Temporäre Open-Air-Installation Bad Hersfelder Festspiele
von Nicolay Ketterer, Artikel aus dem Archiv vom
Starkregen, kurzfristig wechselnde Darsteller, bis zu drei unterschiedlichen Produktionen am Tag – in einem temporären Open-Air-Aufbau ohne überdachte Bühne innerhalb einer denkmalgeschützten Ruine: Bei den Bad Hersfelder Festspielen fanden 107 Aufführungen – Musicals, Theaterstücke und einzelne Konzerte – über zwei Monate statt. Die Beschallung erfolgte als 3D-Setup. Jörg Grünsfelder übernahm den FOH-Mix und die Konzeption des Audio-Workflows.
„Das ist kein klassisches Theater oder Opernhaus – alles, was hier drin ist, muss installiert werden“, erklärt FOH-Mann Jörg Grünsfelder. Der Innenbereich der Stiftsruine Bad Hersfeld ist normalerweise leer – Bühne, Zuschauertribüne und Technik werden jedes Jahr für die Festival-Saison, die von Juli bis September dauert, errichtet.
Im Hintergrund klatscht Regen am späten Nachmittag auf ein abnehmbares Zeltdach, dazu herrscht Wind – einer der Sommertage, an denen das Wetter alle halbe Stunde zwischen Sonnenschein und heftigen Regengüssen wechselt. Lediglich der Zuschauerbereich mit Platz für gut 1.300 Besucher ist bei Bedarf überdacht, nicht die Bühne – ein Teil des Konzepts. „Wir spielen auch, wenn es wie aus Eimern schüttet – nur bei schweren Gewittern wird aus Sicherheitsgründen abgebrochen, oder bei starken Sturmböen, wenn sich Requisiten bewegen und in den Orchestergraben rutschen könnten. Das hatten wir alles schon – gerade die Seitenwinde können heftig sein“, erinnert sich Grünsfelder. Am Abend findet eine „Jesus Christ Superstar“-Aufführung statt. Ob die große Jesus-Figur aufgehangen werden kann, hängt von der Windstärke ab. Insgesamt sind auf der Bühne bis zu 40 Akteure mit Sendestrecken unterwegs, dazu kommen die Signale des Orchesters. Bei manchen Aufführungen befindet sich zusätzlich eine Band auf der Bühne. Am Ende spielt das Ergebnis in eine 3D-Beschallung. Grünsfelder arbeitet mit rund 160 Eingangskanälen. Das verlangt dezidierte Planung. Doch alles der Reihe nach.
FOH Jörg Grünsfelder: Von Klassik über elektronische Musik zum Musical und Theater
Jörg Grünsfelder betreut die Bad Hersfelder Festspiele mit seinem Team seit 2015, davor war er jahrelang für die Wormser Nibelungen-Festspiele zuständig. Der 56-Jährige hatte bereits als Kind Klavierunterricht, später interessierte er sich auch für elektronische Musik. Grünsfelder studierte Musik in Wiesbaden, kam anschließend über ein Stipendium an die New Yorker Filiale des SAE-Instituts, um dort Tontechnik zu studieren. „Ich habe drei Jahre in New York gelebt und parallel an der Hit Factory [legendäres ehemaliges Studio; d. Autor] gearbeitet. Dort entstanden viele Kontakte, die mich bis heute anrufen, wenn sie jemanden in Europa brauchen.“ Im Pop-Bereich betreut er als FOH beispielsweise Lionel Richie. „Das war eine wichtige Zeit – zu lernen, wie man am Broadway arbeitet, wie man Lösungen für eine Szene findet.“ Im Studio nahm er auch Drums für Bryan Adams auf, erinnert er sich. „Das war damals eher das, was ich machen wollte, aber ich kam trotzdem in den Musical- und Theater-Bereich rein.“ In Deutschland wurde er nach seiner Rückkehr mit 21 Jahren Teilhaber beim Frankfurter Opus-80-Studio, war bei Orchesteraufnahmen dabei. „Neben dem Rock-Pop-Bereich habe ich mich bei Klassik auch weiterentwickelt. Ein gutes Orchester zum Klingen zu bringen, finde ich heute noch spannend.“ In Detmold absolvierte er noch das Tonmeisterstudium. „Das hat mir außer dem Zertifikat nichts gebracht. Die Ausbildung ist unfassbar theoretisch, dass ich sie heute keinem empfehlen würde. Gerade das parallele Arbeiten mit modernen Technologien wie digitalen Netzwerken, die du heute kennen musst, fehlte. Du hast viel Theorie – bis du an einem Pult sitzt, sind zwei Semester rum.“ Später arbeitete er bei ersten Musicals, er erinnert sich an „Cabaret“ in Frankfurt am Main. „Das habe ich gerade wieder gemacht – das begleitet mich mein Leben lang!“ Dazu kamen Filmmischungen mit Regisseur Dieter Wedel, woraus sich die Wormser Festspiele ergaben. „Wir fingen an, Theaterproduktion mit einem filmischen Gedanken zu machen, um ein Erlebnis mit Sounds und Atmosphäre zu vermitteln.“ Dabei kam auch Surround-Beschallung zum Einsatz. Er erinnert sich an eine Umsetzung des Nibelungen-Schauspiels: „Wir hatten bei der ersten Veranstaltung ein Pferd aus echtem Eis, auf dem Brynhild saß. Das Eis tropfte auch während der Veranstaltung.“ Dazu konzipierte er 5.1-Audio-Files in Logic und ProTools. „Das Tropfen wurde beispielsweise dynamisch von der Front über die Surround-Lautsprecher hin und her gepanned, musikalisch per Timecode. Hallräume wurden ebenso dynamisch verändert. Das Gefühl im Zuschauerraum war eine vollständige Immersive Veränderung der ‚Eishölle‘ Isenland, optisch durch Projektionen und Bühnenbilder unterstützt.“
»Das ist im Theater sonst ein großes Problem: Schauspieler werfen sich aufeinander. Plötzlich liegen drei Leute übereinander.«
– Jörg Grünsfelder zu Funkproblemen
Dante nur als Detaillösung
Unter anderem mit vielen Surround-Erfahrungen im Gepäck näherte sich Grünsfelder auch den Bad Hersfelder Festspielen. Dazu bedarf es der passenden technischen Infrastruktur und dem richtigen Netzwerkgedanken. Im Nebengebäude der Ruine befindet sich ein Technikraum. Als „Zentrale“ dient ein Fiber Audio Solutions Optocore Loop. DiGiCo „Orange Box“-Module mit Dante-Karten dienen als Breakout-Boxen, um die Signale ein- und auszugeben. „Dante nutzen wir als externes Ein- und Ausgangs-System – es läuft nicht das gesamte System über Dante.“ Die Überlegung gilt der Betriebssicherheit. Ein DiGiCo SD-Rack 192 kHz verwenden sie zur analogen Anbindung der UHF-Strecken.
Shure Axient-Funkstrecken für konstante RF-Leistung
Grünsfelder verweist auf Shure Axient-Systeme für die Sendestrecken. Das System hatte dieses Jahr im Setup Premiere. „Zuvor hatten wir ein Sennheiser EM-System. Der Umstieg hat damit zu tun, dass die Axient-Strecken hier erheblich stabiler sind. Wir müssen in der Lage sein, auch bei schlechtem Wetter eine gute Feldstärke zu erreichen. Ich hatte hier in der Ruine selbst bei furchtbarem Wetter noch nie eine so gute Feldstärke wie mit dem Axient-System. Auch bei der Hitze im Hochsommer tragen die Schauspieler die Bodypacks teilweise unter ihren Kostümen; sie schwitzen teils wahnsinnig – die Feldstärken stehen trotzdem. Bei uns ist auch der Bühnenboden oft vom Regen nass. Wenn sich ein Schauspieler auf den Boden wirft, kann es sein, dass er richtig nass wird. Auch wenn wir die Bodypacks etwas schützen können, ist praktisch das nasse Kostüm die ganze Zeit auf dem Bodypack. Bei der Shure-Lösung merkst du keinen Unterschied zum trockenen Betrieb. Bei Sennheiser hatte ich in den Vorjahren immer mal Drops – je nachdem, wo sich die Schauspieler im Bühnenbereich aufhielten.“
Seiner Meinung nach funktionieren die Shure-Systeme aufgrund der volldigitalen Arbeitsweise mit Pilottönen – etwa die AD1-Bodypacks – besonders gut, unabhängig von der Position zum Empfänger: „Selbst bei seitlicher Polarität hast du immer noch große Feldstärken. Das ist im Theater sonst ein großes Problem: Schauspieler liegen teilweise auf dem Boden, werfen sich aufeinander. Plötzlich liegen drei Leute übereinander. Bei großen Konzerten sind eher Reichweiten das Problem.“ Mir scheint: Dadurch, dass die über den Pilotton immer wieder die Sendeleistung abfragen, können sie darüber eine höhere Reichweite leisten. Vor allen Dingen: Wir haben keine Artefakte – wenn sie wirklich raus sind, sind sie raus. Ist jemand im Empfangsbereich, ist der Sound immer einwandfrei.“
Neben der Bühne befindet sich der UHF-Arbeitsplatz. „Die Kollegen hören die Mikrofone per Software ab und kontrollieren die gesamte Zeit die Signale, ob Artefakte entstehen: Hast du ein Knacken, weil es mit einem Kabel ein Problem gibt? Bei einer statischen Musikproduktion wird das seltener passieren. Hier sind die Schauspieler in Bewegung, Dinge fliegen durch die Gegend.“ In der Workbench siehst du, ob ein Knacken vorhanden war – das ist auf Infinity gestellt. Durch die Einstellung der LED-Input-Anzeige auf „unendlich“ werden Overloads direkt offensichtlich. „Die Kollegen können bereits eingreifen, bevor wir am FOH agieren müssen – oder ein Problem mitteilen. Dann können wir die Ursache klären.“ Er vergleicht die Abfertigung der Schauspieler mit einem Formel-Eins-Boxenstopp: „Die modernen Stücke sind durchinszeniert – alle sind immer in Bewegung. Manchmal müssen die Schauspieler für einen Moment aus dem Bühnenbild, dann kommen sie zum UHF-Arbeitsplatz, die Technik wird schnell gewechselt, sie gehen wieder auf die Bühne.“
Vor der Bühne befindet sich der Orchestergraben, der mit einer abnehmbaren Plexiglasfront an der Bühnenkante vor Regen von der Bühne abgeschirmt wird. Die Orchester-Verkabelung erfolgt über ein weiteres DiGiCo SD-Rack. „Das ist mit 56 Kanälen ausgelastet, durch viele Streichinstrumente, Percussion und Schlagzeug.“ Eine DiGiCo A168D-Stagebox ist über Dante angebunden. Darunter steht die DiGiCo „Area 4“ – unser ‚Herz‘, was die Verteilung der Signale angeht. Hier werden auch kurzfristig Mikrofone, die wir auf der Bühne brauchen, über Dante angebunden.“ Neben der Dante- ist eine Klang-Technologies-Karte eingebaut, als „Breakout“ für das Monitoring der Musiker.“ Er spricht die Gegebenheit an, dass es sich nicht um eine Bühne einer normalen Musikproduktion handelt – mit FOH, Monitor, Band – sondern um ein komplett installiertes Theater: „Du musst überall Signale hinbringen und abholen können. Beim Theater sind Breakout-Boxen in den Wänden verbaut. Das ist hier so nicht möglich, weil die Ruine unter Denkmalschutz steht.“ Die Denkmalpflege vom Land Hessen schaut sich die Aufbauten an. Die alten Treppen der Ruine haben teilweise kein Geländer – auch hier darf nichts verändert werden. Lediglich ein einzelner Karabinerhaken findet sich in einer Wand, der dort wohl schon seit Jahren eingebracht ist. Ansonsten muss alles vom Boden aus installiert werden. „In unserem Setup könnten wir die ‚Area 4‘ praktisch überall hinlegen.“
Der FOH-Platz befindet sich in einem Container, aufgebaut auf einem Gerüst am Ende der Tribüne; der Zugang erfolgt über die Rückseite durch eine Leiter am Gerüst mit Handlauf, die Leiter wackelt leicht und muss „bewusst“ bestiegen werden. Grünsfelder nutzt eine DiGiCo Quantum SD7T-Konsole, die mit den Signalen versorgt wird. Tagsüber ist für die Proben ein zusätzliches FOH-Pult im Tribünenbereich aufgebaut, eine DiGiCo EX-007-Konsole. „Das Pult wird immer auf- und abgebaut. Du hast abends eine Produktion, und tagsüber wird geprobt. Da du im FOH oben nicht optimal hörst, musst du immer wieder in den Saal zurück.“ Er spricht die Gegebenheiten der FOH-Position – einerseits befindet er sich außerhalb des Surround-Felds, er ist im Container abgeschottet und hört daher über Monitore ab. Andererseits ist er nicht direkt im „Bühnengeschehen“ drin, was für die Proben sinnvoll ist. „Die EX-007 ist eine Full-Remote-Konsole – dort ist praktisch die komplette SD7 vorhanden. Mein Kollege steht dann oben an der SD07, ich bin unten an der EX-007, wir können komplett parallel arbeiten.“
„Durch die Auto-Update-Funktion der DiGiCo-Software wird alles, was du am Pult editierst, automatisch gespeichert. Dadurch können wir schnell arbeiten, mit effizienter Kommunikation. Bisher war es so: Wenn ich Orchester arbeiten musste, teilte ich danach mit: ‚Okay, Orchester ist fertig, drück mal Store.‘ Das ist vorbei. Mein Kollege fährt die Cues, ich kann während der Cues arbeiten und weiß, es ist alles gespeichert, was gerade in den Cues passiert. Das ist hilfreich, wenn der Regisseur kurz zurückspringen will – du musst nicht nacharbeiten. In der Vergangenheit hast du eine Liste erstellt und nach der Probe alles editiert. Die Arbeitsprozesse sind kompakt organisiert, weil wir auch die Arbeitszeiten optimieren müssen. Über Optionen kannst du festlegen, nur einen bestimmten Teil upzudaten, nicht alle Bereiche – nur ein Cue. Undo/Redos kannst du ebenfalls bauen, wenn du dran denkst!“
»Auf der Tribüne existiert ein Dante-Anschluss für den Komponisten. Er installiert sich die virtuellen Dante-Soundkarten und kann bei Proben in die Surround-Anlage einspielen – unabhängig von meiner Produktionsarbeit.«
– Sounddesigner und Tonmeister Jörg Grünsfelder
Systemzugriff durch drei unabhängige Arbeitsplätze
Der Komponist sitzt bei den Proben regelmäßig auf der Tribüne, so Grünsfelder. „Dazu existiert ein Dante-Anschluss für ihn, auf den er mit seinem Notebook drauf kann. Er installiert sich die virtuellen Dante-Soundkarten und spielt komplett in die Ruine rein – unabhängig von meiner Produktionsarbeit. Er kann selbst Signale in den Saal geben, auf die Surrounds, hinten in die Krypta rein oder aus dem Seitenschiff heraus – um zu hören, wie das klingt. Dazu haben wir noch Akku-Boxen positioniert. Wir können beispielsweise eine Box in das komplett fahrbare Kreuz legen, sodass einzelne Elemente direkt aus dem Kreuz kommen – egal, wo es sich befindet. Das kann der Komponist autark ausprobieren. Die jeweiligen Komponisten sind begeistert, weil sie parallel zu uns arbeiten können, ohne auf uns angewiesen zu sein. Unser Qlab-Zuspieler ist offen programmiert: Das Levelling kommt aus Qlab heraus. Während wir am Orchester arbeiten, können per Qlab trotzdem parallel die Sounds gefahren werden – unabhängig davon, in welchem Cue wir sind.“ Das gleichzeitige Arbeiten erfordert Disziplin und einen angepassten Workflow. „Die Arbeitsprozesse müssen definiert sein. Wir sind mit einer festen Crew hier. Der Qlab-Mann hat Kontakt mit dem Komponisten, sie tauschen sich aus, die Files laufen direkt über einen Server. Beim Abspielen über Qlab kann der Komponist gleich Rückmeldung geben, ob es passt.“ Das verkürze Wege und Arbeitszeiten.
„Du bist viel kreativer, weil du nicht jeden Kreativprozess dauernd besprechen musst. Früher entstand oft die Situation, dass es hieß: ‚Pass mal auf, wir müssen nachher noch die Cue 4 ausprobieren.‘ Da muss ich erst in die Cue springen, und alles im Pult setzen. Das macht es schwieriger, weil der Komponist in meiner Abhängigkeit steht – oder umgekehrt, ich bin von ihm abhängig. Im Normalfall würde man sagen, dann wartet man mal – aber wenn du drei Wochen lang am Dauerarbeiten bist, und jeden Tag rund eine Stunde mehr anfällt, summiert sich die Zeit.“
„Bei den DiGiCo-Produkten, die wir hier einsetzten, besteht ein ‚Open-Source-Gedanke‘ – wenn wir es mal so nennen wollen: Ich bin praktisch autark. Wenn jemand im hinteren Bereich abhören möchte, stelle ich ihm eine Box hin und route die Signale darauf, unabhängig von meiner Produktion. Derjenige kann dann abhören, was immer er will, und mein Kollege und ich können trotzdem arbeiten. Deswegen auch die Überlegung, nicht auf Dante im Gesamtsystem zu gehen, wie das bei vielen anderen Produkten der Fall ist: Wenn im Dante-Kreis eine Störung entsteht, liegt sie auf dem gesamten System: Routet mir ein anderer Arbeitsplatz versehentlich etwas in der Soundkarte weg, habe ich das Element plötzlich nicht mehr. Das kann hier nicht passieren. Falls der Komponist einen Fehler macht, was auch schon passiert ist, weil er zum Beispiel Sample-Rates verwechselt, knackt das nur von seinem Arbeitsplatz aus. Zum einen kann ich so den Fehler schneller finden, zum anderen sind wir unabhängig. Ich habe den Komponisten dann zunächst bei mir ausgeschaltet. Dann gehe ich an seinen Rechner, frage, was passiert ist, aber die Probe geht weiter. Ansonsten wären die Mikrofone weg. Daher setzen wir Dante-Karten für ihre jeweiligen Vorteile ein, allerdings nur neuralgisch an Punkten für bestimmte Aufgaben.“ Dante kommt bei der Einbindung der UHF-Signale und für Qlab zum Einsatz, „dazu eine freie Dante-Umsetzung im Raum, um zusätzliche Boxen und Mikrofone einbinden zu können.“ Das Mainframe, das etwa die L8-Amps versorgt, läuft nicht auf Dante. „Dazu nutzen wir Lake LM44-Controller. Dementsprechend verteilen wir von hier aus die Signale sternförmig überallhin, zu den Amps und den unterschiedlichen Bereichen.“
»LFEs sind nötig, weil die modernen Musical- und Theater-Produktionen den ‚Wumms‘ wollen – und das Publikum auch.«
– Jörg Grünsfelder
Surround-Umgebung mit Anwohner-Akzeptanz
In der Ruine ist die Beschallung als 3D-Setup mit L-Acoustics-Modulen aufgebaut, sodass Klänge neben der Links-Rechts-Hang-Beschallung an der Front zusätzlich an den Tribünenrängen entlang oder gar auf der Bühne selbst positioniert werden können. Insgesamt sind rund 50 Lautsprecher installiert, samt den erwähnten zwei „Bananen“ (zwölf KIVA II, zwei X8), jeweils 5 Surround-Lautsprecher an den Seiten (5XT Nearfields) verbaut. Zusätzlich zu Subs sind LFE-Bässe (SB28) vorne und unter der Tribüne verbaut. „Der Sub ist der musikalische Bass bei uns, der musikalische Töne transportiert, der LFE-Kanal vermittelt ‚Erdbeben-Tiefbassanteile‘. Das kommt beim Musical seltener vor, aber bei Theaterstücken zum Beispiel, wenn ein Gewitter oder eine Explosion abgebildet wird. Dann ‚ruckelt‘ es auf der Tribüne auch.“
Stichwort LFE-Inhalte: „Bei den Wormser Festspielen hatten wir auch schon Buttkicker auf jedem Sitz im Einsatz“, erinnert er sich. „Das ist allerdings sehr aufwändig, dass wollen sich viele Produktionen nicht mehr leisten: Du brauchst Buttkicker unter jedem Sitz, dazu die Amps. In Worms kam das zum Einsatz, weil die Beschallungslautstärke für die Anwohner problematisch war.“ Es gehe darum, trotzdem noch eine Einhüllung im Geschehen zu gewährleisten. „Wir hatten dort beim Bass nur noch zwei Subs für etwas ‚Raumgefühl‘, alles andere kam über die Sitze. Es war allerdings eine Verkabelungsschlacht, dazu wartungsintensiv. Hier hast du zum Beispiel 1.300 Sitze – stell dir vor, du musst jeden Abend kontrollieren, ob alle Buttkicker gehen, und bei Bedarf austauschen. Das hat hohen Personalaufwand zur Folge.“
In Bad Hersfeld seien die Gegebenheiten anders: „Die Leute in der Stadt lieben die Festspiele. Wenn wir mal Pegel machen – 96, 97 dB – feiert die Umgebung das eher. Wir haben teilweise auch schon Proben nachts um drei – da gab es keinen, der sich beschwert hätte.“
Die Surround-Abhöre im FOH-Container arbeitet mit angepasster Pegel-Referenz „Die Abhörsituation war dem Gedanken geschuldet, dass ich ein System brauche, das deckungsgleich zu dem ist, was im Saal passiert. Deswegen finden auch immer Absprachen statt. Wenn es unten top klingt, frage ich nach, wie oben der Schalldruck ist, zum Beispiel 86 dB. Das trage ich mir ein – und weiß, wenn ich oben 86 dB habe, passt das auf der großen Anlage. Das Verhältnis musst du klären. Dazu brauchst du Boxen, die die Situation – und auch Soundchecks – so wiedergeben, dass du sie bewerten kannst. Soundchecks machen wir mal unten, mal oben – das funktioniert. Wenn du hier 3 dB bei 3 kHz reindrehst, sind die auch unten auf der Anlage da. Deswegen fiel die Wahl auf die Genelecs 8050 BPM, weil sie das für meinen Geschmack am präzisesten wiedergeben.“ Als Rear-Speaker hat er die kleineren Modelle 8030 im 7.1-Einsatz. „Die reichen, weil wir in der Regel Surround-Effekte und atmosphärische Klänge hinten liegen haben, aber keine Voices. Das Setup passt zueinander, auch das Verhältnis ist gut – du musst es nur sehr akribisch einmessen. Es dauert auch ein paar Wochen, bis alles exakt gemessen ist und du weißt, dass du dich darauf verlassen kannst. Festgelegte, programmierte Abhörwege legen die Lautstärke fest. Du brauchst präzise Arbeitsabläufe, sonst wird es zu kompliziert, und du bekommst es nicht hin.“
Stichwort präzise Abläufe: Das aktuelle System mit der Anbindung an Orange Box und Dante sowie dem analogen SD-Racks biete gleichzeitig eine umschaltbare Havarie-Lösung. „Das komplette System ist voll redundant, sowohl im Netzteil der Orange Boxen, SD-Racks und des Pults als auch im digitalen Bereich. Am Pult existiert eine Schaltungsmöglichkeit, die uns in die Havarie-Situation versetzt, für eine direkte, unhörbare Umschaltung, wenn wirklich Bugs stattfinden. Aufgrund der Vorgabe der FOH-Räumlichkeiten können wir logistisch nicht mal eben ein Pult austauschen. Wenn auf einem Pult ein Problem herrscht, müssen wir in der Lage sein, auf ein zweites umzuschalten, und die Sendung – das Theaterstück – für die Zuschauer so fortzuführen, als hätte kein Problem bestanden. Daher kam die Entscheidung für das SD7T, um mit zwei komplett getrennten Engines fahren zu können.“
Zum Zeitpunkt des Gesprächs, nach gut einem Monat im Festival-Betrieb, mussten sie noch nicht während der Produktion umschalten, so Jörg Grünsfelder. „Bei der Premiere hatten wir ein kleines Problem, als kurz ein Feedback entstand. Dank des Havarie-Gedankens waren wir in zwei Minuten wieder sendefähig. Wir mussten kurz anhalten, zwei, drei Sachen richten, um zu schauen, wo der Fehler liegt.“ Dazu schaltete er auf die zweite Pult-Engine seines SD7T um. „Die Betriebssicherheit ist auch eine Forderung des Auftraggebers. Das teste ich auch während der Proben – einfach mal bei einer Hauptprobe stumpf Engine A auf B umschalten. Dann schaltest du komplett das gesamte System einmal um: Wenn Fehler auftreten, besteht oft keine Zeit, den Fehler zu fixen. Du brauchst eine Havarie-Lösung, die hundertprozentig funktioniert.“ Auch eine Qlab-Umschaltung zwischen Haupt- und Backup-System ist per Knopfdruck möglich. „Solche Schaltungen baue ich als Makros. So kann ich mit einem Tastendruck das Zuspielrack zwischen Rechner A und Rechner B umschalten.“ Die frei belegbare Makro-Funktion ist eine der Stärken des DiGiCo-Pults, Grünsfelder sieht sie als Revolution im Musical- und Theaterbereich.
Grünsfelder übernimmt auch das Monitoring auf der SD7-Konsole. Auf ein separates Monitorpult verzichtet er bei Theater- und Musical-Produktionen seit Jahren. Bei den Bad Hersfelder Festspielen sind gestackte Wedges am linken und rechten Bühnenrand für die Darsteller vorhanden – vier L-Acoustics KIVA II übernehmen pro Seite die Aufgabe. Orchester und Band-Musiker wurden hingegen mit eigenen Personal Mixern per In-Ear-Monitoring oder über kleine Genelec-Monitore versorgt, um sich die Mischverhältnisse selbst einstellen zu können.
„Beim SD7 existiert für jeden Monitorweg ein eigener EQ, über das sogenannte Noadle-Processing. Noadle erlaubt mir pro Monitor einen EQ anpassen zu können, unabhängig vom Input-Equalizer des Instruments. Für den Bassisten kann ich zum Beispiel die Bassdrum fetter machen, als sie der Schlagzeuger braucht. Die Orchester-Musiker kennen die Arbeitsweise mit den Personal-Mixern mittlerweile und sind es gewohnt.“
Zunächst hatten die Musiker über ein Aviom-System Zugriff auf ihr Monitoring, im Laufe des Festivals stieg die Produktion auf Klang Technologies Klang:fabrik-Mixer um – ein Gedanke, den Grünsfelder bereits länger hatte. „Das Klang-Processing bietet mir die Möglichkeit, mit einem Dante-Kartensystem auf 64 Kanälen ins Monitor-System gehen zu können, statt wie bisher mit 16 Wegen.“ Zuvor musste er Signale zusammenführen. „Wenn Vereinfachung gewünscht ist, kann ich den Streichern beispielsweise auch nur eine gesammelte Rhythmus-Sektion anbieten – dann können sie zwar nur an den zwei Knöpfen drehen, aber sie haben alles, was sie brauchen. So kann ich aber generell mehr Angebote machen und den Musikern die Chance geben, musikalischer zu arbeiten.“ In der Klang:fabrik sind acht organisierte Gruppen möglich, im Verhältnis zueinander gemischt – wird eine Gruppe lauter, wird der Rest entsprechend leiser. Das bietet einen kontrollierbaren Gesamtpegel samt Gehörschutz. Die virtuelle 3D-Positionierung, die die Klang-Systeme bieten, könnte künftig ebenfalls interessant sein, meint Grünsfelder. „Allein durch die Möglichkeit, das Stereobild in 3D-Stereo zu verwandeln, ohne immersive zu sein – nur, die ‚Aufräumung‘ und den Platz herzustellen –, habe ich bei Tests schon 80 Prozent mehr Wohlfühlcharakter empfunden. Wenn das die Musiker annehmen, würden wir als nächsten Schritt in den Bereich Immersive gehen, 3D mit Kopfbewegung. Das würde ich zunächst dem Dirigat zum Ausprobieren anbieten. Für die Sänger auf der Bühne ist das allerdings uninteressant: Sie haben so viel als Schauspieler zu tun, dass sie mit szenischen Dingen beschäftigt sind, denen würde praktisch schwindlig werden.“
„Bei Sprachproduktionen halte ich das Monitoring erheblich leiser als im Musical. Gerade bei leisen Passagen ist die Artikulation wichtig. Ich will vermeiden, dass die Darsteller das Gefühl haben, sie kommen nur aus der Box – dann reden sie kaum noch artikuliert. Gerade bei leisen Passagen ist die Artikulation besonders wichtig. Zu lautes Monitoring wäre kontraproduktiv.“ Dennoch sei Monitoring im Sprachbereich unabdingbar. „Du hörst auf der Bühne den Raum mit dem Plastikdach und bekommst Reflexionen. Die muss ich abfedern, damit der Darsteller das Gefühl hat, er ist ‚dabei‘.“ Es sei eine Gradwanderung. „Am Anfang meinen alle, sie brauchen viel mehr Monitor. Das mache ich so nicht – sie machen zunächst ihren Sprachjob, sodass die Sprache sauber artikuliert gesendet wird. Wenn das funktioniert, geben wir etwas mehr Monitor.“
Er erinnert sich an einen besonders konsequenten Ansatz auch bei der Beschallung bei den Festspielen 2021 durch einen holländischen Regisseur: „Er ließ das Beschallungs-Level der gesamten Mikrofonierung in den Proben auf 50 Prozent reduzieren. Wir fragten uns: ‚Meint der das ernst?‘ Die Schauspieler waren gerade so zu hören. Wir mussten die Abhöre hier oben schon fast auf +10 dB fahren. Ich meinte: ‚Lasst uns mal schauen, wo das hinführt. Lasst uns mal auf die Arbeitsweise einlassen!‘ Als Tonmann ist das schwierig, weil du nichts mitbekommst – aber er hat so die Darsteller gezwungen, in dieser Lautstärke so artikuliert zu sein, dass er sie an seinem Regieplatz gehört hat. Innerhalb der Hauptproben hat er dann immer wieder mehr Pegel geben lassen, bis wir auf den Produktionspegel gekommen sind. Bei der Aufführung hast du jedes Wort verstanden, egal an welchem Platz – weil die Darsteller das verinnerlicht hatten. Es war sehr ungewöhnlich und für uns schwierig mitzukommen. Wir mussten teilweise mit Kopfhörer arbeiten, um die Cues zu kriegen. Aber das Ergebnis fand ich richtig, richtig gut.“
Pult-Support als wichtigstes Entscheidungskriterium für Grünsfelder
Zurück zum Pult selbst: Neben den technischen Möglichkeiten schätzt Grünsfelder besonders den Support durch den Vertrieb United Brands. „Was ist, wenn ein Defekt auftritt oder wir keine Karten mehr bekommen können? Meine Dienstleistung ist eine Vertragszusage. Ich bin zwar versichert, wenn alle Stricke reißen, aber wenn ich sage, ich habe einen Havarie-Gedanken, habe zwei Engines und kann sicherstellen, dass wir irgendwie spielen wie in der Premiere, dann erwartet man von mir, dass die Show in drei, vier Minuten wieder läuft. Daran werden wir gemessen.“