Vorstellung

Robotik für visuelle Effekte: Studio Hangar in Berlin

In Berlin steht ein Studio, das in der Kombination von Maschinerie und Robotik sehr besonders ist und im weltweiten Vergleich vielleicht sogar seinesgleichen sucht.

Studio Hangar in Berlin
Fahrten in das Fahrzeug hinein (Bild: Herbert Bernstädt)

Man kann viel erklären und Konzepte erläutern, so Stephan Horst, der zusammen mit Marcel Neumann das Studio betreibt, jedoch die Möglichkeiten die sich aus dieser einzigartigen Kombination von Drehteller, drehbarem Rig zusammen mit Motion Control Robotik entstehen, versteht man meist erst nachdem man einige Beispiele gesehen hat. Eigens dafür wurde jetzt ein Imagefilm erstellt und PRODUCTION PARTNER war bei dieser Produktion dabei.

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Übersicht:

Der Pioniergeist von Adlershof
Aus Geschichte lernen
Zusätzliche Achsen
Spielfreier Drehteller
Dreh-Rigg ermöglicht besondere Aufnahmen
Der Weg


Der Pioniergeist von Adlershof

Das Hangar Studio, man kann es sich vielleicht schon denken, wurde in einen ehemaligen Flugzeughangar eingebaut. Das Flugfeld Adlershof ist ein Meilenstein der Luftfahrtpioniere. Heute siedeln sich moderne Unternehmen auf dem Gelände an.

Gebäude des Studio Hangar Berlin
Ehemaliger Flugzeughangar ist heute ein innovatives Studio (Bild: Herbert Bernstädt)

„Hier brennt die Luft voller Wissen“, so Thomas „Tom“ Röschke der für die Realisation der elektrotechnischen Anlagen beim Studiobau maßgeblich beteiligt war. So wurde gerade jetzt ein riesiges Lichtsegel von 12 × 6 m von Jürgen Thiele entwickelt und eingebaut, welches frei im Studio motorisch platziert, gedreht und gekippt werden kann und über eine SPS – Speicher-programmierbare-Steuerung – bedient wird. Elegant zusammengefaltet wird das Segel in der Decke gelagert, um es extrem schnell in Aktion am gewünschten Ort platzieren zu können. Über dem Lichtsegel können eigens dafür von Jürgen Thiele, Licht- und Bühnentechnik, in Zusammenarbeit mit der Fa. Inteca, neu entwickelte LED-Licht-Netze eingespannt werden, die aufgrund des flexiblen Netzes kompakt verstaut werden können. Zugleich sind diese leicht und können schnell über die Segelfläche aufgespannt werden, um großflächig viel Licht in das Segel homogen zu verteilen. Zum Einsatz kommen kalt- und warmweiße LEDs, um Kunst- wie auch Tageslichtanforderungen abzudecken. Der Anspruch im Studio ist die Spezialisierung auf hochpräzise visuelle Effekte und so ist es selbstverständlich, dass das Studio als Horizont eine 180° Hohlkehle sowie eine 360° Vorhanganlage mit Black-, Blue- und Green-Screen aufweist.

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Aus der Geschichte lernen

Keine Angst, es geht nicht darum, die Geschichte von Adlershof aufzuarbeiten, sondern aufzuzeigen, warum dieses Studio so konzipiert wurde wie es nun dasteht. Vorher war man ohne eigenes Studio in der Oranienstraße ansässig und musste für Produktionen jeweils Studios anmieten. Ein Fremdstudio anzumieten ist immer mit mehr Aufwand verbunden, denn man hat keine eigene Werkstatt, um mal schnell eine Änderung oder andere Arbeiten durchzuführen. Dafür findet man von Studio zu Studio mal die eine oder andere gut durchdachte Lösung. Nimmt man dann die Erfahrung von 20 Jahren Nutzung verschiedenster Studios zusammen und von allen eine gute Idee mit, so erhält man ein Studio so wie man es sich erträumt. „Jetzt sind wir einfach 100-mal schneller als früher“, so Marcel Neumann. „Wir nutzen seit einem Jahr das Studio, wobei 50 % Kunden es anmieten und 50 % wir selber nutzen. Aber man baut nicht einfach ein Studio, wo doch eigentlich genügend Studios Leerlauf haben. Eine zentrale Planungsgrundlage für unser hochtechnisiertes Studio war von Anfang an der kombinierte Einsatz mit Kamerarobotern.“

„In unserem Studio können wir nun die vielfältigen Möglichkeiten von roboterbewegten Kameras (Motion Control) uneingeschränkt nutzen. Dabei lassen sich alle Komponenten zentral mit einer Software steuern“, so Stephan Horst. Mit dem bodenbündigen Drehteller und dem drehbaren Lichtrigg können – je nach Anforderung – eine Vielzahl von Kamerarobotern genutzt werden: Vom Stereorail, das aufgrund seiner geringen Größe auch innerhalb von Fahrzeugen eingesetzt werden kann, über den Talos, bis hin zum Milo und dem Milo Longarm, der eine Kamerahöhe von bis zu sechs Metern möglich macht. Gerade mal vier Exemplare dieses größten mobilen Motion Control Riggs existieren weltweit: Tokio, Los Angeles, London und im Hangar Berlin.

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Zusätzliche Achsen

Auf die Frage, was das Besondere an diesem Studio ist, antwortet Stephan Horst wie folgt: „Bei einem Job war es notwendig, exakt mit den gleichen Kamerafahrten um Personen herumzufahren. Vom Ansatz ideal für einen Roboter, aber es kommt der Moment, da steht sich der Roboter selbst im Weg oder er wirft einen Schatten ins Bild. Dies lässt sich jedoch ganz einfach vermeiden, wenn die Objekte auf einem bodenbündigen Drehteller platziert werden. So lassen sich deutlich schnellere Kreisfahrten um das Motiv realisieren.

Der kombinierte Einsatz eines Drehtellers mit allen Achsen eines fahrenden Roboters ermöglicht jede erdenkliche Kamerabewegung und bietet sehr komfortable Möglichkeiten für die Lichtgestaltung. Das höhenverfahrbare, kreisförmige Lichtrigg perfektioniert die Gesamtinstallation. Wahlweise lässt es sich mit dem Drehteller synchron drehen. Wenn sich also das gefilmte Motiv vor der Kamera dreht, dreht sich auch das darüber installierte Licht. Es entsteht die perfekte Illusion einer Kamerakreisfahrt um das Motiv in logischem Licht. Absolut spielfrei können die Dynamik und Drehgeschwindigkeit stufenlos eingestellt werden: Von kaum sichtbaren Geschwindigkeiten bis hin zu 8 Umdrehungen pro Minute. Solche Umkreisungsgeschwindigkeiten sind mit einem Schienenkreis und Dolly schon wegen der Fliehkräfte nicht mehr möglich. Sicher könnte man auch alles zunächst langsam drehen und später beschleunigen, sobald aber Darsteller ins Bild kommen (live action) verpflichtet dies zum Drehen in Echtzeit.

Manche Anforderungen, die heute gestellt werden, scheinen zunächst nicht realisierbar. Insbesondere lange und komplexe Kamerafahrten werden oft mit Blick auf den Aufwand und aus Gründen der Produktionssicherheit verworfen. Es scheint beispielsweise kaum möglich, in einer kontrollierten Art und Weise sehr lange über das Auto entlang zu fahren.

Da taucht ein Licht-Loch auf, oder die Ausrüstung steht im Weg. Gerade hier liegt eine Stärke der Robotik: Eine einmal angelegte Kamerafahrt kann im Ganzen oder auch in Teilen beliebig oft wiederholt werden – auf Knopfdruck. An jeder Stelle kann man anhalten, kontrollieren und Korrekturen setzen, um dann letztendlich einen perfekten Move zu drehen.

Wir haben schon Szenen gebaut, bei denen Stative im Bild standen, weil zum Beispiel eine Dedolight einen bewegten Lichtreflex über den Griff zaubern sollte. Die Kamerafahrt dreht man einmal mit Lichtreflex und Stativ im Bild und einmal ohne Stativ. Da die Roboter die Bewegungen synchronisiert mit dem Bildtakt der Kamera exakt wiederholen können und frame-genau aufzeichnen, liegen die Bilder beider Sequenzen später exakt übereinander und man kann den Bildteil mit dem schönen Reflex ausschneiden, das Stativ aber verschwinden lassen. So ergeben sich Möglichkeiten für die Lichtgestaltung, wie man sie eigentlich nur von der 3D-Software kennt. Auch dort lassen sich Lichtquellen einfügen die nicht sichtbar sind. Die Robotik verschafft dem Kameramann große Freiheiten bei der Lichtgestaltung und spart Zeit und Geld, weil er sich in seiner lichtsetzenden Arbeit auf einzelne Details konzentrieren kann, ohne sich mit den störenden Nebenwirkungen in anderen Bildteilen beschäftigen zu müssen.“

Übertragen mithilfe von Königszapfen
Über Königszapfen werden rotationsunabhängig 125 A Verteiler, ArtNet, DMX, LAN und Druckluft übertragen (Bild: Herbert Bernstädt)

Die Präzision der Roboter ermöglicht sehr ästhetische Kamerafahrten. Dabei lässt sich die Kamera auch nah am Objekt bewegen. Von Hand ausgeführt müssten solche Bewegungen unzählige Male geübt und geprobt werden. Allein das Risiko von Kollisionen besteht und kann manchmal verheerende Folgen haben – wer will schon den einzigen Prototypen eines neuen Fahrzeugs verkratzen? Mit dem Roboter lässt sich eine programmierte Fahrt zunächst sehr langsam abfahren und kann jederzeit gestoppt werden. Wenn so sichergestellt ist, dass es zu keinen Problemen kommt, kann die Fahrt auch bei schnelleren Geschwindigkeiten sicher gedreht werden. Automobilhersteller stellen hohe Anforderungen an die Produktions- und Informationssicherheit von Filmstudios. Das Hangar Filmstudio durchläuft derzeit eine Prüfung nach VDA ISA und soll bis zum Spätsommer 2017 nach ISO/IEC 27001 P zertifiziert werden (TISAX).

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Spielfreier Drehteller

Noch im Rohbau wurde in der Mitte des Studios ein Betonring ins Fundament gegossen. Die beim Betrieb des Drehtellers auftretenden Belastungs- und Torsionskräfte werden von den vier Bohrpfählen aufgenommen. Im zylinderförmigen Hohlraum des Fundaments wurde die Antriebseinheit des Drehtellers montiert. Die Firma Weiss lieferte einen Präzisionsdrehtisch, wie er beispielsweise in der Automobilbranche als Schweißtisch für ganze Karosserien verwendet wird. Das absolut spielfreie Schnecken-Bolzengetriebe wird von einem Servomotor angetrieben und kann wahlweise in beiden Drehrichtungen betrieben werden. Auf Basis dieses Drehtischs entwickelte Michael Henn (Henn Projekt) eine verwindungssteife Drehscheibenkonstruktion, die sich am Rand auf Schwerlastrollen abstützt. Der Drehteller kann fünf Tonnen dynamisch und zwölf Tonnen statisch tragen. Die Oberfläche liegt exakt planparallel zum übrigen Studioboden. Die Toleranzen liegen alle im Bereich unter einem 1/10 Millimeter.

Drehteller in der Mitte des Studios
Drehteller während des Einbaus (Bild: Jürgen Thiele)

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Dreh-Rigg ermöglicht besondere Aufnahmen

Das Lichtrigg, ebenfalls von Michael Henn entwickelt, das man synchron zum Drehteller fahren kann, erreicht Umdrehungsgeschwindigkeiten von bis zu 8 U/min. Zum Vergleich: Ein Kettenkarussell dreht sich mit ca. 10 U/min. Da sieht man schon deutlich die Fliehkräfte wirken. Bei einer solchen Geschwindigkeit werden die Leuchten auch gegen die Fliehkräfte gesichert. Möglich sind aber auch sehr langsame Umdrehungsgeschwindigkeiten die beispielweise auch für Timelapse-Aufnahmen genutzt werden können, in denen sich das Licht bewegen soll. Statische Lichtverhältnisse auf dem sich drehenden Motiv werden durch die Synchronfahrt von Lichtrigg und Drehteller möglich. Möchte man dagegen bewegtes Licht, wie bei einem Zeitraffer über den Tag zeigen, nutzt man die entgegengesetzte Drehung von Licht-Rigg und Drehteller. Mit einem Vertikallaser im Drehzentrum des Lichtriggs wird dieses exakt koaxial über die Drehscheibe ausgerichtet. Werden hohe Geschwindigkeiten gefordert, wird der Antriebsring im Studio mit Schwerlastgurten verspannt. Damit bei einem Not-Aus und das schlagartige Einfallen der Bremsen bei diesen Hebelkräften und Massen der dynamischen Impulse nicht alles zerreißt, finden Federn Anwendungen, die normalerweise bei Booten im Hafen die Ruckkräfte am Anker abfedern. Ansonsten ist alles fixiert, da sich nichts bewegen darf. Zwei Servomotoren, die über ihre Controller zu einer „elektronischen Achse“ verbunden sind, bilden den Antrieb des Lichtriggs. Der eventuell auftretende Schlupf der Reibräder wird mittels Absolutwertgeber korrigiert.

Dreh-Rigg
Das rotierende Dreh-Rigg (Bild: Herbert Bernstädt)

Der größte Fehler, der ohne Absolutwertgeber-Korrektur nur mit dem Reibradantrieb auftrat, lag bei ca. 1 cm nach vier Umdrehungen. „Mit Kompensation durch den Absolutwertgeber bewegen wir uns präzise mit dem Drehteller.“ Die Steuerung des Lichtriggs und des Drehtellers wurde von Michael Henn so angepasst, dass diese beiden Achsen auch über die Motion-Control-Software „Flair“ angesprochen werden können und Bestandteil eines einheitlichen kinematischen Modells sind.

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Der Weg

Stephan Horst und Marcel Neumann haben Spaß an außergewöhnlichen Herausforderungen. An den Grenzen des technisch möglichen entstehen die besonderen Bilder, die man eben bisher noch nicht gesehen hat. Der Hangar ist nicht nur ein Studio, sondern eben ein vielfältig nutzbares Werkzeug. „Wer hier war und die Möglichkeiten erlebt hat, ist begeistert.“ Wenn man einmal die Kontrolle über die Kamerabewegung erhält, ergeben sich unzählige Möglichkeiten: Timelapse, Scaling, Doppelgängeraufnahmen… Auf der Website www.mastermoves.de finden sich viele Filme, die mithilfe von Robotik hergestellt wurden. Making-Of-Filme erlauben den Blick hinter die Kulissen und zeigen, wie die Motion Control Riggs arbeiten.

Natürlich sind die Kettenzüge C1, so dass man auch Personen fliegen lassen kann. Und sollte man lange Brennweiten benötigen, die man dem Anschein nach bei einem quadratischen 500-m2-Studio nicht erwartet, hat man auch hier eine Lösung parat, indem mit Öffnungen zu den Nebenräumen die benötigte Tiefe erreicht wird. Da das Objekt gedreht werden kann, reicht dieser Tunnel, um so effektiv das Studio „länger“ zu machen.

Jürgen Thiele war für das Gesamtkonzept, die Planung und den Einbau der Licht- und Bühnentechnik verantwortlich.  Alles wurde vorab in 3D visualisiert. Die Traversen, allesamt mit 3× 125-A-Verteilung, ArtNet, DMX, Power-DMX, LAN und Druckluft versorgt, fahren an einzelnen Stellen nur mit einem Abstand von 10 cm aneinander vorbei. Ein solches Studio mit derart viel installierter Technik bedarf einer zielsicheren Planung. „Mit Jürgen Thiele hatten wir genau den richtigen Mann! Seine langjährige Erfahrung und sein kompromissloses Engagement haben unser Studio zu etwas ganz Besonderem werden lassen“, schwärmt Stephan Horst von Jürgen Thiele.

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