Still Not Dead Yet: Lichtdesign der Phil Collins Welttournee
von Harry Heckendorf,
Seit 2017 ist Phil Collins auf Welttournee, im Sommer 2019 besuchte die Produktion Fußballstadien in Deutschland. Roland Greil berichtet in seiner Rolle als Associate Lighting Designer vom Produktionsalltag und der Entstehung des Lichtdesigns
Der 67-jährige kommt mit Krücken auf die Bühne, setzt sich in einen bequemen Stuhl und liefert über zwei Stunden lang ab. Er singt in ausverkauften Stadien auf der ganzen Welt, ohne in den letzten 19 Jahren ein neues Album eingespielt zu haben. Noch Fragen? Phil Collins zählt zu den drei kommerziell erfolgreichsten Solo-Künstlern der Rock- und Pop-Geschichte. Rund 300 Millionen verkaufte Tonträger, Auszeichnungen – darunter ein Oscar, sieben Grammys, zwei golden Globes, mehrere Echos und Brit Awards und sogar einen Ehrendoktortitel – gab es während der intensiven Karriere reichlich. Die Musik des Londoner Sängers und Schlagzeugers, seine Produktionsweise und die durch ihn populär gewordenen Klangkreationen hatten enormen Einfluss auf eine ganze Generation von Musikern und Produzenten. Zwei Jahrzehnte, die Achtziger und Neunziger, waren ein endloser Höhenflug – mit reichlich Angriffen von Neidern z. B. der berühmt-berüchtigten, britischen Yellow Press. Auch seine Band Genesis und deren Umfeld haben für die Veranstaltungsbranche wichtige Akzente gesetzt. Für sie galt ebenfalls: Erfolge um Erfolge – Kult in den 70ern und Kommerz in den 80ern.
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Die Schattenseiten der einzigartigen Karriere waren familiäre Tiefschläge und starke gesundheitliche Probleme. Letztere von einer solch tragischen Form, dass sie besonders für einen Vollblutmusiker wie Phil Collins kaum übler kommen konnten: starke Höreinschränkungen sowie enorme Gelenk- und Nervenprobleme an Beinen und Händen. Vor diesem Hintergrund ist der Name (oder sollte man „das Motto“ schreiben?) der laufenden Welttournee „Still Not Dead Yet“ weit mehr als nur ein humoriges Augenzwinkern.
Advanced Altherren World Touring
Die Bandmitglieder der Tournee und auch die wechselnden Opening Acts wie Sheryl Crow, Mike And The Mechanics oder Wet, Wet, Wet sind selbst Weltstars. Seine Trommelstöcke jedoch hat Collins vor dem Tourstart 2017 an seinen damals 16-jährigen Sohn Nicolas weitergereicht.
„Still Not Dead Yet“ ist eine entsprechend komfortabel angelegte Reise mit jeweils fünf- bis sechswöchigen Abschnitten auf einem Kontinent – immer gefolgt von einem mehrmonatigen Boxenstopp, an dessen Ende eine einwöchige musikalische Probeneinheit den nächsten Reiseabschnitt einleitet: Altherren-Touring.
Das Set Design stammt hingegen von einer jungen Britin: Misty Buckley, die u. a. schon für Coldplay, Elton John sowie die Brit Awards mit beeindruckenden Arbeiten auf sich aufmerksam gemacht hat. Das dazu gehörende Lichtdesign entstand bei Woodroffe Bassett Design. Roland Greil, der zusammen mit Patrick Woodroffe das Lichtdesign erarbeitete und bisher auf allen Tourabschnitten als Lighting Director auch am Pult saß, verriet, dass das Design ursprünglich auf die Comeback Shows in der Royal Albert Hall zugeschnitten gewesen ist. Die Form der markanten, leicht geschwungenen Bühne ist seither fester Bestandteil des Designs.
Nach dem außerordentlichen Erfolg dieser Royal-Albert-Hall-Konzerte startete zunächst eine Hallentour durch Großbritannien, die wiederum eine Stadion-Tournee nach sich zog. Das Design musste dafür entsprechend erweitert und auf die deutlich größere und tageslichttaugliche Dimension angepasst werden. In der zweiten Jahreshälfte 2019 begibt sich die Produktion auf den sechsten Tourneeabschnitt (dann erneut in Nordamerika).
Durch Südamerika tourte die Produktion bereits einen Monat: Alle großen Spielstätten des Kontinents, wie z. B. das Maracanã Stadion in Rio de Janeiro, wurden besucht. Der rasante Spielplan ließ die Crew – die zumindest auf diesem Abschnitt nur mit einem Floor Package (s. Abschnitt Floor Package) unterwegs war – häufig große Flugstrecken, Landesgrenzen und bisweilen Klimazonen hinter sich bringen: zwei Tage Mexiko, dann Peru und Uruguay – eine kostenintensive und logistisch schwierige Aufgabe. Die enge Taktung hätte zwei Sets vertragen können. Stattdessen setzte man auf lokales Material und lebte schon mal mit Kompromissen. Roland Greil schmunzelt: „Inzwischen gibt es in jedem Land der Welt irgendwelche Lampen, bei denen sich die Farbe ändern lässt – mal besser, mal weniger gut. Wichtig ist nur, dass sich die ursprüngliche Designidee realisieren lässt.“
Alle übrigen Tourlegs wurden und werden mit komplett eigener Ausrüstung gespielt. Während die Crew und die Musiker sich eine Pause gönnen (oder andere Produktionen betreuen), geht die Technik der Produktion in Containern auf dem Seeweg zum nächsten Kontinent des Spielplans. In Europa, Nordamerika, Australien und Neuseeland liefert die Arbeitsweise mit fester, eingespielter Crew und eigenem Equipment in aller Regel eine entspannte Atmosphäre und garantiert immer die gewünschte Qualität. Die Taktung des Spielplans ist in Europa dennoch straff: Advanced Altherren Touring!
Um die Shows, nicht selten Back To Back, reibungslos präsentieren zu können, steht daher auch ein Advanced Package zur Verfügung: Alles, was zusätzlich benötigt wird, um das Design auf Stadion-Show-Niveau zu pimpen, gibt es doppelt. Dazu gehört auch, dass alle Motoren doppelt vorhanden sind. Das jeweilige Stadion ist dann hinsichtlich Rigging soweit vorbereitet, dass „nur“ noch 20 Trucks entladen werden müssen. Zu Anfang galt es, die Konzerte in Lyon und Stuttgart Back to Back zu spielen. Die Trucks kamen erst um 11 Uhr und die Türen wurden bereits um 17 Uhr geöffnet. „Das ist dann advanced“, lächelt Roland Greil und hebt leicht eine Augenbraue.
Die Lichtcrew besteht aus sieben Mitgliedern plus vier weiteren aus dem Advanced-Team. Ihnen „gehören“ sechs der 20 Trailer. Die Anzahl lokaler Bühnenhelfer liegt zwischen 50 und 100. In fünf Stunden von Load In bis zur fertig fokussierten Show: Das hat etwas von Wettkampfatmosphäre!
Lichtcrew Phil Collins Welttournee
Lighting and production design: Patrick Woodroffe Associate Lighting Designer: Roland Greil Set Designer: Misty Buckley Video Content: Sam Pattinson & Lizzie Pockock / Treatment Studios Lighting Programmer: Roland Greil Lighting Director: Roland Greil Media Server Programmer and Operator: Ray Williams Camera Director: Ruary Macphie Lighting Crew Chief: Luke Radin Dimmer tec: Matt Flood Lighting Crew: Tom Bailey, Andy HED Thompson, Frank Kelly, Neil Johnson Lighting Advance A: Steve Shipman, Paul Howling, Dave McCulloch, Phil De Boissiere Lighting Advance B: Paul „PK“ Kell, Ben Howell, Chris Thompson, Dave Cox Lighting Vendor: Negearth Production Manager: Howard Hopkins Tour Manager: Steve Pud Jones
Phil Collins Lichtdesign
Als 2017 der erste Design-Entwurf entstand, war Phil Collins selbst involviert. Noch viel engagierter als der Künstler sei jedoch sein langjähriger Manager Tony Smith. Schon bei Genesis stand Smith den Musikern leidenschaftlich engagiert und stets kompetent zu Seite. Auch die Gründung und Expansion der Vari-Lite-Lampen ist eng verwoben mit der Bandgeschichte von Genesis. Die Rolle von Smith war dabei bedeutend:„Tony Smith verfolgt nahezu alle Konzerte von Phil Collins immer noch sehr interessiert. Es macht enormen Spaß, sich mit ihm auszutauschen und über die Aspekte des Showdesigns zu sprechen“,schwärmt Roland Greil. Die „gute alte Schule“ ist man geneigt zu sagen, als Greil hinzufügt: „Viele junge Manager hingegen lassen heute ein Interesse für showtechnisch relevante Aspekte völlig vermissen. Das ist wirklich schade und auch etwas bedenklich. Es gibt Künstler, die haben völliges Vertrauen in die Arbeit des Lichtdesigners und legen die optische Präsentation in diese Hände. Andere hingegen interessieren sich für jeden Cue, sind sehr akribisch und hinterfragen jedes Detail des Designs. Hier ist es ein ganz eigenes und sehr, sehr angenehmes Niveau, das ich als Co-Designer und Operator wirklich sehr genieße und schätze.“
»Viele junge Manager lassen heute ein Interesse für showtechnisch relevante Aspekte vermissen. Das ist wirklich schade und auch etwas bedenklich.«
Roland Greil
Das Lichtdesign bildet eine Rahmung für die außergewöhnliche Bühnendarbietung: Patrick Woodroffe und Roland Greil durften bei der Entwicklung des Designs zu Recht gewiss sein, dass die musikalische Qualität auf der Tournee keinerlei technische Taschenspielertricks und keine Schnörkel benötigt. Klar stehende Bilder rahmen daher das Bühnengeschehen. Ruhige Passage und explosive, kraftvolle Up-Tempo-Songs gibt es im Katalog des Künstlers schließlich reichlich. Genug Abwechslung findet hier zwischen und während der gespielten Noten statt: Die Lieder werden häufig in Looks jener Jahrzehnte inszeniert, in denen sie sich aktuell in den Charts befanden. Bunte Neon-Looks für die 90er-Hits, die 80er dagegen in ihren ganz eigenen Vari-Lite-Farben.
Das Live-Video dazu, immer beseelt über einen D3-Medienserver gesteuert, kommt auf den Punkt: wenn ein Musiker seine besten Chops auspackt, dann überlebensgroß und in Farbe auf den seitlichen LED-Wänden oder auch auf der LED-Wand im Zentrum. Timecode? Fehlanzeige! Die Band spielt auch nicht nach Click Track. Video-, Licht- und natürlich Audio-Crew scheinen entspannt und gleichzeitig konzentriert mitzuspielen. „Musik und Licht sind hier komplett handgemacht. Sonst wäre ich auch nicht hier“, lacht Roland Greil herzlich. Sämtliche Arrangements werden punktgenau von den richtigen Cues unterstützt. Schon allein das prägnante Drum Fill bei „In The Air Tonight“ wird so genial inszeniert, dass explosionsartig spontaner Beifall aus dem weiten Stadionrund erschallt. Eine andere Passage wird ruhig und warm mit scheinbar nur zwei PAR-Scheinwerfern in Szene gesetzt. Nicht nur Musik lebt von Pausen – auch Lichtdesign.
Videotechnik bei Phil Collins
Bild: Manfred H. Vogel
Klare Bilder als Rahmen für erstklassig dargebotene Live-Musik, der Einsatz von Video-Content diente als Würzmittel
Bild: Manfred H. Vogel
Klare Bilder als Rahmen für erstklassig dargebotene Live-Musik, der Einsatz von Video-Content diente als Würzmittel
Bild: Manfred H. Vogel
Die LED-Wände im Hintergrund werden nicht immer bemüht – die Musik spielt auf der Bühne!
Bild: Manfred H. Vogel
Das Live-Video wurde über D3-Medienserver ausgespielt. Die Musiker werden z. B. bei Solo-Parts überlebensgroß auf den seitlichen LED-Wänden oder auch auf der LED-Wand im Zentrum auf den Punkt abgebildet – und zwar ohne Timecode und Click Track
Bild: Manfred H. Vogel
Klare Bilder als Rahmen für erstklassig dargebotene Live-Musik, der Einsatz von Video-Content diente als Würzmittel
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Floor Package
Das Licht-Floor-Package bestand neben den beiden mit LED verkleideten Bühnenpodesten aus einer 20 m langen Reihe aus GLP X4 Bars. Diese bildeten eine zusammenhängende Einheit zur Hinter- bzw. Ausleuchtung des „Sternchen-LED-Vorhangs“, der den Backdrop bildete. Weiterhin stand hier zentral eine 2-kW-Fresnel-Einheit zur Verfügung. Auf sieben identisch großen Bühnenelementen, die den gewölbten Hintergrund bildeten, fanden sich auf den Ecken je eine Clay Paky Mythos. Direkt hinter dem zweiten, niedrigeren, ebenfalls gewölbten Podest – auf dem Keyboards, Schlagzeug und Percussion ihren Platz hatten – waren weitere zwölf Mythos angeordnet. Diese blieben im Gegensatz zu den Mythos auf dem hinteren Podest als Lichtquelle unerkannt. Jeweils an den Seiten des Podestes stand eine Robe Patt auf einem eleganten fahrbaren Stativ – entsprechend dynamisch wurden diese beiden Einheiten während des Konzerts positioniert.
Zwei PAR 64 an der vorderen Bühnenkante hatten lediglich bei dem Song „In The Air Tonight“ ihren Einsatz und dienten dazu, das Gesicht des Sängers sanft und dramatisch zu inszenieren, während sich die Musik langsam anhob. Das Gassenlicht kam aus zwei Positionen (R/L), die sich im hinteren Drittel der Bühne befanden. Hier waren in einer ca. 10 m hohen „Leiter“ abwechselnd pro Seite fünf Robe BMFL sowie fünf Solaris Flare angeordnet.
Auszug aus dem Lichtequipment
47 × Robe BMFL Spot
58 × Clay Paky Scenius Unico
35 × Clay Paky Mythos
2 × Robe PATT 2013
25 × Generic 4 Lights Mole – Square
1 × Generic 200 W Fresnel
2 × Generic Short Mose PAR 64
46 × GLP Impression X4 Bar 20
45 × TMB Solaris Flare
3 × MDG The One
3 × Martin AF 2
2 × Grand MA 2 fullsize
1 × Grand MA2 light
Licht-Rigg
Der 10 × 20 m große Bühnenbereich war mit einem grauen Marley-Boden ausgelegt. Neben den bereits erwähnten, vertikal angeordneten Einheiten des Floor Packages waren auch Robe BMFL und 4 Lights an den vier Truss-Eckpfeilern der Konstruktion angeordnet. Die Robe BMFL bildeten zusammen mit rund 60 Stück 4-Light-Blindern den Hauptanteil. Unterstützt und erweitert wurden diese von Clay Paky Mythos sowie Scenius Unico und Solaris Flare.
Die Front Truss war – neben Solaris Flare und 4 Lights Blindern – ebenfalls mit Robe BMFL und Scenius Unico ausgestattet. Im Zentrum, direkt über den Bühnenpodesten, auf und vor denen sich die Band positionierte, hingen parallel und in engen Abständen zueinander drei unterschiedlich lange Truss-Reihen, an deren Ende jeweils kurze Trusse im ca. 30 Grad Winkel abstanden. Die fordere Truss war dabei die kürzeste, die hintere die längste dieses Konzepts. Auf die Weise wurde die leicht gewölbte Anordnung am Boden unter dem Dach weitergeführt und verhalf zu einem äußerst eleganten Gesamtbild. An allen drei Ebenen fanden sich regelmäßige Anordnungen aus BMFL, Senius Unico und Solaris Flare. Im Zentrum der mittleren Truss thronte ein Robe Robospot. Die zentrale LED-Wand wurde seitlich ebenfalls von um 30 Grad abgewinkelte Truss-Einheiten weitergeführt, die mit jeweils acht Senius Unico bestückt waren.