Die Chemnitzer Band Kraftklub gastierte in der ausverkauften Frankfurter Festhalle. FOH Andreas „Andi“ Zwirchmair mischte den kontrollierten Indie-Rock-Sound und passte ihn in das „Slapback-Gewitter“ der Halle mit ihrer riesigen Dachkuppel ein. Er offenbart praktische Tipps für alle Instrumentengruppen.
Das 2010 gegründete Quintett aus Chemnitz hat sich kontinuierlich „nach oben“ gespielt, mit frechen, intelligenten Texten, prägnanten Rhythmen und eingängigen Melodien. 2017 spielte die Truppe bereits ausverkauft in der 15.000 Zuschauer fassenden Frankfurter Festhalle – das sollte sich mit der Tour zum aktuellen Album „Kargo“ wiederholen.
Wer als Zuschauer ein Konzert in der Festhalle besucht, dem fällt nicht selten ein wuchtiger, „klatschend“-halliger Sound auf: Der PA-Klang wird mit komplexen Reflexionen aus der wuchtigen Kuppel inmitten des Hallendachs versehen, dazu einem deutlichen Slapback der Rückwand. Die Kraftklub-Produktion ist mit einer Rollbühne unterwegs. Im Dach wird viel Licht eingebracht, daher ist der Aufbau zeitlich nur mit der Rollbühne zu händeln, erklärt FOH Andreas „Andi“ Zwirchmair. Aufgrund einer leichten Verzögerung der Rollbühne konnte der Soundcheck erst später beginnen. „Wir bauen die Rollbühne in der Mitte schon vor.“ Schlagzeug-Backliner Tom Müller erinnert sich schmunzelnd daran, wie er die Snare unter dem Dom gestimmt hatte, und wahllose Echofahnen unter der Kuppel wahrnahm. Zwirchmair: „Der Monitorplatz fährt später einfach ran, wird nur angesteckt. Wir sind danach in 20 Minuten spielbereit. Es ist jeden Tag ein kleiner Kampf, aber auch ein schöner Kampf!“, meint er augenzwinkernd. Der Österreicher strahlt einen ruhigen, feinsinnigen Humor aus, jemand, mit dem man gleich das Gefühl hat, eine angenehme Zeit verbringen zu können – überhaupt wirkt die Stimmung in der Produktion professionell und gleichzeitig gelöst.
Beim Soundcheck spielt einer der Gitarristen das „Smells like Teen Spirit“-Riff, clean, mit Flanger – und einem Gratis- Delay der Halle. Die Drums klingen wuchtig, die tiefe Disco- Snare „processed“. Geachtelte Basslinien donnern vom Hal- lenboden zurück, dazu teils wattige, kurze Arpeggio-Synths oder klare Lead-Synths. Es klingt, als ob sich sphärische Pink-Floyd-Elemente mit Indie-artigen Disco-Sounds mischen. Wer quer in der Hallenmitte steht, hört mit dem einen Ohr den Direktschall der PA, mit dem anderen das rund 200 Millisekunden entfernte Slapback-Delay wie ein Effekt- Return-Signal, fast sauber getrennt.
Mehr Kompression gegen Verhallung prägnanter Transienten
„Es war heute überdurchschnittlich anstrengend – es gibt auch entspanntere Tage, aber manchmal braucht‘s das!“, fasst Zwirchmair den Soundcheck in der leeren Festhalle zusammen. „Ich war schon ein bisschen drauf vorbereitet, was passieren wird – aber wenn man dann drinsteht und das erste Mal anmacht, erschreckt man immer wieder!“, meint der Österreicher. „Du musst dich auf den Raum einlassen – der ist da. Du kannst den Raum nicht wegdiskutieren“, so sein Ansatz. „Ich habe das riesige Glück, mit Guido Esch einen System-Designer dabei zu haben, der in jede Halle eine PA reinzimmert, sich hinsetzt – keine Ahnung, wie er das macht – und den Raum in den Griff bekommt. Schicke ich den Mix rein, den ich bereits vorbereitet habe, ‚klingt‘ das Ergebnis bereits. Wenn die Location halliger ist, komprimiere ich etwas stärker. Wenn offener Klang möglich ist, gestalte ich die Signale dynamischer.“ Ob mehr Kompression nicht schlicht einen dichteren „Wulst“ in den Raum schiebt, der akustisch verhallt wird? „Ja, aber auch weniger Transienten: Schallereignisse, die eigentlich kurz und perkussiv sein sollen, würden den Hall stärker anregen“, beschreibt er seine Herangehensweise. „Ich habe ein paar Mal gehört, was passiert, wenn ich ein Signal schnell ausmache. Einzelne Frequenzen könnten lange stehenbleiben. Darauf bin ich etwas vorbereitet. Aber mit ein paar tausend Menschen sind beim Konzert sehr viele Reflexionsflächen eliminiert. Das hören wir uns die ersten zwei, drei Nummern an. Mit Guido funktioniert das zum Glück so: wenn ich eine Änderung möchte, ist er schon dran.“
Über die Jahre habe sich eine Gelassenheit gegenüber dem herausfordernden Eigenklang mancher Location eingestellt – in Frankfurt beispielsweise bekam er im halligen Raum während dem Soundcheck die Stimmen nicht wie gewohnt über den Mix, so Zwirchmair. Das liege zum einen an den „unfassbar vielen Reflexionsflächen“ des leeren Raums. „Zudem haben die Jungs vielleicht wenig geschlafen. Ich verlange daher nicht beim Soundcheck, dass die Musiker 100 Prozent Energie geben, wenn es gerade nicht passt – weil ich weiß, dass abends ohnehin 110 Prozent herauskommen!“
Für den Mix dient ihm auf der Tour eine Avid S6L-Konsole. „Alle Einzelsignale, die mir wichtig sind, höre ich beim Soundcheck separiert vor. Wenn ich viele High Mids rausdrehe, die gerade recht scharf im Raum kommen, werde ich sie abends wieder reindrehen!“ Im Höhenbereich fügte Zwirchmair seinem Mix HF-Anteile hinzu, weil der Raum dort etwas trocken wirkt, erzählt er. Man dürfe sich vom leeren Raum nicht komplett verunsichern lassen. Ihm kommt eine prägende Erfahrung in den Sinn, als er vor Jahren im Tempodrom in Berlin das System betreute, bei einer größeren Rock-Show, an den Namen der Band erinnert er sich nicht mehr. „Ich bin aus allen Wolken gefallen, als der FOH den Mix aufgedreht hat, und ich dachte mir, ‚das kannst du nicht anbieten!‘ Als Maßnahme drehte ich Low-Mids raus. Er drehte zwei Minuten später wieder ab und meinte, ‚yeah, sounds like shit!‘“ Auf das Angebot, noch etwas zu ändern, meinte der FOH, nein, es sei alles in Ordnung, Zwirchmair könne nichts dafür. „Er kam zur Show wieder, drehte auf – und es klang Bombe! Er hat genau gewusst, woran die Probleme lagen – dort sind auch eine riesige Kuppel und sehr viele Reflexionsflächen vorhanden. ‚Die Low Mids, die du vorher gezogen hast – pack sie wieder rein, dann stimmt alles.‘ Er hatte recht. An den Moment erinnere ich mich bei schwierigen Hallen-Gegebenheiten gerne: Wenn ich alles höre, alles da ist, dann lass uns schauen, wie es am Abend ist.“
Stichwort Hören: Für einen Teil des Soundchecks nutzt er einen Pro-Tools-Mitschnitt auf einem MacBook. Am Rand ist eine Rolle Klebeband als Abstandhalter eingeklebt, damit das Notebook nicht versehentlich zuklappt. „Das ist uns leider einmal passiert, ja!“ Er lacht. „Dann verliert es die Netzwerkverbindung. Dann kommt eine rote Fehlermeldung am Pult –das ist automatisch ein Schockmoment.
Dann klappe ich das Notebook wieder auf, ich muss Pro Tools schließen und neu öffnen. Du versäumst einen halben Song im Mitschnitt. In meinem Perfektionismus komme ich schlecht drauf klar, dass das passieren kann – aber das ist auch schon das Schlimmste. Ich nehme die Shows zu 99 Prozent nur auf, damit ich sie am nächsten Tag zum Soundchecken habe – wir haben den Soundcheck geteilt in rund eine halbe Stunde Pro Tools vom Vortag und eine halbe Stunde Band. So kann ich vorab schonmal den Raum sondieren.“ Es sei ein guter Vergleich, eine Vorschau und eine eigene Kontrolle. „Wenn die Musiker auf die Bühne kommen, ist eigentlich schon alles fertig. Dann geht es nur um die Tagesform und darum, ob ich etwas höre, das seltsam klingt, verglichen mit den Signalen vom Vortag – oder die Band am Abend etwas anders macht.“
Wie ist er zum FOH-Beruf gekommen? „Das ist ein bisschen weird!“, lacht er. „Tatsächlich habe ich während meiner Studienzeit nebenher als Stagehand gearbeitet. Im Gasometer in Wien fand eine Sarah-Connor-Show statt. Um 6:30 Uhr war Antritt, Traversen dengeln und so richtig hinlangen. Ich dachte mir, das mache ich nicht über einen längeren Zeitraum, so richtig Bock hatte ich nicht drauf. Dann gab’s den Typen, der mit Kaffee um 11:30 Uhr ankam. Er drückte mir 48 Kabel in die Hand und meinte, ‚hier, unten anstecken.‘“ Die Erkenntnis leuchtete förmlich in ihm auf. „Das, was der macht, will ich auch machen!“, meint er und grient. „Ich hatte damals schon begonnen, mich für Tontechnik zu interessieren, hatte seit 1996 immer wieder in Punkrock- und Hardcore-Bands gespielt und gesungen. Eher geschrien, weniger gesungen! Dann hat es sich entwickelt, neben dem Studium funktionierte die Arbeit recht gut. Es gab Jobs, die waren gar nicht so schlecht bezahlt.“ Sein Studium der Theaterwissenschaft brach er schließlich ab. „Viel zu trocken“, stellte er fest. „Italienisches Theater im 16. und 17.Jahrhundert war der Moment, wo ich den Bleistift fallen ließ und meinte, ‚ich glaube, das war’s mit uns!‘ Ich habe recht schnell erkannt, dass die Praxis mehr mein Feld ist.“ 2007, 2008 fing er professionell in Österreich an. „Ich hatte dort begonnen, Indie-Bands zu machen, und war davon angenervt, dass in den kleinen Clubs keinerlei Mikrofon-Standards vorhanden waren. Damals hieß es: ‚SM57? Ne, haben wir nicht.‘“, erinnert er sich. Er kaufte sich einen kleinen Satz.
Später landete er beim österreichischen Rundfunk, ging anschließend mit den ersten Bands auf Tour. Zu Kraftklub kam er über Nico Lindner, der von Beginn an Kraftklub begleitete und während Corona eine Festanstellung in Chemnitz gefunden hat, die er dem Vernehmen nach schätzt. „Ich habe lange mit ihm telefoniert und bin sehr dankbar, dass er mich empfohlen hat – wahrscheinlich als ‚den Typen, der die lauten Gitarren- Amps aushält.‘“ Er lacht. Im Sommer war Zwirchmair neben Kraftklub mit Kummer und Die Ärzte unterwegs. Das Jahr steckt ihm noch in den Knochen, er habe 2022 viel gearbeitet, wie die meisten Kollegen. Er ist Vater geworden, tourt seitdem das erste Mal. „Da bin ich sehr froh, dass ich die beste Frau der Welt habe!“, erklärt der FOH im leichten, freundlichen Wiener Singsang.
Der Schlagzeug-Sound klang auch beim Soundcheck nicht übermäßig verwaschen, sondern noch prägnant wahrnehmbar – trotz leicht diffusem Echo von der Hallendecke und dem Slapback von der Rückseite. „Ich bin erst seit Anfang 2022 bei Kraftklub, habe sehr viel rumprobiert und verändert. Du hast schon ein bisschen was gelernt, aber fragst dich, was du sonst noch tun könntest, damit der Sound klar und prägnant wird. Das war ein weiter Weg, aber jetzt glaube ich, dass ich angekommen bin mit dem Schlagzeug-Sound für Kraftklub.“ Es sei „das klassische Schlagzeug-Problem: Sehr viel Übersprechen zwischen den Kesseln. Die HiHat ist sehr nah am Snare-Mikrofon. Bei der Snare haben wir drei Exemplare ausprobiert – mit der aktuellen bin ich sehr glücklich.“ Es handelt sich um ein 14 × 8-Zoll-Exemplar des Berliner Kleinherstellers Udo Masshoff, das einen tiefen, fülligen Snare-Sound liefert. „Daraus bekomme ich genau den Sound, den ich suche, und muss nichts ‚dazuerfinden‘ – nur ein bisschen an den Raum anpassen.“
Davor war eine Ludwig Supersonic im Einsatz – ein „Rock- Klassiker“. „Auch nicht schlecht – aber ich musste immer ein bisschen Bauch herauszustellen. Alles, was von Haus aus schon da ist, was ich nicht reindrehen muss, klingt natürlicher. Es ist vermutlich nicht der dynamischste Mix der Welt, der herauskommt, vor allem beim Schlagzeug nicht.“ Das Ergebnis erinnert an einen kräftigen Indie-Disco-Drum-Sound, der nach vorne geht, eher plastisch statt Folk-Indierock. „Die Nummern sind alle auf die Zwölf! Ghost Notes werden ab und an gespielt, aber es ist nicht ein dauerndes ‚Grooven‘, sondern geht vorwärts“, beschreibt er den Rhythmus-Sound der Band.
Fast „elektronisch“ kurze Drum-Impulse im Live-Kontext
„Würde man nur Kick, Snare und HiHat hören, würde einem das sehr ‚elektronisch‘, ein bisschen zu kurz vorkommen. In der Halle habe ich dann allerdings automatisch einen Nachhall.“ Er macht zischend das Nachhallgeräusch der leeren Halle vor. Dazu finden viele Schallereignisse auf der Bühne statt, die das Signal einbetten. „Im Gesamtbild mit Bass ist das der Impuls, der sich durchsetzt. Den braucht’s, und das klingt noch gut.“ Die Bassdrum „schiebt“ durch den leeren Raum, allerdings nicht ganz unten im „Erdbeben-Bereich“, sondern über dem Sub-Segment, was Wummern in der Halle vorbeugt. Dazu ist ein definierter Anschlag-Sound hörbar, der die Kontur der Bassdrum zeichnet. „Da war Frequenzen suchen angesagt, was im Raum ein Problem macht – Guido schaute sich das an und sagte mir zum Beispiel: ‚Mach einen harten Low Cut bei 28 Hz, das brauchen wir heute.‘ Das mache ich – und das stimmt zu 99 Prozent.“
In Frankfurt hat Zwirchmair bei der Bassdrum deutliche Anteile bei 33 und 40 Hz gezogen. „Ich habe zwei Notches am Pult gemacht, und das war‘s. Der ganze Impuls ist sehr kompakt gehalten – es ist keine offene Bassdrum.“ Die Snare ist bereits akustisch deutlich bedämpft, zusätzlich zum kontrollierten Mix. Allzu stark reduzierte Obertöne ließen etwa bei einer Studioaufnahme Definition und Durchsetzungsfähigkeit der Einzelsignale mitunter vermissen, stimmt er zu. Das müsse man live ebenfalls im Hinterkopf behalten: „Ich muss im Laufe der Show obenrum zwischen 6 bis 8 kHz immer ein bisschen was ‚nachziehen‘, um das Signal noch etwas mehr nach vorne zu kriegen. Das lässt sich bei einer zweieinhalbstündigen Show nicht vermeiden, Signale anzupassen.“
Dazu kommt, dass allgemein Performer im Zuge der Energie beim Konzert naturgemäß anders spielen als beim Soundcheck. „Allgemein gilt: Zuerst wird man warm, und dann wird man müde“, meint er schmunzelnd. „Die Veränderungen sind alle nur im Wohlfühlbereich, aber ich bin trotzdem zweieinhalb Stunden am Schieben und Schrauben. Ich mag es auch nicht, wenn ein Mix steht und man sagt: ‚Okay, das war’s jetzt – supercool, ich lass das jetzt!‘ Nein, das ist der Moment, in dem ich die Zeit habe, Dynamik nachzuschieben. Das macht bei Rock nochmal fünf Prozent nach oben hin aus im Ergebnis.“ Dazu kommt, eine Ermüdung des Publikums durch allzu gleichbleibende Dynamik über die Dauer entgegenzuwirken.
DPA 4055-Bassdrum-Mikrofon für „natürliche“ Klanganteile
Abgenommen hat er das Set größtenteils mit „klassischem“ Besteck: Als Overhead dienen ihm zwei Neumann KM184, an den Toms jeweils Sennheiser e604, und an der Snare- Oberseite ein Shure SM57. „Das waren teils die ersten Mikros, die ich vor 15 Jahren gekauft hatte – es sind immer noch dieselben.“ Auch das Shure Beta 91 gehört zur frühen Ausstattung, die Grenzfläche setzt er in der Bassdrum ein. Außen nutzt er das neue DPA 4055-Modell. „Ich habe mit DPA-Mikros immer gute Ergebnisse erzielt, und habe es mir auf Verdacht geholt. Mit dem gewohnten Shure Beta 52 kam ich nie dahin, wo ich hinwollte – es klang mir zu ‚rund’.“
Wir haben rumprobiert, im Sommer hatten wir ein Audix d6 an der Bassdrum. Audix bei den Vocals – absolut und immer!“ Das d6 sei jedoch das typische „Metal-Kick-Mikrofon“, das bereits ‚gegated‘ und vorgeformt klingt, er illustriert den Sound mit einem schnalzenden „Pöck“. „Den Sound habe ich nicht ‚rausbekommen‘. Wenn du ihn rausbekommst, klingt das Signal beschnitten. Dann ist es für den Zweck das falsche Mikro. Beim 4055 lautete der PR-Sprech praktisch: ‚So klingt die Bassdrum – es ist natürlich, nicht vorgeshaped.‘ Innen ist eine kleine Condenser-Kapsel, wie bei den meisten neuen Mikros. Das Mikrofon macht genau das, was ich möchte! Ich hatte das Mikrofon zuerst ein Stück zu weit in der Bassdrum, habe es ein Stück weiter herausgeholt – jetzt nimmt es noch ein ‚Wupp‘ mit, damit hole ich mir den kurzen Bassimpuls. Das funktioniert prima und ergänzt sich auch einigermaßen gut mit dem Beta 91.“ Letzteres nutzt er für die hochfrequenten Attacks und Anschläge des Beaters.
An der HiHat verwendet er ein AKG C451. Am Snare-Teppich kommt ein Sennheiser e906 zum Einsatz, oben hatte er statt dem Shure SM57 bei Kraftklub ein AKG C414 geplant. „Das hatte ich mir von einem lieben Kollegen ‚abgeguckt’. wir haben sie als Hyperniere genommen. Klanglich hat das auch super funktioniert, wir hatten allerdings einmal das Problem, dass die Polarisierung der Kapsel nicht der Einstellung entsprach: Tatsächlich hatten wir eine Kugel, obwohl eine Hyperniere angezeigt wird. Dann steppst du durch, landest wieder bei Hypeniere, und es stimmt wieder. Das liegt am Live-Kontext, wo nach dem Aufbau gelegentlich die Phantomspeisung kurz wegfallen kann. Danach bist du nicht sicher, was du hast, und musst jedes Mal die Einstellung des Mikrofons ‚einnorden‘. Bei den Proben ist uns das immer wieder passiert.“ Daher haben sie sich für das SM57 entschieden. Ein Kugelmikrofon wolle man selten als Close-Mike auf der Bühne – „schon gar nicht im Kontext von Toms, Overheads und Snare, wo du versuchst, das Snare-Signal so gut wie möglich mit der Hyperniere zu isolieren. Auch als Niere hat es bereits für mich nicht funktioniert.“
Auf den Trommeln befinden sich rote ddrum-Trigger – sie dienen allerdings nicht zum Abrufen von Samples, sondern zur Steuerung der Nahmikrofonierung: „Ich habe auf jedem Kessel einen Trigger angebracht, der mir ein Gate triggert, damit das wirklich auch auf den Ghost-Notes aufmacht – und nur dann, wenn die Trommel tatsächlich gespielt wird.“ Er spricht die Problematik an, dass rein lautstärkebasierte Pult-Gates mitunter fein dosiertes Spiel ‚schlucken‘ – oder so offen eingestellt werden, dass sie unnötig Bühnenschall transportieren. Die Trigger geben Audiosignale aus, sie werden direkt an die Stagebox angeschlossen. „Der Impuls am Input ist mein Sidechain-Input für das Gate im Kanal. Ich habe auch drum gebeten, dass am Monitor nichts davon passiert – damit Max am Schlagzeug und Jo am Monitor hören, was gespielt wird, und wie die Signale übertragen werden.“ Am Monitor seien mitunter eigene, herkömmliche Gate-Einstellungen im Einsatz – „allerdings nicht mein ganz kurzer Impuls, den ich für die Hallen verwende.“
Auffällig sind die gerade clean besonders breiten, tragenden Gitarren-Sounds, die sich von so manchem „Schrammel-Einerlei“ abheben und sich von der Austauschbarkeit von Pop-Gitarren-Sounds deutlich unterscheiden. „Ich war in der glücklichen Situation, dass wir uns im Sommer bei den Tour-Proben drei Tage einschließen konnten und uns davon zwei Tage lang ausschließlich dem Gitarren-Sound widmeten, auch mit Flo August, dem Produzent der aktuellen Platte. Hach, war das gut!“, rekapituliert er selig. Pro Gitarristen kommt je ein Vintage-Amp samt mikrofonierter Box (beim einen ein Fender-Halfstack, beim anderen ein Vox AC30) zum Einsatz, ebenso wie ein Kemper-Setup. „Wir sind etwas von der Gitarren-Box weggekommen hin zum Kemper, um eine möglichst leise Bühne zu erreichen. Alle fanden das gut, meinten, es wäre für die ersten Reihen sehr schlau, nur noch über den Kemper zu spielen – aber wenn’s dem Künstler Spaß bringt, bin ich absolut dagegen, den Spaß auf der Bühne zu beschneiden. Mir geht es darum, dass die Jungs mit der bestmöglichen Laune rausgehen und sagen, ‚hey, heute wird mir richtig der Rücken angeblasen!‘“ Die Boxen nimmt er mit einem AKG C214 ab, dessen Klangfülle samt Rauheiten er für allerhand Gitarrenklänge von clean bis tiefergestimmten Metal-Sounds schätzt.
Ein weiterer Grund, nicht rein auf ein Kemper- Setup zu setzen: „Das Gitarren-Signal aus der Box, das wir mittlerweile ‚gebaut‘ haben, finde ich so gut – es wäre verschenkt, das nicht zu spielen! Convenience-Lösungen: ja! Aber ich bin nicht der Typ, der sagt, ‚für 20 Prozent gemütlicher büßen wir zehn Prozent Sound ein. Wir machen’s nicht wegen der Gemütlichkeit, sondern damit es gut klingt. Ich muss drumherum basteln. Falls irgendwas gar nicht geht, können wir gemeinsam eine Lösung finden.“ An einen Fall erinnert er sich: „Wir hatten mal die Gitarren- Amps etwas eingedreht und ein Stück nach hinten versetzt. Da hatte ich auf den Kick-Mikrofonen plötzlich zu viel Gitarren-‚Müll’, weil die Boxen nicht mehr nur nach vorne abstrahlten. Wir haben dann eine kleine Platte mit Stoff überzogen und sie an die Stelle neben die Bassdrum gestellt – dazu die Gitarren-Amps wieder einen halben Meter weiter vor, nicht mehr ganz so stark eingedreht. Bei der gegateten Bassdrum kommt immer nur der kurze Impuls durch – ‚Puck!‘ – zuvor war das allerdings nicht der zu erwartende Impuls, sondern noch ein ‚rauschender‘ Vorhang an Gitarren – ein Grundrauschen, das auf der Bühne stattfindet. Wir haben etwas rumprobiert, aber nach zwei Shows war das beseitigt.“ Der Kompromiss, den manche Produktion bei Gitarren-Sounds ansetzt, sei hier fehl am Platz: „Sehr viel Melodieinformation kommt von den beiden Gitarristen. Ich will keine Prioritätenliste setzen – aber es ist ein sehr wichtiger Teil des Gesamtbilds. Und ich kann nicht bei einem Teil der Melodieinformation sagen, ‚ja, die Melodie höre ich schon‘ – wie sie gemeint ist, ist aber nochmal was ganz anderes!“
Wie setzt er die Gitarren im Mix ein? „Ich fahre fast einen Mono-Mix, mache aber das Gitarren-Mikro von Stage-Right auf links, und leicht zeitverzögert auch auf rechts.“ Das vergrößere das Signal. Bei der anderen Gitarre umgekehrt. „Deswegen klingen sie viel breiter, als der Sound ist. Nur mit Kemper-Signalen wäre der Sound deutlich kleiner.“ Generell sei das parallele Kemper-Setup ein Vorteil: „Die Verstärker sind auch nicht die neuesten – wenn irgendwas kaputt geht, hat jeder auf der Seite einen Spare-Amp, aber das Konzert geht in jedem Fall nahtlos weiter, weil wir noch die Kemper-Signale haben. Die Signale ergänzen sich auch grob.“
Bass DI und Mikrofonierung: manueller Sample-Versatz
Auch der Bass-Sound klingt im Raum prägnant und „rockig“. „Das kommt zu 90 Prozent aus dem Ampeg-Verstärker und der Box. Es sind zwei verschiedene SVT-Amps, zwei Revisionen, sie klingen fast identisch. Davor hängt ein Sennheiser MD421, das auch immer für den Zweck funktioniert.“ Ob es nicht mitunter zu wenig tiefere Bassanteile transportiert? „Das will ich gar nicht aus der Box! Ich habe davor noch eine A-Designs REDDI- Box, die macht noch ein bisschen ‚plek, plek, plek‘ und ‚oomph‘ – schöne Low Mids. Nach dem Soundcheck schiebe ich beide Signale samplegenau aufeinander, dann steht der Bass-Sound. Wenn ich zwei Quellen von einem Signal habe, muss ich sie immer auf eine Zeit bringen, das ist das A und O.“ Er schaut sich in Pro Tools den Versatz der Wellenform bei einem Testmitschnitt an und stellt manuell den passenden Sample-Versatz am Pult ein. „Das lässt sich auch grob mit einem Phasendreher am Pult überprüfen.“ In letzterem Fall wird allerdings nur die elektrische Phase angeglichen, nicht der Zeitversatz zwischen den Signalen. Das DI-Signale komme logischerweise früher am Pult an, weil es nicht den Weg über die Lautsprechermembran des Verstärkers sowie die Luft zwischen Lautsprecher und Mikrofon nimmt. „Das gilt auch für den Kemper: Mit der AD/DA-Wandlung braucht das Signal etwa zweieinhalb Millisekunden für das Processing. Wenn ich das Gitarrensignal lediglich so zu den Amps mischen würde, dann würde natürlich Phasing entstehen.“
Bei den Lead Vocals von Felix Brummer nutzt Andi Zwirchmair eine DPA d:facto-Kapsel auf einem Shure AD2-Body, bei den restlichen Vocals allesamt drahtgebundene Audix OM7-Modelle. Auch eine B-Stage kommt im Publikum zum Einsatz – dort verwendet er OM5-Kapseln auf Shure AD2-Funk-Bodys. „Die OM7-Kapsel wird leider nicht mehr für Funk gebaut, daher haben wir uns hier für die OM5 entschieden.“ Im Kraftklub-Programm treten auch Gäste auf, sie werden drahtlos mit Shure Beta 58-Kapseln auf AD2-Bodys verstärkt.
Die B-Stage ist praktisch eine heruntergebrochene Show- Variante, direkt auf dem Hallenboden gespielt. „Sehr witzig und sympathisch! Stage ist übertrieben!“ Er macht nur einen Line-Check der Mikros. „Ich sehe keinen Grund, sie in der leeren Halle zu proben. Du regst nur mehr an, weil die Mikros plötzlich vor der PA stehen, und ich bekomme keinen sinnvollen Eindruck von dem, was passiert. Wir wissen, dass es funktioniert – der Rest ergibt sich. Wo sich die Band in der Halle positioniert, ändert sich jeden Tag. Meine einzige Bitte: Irgendwo in der Mitte, nicht zu nah an den Boxen. Daran halten sie sich. Es findet ein cooler Bruch in der Show statt, alles wird viel näher und intimer. Das Bild wird auch praktisch mit einem Fingerschnips wieder eingerissen!“
Mix mit Outboard und Waves-Plugins als leichte Gates
Seit den Tour-Proben hat er etwa bei den Gitarren-Sounds weiter experimentiert: „Der Sound war schon konsistent, aber ich war noch nicht ganz zufrieden. Da habe ich den SSL Fusion mit reingebracht. Den analogen Prozessor liebe ich heiß und innig! Ich habe immer viel HipHop gemacht. Auf der Summe klang das Signal dadurch etwas ‚analoger‘, gesättigter. Für alles, was elektronisch ist, gibt’s darin den HF-Kompressor, der künstlich klingende Höhen etwas wegkomprimiert und seidiger, runder macht. Er liegt auf allen Gitarren. Nachdem ich Kemper und Mikrofonsignale mische – nur mit den Kemper-Signalen würden die höheren Mitten seltsam klingen und teils fehlen – komprimiere ich mir unangenehme Anteile damit ein bisschen weg.“ Die „Seidigkeit“ fehle gerade bei der Kemper-Emulation etwas. „Das kann die Gitarre etwas künstlich klingen lassen kann. Je höher der Frequenzbereich, desto unschöner. Genau diese Anteile ziehe ich mir mit dem Kompressor weg. Seit den letzten Konzerten bin ich mit den Gitarren-Sounds wirklich zufrieden.“
Ebenfalls im Rack unter seinem Pult befindet sich ein alter Manley ELOP-Kompressor, den er auf den Vocal-Kanälen von Sänger Felix Brummer sowie Gitarrist und Sänger Karl Schumann ein- schleift. „Den hat mir ein Kollege empfohlen. Damit hatte er leider recht!“, er grient. „Ich hatte bei den ersten Shows damit zu tun, dass der Kompressor die Stimme nicht zu sehr nach vorne drückt. Dabei ging es um ein, zwei dB: Ein bisschen weniger, dann saufen die Stimmen ab. Bei der zweiten Show hatte ich das richtige Setting gefunden, seitdem stelle ich nur im Millimeter- Bereich um, das ist wohl auch mehr Gefühlssache. Meist schaue ich die ersten zwei, drei Nummern auf die Nadel, was passiert, und wie ich die Veränderung wahrnehme.“ Auch ein Vertigo VSC-2 findet sich im Setup, den er seit Jahren im Gepäck hat. „Ich habe ihn viel bei Pop auf der Summe benutzt, und nun das erste Mal bei einer Rock/Pop- Produktion – er macht nicht viel, aber hält alles ein bisschen kompakter – das funktioniert!“
Mit einem Bricasti M7 erzeugt er einen non-linearen Hall, der dem alten Neve RMX-Reverb nachempfunden ist und auf Gesang zum Einsatz kommt. „Das klingt leicht 80er-Jahre-mäßig und erinnert fast an Chorus. Die Art Hall findet auch auf dem neuen Album statt, dort mit dem alten Neve-Hardware-Gerät. Den Bricasti hatte ich, der eignet sich dafür super.“
Plugin-Expander-Gate und Optogate reduzieren Bühnenschall
Ansonsten fallen viele Waves-Instanzen im Mix auf – größtenteils jedoch ein bestimmtes Plugin: „Auf allen Stimmen verwende ich den ‚Primary Source Expander‘ – ich benutze ihn als sehr zartes Gate für Vocals, das funktioniert 1a. Er hat nur drei Attack- und Release-Zeiten, die zusammenpassen, dazu einen Threshold und eine Einstellung, wie viel er bedämpfen soll. Wenn jemand auf der Bühne mit dem Kopf vom Mikrofon weggeht, dämpft mir das Plugin die Bühnengeräusche dort um etwa 9 bis 12dB. Höre ich die erste Silbe nicht im Mix, weiß ich exakt, was ich zu tun habe: Den Threshold um 2dB reduzieren – dann passt es.“ Zusätzlich verwenden sie auf zwei der drahtgebundenen Gesangsmikrofone Optogate PB-05E-Module, um per Infrarot-Sensor das Mikrofon einzuschalten, sobald der Performer davorsteht. „Ich habe viel probiert, um die Mikros auf der Bühne so leise wie möglich zu bekommen.“ Die Optogates würden im Falle der Backing Vocals allein nicht reichen: „Wenn sie sich hinstellen und es geht auf, aber es kommt noch nichts, habe ich durch den Primary Source Expander trotzdem noch 9dB weniger. Erst, wenn sie singen, kommt wirklich alles.“ Es sei ein „sanfterer“ Übergang.
Ansonsten nutzt er auf Kick und Snare beispielsweise den Waves H-Comp, „eines meiner Lieblings-Tools.“ Die Snare ist damit parallelkomprimiert. Den Waves Pultec-EQ setzt er auf der Bassdrum ein, „der macht allerdings fast nichts mehr – nur ein bisschen Luft obenrum. Ich tendiere dazu, etwas höher – bei 16 kHz – zu beginnen und lande meistens bei 8 kHz, sodass ein ‚Schmatzen‘ zu vernehmen ist, rund 3dB Boost.“
Dynamisch setzt er im Mix zusätzlich Sidechain- Kompression ein, bei der ein Key-Signal – eine Spur – die Kompression einer anderen Spur steuert. Spricht beispielsweise die Bassdrum an, wird das Basssignal kurz zusammenkomprimiert. „Da passiert generell viel im Mix – von Vocals zu Gitarren, Vocals zu Backing Tracks, Snare zu Gitarren, und Kick zu Bass. Das macht den Mix etwas lebendiger, wenn alles miteinander ‚atmet‘. Viel ist auch auf Songtempo gemacht, damit das ‚Atmen‘ gegenseitig zusammenpasst.“ Die Musiker spielen teils mit Klick, Zwirchmair kennt das Tempo der Songs. „Beim Bass ist es zum Beispiel nur ein kurzes Wegdrücken für den Bassdrum-Impuls, damit die Kick Drum den Impact liefern kann.“
Für die Tour hat er sich ein Waves LV1 als Spare-Pult angeschafft. „Ich habe ein Faible für kompakte Setups. Selbst besitze ich eine Avid S3L, das wäre als Backup für die Tour zu groß.“ Das LV1 begegnete ihm 2016 auf einem Festival auf den Faröer Inseln. Der FOH der dänischen Elektrokünstlerin MØ hatte das Pult im Gepäck. „Mehr oder weniger im Handtaschenformat, mit zwei Touch-Screens. Er hat lediglich eine CAT5-Strippe angesteckt. Ich ließ es mir alles erklären – ich glaube, ich habe den wirklich genervt! (schmunzelt) Dem bin ich heute noch dankbar.“
Das erinnert an das LV1-Custom-Setup von Ashivay Lidani bei Noga Erez rein mit Touch-Screens (siehe Production Partner Ausgabe 7/2022). „Mir war wichtig, dass ich die Fader-Bank habe“, erklärt Zwirchmair seine Präferenz für das herkömmliche Modell. „Ich übernehme die Signale komplett digital von der Monitor-Stagebox. Dort wird das Signal über eine MADI-Karte rausgeschickt. Das Einzige mit etwas Gewicht ist der Server mit den I/Os. Was den Mix angeht: Das ist ein Set und Forget-Pult! Der Mix ist logischerweise nicht der gleiche, den ich auf der S6L habe, aber wir könnten im Ernstfall weiterspielen.“ Es läuft parallel mit. „Es funktioniert tadellos, prima. Ich musste zu Beginn ein paar Clocking-Probleme lösen, aber ich verstricke zwei Systeme an drei verschiedenen Punkten miteinander – da muss man sich reinfinden.“
In der gut gefüllten Halle herrscht gelöste Stimmung. Sänger Felix Brummer kündigt den Support-Act Mia Morgan ausführlich an. Die Band wisse, wie es ist, vor einem Publikum zu spielen, das nicht das eigene ist. Er ermutigt die Fans, der Vorgruppe einen schönen Abend bereiten. Mia Morgan beginnt mit hartem, rauem Emo- Deutschrock, mit dunklem, lang verhalltem Schlagzeug, darüber Synth-Hooks. Teilweise entstehen dröhnende Resonanzen bei den Bässen im Raum. Das Publikum klatscht im Laufe der Songs mit.
Bei Kraftklub ist die Bühne zunächst verhüllt. Die Truppe legt mit flotten, treibenden Songs los. Bei den ersten Nummern fährt die Bühnenabdeckung auf halbe Höhe, der Bereich oberhalb der Musiker bleibt eingekastet. So entwickelt sich zunächst ein verkleinert wahrgenommener Raum. Später fährt die Abdeckung hoch, eine größere Fläche wird für die Lichtshow und den Blick der Zuschauer freigegeben – was den Dynamikbogen der Show erweitert.
Die Fans gehen von Anfang an textsicher bei den fast durchgehend energetischen, hymnisch anmutenden Pop- Rock-Nummern mit. Über den Abend wird das gesamte neue Album gespielt. Mit Synth-Einwürfen und gradlinigen Stakkato-Rhythmen erinnern die Stücke stilistisch teils an eine Mischung aus Joy Division und The Strokes, mit skandierten intelligenten Texten. Der Sound ist im besten Sinne stabil und überträgt die Energie des Quintetts. Übermäßige Transparenz liefert die Halle zwar prinzipbedingt immer noch nicht, aber der Gewölbekeller wurde gebändigt: Alle Elemente sind gut wahrnehmbar, trotz des restlichen Slapback-Delays im Hochmittenbereich. Die Vocals kommen gut im Mix durch. Die treibenden Drums stehen im Vordergrund, sie erscheinen im Kontext mit Publikum fast einen Hauch zu plastisch-kurz bedämpft. Es sei immer eine Gratwanderung, meint Zwirchmair später. Auch Hochmitten hatte er vorab zu viel im Mix rausgedreht, stellte er beim Konzert fest, regelte sie später wieder nach.
Während die Dynamik-Textur bei den vorpreschenden Stücken vorwiegend gleich blieb, setzte die Band neben der sich verändernden Bühnengestaltung auch auf eine stark wandelnde Lichtshow mit Verfahrungen und sich absenkenden Licht-Batterien; hier beeindruckte Licht- und Bühnendesigner Gunnar Loose (siehe auch Production Partner Ausgabe 1/2018) mit einem anspruchsvollen und dramaturgisch gelungenen Konzept. Dazu webte die Band unterschiedliche Show-Elemente ein: Zwischendurch wird zur Song-Auswahl ein Glücksrad auf der Bühne von einem Fan gedreht, unterlegt mit Jahrmarkt- Klischee-Hammond- Sounds, die sich in die Höhe schrauben. Zum Ende von „Der Zeit bist du egal“ wird die Bühnenabdeckung wieder heruntergelassen, bei „Angst“ steht einer der Musiker auf einem herabgelassenen Bühnenelement auf halber Deckenhöhe. Danach singt Sänger Felix Brummer zunächst vor geschlossenem Vorhang. Im Laufe des Konzerts tritt unter anderem Mia Morgan als Gast auf, da sie auch auf dem aktuellen Album der Band singt.
Politisch positioniert sich die Band eindeutig („Fick die AfD, scheiß auf Nazis“), verbunden mit „Nazis raus“-Sprechchören im Publikum. Es sei natürlich einfach, sich auf einem Konzert, auf dem vermutlich keine Nazis seien, gegen Nazis zu positionieren, meint Brummer, aber andererseits sei es wichtig, sich zu versichern, dass man noch auf derselben Seite stehe. Auch gegen weitere rechte Anwandlungen in bürgerlichen Parteien positioniert sich Brummer.
Security-Taschenlampen als Mini-Spots beim Auftritt im Publikum
Der Auftritt im Publikum findet im vorderen Hallendrittel statt auf der B-Stage statt, immer noch gut von den Boxen entfernt. Vor der normalen Bühne leuchtet das Security-Personal mit den eignen Taschenlampen in Richtung der Band im Publikum, als Mini-Spots und optische Wegweiser. Kraftklub spielen die Ballade „Kein Liebeslied“, nur mit Synth, Gitarre, Bass und leichter Percussion. Das Publikum setzt sich teilweise, zückt Handylampen, es entsteht Club-Intimität. Anschließend spielt die Truppe einen Elektro-lastigeren Song weiter vorne in der Halle, schließlich läuten Fackelträger auf der Bühne wieder die „klassische“ Show ein. Kraftklub spielen ihre Hymne „Karl-Marx- Stadt“, mit der Reminiszenz im Refrain an Becks „Loser“, später das nicht minder energetische „Wenn du mich küsst“. Die rund zwei Stunden erscheinen recht kurzweilig, die Länge – vor einem Abflauen der Aufmerksamkeit – noch genau richtig gewählt. Dramaturgisch passend umgesetzt, vermittelt die Show ein Party-Erlebnis, das trotzdem den Blick zur Band bündelt – nicht zuletzt auch akustisch durch den vergleichsweise definierten Klang in einer eigentlich undefinierten Umgebung. Kraftklub erscheinen auch im Arena- Setup nahbar, was vermutlich an der sympathischen Show und den glaubwürdigen Texten liegt.
In „Teil dieser Band“ bringt die Truppe den Zeitgeist manch inhaltsleerer Ausbeutung auf den Punkt: „Und wär ich jetzt nicht auf Tour / Dann säß ich wahrscheinlich in irgendeiner Drecksagentur / Wecker sechs Uhr, Bahnfahrt / Kurzes Feedbackgespräch mit dem Chef auf dem Flur / „Bist du zufrieden mit dem, was du leistest? / Geht da noch was, Junge, hast du das Mindset?“
Andreas Zwirchmair scheint indes nicht minder zufrieden mit seinem Beruf wie die Band selbst. Vielleicht gilt für ihn – und hoffentlich auch viele andere FOH-Leute – das Fazit des Songs ähnlich: „Gott, ich bin jeden Tag dankbar dafür / Für ein‘n Job ohne Selbsthass und Magengeschwür“.