Im ersten Ansatz liegen die Aufgaben von Soundgrid und Digigrid in der Schaffung von vernetzten Strukturen, um viele Mischpultkanäle mit den legendären Plug-ins von der Firma Waves zu bearbeiten. Die proprietäre Audio-over-Ethernet-Lösung kann aber auch noch weitere Funktionen in der Audiovernetzung übernehmen.
Soundgrid und Digigrid – die unterschiedlichen Bezeichnungen resultieren aus der Aufgabenteilung bei der Audio-Signalbearbeitung zwischen Waves und Digico: Waves sorgt audioseitig eher für die „Inhalte“, die Server mit den DSPs zur Signalbearbeitung, die Softwareoberflächen, Treiber, Plug-ins etc. Diese Produkte werden unter dem Label Soundgrid vertrieben. Digico (neben Digigrid auch mit Calrec und Allen & Heath unter einem Dach bei Audiotonix, in die wiederum Anfang 2017 die Investoren von Astorg groß einstiegen) ist eher Hardware-seitig tätig und entwickelt die diversen Schnittstellengeräte mit analogen, AES/EBU-, ADAT-, MADI- und Pro Tools-Schnittstellen und dem Markennamen Digigrid.
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Durch die Schnittstellengeräte von Digico für Mischpulte u. a. von Allen & Heath, Cadac, Digico, Roland und den ASIO/Core-Treibern für Rechner entstehen mannigfaltige Möglichkeiten, vernetzte Strukturen mit dezentralen Ein- und Ausgängen aufzubauen, die nicht nur für die Signalbearbeitung mit Waves-Plug-ins, sondern auch gleich zum Verteilen der Signale genutzt werden. Durch die Einbindung der Rechner lassen sich vielkanalige Einspielungen und Aufnahmen auch gleich realisieren, z. B. für einen virtuellen Soundcheck. Um die vielfältigen Möglichkeiten durch Soundgrid und Digigrid näher kennenzulernen, trafen wir beim Schweizer Vertrieb Tonspur AG in der Nähe von Luzern den Inhaber Hansjürg Meier und Produktmanager Jessi Brustolin.
Überblick zu Waves
Das Kerngeschäft von Waves sind Plug-ins zur Signalbearbeitung, also Software-Zusatzmodule, die die Fähigkeiten der eigenen DAW erweitern oder dem digitalen Mischpult ein virtuelles Siderack zur Seite stellen, das sich recht beliebig mit Effekten bestücken lässt. Die Bandbreite der Plug-ins von Waves ist riesig, sie reicht von Nachempfindungen legendärer analoger Effekte und von berühmten Mischern entworfenen und signierten Effekten über eine Vielzahl von Equalizern, Limitern, Reverbs, Delays und anderen Effekten bis zu virtuellen Instrumenten, Surround-Bearbeitungen und vielem mehr. Es gibt im Prinzip zwei Plattformarten für die Signalbearbeitung mit den Plug-ins: den eigenen Rechner mit entsprechendem Programm und Applikationen oder einen externen Server mit DSPs. Zum ersteren gehören Waves software-basierte Mischer und virtuelle Racks für Studio- und Live-Anwendungen.
Die Soundgrid-Server kommen als externe Hardware dann ins Spiel, wenn die Anforderung an Kanäle, gleichzeitig arbeitende Plug-ins und geringe Latenz wachsen. Sie sollen hunderte von Plug-ins gleichzeitig mit einer Latenz von 0,8 ms verarbeiten können.
Dezentrale Strukturen mit Rechnern, Mischern und Soundgrid-Servern
„Soundgrid war eigentlich ein Multirack“, erklärte Jessi Brustolin. „Also ein Siderack, wie man es neben dem Mischpult stehend kennt, virtuell dargestellt. Zur Ein- und Ausgabe wird ein proprietäres Netzwerkprotokoll von Waves genutzt.“ Im einfachsten Fall besteht ein System aus einem Rechner und einem Soundgrid-kompatiblen Schnittstellengerät, z. B. der kleine Digigrid-M-Würfel mit zwei analogen Eingängen und Ausgängen oder eines der MADI-Interfaces für bis zu 128 Kanäle. Rechner und Interface werden mit Cat.5e- oder Cat.6- Kabel verbunden. Netzwerk-Strukturen werden als 1 Gbps-Ethernet-Netzwerk aufgebaut, wobei Standard-IT-Komponenten eingesetzt werden können. In der Liste von Waves zu den qualifizierten Netzwerkswitchen stehen Komponenten von Cisco, D-Link und HP. So lassen sich dezentrale Strukturen schaffen, mit mehreren Rechnern, Mischkonsolen und Soundgrid-Servern im Netz.
Wenn man also eh schon die Plug-ins und Schnittstellengeräte von Waves einsetzt, so liegt es nicht fern, auch gleich die Möglichkeiten zum Verteilen der Signale zu nutzen. Die Netzwerk-Infrastruktur kommt ja sozusagen automatisch mit dem Aufbau der Verbindungen zwischen den Waves-Komponenten. Gerade die Live-tauglichen Latenzen schaffen damit z. B. für Einspielungen vom Rechner oder dem Austausch von Signalen zwischen Rechnern interessante Möglichkeiten. Dabei ist Soundgrid eine proprietäre Audio-over-Ethernet-Lösung, deshalb funktioniert sie auch nur mit den entsprechenden Soundgrid- und Digigrid-Geräten, den entsprechenden Treibern oder Schnittstellenkarten in einer Konsole. Sie ist nicht kompatibel zu anderen Audio-over-Ethernet-Technologien. Dafür gibt es aber ganz schön viele Kanäle. „Von den Interfaces her liegt die maximale Anzahl bisher bei 128 Kanälen“, erläuterte Hansjürg Meier. „Verarbeitet und weitergeleitet werden können aber auch 256 × 256 Kanäle.“
Laut Waves gibt es noch einige weitere netzwerkinterne Fähigkeiten. Dazu gehört, dass Server und Netzwerke zur Redundanz auch parallel betrieben werden können und es Rückfallebenen bei Ausfall einer Clock geben kann. Mehrere Clock-Bereiche in einem Netzwerk sollen möglich sein, wobei die Weiterleitung über die Netzwerkverbindung erfolgen kann. Externe Clock-Einspeisung ist mittels der Schnittstellen an den Geräten ebenfalls möglich. Abtastraten bis 96 kHz sind zurzeit vorgesehen, 192 kHz sollen es zukünftig sein. Die Steuerungsdaten werden zusammen mit dem Audio verschickt und erlauben die Fernbedienung z. B. der Mikrofon-Vorverstärker und Abtastratenwandler. Bei der Nutzung einer neueren Digico-Konsole (SD5, SD7, SD9, SD10, SD11) lassen sich Einstellungen gleich auf dem Bildschirm der Konsole vornehmen.
Vom Grundgedanken her und unter Sicherheitsaspekten sollte das Soundgrid ein eigenes Netzwerk haben. Es geht unter bestimmten Umständen aber auch ohne. „Wir haben eine Schule in Genf betreut, die eine relativ große Digigrid-Installation hat“, erklärte Hansjürg Meier. „Drei oder vier Räume sind miteinander vernetzt und dazu wird das Hausnetz genutzt. Dass dies funktioniert, ist aber sicher auch dem dortigen, guten Netzwerkadministrator zu verdanken.“
Interfaces: Rein und Raus
Egal ob nur ein Interface zum Rechner (beispielsweise für Aufnahmen) gebraucht wird oder Ein- und Ausgangssignale im Netzwerk verteilt werden: Die Einsatzmöglichkeiten, der Komfort und auch die Qualität – wenn man digitale Signale nicht erst wieder auf analog umsetzen muss, um sie dann wieder zu digitalisieren – steigen mit den Anschlussalternativen. An dieser Stelle kommt die Digigrid-Hardware ins Spiel, die diverse Alternativen von kleinen Würfeln passend für die mobile Nutzung am Notebook bis zu 19″-Geräten mit analogen und digitalen Eingängen und Soundgrid-Server beinhaltet.
Zu den neueren und von der Größe und Vielkanaligkeit her interessantesten Schnittstellen-Geräten gehören die MADI-Interfaces Digigrid MGB und MGO. Sie unterscheiden sich in der Ausführung der MADISchnittstellen: BNC beim MGB und optisch beim MGO. Die 15 × 11 × 3 cm großen und gerade mal 0,4 kg wiegenden Interfaces passen sicher in jedes Reisegepäck. An den doppelt ausgelegten MADI-Ein- und Ausgängen können sowohl 56- wie auch 64-kanalige MADI-Streams ausgetauscht werden, so dass die Gesamtkapazität bei 128 Kanälen liegt. So lassen sich schnell viele Kanäle z. B. mit einem Mischpult austauschen, das MADI-Schnittstellen hat, egal ob sie für Aufnahmen einem Rechner zugeführt oder mit Waves Plug-ins bearbeitet werden sollen – je nach Arbeitsumgebung auf einem Rechner oder einem Soundgrid- Server, wenn z. B. bei Live-Anwendungen eine geringe Latenz eine Rolle spielt. Damit ist die Nutzung der Waves Plug-ins nicht auf die Konsolen beschränkt, die wie Digico-, Roland-Allen & Heath- oder Yamaha-Pulte mit Schnittstellenkarten ausgestattet werden können. Die Liste der kompatiblen Pulte auf der Waves-Internetseite erweitert sich dadurch u. a. um Produkte von Studer, SSL, Soundcraft, Midas, Lawo, Behringer etc.
Wenn viele analoge Schnittstellen gebraucht werden, so bieten sich die Digigrid IO-Geräte an: Das IOC stellt jeweils acht analoge Line-Eingänge und -Ausgänge sowie 16 AES/EBU-Schnittstellen an DB25-Schnittstellen zur Verfügung. Eine ADAT-Schnittstelle, zwei Mikrofoneingänge (XLR/Klinke-Kombination) mit zuschaltbarer Phantomspannung und zwei Kopfhörerausgänge mit Pegelreglern sind ebenfalls vorhanden. Die 1 HE-Einheit verfügt außerdem über einen Wordclock-Eingang – die Synchronisation ist aber auch über AES/EBU, Soundgrid oder internem Taktgeber möglich. Unterstützt werden derzeit Abtastraten bis 96 kHz, zukünftig sollen auch 176,4 und 192 kHz möglich sein.
Das IOX ist die passende Erweiterung, wenn 12 Mikrofoneingänge benötigt werden, zusammen mit sechs analogen Ausgängen und vier Kopfhörerausgängen. Beide Geräte haben zwei Soundgrid-Schnittstellen, so dass sie gleichzeitig an einen Rechner und einen Soundgrid- Server angeschlossen werden können.
Den Server gleich mit an Bord hat das IOS mit 2 HE. Acht Mikrofon/Line-Eingänge, acht analoge Ausgänge, zwei Kopfhörerausgänge, eine kombinierte AES/EBU- oder SPDIF-Schnittstelle und MIDI gehören zu den Schnittstellen am Gerät. Vier Soundgrid-Schnittstellen erlauben den Anschluss z. B. von IOX und IOC zur Erweiterung der Ein- und Ausgangskapazitäten. Speziell zur Einbindung der Plug-ins in Pro Tools ist der Server DLS mit zwei Digilink- Schnittstellen gedacht. Wenn bereits ein Server im Soundgrid-Netz vorhanden ist, so kann das Interface DGI mit zwei Digilink-Schnittstellen die Verbindung zwischen Pro Tools und Soundgrid-Server schaffen.
Für die Nutzung mit dem Notebook, z. B. zum Abhören oder Ein- und Ausspielen einzelner Kanäle, sind diverse kleine „Würfel“ konzipiert. Das Digigrid M ist für Musiker gedacht, die z. B. Gitarre und Gesang aufnehmen möchten. Dementsprechend stehen ein XLR-Mikrofon-Eingang mit 48-V-Phantomspannung und Hochpassfilter sowie ein Klinke-Instrumenteneingang zur Verfügung, beide mit Pegelregler und Aussteuerungsanzeige bestückt. Ein Kopfhörerausgang lässt das direkte Abhören der Kanäle einzeln oder gemischt zu. Über die Soundgrid- Schnittstelle kann der Würfel per PoE auch gleich mit Strom versorgt werden. Gleiches gilt für das Digigrid Q mit zwei Kopfhörerausgängen, einem AES/EBU- und einem unsymmetrischen Cinch-Stereo-Eingang. Einspielungen können hier auch per Bluetooth erfolgen. Wenn mehrere der kleinen Würfel gebraucht werden, so können sie an den PoE Switch Digigrid S angeschlossen werden. Mit seinen vier PoE RJ45-Buchsen, einem Uplink und Netzteil soll er auch in Dante-Netzwerken eingesetzt werden können.
In kleinem Kasten stellt das Digigrid D zwei Mikrofon- und zwei Line-Eingänge sowie vier Line-Ausgänge und einen Kopfhörerausgang zur Verfügung. Pegelanzeigen und -Regler besitzt das D auch. Das Besondere an den kleinen Interfaces ist, dass auch sie hochprofessionell mit 96 kHz arbeiten können. Sie sind sicher nicht nur für den „Hausgebrauch“ interessant, sondern können auch auf Touren beispielsweise schnell Abhörmöglichkeiten schaffen.
Konfigurieren
Grundsätzlich können mehrere Rechner im Soundgrid integriert sein, einer von ihnen ist dann der Host für die Soundgrid-Studio-Anwendung, die die Verwaltung und Konfiguration des Netzwerks übernimmt. Da die Möglichkeiten der Software vom Hersteller als „endlos“ beschrieben werden, wird an dieser Stelle kein Versuch unternommen, die Anwendungen wirklich vorzustellen.
Beim Besuch von Tonspur machte sie einen verständlichen Eindruck. Auf einer Setup-Oberfläche werden (aufgeteilt in Hard- und Software- Server und Bedieneinheiten) die „Geräte“ im Netzwerk angezeigt. Zu diesen können auch die Programme gehören, die mit ASIO oder Core- Audio arbeiten. Egal ob Hard- oder Software, die Ein- und Ausgänge werden in einer gemeinsamen Matrix angezeigt und können dort einander zugewiesen werden. Mit Soundgrid-Studio lassen sich auch die DAWs auf unterschiedlichen Rechnern synchronisieren. Für mehr Informationen zu dieser und weiteren spannenden Fähigkeiten sei an dieser Stelle wieder auf die Waves-Internetseite verwiesen.
Beispiel: Kulturzentrum Fondation L’Abri
Laut Tonspur sprach für den Einsatz des Soundgrids im Kulturzentrum Fondation L’Abri in Genf die Möglichkeit, Cat.5eoder Cat.6-Kabel für die Verbindung der Regie mit den beiden Aufnahmeräumen zu nutzen, denn Letztere lagen zwei Stockwerke unterhalb des Regieraums. Anders hätte die Verbindung nicht geschaffen werden können. Weitere Argumente waren der Preis, die Waves- Server, die einfache Installation sowie die Qualität der analogen Komponenten und AD/DA-Umsetzer. In der Regie sind ein IOS und ein IOC positioniert. Zwei IOX in einem mobilen Rack werden in den Aufnahmeräumen genutzt. Eingesetzt werden die Geräte im Rahmen der Arbeit der Stiftung, die junge Künstler in der Umsetzung ihrer Projekte unterstützt. Es werden beispielsweise innerhalb von 7 bis 10 Tagen Shows vorbereitet oder ein Demo auf genommen. Das Studio wird auch für die Schulung junger Audio-Ingenieure genutzt.
Fazit
Mit der Nutzung der Waves Plug-ins und den zugehörigen Soundgrid- und Digigrid-Schnittstellen baut man sich automatisch ein Audionetzwerk auf, das auch für die Verteilung vieler Kanäle in dezentralen Strukturen genutzt werden kann. Proprietär ist es zwar, es können aber bestimmte Standard Giga-Ethernet-Komponenten für den Aufbau des Netzwerks genutzt werden. Beim Einsatz im Live- Bereich sind außerdem die Latenzzeiten sehr charmant, sie können auch bei Einsatz vieler Plug-ins auf einem Soundgrid-Server unter 1 ms liegen.