Musik(re)produktion

Musik(re)produktion: „Ist das Bass oder kann das weg?!“

Bassphilosophie und -management im schwer zu durchschiffenden Meer der Audiophysik und Musik(re)produktion: Low-End, Subsonik, Infrasub – Sound&Recording-Redakteur Bob Humid zeigt, was beim Bass so alles geht.

Bass: Kickdrum-Stimmung in elektronischer Tanzmusik
Die Stimmung von Kickdrums in elektronischer Tanzmusik, allem voran Techno, dringt langsam aber sicher in den Bereich der Subsonik ein (Bild: Bob Humid)

Der „Oomph-Faktor“

Man müsste das Thema dieses Artikels Bass Management nennen, doch leider ist der Begriff besetzt: Er definiert im Surroundbereich eigentlich, was und wie viel aus dem LFESpeaker kommt. Dennoch taugt er auch, um eine Mixing-Methodologie für Subbass und Low-End zu benennen, was dringend nötig erscheint: Denn allzu schnell ist im Hyperstudio der Gegenwart eine physisch beeindruckende Bassline nebst monströser Kickdrum zusammengesteckt, die allen Beteiligten ein souveränes Gewinnergrinsen ins Gesicht zieht. Dank hochgezüchteter DSP-gestützter Audiotools, interner 32 Bit Float-Rechengenauigkeit mit theoretischen 1.000 dB Headroom, gelingen heute auch die verrenktesten Produktionsmethoden irgendwie. Doch Erfahrung zählt hier dreifach, denn wenn einige Wochen später im Club die „echt phatte“ Bassline vom frischen Release auf der Funktion One mit 20 kW Fullrange vor 1.500 Gästen – leider um 22 h noch etwas nüchtern – derart brutal dröhnt, dass das Knarzen und Gescheppere sämtlicher im Raum stehender Resonanzkörper vom Kühlschrank bis zum Tanzblech den letzten Schluck Prosecco aus den Mündern springen lässt, dann gibt es nur noch Verblüffte und Verlierer. Und wieso sind auf einmal die Congas, die Snare und die Vocalsamples im Club nicht mehr zu hören? Warum klingt der Track so seltsam leise im Vergleich zu den anderen Tracks des DJs? Die Antwort auf diese Fragen lautet: Wer auch immer das gemischt hat, er hat keinerlei Erfahrung im Umgang mit laut verstärkter Musik als Zielformat. Auch der Einsatz dramatischer Badewannen-EQ-Boosts per Hi- und Lowshelf in der Summe, bei gleichzeitig niedriger Abhörlautstärke während der gesamten Mixingphase, wird sich – wie oben beschrieben – ganz übel rächen. Denn nach wie vor gilt: Auf die Mitten zwischen 1 kHz und 5,5 kHz kommt es an. Dazu bitte einmal „Gehörrichtige Lautstärke“ nachschlagen und das Diagramm zur ISO 226:2003 etwa zehn Minuten lang anstarren. Ich garantiere ein, zwei deftige Erleuchtungen.

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Das muss alles nun nicht heißen, dass man das Handbuch der Tontechnik in- und auswendig lernen sollte. Es hilft auch, einfach mal öfter in die Oper, den Club oder den Moshpit zu springen. In Jamaika gibt es durchaus eine ganze Menge PA-beflissener „Operators“ und bassbegeisterter Vollprofis, die sich der Sache intuitiv genähert haben. Der feine Unterschied ist aber, dass die Besten unter ihnen jede freie Minute ihres Lebens auf Allnightern verbracht haben. You got to feel it!

 

Etwas Hörphysik

Klar, wir Menschen nehmen Schall mühelos bis 15 Hz hinunter wahr. Die Betonung liegt hier aber auf „wahrnehmen“ im Sinne von „fühlen“. Hören stellt, spezifisch betrachtet, die Fähigkeit der mechanischen Sensorik im Innenohr dar, eine dort anliegende Resonanzfrequenz zu messen. Korrekt ist außerdem, dass wir ab 40–60 Hz hinab, langsam aber sicher vom „Hören“ ins „Fühlen“ rutschen. Hier sind die etablierten Begrifflichkeiten von Producern oder Mastering-Hoschis nützlicher: Wenn da jemand sagt „Der Subbass schiebt irgendwie noch nicht richtig!“, dann kümmert man sich besser schnell um den Bereich von ca. 18 Hz bis 60 Hz.

 


Bob Humid

Bob Humid (geb. Montevideo, Uruguay) lebt und arbeitet als Produzent, Sounddesigner, Tutor, Autor, DJ und Grafiker in Köln. Langjähriger Fachautor für KEYBOARDS, SOUND & RECORDING, Groove und leidenschaftlicher Afficionado elektronischer Musik seit 1989. Als viel gefragter Mastering- und Mixing-Engineer (http://bobhumid.de) hat er einer mittlerweile gewaltigen Menge Musik auf den Weg geholfen. Aktuell finden sich vermehrt Kultplatten auf seinem Studiotisch wieder, die für eine erneute Vinylveröffentlichung vorsichtig gecaptured und remastered werden. Sein Remaster von Tommi Stumpff’s Electroklassiker „Zu spät Ihr Scheisser …“ erreichte kürzlich den zweiten Platz der Deutschen Alternative Charts (DAC)


Tiefer, breiter, lauter!

Tiefer gestimmt als 45 Hz wird die Kickdrum im Clubbereich aber sicher nicht mehr, da ist die Gehörschnecke des Innenohrs schlicht gegen: In tiefen Frequenzen arbeitet sie nämlich wie ein Bassreflexkabinett. Das Schneckenloch darin ist eine Öffnung an der Spitze der sog. Basilarmembran und ist – abhängig vom Individuum – irgendwo zwischen 40 Hz und 65 Hz gestimmt. Der menschliche Frequenzgang fällt dahinter steil ab. Im Subsonikbereich verlieren wir nach unten also immer mehr die Fähigkeit einen Ton zu „hören“ und nehmen ihn statt dessen immer mehr nur als Vibration in Resonanzräumen des Körpers wahr (Bauch, Lunge etc.). Manche Menschen haben z. B. Lungen mit einer Resonanzfrequenz bei etwa 80 Hz, was bei sehr lauten PAs schon dazu geführt hat, dass die Kickdrum eines Technotracks die Atmung einer Freundin von mir im Club erschwerte, da die Lunge anscheinend vom Schalldruck mitmoduliert wurde. Als ich im Bekanntenkreis herum fragte, ob das Phänomen verbreitet ist, fand ich noch zwei weitere Fälle. Menschen mit solchen Problemen sollten sich im Club in eine leisere Phase stellen. Meistens reichen 2 m mehr Distanz zum Subwoofer. Im Zweifel liegt hier die Verantwortung beim FOH, der den Subwoofer so weit vom Zugang des Publikums abschirmt, wie es technisch möglich ist. Ein Meister der Veranstaltungstechnik wird genau wissen, wo der Sub mit seinen mehreren Meter langen Wellenlängen zeitlich korrekt mit den vier Tops harmoniert und sowieso den Subwoofer nicht gerade in der Mitte der Tanzfläche aufbauen.

 

Der Bass: Mixing und Mastering

Wenn ich mal einen Track eines noch nicht sehr versierten Producers zum Mastern rein bekomme, fordere ich gerne „Stems“ an. Gemeint sind die als WAVs ausgespielten (Stereo-)Busse à la KICK, DRUMS, BÄSSE, SYNTHS, VOCALS, GUITARS usw. Zusammen abgespielt, ergeben diese zwei bis acht (Stereo-)Stems den Mixdown. Basslastige Instrumentengruppen, die sich spektral im Wege stehen, werden so bearbeitet, dass sie sich stimmig ergänzen und nicht zu ungewollten Peaks durch Addition gleicher Frequenzanteile in der Summierung führen. Ein Beispiel wäre eine extrem dicke und Subbass-lastige Absynth-Orgel, die mit dem Bass kollidiert. In so einem Falle empfiehlt es sich fast immer, die Orgel im Bereich 50 Hz bis 80 Hz mit einem Hochpassfilter „unten rum“ zu cutten. Da der Bass den Bereich darunter eh ausfüllt, entsteht keine Lücke im Frequenzgang des Mixes und siehe da: Sogar die Kick klingt plötzlich präziser.

Bei langjährigen Experimenten (als Resident-DJ und Liveact) mit diversen RMS-Zielpegeln und peniblen Vergleichen der beneidenswert gemasterten Lieblingstracks musikalischer Idole und Helden mit den eigenen Produktionen, gewinnt man irgendwann die nötige Ruhe und Sicherheit für spektrale Entscheidungen. Heute cutte ich in der Summe bei ca. 18 Hz mit 12 dB, 24 dB oder 36 dB Flankensteilheit – je nachdem, ob der Bassbereich oberhalb der Einsatzfrequenz durch die Filterung leidet oder davon profitiert. Das sehr genaue Hinhören an diesem Schritt lohnt sich vor allem hinsichtlich des Limiters am Ende der Signalkette, der sonst bei sehr hohen, aber eher „unhörbaren“ Amplitudenspitzen unter 15 Hz in die Knie gegangen wäre und mir das mit nervigem Klirr oder geringer Ziellautheit gedankt hätte. Mehrbändige (ab 80 Bändern wird es spannend) grafische Analyzer mit schneller Ballistik und einer, neben der Anzeige der Spitzenwerte zusätzlich schaltbaren „Average / RMS“-Anzeige sind hierbei heute Pflicht. Auch in Zeiten stark gesteigerter Verstärkerleistungen profitiert jede PA-Anlage, sobald sie zu nah an ihrer Leistungsgrenze arbeitet, von einem bereinigten und klar strukturiertem Infrasub- und Subbassbereich. Trotz omnipräsenter digitaler Schutzschaltungen: Wer ist schon scharf darauf, dass die Anlage dauernd hörbar rauf und runter regelt, nur weil der DJ unbedingt die vom ollen DJM 600 (Ersatzpult!) angebotenen +14 dB in die komplette Sättigung fahren muss, bis sich kein einziges rotes Lämpchen und auch absolut kein Tänzer mehr bewegt.

Bass: Optischer Kompressor LA-2A
Optische Kompressoren vom Schlage eines LA-2A sind hervorragend geeignet, um langwellige Signale wie Bass- oder Vocalspuren zu bändigen (Bild: Bob Humid)

Steve Jobs mischt gerne mit

Stems werden in letzter Zeit auch öfters angefragt, wenn die Problemstellung darin besteht, flexible Minimixe als Live-Backings herzustellen, die dann auf der Bühne abgefeuert werden sollen. Bands spielen solche Stems heutztage gerne mit dem iPad von Garageband aus ab, daran sollte man sich gewöhnen und nicht gleich mit den Augen rollen und fluchen. In solchen Fällen rate ich der Band im Vorfeld der Tour allerdings dringend zu professionellen ADDAs, mit oder ohne iPad-Einschub. Solche „Live“-Stems behandle ich dann im Prinzip wie Mixingbusse und entzerre, filtere und komprimiere sie wie in einer Mixdown- oder Stem-Masteringsituation. Zu starke Kompression verbietet sich hier in allen Fällen. Ein Zielwert von −15 dB RMS ist ideal und lässt Raum für den Mix und weitere spontan eingeflogene Livemusiker. Außerdem sollte der FOH ja auch noch Headroom haben, um die Backings sinnstiftend zu den anderen Liveinstrumenten dazu zu mischen, ohne dass die Hälfte der Darbietung wie „Konserve“ klingt. Was die Gäste einer Liveshow als emotional wirkende Qualität zu Hause vermissen, ist aus klanglicher Sicht stets das Zusammenspiel von knackiger, punchiger Microdynamik (Attacks) und gewaltiger Makrodynamik (laute und leise Parts im Livearrangement). Livemusik wird nicht bei −8 dB RMS per Brickwall Limiter an die Wand geballert, denn „Live“ bedeutet vor allem lebendige Dynamik. Dabei ist es wurscht, ob es sich um Rock, Pop, D’n’B, Techno oder finnischen Fantasy Metal handelt. Und ja: Die Fans all dieser Musikgattungen haben sich an dicke Bässe gewöhnt und wollen heutzutage das volle Programm bis 30 Hz spüren.


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