Videotechnik beim Genius Loci Weimar 2018: Make Walls talk!
von Redaktion,
Vom 10. bis 12. August 2018 verwandelte sich die Kulturstadt Weimar erneut in ein wahres Lichtermeer. Doch hier ging es nicht einfach um atmosphärische Beleuchtung einer schönen Altstadt an einem lauen Sommerabend. Das Festival Genius Loci Weimar möchte mit der Veranstaltung die Kulturschätze der Stadt wieder mehr in den Fokus rücken und durch Einsatz besonderer Videotechnik im wahrsten Sinne des Wortes „in neuem Glanz erstrahlen lassen“. Durch seine Einzigartigkeit ist der Genius Loci Weimar nicht nur ein Highlight des Veranstaltungssommers sondern auch ein bekannter Name in der Kreativszene geworden.
Bereits zum siebten Mal fand in diesem Jahr der Genius Loci Weimar (GLW) statt. Seit seiner Premiere im Jahr 2012 ist das Lichtkunstfestival mächtig gewachsen. Heute finden neben den Fassadenprojektionen viele Side-Acts statt wie das Genius Loci Lab (Installationen und Workshops im Vorfeld des eigentlichen Festivals, gedacht als eine Art Minicampus auf dem Gelände der Mensa), das AV-Live Kino (auditiv- visuelle Montagen im Lichthauskino, bei denen Musiker live zum Geschehen auf der Kinoleinwand interagieren) oder auch der seit zwei Jahren neu hinzu gekommene Genius Loci Talk, bei welchem internationale Experten über verschiedene Schwerpunkte der Medienarchitektur referieren und sich im Anschluss einer Podiumsdiskussion mit dem Publikum stellen.
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Unikum: Genius Loci
Aber was macht gerade das GLW-Festival so besonders, dass jedes Jahr bis zu 50.000 Besucher die vielen Straßen und Gassen der kleinen Stadt bewandern? Die Antwort darauf spiegelt sich bereits im Namen wieder. Denn „Genius Loci“ bedeutet so viel wie „Geist des Ortes“ – und genau das ist es, was der GLW möchte: den Geist des Ortes, also die Besonderheit der historischen Gebäude und seine Geschichten, durch den Einsatz moderner Medientechniken in den Vordergrund rücken. Digitale Denkmalpflege also. Urbanes und Digitales soll dabei nicht nur miteinander verbunden, sondern durch das Zusammenwirken auch eine eigene, digitale, kontextuelle Sprache entwickelt werden, die dem Betrachter die Geschichte des Ortes erzählt. Thorsten Bauer, Kurator des Genius Loci Talks, umschreibt die Grundidee des Festivals so: „Die verwendete Technologie und der produzierte Content, also das neu Geschaffene, trifft bei unserem Festival auf alten Stein, der ganz viel zu erzählen hat, denn er hat seine Geschichte narrativ über Jahrhunderte hin angesammelt. Das Digitale fixiert, verändert und kommentiert also das Bestehende, ordnet sich selbst dabei unter und stellt damit das Gebäude in den Vordergrund.“ An geeigneten Orten hierfür fehlt es in Weimar definitiv nicht. So können jedes Jahr drei neue Orte zur Bespielung ausgewählt werden. In diesem Jahr fiel die Wahl auf das Goethehaus am Frauenplan, das Haus der Frau von Stein sowie die Universitätsbibliothek an der Steubenstraße.
Bild: Oliver Blum
Goethehaus In ihrer Arbeit „Alchemy“ haben die russischen Künstler von 404.zero moderne Alchemie durch Computercode ausgedrückt. Dabei begibt sich ein generatives System im faustschen Sinne auf die Suche nach dem Stein der Weisen – die Auflösung des Dilemmas bleibt dem Betrachter überlassen.
Bild: Oliver Blum
MultiScalar Bei der Projektion „Musae“ von MultiScalar wurde mit den Mitteln Animation, Simulation und Abstraktion die Thematik „Muse versus Genie“ inszeniert – passend zur
Beziehung zwischen Goethe und Charlotte von Stein; hier projiziert auf die Fassade des Hauses der Frau von Stein
Bild: Oliver Blum
Medienarchitektur für das Bibliotheksgebäude wurde erstmalig das Thema Medienarchitektur in die Ausschreibung aufgenommen. Die Projektion sollte also dauerhaft installiert werden können. Gut gelöst vom Künstler-Team 5Elements, die sowohl die Front als auch den rechten Counter für die Projektion nutzten.
Wettbewerb: contextual content
Für die Entwicklung des jeweiligen Videocontents wird dem Genius Loci Festival jedes Jahr ein Wettbewerb vorangestellt. Hier können sich Künstler mit ihren eigens entwickelten Projektionen für die jeweiligen Fassaden bewerben – die Gewinner dürfen dann an den drei ausgewählten Orten ihre Projekte realisieren. Die Besonderheit beim GLW: die Gewinner werden nicht nur durch eine Jury bewertet, sondern auch die Öffentlichkeit kann durch ein public vote seine Stimme abgeben. Das macht das Auswahlverfahren sehr demokratisch.
Bei der Siegerehrung am 27. April 2018 im Palais Schardt wurden die diesjährigen Gewinner bekannt gegeben: 404.zero bespielte mit ihrer Installation „Alchemy“ die Fassade des Goethehauses am Frauenplan, MultiScalar erzählte mit „Musae“ die Geschichte von Goethe und Charlotte von Stein an der Fassade des Hauses der Frau von Stein und 5Elements verwandelten mit ihrer Performance „Inside Out“ die Fassade der Bauhaus-Universitätsbibliothek in eine gigantische Leinwand. Thorsten Bauer: „Bei den Projekten am Goethehaus und am Haus der Frau von Stein handelte es sich um typisches Projection Mapping, also eine temporäre Inszenierung mit Entertainment-Charakter, welches das Ziel verfolgt, eine Geschichte zu erzählen. In diesem Jahr haben wir für das dritte Gebäude, also die Universitätsbibliothek, erstmals das Thema Medienarchitektur mit in die Ausschreibung aufgenommen. Die Aufgabe war, etwas zu konzipieren, was auch dauerhaft im öffentlichen Raum stattfinden könnte. Das bedeutet also reduziertere Inhalte mit geringer Dynamik. 5Elements haben das extrem gut und interessant gelöst. Sie haben den Charakter der Bibliothek mit aufgenommen, indem das Thema „Letter“ in die Architektur hinein formuliert und durch Wortspiele von Suchanfragen aus der Bibliothek auf selbsterdachten Displays wiedergegeben wurde. Auch auf dem rechten Counter fanden sich typische Bauhaus-Elemente wieder. Das Künstler-Team hat sich also auf sehr verspielte Weise mit dem Wesen des Unibibliotheks-Gebäudes auseinander gesetzt und durch die Medientechnik auf die Fassaden projiziert.“
Thorsten Bauer, der hauptberuflich Medienkünstler und Gründer des Bremer Unternehmens Urbanscreen ist, setzt genau hier auch die Leitfragen seiner eigenen Forschung an: Welche Antworten können wir visuell und ästhetisch geben, die sich dennoch mit dem öffentlichen Raum und der Stadt vertragen? Die das Gebäude in seiner Identität unterstützen ohne die Aufmerksamkeit von ihm abzuziehen, wie es bei Werbedisplays zum Beispiel der Fall ist? „Ich finde es gut, dass solch wichtige, städteplanerische Fragen jetzt auch Einzug in das Festival gefunden haben“, resümiert Bauer.
Organisation und Umsetzung
Das GLW-Festival wird von einem kleinen Team rund um den Geschäftsführer Hendrik Wendler organisiert. Während des Festivals wächst es von sechs Teammitgliedern auf über 200 helfende Hände an. Der bereits beschriebene Wettbewerb lief vom 14. Februar bis zum 18. März 2018 und endete nach der Bewertungsphase in der Preisverleihung am 27. April. Doch damit fing die Arbeit erst richtig an.
Bereits im Vorfeld des Wettbewerbs mussten die drei Spielorte festgelegt und mittels 3D-Scanner o. ä. ein 3D-Modell erstellt werden. „Hier wird also zuerst einmal die reale in die digitale Welt überführt“, erklärt Thorsten Bauer den eigentlichen Widerspruch. Anhand des Models beginnt dann die Konzeption – also der kreative Part der Künstler. Diese wurden hierfür im Vorfeld ausgiebig über die Historie der Gebäude in allen Facetten gebrieft, damit sie die Möglichkeit haben, genau auf deren Geschichte einzugehen und wirklich kontextuellen Content zu kreieren. „Das ist das Einzigartige am Genius Loci Weimar: Hier begegnen sich Neues und Altes par excellence!“, betont Bauer. Danach geht’s an die Umsetzung: hier wird mit herkömmlichen Bildgestaltungs-Gewerken produziert und der Content auf die Rückführung (von der digitalen wieder in die reale Welt) vorbereitet. Im Ping-Pong mit der Bildgestaltung entsteht nun auch die passgenaue Audiountermalung zum Videocontent.
Für die Aufführungsrealisierung und das eigentliche Event wird besondere Technik benötigt: Die Beamer für das Festival müssen besonders groß und lichtstark sein. Vor allem bedarf es aber auch spezieller Medienserver, die mehrere Projektoren in einem Bildverbund darstellen können. Die verwendeten Server sind mit multiplen Ausgängen ausgestattet, an denen beliebig viele Projektoren angeschlossen werden können. Diese werden alle mit einem Bild gesteuert, welches dann sozusagen noch in der Maschine auf verschiedene Bildfelder aufgeteilt wird – je nachdem wo der Projektor eben welche Bildfläche bespielt. Der Medienserver kann in Echtzeit diese Bilder darstellen und direkt vor Ort an die bespielte Fläche anpassen (sog. Image Warping). „Beim Genius Loci Festival kommen hierfür Medienserver von MXWendler zum Einsatz. Weitere Firmen, die geeignete Server bereitstellen und die bei uns zum Einsatz kommen, sind z. B. AV Stumpfl oder Christie mit Pandoras Box. Diese Einrichtungsphase dauert dann meist zwei oder drei Tage, anschließend wird der Sound aufgestellt und angepasst – und dann können die Besucher gerne kommen“, lacht Thorsten Bauer.
Audio- und Videotechnik beim GLW-Festival 2018
6 × Medienserver MXWendler FXServer Multihead
12 × Projektor Boxer 4K30 von Christie via publitec
4 × PA L-Acoustics via Amphire (für die Hauptlocations)
2 × PA Meyer Sound (für Club und Outdoor)
1 × PA Funktion 1 (für GLW-LAB)
6 km Kabel
30 Tonnen Ballast in Tanks
1.000 m² Folie zum Bekleben der Universitätsbibliothek
Das nächste Genius Loci Weimar Festival findet vom 9. bis zum 11. August 2019 statt.