wirkung ist perfekt: Die Schatten sind so scharf, man könnte eine Projektion vermuten, die einem das Spiel nur vorgaukelt.
Über den Pulten der Operatoren zeugen Schaltversätze von vergangenen, weniger digitalen Zeiten. Eine GrandMA2 Light fungiert als Master, eine GrandMA2 Konsole dient den Licht Cues (es sind 1.550 an der Zahl) und eine weitere Konsole ist für die Video Cues vorgesehen. Es gibt zwei Timecode Listen: eine für Licht und eine für Video. Das Orchester spielt auf Klick im gleichen digitalen Takt.
Wieviel hier genau koordiniert passieren muss, wird klar, wenn man sich ein paar Zahlen vor Augen führt: Es sind allein 1,6 km Single-Pixel-LED verbaut, hinzu kommen weitere RGBW-Stripes und LED-Tape. Schon hierfür werden 74 DMX-Universen in Anspruch genommen, die wiederum auch per Madrix-System verwaltet werden. Hinzu kommen das eigentliche Showlicht und natürlich noch die berühmten Kopfputzen, die inzwischen wohl fast jeder Berliner auf einem Plakat oder bestenfalls sogar live gesehen hat. Der von Starhutmacher Philip Treacy entworfene Kopfschmuck wurde in Kanada entwickelt und im Friedrichstadt-Palast bühnentauglich und robust genug für tägliche Veranstaltungen gemacht. Auch wenn die Plakate Single-Pixel-LED suggerieren, sind doch RGBW-Stripes in den Kopfputzen verbaut. Die Akkus hierfür sind abgesetzt und werden am Rücken getragen. Die Kopfputzen gibt es in vier Größen, zu einer Show sind aber niemals alle und auch nie die gleichen Kopfputzen auf der Bühne.
Auch die Reihenfolge variiert je nach Besetzung und Anzahl der Tänzerinnen am Veranstaltungsabend. Die Show wird also jeden Abend an die Realbedingungen angepasst und per Makros umprogrammiert. Ein Fehler in dieser Programmierung würde sofort auffallen, denn die Aufmerksamkeit des Zuschauers wird zurecht auf diese ausgefallenen LED-Irokesen gelenkt.
»Wenn du ganz oben mitspielen willst, dann musst du dich stetig erweitern und verbessern.«
Benjamin Binder | Beleuchtungsmeister und Technischer Leiter Video
Video: Setup mit Update
Die Videotechnik im Friedrichstadt-Palast hat für VIVID Grand Show einige Updates erhalten. Insbesondere in Sachen Zuspiel galt es neue Anforderungen zu erfüllen. Die Projektionen in der Show sind beeindruckend, aber nicht aufdringlich. Ziel bei der Content Creation war es, Räume und Stimmungen zu designen. Die Projektionen sollen den Zuschauer in die Szenerie holen und sind nicht permanent zur Informationsübermittlung gedacht. Der Content wurde von Maxin10sity aus Ungarn produziert. Die sonst für eindrucksvolle Projection Mapping-Inhalte verantwortliche Firma feierte damit ihr Theaterdebüt.
Die Verteilung des Contents auf die insgesamt 23 Projektoren erfolgt über fünf Pandoras-Box-Server, einen Pandoras-Box-Player und einen Catalyst-Server. Ein weiterer Pandoras-Box-Player und ein weiterer Catalyst-Server stehen als Backup bereit. Bei einem Ausfall kann der Player den entsprechenden Server ersetzen. Das Umschalten funktioniert über DVI-Matrizen von Lightware, gleiches gilt für das Catalyst-Backup.
Bild: Alexander Heber
Live Painting Während der Show wird live gemalt. Im Stern oberhalb der Malfläche befindet sich eine Marshall CV 502-M, deren Aufzeichnung als SDI-Live-Input im Pandoras-Server landet. Das Bild wird über den RZ21K auf die Slopebühne übertragen. Sollte es beim Umbau zu einer fehlerhaften Kabelverbindung kommen, wartet eine Aufzeichnung als Fallback – the Show must schließlich go on!
Bild: Alexander Heber
Die weiße Maske Eines von vielen 3D-Objekten, welches per Projektion zum Leben erweckt wird. Zwei Panasonic RZ970 in den Seiten bringen den Content auf das Gesicht, dafür muss die Maske genau auf Position sein – das passt haarscharf
Die Möglichkeit, Daten von 3D-Scans in Pandoras Box einzupflegen, war entscheidend für die Wahl des Systems. Die vielen dreidimensionalen Dekoelemente befinden sich an insgesamt 90 verschiedenen Positionen über die Zeit der Aufführung. Für jede dieser Positionen ist ein entsprechendes Mapping erforderlich, welches dem Betrachtungswinkel des jeweiligen Projektors Rechnung tragen muss. Diese Arbeit komplett von Hand zu erledigen, hätte schlichtweg zu lange gedauert und der Installation der restlichen Technik im Weg gestanden. Mit Unterstützung der loop light GmbH wurden die Objekte an ihren Positionen in 3D gescannt und die Medienserver mit diesen Daten gefüttert und programmiert. Am Ende betreuen aber die Profis des Friedrichstadt-Palastes die neuen Systeme. Somit galt es, die neuen Medienserver in sehr kurzer Zeit sicher und schnell bedienen und programmieren zu können.
Bild: Alexander Heber
Medienserver-City Im klimatisierten Raum wird der Content aus den Servern über Lightware-Matrizen zu den Projektoren geroutet, übertragen wird per Multimode LWL und PMD DVI-Sets
Bild: Alexander Heber
Medienserver-City Im klimatisierten Raum wird der Content aus den Servern über Lightware-Matrizen zu den Projektoren geroutet, übertragen wird per Multimode LWL und PMD DVI-Sets
Bild: Alexander Heber
Lichtregie Arbeitsplatz der Licht- und Videokollegen, die Schaltversätze über den Pulten funktionieren übrigens noch
»Die Lernkurve war steil, aber loop light hat uns echt gut mitgenommen und wir sind zu einem großartigen Team zusammengewachsen.«
Martin Wagner | Video-Operator Friedrichstadt-Palast
Doch nicht alle Prozesse ließen sich mit moderner Technik optimieren. Irgendwann spielen auch das Budget und das Verhältnis zum Nutzen eine Rolle. Ziemlich am Anfang des Stücks wird auf sich bewegende Deko-Kristalle projiziert. Die Projektion bleibt in dieser Zeit sauber auf den Kristallen. Die Kristalle werden allerdings von Tänzern bewegt … ein Zusammenspiel aus selbstfahrenden Wagen und Pandoras Box scheidet also aus. Eine andere Vermutung könnte ein Tracking System wie BlackTrax sein, doch selbst aus der ersten Reihe lassen sich die notwendigen Tracking-Beacon an den Kanten der Kristalle nicht finden. Vielleicht ein kameragestütztes Tracking?
Es ist eine Choreografie. Ein Umstand, der nur schwer zu glauben ist, wenn man einmal Zeuge davon wurde, wie gut das funktioniert. Die Proben dazu waren intensiv, Anfahrts- und Abklingrampen für die Bewegungen des Bildes wurden stetig angepasst und die Choreografie auf der Bühne kam den technischen Möglichkeiten entgegen. Das Ergebnis ist auch hier: ein bemerkenswertes Zusammenspiel von Mensch und Technik!