Colin Norfield mischt Herbert Grönemeyer

„Klingt die Bassdrum in einem Song gut, wird sie in allen gut klingen“

Der Brite Colin Norfield begann 1971 als FOH – bei Grönemeyers „Das ist los“-Tour bringt er Erkenntnisse aus gut fünf Jahrzehnten Beschallung ein und erklärt, warum er auf Bus-Kompression verzichtet und Song-Snapshots nur als Startpunkt sieht.

Herbert Grönemeyer Das ist los
Grönemeyers „Das ist los“-Tour 2023 (Bild: Carsten Klick)

Den Job mache ich seit 52 Jahren“, rekapituliert Colin Norfield. Der 72jährige Brite mit langen, lockig-grauen Haaren wirkt gelassen. „Da bringt dich nur noch wenig aus der Ruhe“, entgegnet er auf die Frage nach den größten Herausforderungen bei der Herbert-Grönemeyer-Tour und wie er damit umgeht: Die Produktion beinhaltet eine große Band aus Drums, Percussion, Keyboards, Bass, Saxofon und zwei Gitarren.
Unser Treffen fand im Vorfeld des Grönemeyer-Auftritts in der Stuttgarter Hanns-Martin-Schleyer-Halle in statt, Ende Mai 2023. Die Produktion forderte vor Ort noch einen Corona-Test von Backstage-Besuchern an –Crew-Mitglieder mussten jeden Morgen einen Schnelltest machen. Norfield hantiert mit dem Set entsprechend routiniert. 2022 fiel die Tour zum 20. Jubiläum des Mensch-Albums kurzfristig komplett aus, da Crew und Künstler sich trotz Tests mit Corona infiziert hatten. „Wir sind vorsichtig, das müssen wir sein, weil die Tour sonst“ – er schnippt mit dem Finger – „vorbei sein kann“.

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Herbert Grönemeyer Das ist los
Colin Norfield: Der 72-jährige am Pult beim Herbert-Grönemeyer-Konzert (Bild: Carsten Klick)

Übersicht: 

„Feuertaufe“ 1971 bei den Temptations

Digital-Umstieg bei David Gilmour

Multieffekt-Outboard für mehr Übersicht

Grönemeyer-Tour: SD7-Quantum plus Backup

„Gates sind nicht meine erste Option“

Gesangsmikrofon: DPA-Kapsel auf Sennheiser-Body

Mix mit Snapshots: nur Startpositionen

Kräftiger Sound ohne Subbass-Gewitter


„Feuertaufe“ 1971 bei den Temptations

Begonnen hat er 1971 im Alter von 21 Jahren in London, „bei der Firma, die Orange-Verstärker baute: Damals spielte ich als Bassist in einer Band, wir verwendeten damals Orange-Equipment. Orange-Eigentümer Cliff Cooper, mit dem ich heute noch befreundet bin, ebenso wie mit den anderen Orange-Jungs, meinte, er wolle eine PA zusammenstellen, um die Beschallung für amerikanische Künstler in Europa zu übernehmen. Amerikanische Musiker sollten nach Deutschland eingeflogen werden, um dort auf Air-Force-Bases zu spielen. Cliff meinte, ‚du hast doch ein paar Wochen frei, oder? Hast du Lust, den Sound zu machen?‘ ich hatte damals nicht wirklich viel zu tun und fragte, um welche Band es sich handelte. Es waren die Temptations, zu der Zeit die größte Motown-Band. Danach ging es immer weiter – mit den Four Tops, Wilson Pickett, Richie Havens, The Supremes“, resümiert er seine FOH-Anfänge.

„Ich dachte damals immer, dass ich irgendwann zu meiner Rolle als Bassist zurückkehren würde – das ist nie passiert! Du kommst von einem zum nächsten. Damals existierten noch keine wirklichen PA-Firmen.“ Später hat er in Japan für den Sänger Himuro gearbeitet. „Einer der Leute, die sich um die FOH-Anlage kümmerten, fragte mich, ob ich Lust hätte, eine Q&A-Runde mit seinen Studenten zu machen – ‚Klar!‘. Als er meinen Namen publik machte, müssen mich seine Studenten gegoogelt haben. Am Ende waren statt der angekündigten acht, neun Studenten plötzlich 60 Leute da! Sie fragten mich, wer meine Vorbilder waren, als ich als FOH anfing. Zu der Zeit gab es niemanden – ich war auf mich allein gestellt!“
Norfield erinnert sich daran, wie er selbst sozialisiert wurde: „Ich habe die Beatles in London gesehen, als ich 14, 15 Jahre alt war, in London im Hammersmith Odeon, was heute Hammersmith Apollo heißt. Die hatten damals nur Shure-Säulen, als Gesangs-PA – das war’s. Natürlich konnte niemand auch nur ein Wort hören.“ Auch wenn im folgenden Jahrzehnt die Anlagen wuchsen und etwas komplexer wurden – der Sound entstand nach Möglichkeit vor dem Pult. „Bei den Temptations hatte ich lediglich ihre fünf Gesangsmikrofone, die direkt ins FOH-Pult liefen – damals existierten keine Multicores oder Snakes für den FOH-Arbeitsplatz.“ Seinerzeit bestand der Mix „hauptsächlich aus EQing und Fader-Riding“, erinnert er sich. Einen guten Mix erzielte er unter anderem dadurch, dass der Gesamtpegel seinerzeit deutlich leiser gewesen sei, da nur kleine PA-Systeme vorhanden waren.

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Digital-Umstieg bei David Gilmour

Ein paar Jahrzehnte später: Den Wechsel von analogen zur digitalen Technik habe er „mit großen Schwierigkeiten“ gemeistert, so Norfield. „Ich war bei den Proben für David Gilmours ‚On an Island‘-Tour [2006], Ich hatte ein Midas H300-Pult. Davids Produktion ist ‚old-school‘: Kein In-Ear-Monitoring, keine Gitarrensender, nur Kabel. Da schien das Midas-Pult passend. Wir probten eine Woche lang, dabei kamen allerdings immer mehr Signale hinzu – am Ende war das Pult an der Grenze. David wollte schließlich noch den Pink-Floyd-Song ‚Time‘ spielen, mit Roto-Toms und Percussion. Dann stieg ich auf ein Digico-Digital-Board um. Das Exemplar war gerade von Oasis zurückgekommen, unter anderem war Bier reingelaufen. Jeden Tag kamen die Digico-Jungs vorbei und brachten mir Austauschteile – einen neuen Bildschirm, neue Fader-Panele. Am Ende war es praktisch ein neues Pult! Ich hatte nicht die Zeit, um die Noise Gates und Kompressoren im Pult zu programmieren, also hatte ich zwei Racks voll Equipment dabei, die wir überallhin mitschleppten – auch in die Staaten!“, lacht er.

Mittlerweile verzichtet er auf die externen Kompressoren und Gates. „Auf der letzten Tour, ‚Rattle That Lock‘ [2016], nutzte ich die SD7-Konsole. Wir hatten genügend Proben – das war vorteilhaft! Ich hatte einen eigenen Raum mit Lautsprechern, und konnte alles programmieren. Dadurch war ich für den Gig recht gut gewappnet.“ Die größte Veränderung war die Möglichkeit, Snapshots zu verwenden. „Ich habe auch – was ich heute immer noch mache – die Subs über einen Aux-Weg angesteuert. So hatte ich mehr Flexibilität, um das Low-End bei ‚größeren‘ Songs zu optimieren.“

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Multieffekt-Outboard für mehr Übersicht

Um das Fehler-Risiko zu minimieren, setzte er auch nach dem „Absetzen“ der externen Kompressoren bei Gilmour mitunter noch auf Outboard-Multieffekte: „Ich bin kein großer ‚Effekt-Mann‘ – das war ich nie. Bei David Gilmour hatte ich zuletzt trotzdem ein Outboard-Rack mit vier Yamaha SPX990-Multieffekt-Geräten. Du kannst in jedem vier Programme gleichzeitig laufen lassen – zum Beispiel einen Symphonic-Hall, Akustikgitarren-Hallsound, eine Pitch-Modulation auf dem Saxofon … Das ginge auf dem DiGiCo-Board auch, aber mit den Yamaha-Effekten bin ich flexibler. Ich habe also 16 mögliche Effekte verfügbar, die alle per MIDI steuerbar sind und mit umschalten.“ Weshalb hat er trotz eher überschaubarem Effekt-Einsatz bei Gilmour immer noch auf Outboard gesetzt?

„Ich habe diese Angst bei digitalen Boards, aufgrund der vielen tiefer liegenden Layer: Falls irgendwas Tiefgreifendes im Pult schiefläuft, brauchst du lange, um die Ursache zu finden. Wenn einer der Outboard-Effekte ein Problem hat, schalte ich es schlicht aus – sehr einfach.“ Beim digitalen Board, wenn man alles dort nutze, brauche es nur einen falschen Parameter, stimmt er zu. „Du gräbst dir selbst ein riesiges Loch, während du eigentlich meinst, dass du dich absicherst, weil du alles auf dem Pult hast – ‚schau, wie clever ich bin!‘ Wenn dann was schiefgeht … “

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Grönemeyer-Tour: SD7-Quantum plus Backup

Beim Thema Fehlerquelle Pult: Auch bei der Herbert-Grönemeyer-Tour zum „Das ist los“-Album verwendet er eine Digico, die Weiterentwicklung SD7 Quantum. Er nutzt 96 kHz als Sample-Rate. „Ein großartiges Pult! Wir haben inzwischen ein Ersatzpult dabei, nachdem unser recht neues Exemplar vor zwei Wochen in Wien ein Problem hatte: Die rechte Seite des Pultes entschied sich während des Konzerts plötzlich, nicht mehr zu funktionieren. Ich musste alles auf der linken Seite abwickeln – was eine kleine Herausforderung war. Aber das gefiel mir, dadurch bleibe ich am Ball. Ich gerate nicht in Panik, sondern mache einfach weiter.“ Er lebe vom Adrenalin bei der Show, so Norfield. „Wenn etwas falsch läuft, musst du einfach etwas mehr nachdenken.“ Auf der rechten Seite sei ohnehin praktisch nur der Vocal-Fader gelegen. „Die Seite ist eingefroren. Ich begab mich in die Tiefe der Layer auf der linken Seite, um den Gesang dort zu finden. Mittlerweile haben wir einen zusätzlichen Layer unterhalb des Pults angebracht, auf dem der Gesang ebenfalls liegt, nur für den Fall. Die Digico-Techniker kamen und haben das Board gefixt. Bei einem Gig im Freien hatten wir beide Pulte an, das Ersatzpult lief nur für einen ‚Soak Test‘ mit, wie wir es nannten: Jegliche Probleme, die unter regnerischen Bedingungen auftreten würden, könnten wir dabei aufspüren und testen. Gerade bei Open-Air-Gigs kann das recht herausfordernd sein. Es passierte nichts.“

Zwar gehe in der Regel nicht viel schief, aber: „Lass uns ehrlich sein – es ist Elektronik. Alles kann passieren. Wir müssen immer die Daumen drücken. Wie heißt es so schön: Wenn irgendwas schiefläuft mit dem Sound, bekommt das jeder mit. Es ist ein Show-Stopper.“

Bei Herbert Grönemeyer setzt er auf die internen Effekte im Pult, weil der Einsatz bei der Produktion überschaubar bleibt. „Ein paar Delays hier und dort“, resümiert Norfield. Beim Song „Alkohol“ ist später beim Konzert auf dem Saxofon ein Chorus zu hören, auch auf Grönemeyers E-Piano-Sounds ist gelegentlich Chorus wahrnehmbar.

Herbert Grönemeyer Das ist los
Ein paar Delays hier und dort: Bei Herbert Grönemeyer setzt Norfield auf die internen Effekte im Pult, weil der Einsatz bei der Produktion überschaubar bleibe (Bild: Carsten Klick)

„Ich habe Engineers gesehen, die mehr Zeit damit verbringen, an den Effekten herumzudrehen, statt die Show zu mischen.“ Das nehme die Konzentration vom tatsächlichen Konzert weg. „Ich bin recht altmodisch, was das angeht. Junge Engineers haben sicherlich die neuesten Tools mit dabei. Ich nutze beispielsweise keine Waves-Plugins. Um ehrlich zu sein: Ich habe mich nie reingarbeitet. Was mich angeht, gibt es Grundlagen, wie ein Mix funktioniert. Neulich fragte mich jemand, ob ich den Ausgangs-Bus zur PA komprimiere – nein, wozu? Weil es bessere Kontrolle im Bassbereich ermögliche, meinte derjenige. Wenn ich einen ‚groß´ klingenden Song habe, dann möchte ich, dass er auch so wirkt – und nicht elektronisch zurückgeregelt wird.“

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„Gates sind nicht meine erste Option“

Die Dynamikbearbeitung bei der Herbert-Grönemeyer-Show sieht generell zurückhaltend aus, erklärt der Mischer. „Ein paar Gates hier und da, aber auch hier gilt: Ich mag es grundsätzlich, wenn die Signale frei agieren können. Wenn es einen Grund für einen Gate auf einer Bassdrum gibt, dann gerne … Ich war neun Jahre lang FOH bei Toto und habe Simon Phillips mal gefragt, ob eine Chance besteht, ein Gate auf seine Bassdrum zu legen. Er hatte zuvor noch nie jemanden ein Gate auf die Drums anwenden lassen und fragte, warum ich das möchte. Daraufhin erklärte ich: ‚Das Pedal deiner linken Bassdrum ist an dein HiHat-Pedal gekoppelt. Wenn du die HiHat spielst, wird von der Bassdrum ein leichter Impuls übertragen, der auf dem Mikrofon ankommt.‘ Er dachte darüber nach und meinte, ‚okay, dann verwende das Gate‘. Am Ende hatte ich ein paar sehr zurückhaltende Gates auf den Toms. Nicht viel, du könntest praktisch einen Stift auf das Fell fallen lassen und sie würde aufgehen. Der Grund: Sein Drum-Tech wechselte jeden Tag die Felle. Manchmal verbrachte er 15 Minuten pro Trommel damit, das ‚Ringing‘ herauszustimmen. Im jeweiligen Raum war das bei bestimmten Resonanzen nicht immer machbar. Daher kamen wir darauf, ein leichtes Gate zu verwenden, um das ‚Ringing‘ abzumildern. Beim nächsten Konzert haben wir das Ergebnis wieder neu bewertet. 99 Prozent der Zeit habe ich die Gates nicht mal verwendet, aber hin und wieder, wenn mir das Problem auffiel. Gates sind nicht meine erste Option.“ Auch Kompression setzt er reduziert ein.

Herbert Grönemeyer Das ist los
Zwischen leise und laut Beim Konzert kommen laute Rock-Nummern ebenso zum Tragen wie Balladen von Grönemeyer am E-Piano vorne auf der B-Stage gespielt. Norfield setzt Kompression zurückhaltend ein, um die Dynamik der Band zu erhalten (Bild: Carsten Klick)

„Es ist witzig – viele Leute meinten in der Vergangenheit, ‚ah, du hast die Dynamik so und so gestaltet.‘ Ich entgegnete dann, ‚nein, ich habe die Dynamik nicht gemacht. Die Band macht die Dynamik – ich mische sie nur. Wenn die Energie, die Drums nicht ‚hart‘ ankommen, kann ich sie nicht hart klingen lassen. Ich kann helfen, aber es muss zuerst von der Band kommen. Du kannst keine Ballade in einen Rock-Song verwandeln. Herbert hat ein paar Songs, die sich um seine verstorbene Frau drehen – es wäre dämlich von mir, die in große Rock-Nummern aufzublasen. Darum geht es nicht.“

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Gesangsmikrofon: DPA-Kapsel auf Sennheiser-Body

Für Herbert Grönemeyers Gesang kommt eine DPA d:facto-Kondensator-Kapsel auf einem Sennheiser-Body zum Einsatz. Ursprünglich wurde eine andere Kapseln ausprobiert. „Bei den Proben meinte Herbert, dass zu viele Anteile der Band im Gesangsmikrofon einstreuten. Daraufhin bot unser Monitormann die DPA-Kapsel mit Hypernieren-Charakteristik an – das gefiel ihm. Im Laufe der Tour hat Sennheiser ihm ebenfalls Hypernieren-Kapseln geschickt, aber wir haben keine Möglichkeit mehr, sie einzubauen, wo sich die Tour ihrem Ende nähert – weil wir nicht jeden Tag Soundchecks machen und ich Herbert keine unnötige Änderung zumuten möchte.“

„Ich mag es nicht, herumzuspielen, wenn er sich wohlfühlt, damit glücklich ist und eine gute Zeit hat. Wir haben drei Viertel der Tour durch – warum jetzt etwas anderes ausprobieren? Du kannst nicht ‚politisch‘ agieren, was Hersteller betrifft. Bei den nächsten Tour-Proben können wir die anderen Kapseln allerdings ausprobieren.“

Wie nimmt Colin Norfield, der selbst nicht Deutsch spricht, wie er sagt, das Thema Sprachverständlichkeit beim Gesang wahr? Das sei kein Problem, versichert der FOH. „Ich verstehe kein Deutsch, aber das macht keinen Unterschied, weil mir der Fakt bewusst ist, dass das Publikum kommt, um Herberts Texte zu hören. Ich muss sicherstellen, dass die Leute ihn hören und verstehen können. Ich mache auch Zucchero, seit 15 Jahren – dort ist es dieselbe Herangehensweise!“, erklärt der FOH-Mann in Bezug auf den italienischen Popmusiker. „Es geht auch darum, die richtige Mischung für den jeweiligen Song hinzubekommen – bei manchen der großen Nummern muss der Gesang immer noch so laut, dass man ihn noch verstehen kann – das ist meine Priorität.“ Während des Konzerts fällt am Abend das Mikrofon aus und wird gegen ein Ersatzexemplar getauscht. Es sei „für jedes Mikrofon eine Folter mit mir“, konstatiert Grönemeyer dazu gegenüber dem Publikum. „Außerdem klingt das zweite immer schöner als das erste“, fügt der Musiker augenzwinkernd hinzu.

Welche Mikrofone aktuell beispielsweise in den Drums bei Grönemeyer-Drummer Armin Rühl zum Einsatz kommen, vermag Colin Norfield nicht zu sagen. „Die Backline-Leute tauschen sie gelegentlich aus, nicht während der Tour. Wenn es bei den Proben schlecht klingt, hake ich nach. Wenn es großartig klingt, ist es mir egal, welches Mikrofon es ist. Ich sage nicht, dass mir alles gleichgültig ist“, schmunzelt er. „Aber was einzelne Elemente angeht, gilt für mich: ‚If it ain’t broke, don’t fix it‘.

Er sei nicht versessen darauf, alles Spezifikationen auf der Bühne zu kennen und zu kontrollieren. „Wenn die Jungs, die am Monitor und auf der Bühne arbeiten, Mikrofone haben, die sie gut kennen, und die sich bewährt haben, und sie für mich arbeiten, dann passt das für mich! Wenn ich plötzlich darum kämpfen muss, einen guten Bassdrum-Sound zu bekommen, werde ich das Problem hinterfragen und nachschauen.“ Er sei allgemein nicht „politisch“ im Sinne einzelner Firmen veranlagt: „Ich wurde nie nur mit einer Marke ausgestattet. Manche Leute sagen, ‚ich verwende nur Shure!‘. Das ist Schwachsinn. Die führenden Mikrofonhersteller haben alle entsprechenden Eigenschaften und Charakteristika – manche sind besser für bestimmte Einsatzgebiete geeignet als andere. Bei der letzten David-Gilmour-Tour habe ich beispielsweise AKG D7 als Gesangsmikrofone benutzt – sie klangen großartig. Ich habe auch ein paar tolle C414 von AKG bekommen, als Overheads. In Österreich haben AKG-Leute bekanntlich die Firma Austrian Audio gegründet. Seitdem verwende ich beispielsweise gerne deren 818 als Overheads, weil die Modelle wunderbar klingen.“

Generell seien Endorsements für Musiker, die aus finanziellen Gründen darauf angewiesen sind, ein Problem, resümiert er. „Stell Dir vor: Du gehst auf Tour, und bist gezwungen, etwas zu verwenden, weil du es bekommen hast … Das ist für mich eins der schlimmsten Dinge, wenn ein Musiker sagt: Oh, das habe ich bekommen, es ist fantastisch.“ Das sei die falsche Herangehensweise, auf Equipment zu schauen. „Du musst dich wohlfühlen mit dem, was du benutzt. Wenn du glücklich bist, dann bist du selbstbewusster und überzeugender. Bist du unglücklich mit dem Sound, bist du nicht mehr selbstsicher in dem, was du tust. Du suchst immer nach dem fehlenden Erfolgserlebnis.“

Wo große Produktionen wie Pink Floyd oder Herbert Grönemeyer den Rotstift ansetzen? „Was Herbert, Pink Floyd, das David-Gilmour-Camp oder – soweit ich weiß – das Roger-Waters-Camp angeht: Wenn es mehr Geld kostet – solange es großartig aussieht oder klingt, ist es das wert. Das ist auf jeden Fall beim Gilmour-Camp der Fall. Dort schien es kein Thema, wenn zusätzliches Licht mit dabei sein soll, aus welchen Gründen auch immer.“ Ebenso herrschte großes Vertrauen in das Urteil der Gewerke, erinnert er sich. „Ich habe David nie dazu gebracht, bei den Proben in meinen kleinen Raum zu kommen, mit meinen Lautsprechern, wo ich das Pult programmierte. Ich meinte: ‚David, willst du nicht mal reinkommen und hören?‘ – ‚Nein, nein – du machst das schon. Du leistest großartige Arbeit – das passt! Das ist dein Job.‘ Ich vermute, falls es furchtbar klingt, oder seine Frau gesagt hätte, dass es nicht wirklich gut klingt, hätte er mich zum Gespräch gebeten.“

Ein Gegenbeispiel: Bei Prince hieß es früher, dass er beim Soundcheck selbst am Pult stand, Mikromanagement betrieb – und den FOH-Mann beim Gig nur den Gesamtpegel regeln ließ. „Ich wurde fünfmal gefragt, Prince zu mischen“, wirft Norfield auf die Anmerkung ein. „So könnte ich nicht arbeiten – das habe ich abgelehnt. Manche Kollegen meinten, das sehe doch großartig im Lebenslauf aus! Nein danke, ich wollte nicht von Prince gefeuert werden. Ich bin nicht mehr in der Industrie, um jemandem zu gefallen. Herbert und David sind große Namen. Das soll nicht respektlos klingen, aber ich sage zu den Leuten: Ich will den Mix nicht für dich gut machen, sondern ich will ein gutes Ergebnis für mich erzielen – weil ich Mixing genieße! Es soll für mich ‚richtig‘ klingen, sodass ich den Abend genieße. Der Fakt, dass ein großer Name hinter der Tour steht, macht für mich keinen Unterschied.“ Norfield wird für sein Klangverständnis angefragt.

„Direkt vor dem Lockdown habe ich die Tribute-Show von Mick Fleetwood für Peter Green gemacht, im Londoner Palladium. Wir hatten zehn Probetage – Pete Townsend, David Gilmour, Noel Gallagher, Billy Gibbons und Kirk Hammett waren da. Steven Tyler hat gesungen, [Ringo Starrs Sohn] Zak Starkey war am zweiten Schlagzeug, dazu John Mayall und Neil Finn. Es war ein großes Event!“, erinnert er sich. „Die gesamte Show bestand darin, dass Leute auf die Bühne kamen und ein, zwei Songs spielten. Die Produktionsfirma Britannia Row hat mich angefragt – die wussten, dass ich das übernehmen könnte. Generell sage ich gerne: ‚Ich komme nicht, um am Ergebnis herumzupfuschen‘ – sondern um eine gute Show zu liefern.“

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Mix mit Snapshots: nur Startpositionen

An seinem Digico-Pult liegen 72 Input-Signale an. Im Mix verwendet er Snapshots. „Jeder sagt zu mir: ‚Dein Job ist einfach, du hast Snapshots!‘ Sie geben mir allerdings lediglich eine Fader-Startposition für jeden Song vor. Danach mische ich das Ergebnis wie eine normale Show. Ich verwende das Pult, soweit ich kann, wie ein analoges Pult: Wenn ich einen EQ für etwas setze, lasse ich ihn stehen, und belasse die Gain-Struktur für die gesamte Show entsprechend., da ich nicht daran rumfummeln möchte. Klar, du kannst alles programmieren, sodass Gains und EQ verändert werden – das wäre für mich allerdings eher sinnvoll, wenn ich ein Theaterstück oder Musical betreuen würde und immer im gleichen Gebäude wäre. Dann kann ich verstehen, warum EQ-Einstellungen für bestimmte Songs funktionieren können oder nicht.“

„Wenn du jeden Tag in einer anderen Venue stehst, wird es kaum helfen, für einzelne Songs unterschiedliche EQ-Einstellungen abzuspeichern. Die Location, bei der du das machst, reagierst vielleicht sehr passend darauf, aber in der nächsten Venue mit komplett anderer Akustik bringst du dich in Schwierigkeiten. Du fängst an, dem Problem hinterherzurennen, und beherrschst die Lage nicht mehr. Je mehr Herausforderungen bestehen, desto schwieriger wird es – weil du anfängst, an allem rumzufummeln. Wenn die Bassdrum in einem Song gut klingt, wird sie in allen Songs gut klingen. Wenn ich anfangen muss, den EQ für verschiedene Songs anzupassen, ‚oh, für den Song ist es zu viel!‘, dann ändere hilft es eher, das Signal auf der Bühne zu ändern.“

„Live brauchst du so viel Stabilität wie möglich. Du bist kein Straßenmusiker, der mit Playbacks versucht, jeden Song exakt wie das Original klingen zu lassen. Das sage ich auch jeweils den Produzenten: ‚Ich habe drei Minuten, um die Information, die ich zu einem Song habe, einzubringen! Ich kann danach nicht zurück auf Anfang gehen und sagen, ‚lasst uns das nochmal spielen, und ich ändere etwas.‘ Ich verändere Elemente die ganze Zeit, während mein Gehirn entwirrt, was als nächstes kommt. Dann kommt der nächste Song. Live-Mixing ist nicht ‚straight-forward‘ – ich mag die Veränderungen: Unterschiedliche Venues, vielleicht auch mal ein Raum, der nicht so toll klingt … Wenn die Leute sagen, ‚es klang richtig gut für den Raum‘, passt das für mich! Sagt niemand etwas, bin ich auch glücklich – die Leute sind immer schnell dabei, den Sound abzukanzeln.“

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Kräftiger Sound ohne Subbass-Gewitter

Die Hanns-Martin-Schleyerhalle ist mit 13.500 Zuschauern am Abend ausverkauft. „Meine Lieder sind ja nicht zum Mitsingen geeignet, mehr zum Mitdenken, hauptsächlich“, lässt Grönemeyer im Laufe des Konzerts verlauten – was natürlich nicht ganz ernst gemeint ist. Generell präsentiert sich der 67-Jährige in Spiellaune. Klanglich gehört die Halle mit ihrem Metalldach eher zur „undankbareren“ Kategorie. Dabei bleibt der Mix wie angekündigt dynamisch. Bei leisen Balladen am E-Piano ist beim Konzert transparenterer Sound eher möglich als bei lauten Rock-Nummern.

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13.500 Zuschauende in der ausverkaufte Hanns-Martin-Schleyer-Halle; die Akustik erweist sich gerade bei den lauten Songs als Herausforderung, die Klassiker zündeten beim Publikum trotzdem (Bild: Carsten Klick)

Dabei lädt sich im Gesang – je nach Position in der Halle – leichter Tiefmittenmulm auf, dazu entsteht Hochmitten-Energie um 4 kHz. Auch bei lauten Nummern verzichtet die Produktion auf übermäßigen „Sub-Alarm“. Eine Ausnahme: Beim Schluss von „Mensch“ – ein Höhepunkt im Set – findet ein kurzes „Subbass-Gewitter“ statt, um die Musik zu untermalen. Auch in der herausfordernden Location hat Grönemeyer durch eine abwechslungsreiche Set-List und einen ausgeprägten Dynamikbogen das Publikum erwartungsgemäß gut unterhalten.

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