Tontechnik beim Jazzopen-Festival Stuttgart: Dienstleistung von Jazz bis Kraftwerk
von Nicolay Ketterer, Artikel aus dem Archiv vom
Die Hauptbühne am Neuen Schloss wird von Mauerfassaden umrahmt, der Bühne steht eine große Tribüne gegenüber – eine denkbar knifflige Grundlage des Jazzopen 2018, was Akustik und Logistik in Stuttgart angeht und eine Herausforderung für die Tontechnik. Sounddesigner Bodo Bergmann setzt auf eine gleichmäßige Beschallung des breiten, flachen Platzes, sowie Absorberflächen, um störende Reflexionen zu minimieren. Eine weitere Bühne steht im Innenhof des Alten Schlosses, der von hohen Mauern umgeben ist. Balkone auf mehreren Ebenen wollen ebenfalls sinnvoll beschallt werden. Über das Festival, die technische Umsetzung und einen spektakulären Überraschungsauftritt bei Kraftwerk, der es in sich hatte.
(Bild: Reiner Pfisterer)
Über den leeren Schlossplatz in Stuttgart hallen Tom-Kaskaden beim Schlagzeug-Soundcheck von Singer-Songwriter Jamie Cullum. Das zehntägige Festival „Jazzopen“ läuft bereits seit einer Woche. Die Veranstaltung jährt sich zum 25. Mal, 2018 treten unter anderem auch Kraftwerk, Lenny Kravitz, Jamiroquai, Gregory Porter, Stanley Clarke, Joss Stone, Pat Metheny, Die Fantastischen Vier, Till Brönner und Marcus Miller auf – mit Vorgruppen insgesamt 60 Bands. „Das Open in Jazzopen steht auch für stilistische Offenheit“, erklärt Produktionsleiter Matthias Kreiner, der das Festival seit zehn Jahren mit seiner Firma Werkplan betreut. „Man findet nicht viele Jazzer, die 7.000 Leute bespielen können.“ Es solle kein reines Nischen-Festival sein. „Wir integrieren oft Projekte, die hier einmalig stattfinden – letztes Jahr trat z. B. ein Stuttgarter Orchester zusammen mit Quincy Jones als ‚Quincy Jones and Friends‘ auf.“
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Das 1994 gestartete Festival ist über die Jahre gewachsen, 2018 kamen rund 45.000 Besucher. Seit 2012 befindet sich die Hauptbühne am Neuen Schloss, weil das in der Stuttgarter Innenstadt der schönste Platz sei, und das Festival der Stadt auch Prestige bringe, erklärt Matthias Kreiner. Zu den sieben Bühnen zählen auch der nahegelegene Innenhof des Alten Schlosses, das Eventcenter SpardaWelt, der Bix Jazzclub, die Domkirche, das Stadtpalais und die Scala im benachbarten Ludwigsburg. „Irgendwann habe ich angefangen, mir eine riesige Excel-Übersicht über die großen Bühnen zu basteln: Wer spielt wann wo, und muss ich einen Flügel bestellen? Am Ende war auch die Abstimmung mit dem Klavierstimmer eine Herausforderung, da er rechtzeitig von einem zum anderen Ort kommen muss!“ Neben den „normalen“ Bühnen sind auch noch kleine Promo-Bühnen vorhanden: Eine X-Klasse des heimischen Sponsors Mercedes steht auf einem Podest, „an dem Auto spielt jetzt um fünf eine Band“.Am Vortag fand ein Arte-Livestream statt, der SWR filmt eine Dokumentation des Festivals. Dazu wird am Folgetag bei Kraftwerk eine Live-Schaltung stattfinden, die es wirklich in sich hat. Genaueres erzählt Kreiner zu dem Zeitpunkt allerdings noch nicht – der Plan ist geheim.
Kapazitätsgrenze
Logistisch wie akustisch stellt die Hauptbühne eine Herausforderung dar: Eine überdachte Zuschauertribüne wird vom Schloss „eingerahmt“, in zwei Schlossgebäuden ist das Finanz- und Wirtschaftsministerium des Landes Baden-Württemberg untergebracht. Während des Festivals und des Auf- und Abbaus wird dort gearbeitet, was zusätzliche Hürden mit sich bringt. Seit 2012 ist das Festival von 4.000 auf über 7.000 Zuschauer gewachsen. „Am Anfang stand die Tribüne näher an der Bühne, da wir insgesamt kleiner waren“, erläutert Kreiner die Entwicklung. „Einerseits werden die optischen Anforderungen größer, andererseits auch die Bands, die der Promoter Jürgen Schlensog [Opus Festival Veranstaltungs- und Management GmbH, Anm. d. Red.] bucht. Damit steigen sowohl die Ansprüche der Zuschauer als auch die der Künstler. Inzwischen ist die Kapazitätsgrenze erreicht, um die Atmosphäre noch erhalten zu können. Vor zwei Jahren hatten wir Pink-Floyd-Gitarrist David Gilmour hier, mehr bekommen wir wirklich nicht unter.“ Bei Gilmour waren rund 7.000 Zuschauer vor Ort. „Die Stones oder U2 würden hier natürlich nicht reinpassen“, meint er schmunzelnd. „Würde ich die Tribüne weiter nach hinten schieben, wäre keine Feuerwehrdurchfahrt mehr vorhanden. Bei einer anderen Veranstaltung wurde die Tribüne raus auf den Platz gestellt – dann fehlt allerdings die ‚Fassung’, die Leute sitzen 60 Meter von der Bühne weg.“ Dahinter befindet sich ein Park, auf der sich Zaungäste „berieseln“ lassen, die Sicht ist durch die Tribüne versperrt. „Für das Publikum ist die Atmosphäre spannend, hier Jamiroquai oder Lenny Kravitz zu sehen.“
Wohin mit den Nightlinern?
Der enge Platz mitten in der Stadt sei ebenfalls herausfordernd. „Für die Tribüne benötigt Stageco 20 Sattelschlepper, Megaforce kommt mit 18 Sattelschleppern für die Bühne. Die Trailer müssen entsprechend getaktet sein. Hier können nur zwei bis vier LKW gleichzeitig entladen werden. Wir bekommen aufgrund des beengten Platzes nur einen Trailer an das Loading Dock. Da wir gleichzeitig den Backstage-Bereich mit Containern und Garderoben aufbauen, muss das Material praktisch direkt nach dem Abladen verschafft werden. Tribüne und Bühne brauchen einen Kran zum Aufbau, dadurch bauen wir temporär die Zufahrt zu. Wir haben zuerst die Tribüne aufgebaut, und danach die Bühne hinein geshiftet.“ Hinzu kommt die Logistik der Bands: „Bei Lenny Kravitz dürfte am meisten los sein, da kommen fünf Nightliner, dazu das Equipment mit vier Trucks. Hinter dem Schloss habe ich auf der anderen Seite gerade so fünf Nightliner-Parkplätze. Die Trucks fahren auf die Messe und parken dort.“ Manche Künstler wollen einen Tag früher kommen, erzählt er, „aber dort stehen bereits Nightliner“.
Der Schlossplatz steht zudem nur für begrenzte Zeiträume zur Verfügung: „In den Ministerien wird bis rund 16 Uhr gearbeitet, deswegen dürfen wir immer erst ab 15:30 Uhr mit dem Soundcheck beginnen. Das Finanzministerium hat noch einen Hintereingang, das Wirtschaftsministerium allerdings nur einen Eingang auf unserer Baustelle. Den Mitarbeitern haben wir einen Zugang aus Zäunen gebaut, sodass sie während des Aufbaus sicher am Haus entlang können, ohne in den Staplerverkehr reinlaufen zu müssen. Allerdings entsteht später das Problem, dass wir in dem Bereich unsere Follow-Tower aufbauen müssen. Dann wird der Weg wieder aufgelöst, und wir bauen einen Zugang, der die Mitarbeiter davor entlangführt.“ Die Planung und Abstimmung habe viel Aufwand erfordert. Im mittleren Schlossflügel steht zudem eine große Garderobe zur Verfügung: „Die bekommt der Stargast des Abends.“
»Die Logistik ist aufgrund des engen Platzes immer sehr schwierig – Stageco kommt mit 20, Megaforce mit weiteren 18 Sattelschleppern. Es können aber nur zwei bis vier LKW gleichzeitig entladen werden. Das ist planerisch eine echte Herausforderung. Und dann kommt Lenny Krawitz mit fünf Nightlinern und vier weiteren Equipment-Trucks … «
Matthias Kreiner | Produktionsleitung
Tribüne und die VIP-Zone: Hört doch mal zu
„Die Tribüne wurde über die Jahre von 2.000 auf 3.800 Sitzplätze vergrößert und von 20 Meter auf 30 Meter von der Bühne entfernt verschoben.“ Der gesamte Aufbau ist nun 65 Meter breit und 30 Meter hoch. „Die Dachlast stellt das Maximum dar – statisch können wir bei der Konstruktion nicht bis ganz vorne bauen.“ Daher werden die nicht überdachten Plätze anders bepreist. Unter dem Dach befindet sich hinter den Sitzreihen eine breite VIPStehfläche mit Getränkeausschank. „Wir haben den FOH mittig unten in der Tribüne integriert – das erforderte etwas größere Planung, um niemandem die Sicht zu nehmen. Normalerweise wären dort noch Sitzplätze.“ Ein herkömmlicher FOH auf dem Platz würde jedoch das Sichtfeld der Tribüne massiv einschränken. „Umgekehrt würde sich aber jeder Toningenieur beschweren, wenn er auf der Tribüne untergebracht wäre.“
Die unteren zwei Drittel der Tribüne werden mit der Main-PA beschallt. Sounddesigner Bodo Bergmann spricht die Problematik an, beim Soundcheck die leeren Ränge zu beschallen: „Die Tribüne hat leider harte Plastikflächen – im Gegensatz zum Theater, wo die Sitze hochgeklappt oftmals akustisch bearbeitet sind. Wir versuchen bei Soundchecks, einzelne ‚System-Zonen‘ – versorgt durch L-Acoustics Kara und 5XT, die über die gesamte Tribünenhöhe schaltbar sind – im Pegel zu reduzieren, um weniger störende Reflexionen anzuregen, damit es für die Künstler auf der Bühne nicht unangenehm zurückschallt. Am liebsten hätte ich eine SoundcheckWalze, die Absorberflächen vor die Stühle runterfährt“, meint er lachend. „Dann würde ich akustisch Hurra schreien, müsste allerdings privat für die entsprechende Finanzierung sorgen!“
Ein weiteres Thema ist die VIP-Zone: „Dort herrscht immer ein starkes Grundrauschen der vielen VIP-Gäste – es wird geredet, mit Gläsern angestoßen usw. Zur Problembehebung nutzen wir dazu die einzeln anfahrbaren Delay-Systeme, die verteilt im Tribünendach hängen, sowie mehrere hundert Quadratmeter an notwendigen Absorberflächen, um den Bereich ruhiger zu bekommen und den Leuten klar zu machen: ‚Achtung, hier findet neben eurem Smalltalk auch noch ein Konzert statt. Hört doch bitte auch mal zu!‘ Das ist ein wichtiger Aspekt und es funktioniert seit Jahren immer besser.“ Der noch leere Platz antwortet beim Soundcheck zwar mit Nachhall, aber „Flatterecho-arm“. Bergmann mache sich unglaublich viele Gedanken – „ich werde von ihm sehr oft nach Stoff gefragt, um auch kleine Bereiche mit harten Reflexionsflächen abzuhängen“, erklärt Kreiner.
Beschallung der Hauptbühne: Kampf den Reflexionen!
Bodo Bergmann deutet auf einen Container an der rechten Seite, auf dem eine kleine Pressetribüne untergebracht ist. „Wir haben die Frontseiten der Container mit 300-Gramm Molton abhängen lassen“, erklärt Bergmann.
„Befinden sich je nach Bestuhlungssituation nur wenige Leute in den äußersten Randbereichen, können über das geflogene Main-Outfill störende HF-Reflexionen entstehen, die zeitverzögert zur Tribüne reflektieren. Die haben wir dieses Jahr auch zum Großteil eliminieren können, werden aber an den letzten ‚Artefakten‘ für die kommenden Festivals arbeiten: Auf der Rückseite der Verfolger-Tower sind Werbe-Banner angebracht. Deren Stoffmaterial ist aus glattem, hartem Kunststoff – stattdessen möchten wir künftig ein Gewebematerial mit Absorberfläche nutzen, das zumindest deutlich weniger reflektiert. Das sind kleine Nuancen, macht aber in Summe relativ viel aus. Wenn alles gut besetzt ist – wir sind ausverkauft und haben damit später 7.300 zusätzliche ‚Absorber ‘ auf dem Gelände – ist das Ergebnis mittlerweile schon sehr homogen. Wichtig ist für uns weniger die absolute Leistung, dazu haben wir bisher genügend Headroom, sondern vor allem die homogene Schallverteilung über den gesamten Frequenzbereich und die gesamte Zuhörerbreite, gerade im Tieftonbereich. Bei Beschallungssituationen aus zwei Punkten können für die Zuschauer je nach Systemanordnung, Phasengang, Wind, Luftdruck, Luftfeuchtigkeit, sowie Temperatur – um nur die wichtigsten Parameter zu nennen – Überhöhung oder Auslöschung in bestimmten Frequenzbereichen entstehen. Daher präferiert mein Team beispielsweise im Tieftonbereich eine möglichst homogene Durchlaufbeschallung, statt nur ein Subbass-System als Links/Rechts-Anordnung: Wir nutzen aktuell elf Positionen mit je drei L-Acoustics-Subs KS28, die wir innerhalb einer gestellten Position leicht aufgesplayed haben, sodass sie in sich noch homogener wirken können. Wir haben auch die Abstände zueinander ausgemessen, damit über die gesamte Fläche möglichst keine ‚akustischen Löcher‘ entstehen. Wir haben ja auch Stehpublikum auf dem Platz. System-Engineer Michael Häck, der die Beschallung sehr akribisch messtechnisch mit mir seit mehreren Jahren betreut, misst das gesamte System haarklein ein, sodass es tonal und vom Phasengang homogen ist – das ist einer der wichtigsten Punkte für uns überhaupt. Letztendlich soll es überall gut klingen, egal wo der Zuhörer steht.“ Sein Kollege Matthias Kreiner ergänzt: „Bodo arbeitet eher so, dass er alle Systeme ‚sanft‘ anfahren kann, sodass eine ausgewogene Welle über den Platz entsteht, besonders im Tieftonbereich.“
Tontechnik: Kardioid oder lieber nicht?
Das kardioide System im Bass sei unter anderem dazu da, dass „die Leute auf der Bühne lautstärketechnisch nicht sterben, und auf dem Platz unter Umständen wenig Bass ankommt“, so Bodo Bergmann. „Wir folgen immer Empfehlungen und sind offen für Hinweise. Wir hatten es auch einmal nicht kardioid aufgestellt, weil die Impulstreue laut Aussage von L-Acoustics besser sei. Das Signal durchläuft dann keine sogenannten All-Pass-Filter. Trotzdem leben wir am Ende lieber mit dem geringen Verlust an Impulstreue im Tieftonbereich, als bei einem großen Orchester – wie bei Quincy Jones letztes Jahr mit 125 Mikrofonen, Line-Kanälen und vielen Kondensatormikrofonen – den Musikern auf der Bühne durch den rückwärtigen Schall im Subbereich das Leben schwer zu machen. Zudem fand ein Fernsehmitschnitt statt, die Mikrofonsignale hätten den Jungs im Ü-Wagen keinen Spaß gemacht. Wir hatten das System bei einer Rock-Nummer nach Empfehlung aufgebaut, und ich habe abends zusammen mit meinem Team entschieden, wieder auf eine kardioide Anordnung umzubauen, wie es unsererseits ursprünglich geplant war.“ Wenn er einen Wunsch frei hätte? „Ich würde mir wünschen, dass L-Acoustics ein System baut, das in sich bereits kardioid ist. Somit könnten wir die Anzahl der Systeme reduzieren, kleiner und optisch unauffälliger bauen und trotzdem mit ausreichendem Schalldruck nach vorne projizieren.“ Er spricht den erwähnten Umbau an, dass drei Subwoofer gebraucht werden, um die kardioide Richtcharakteristik herzustellen. „Das macht sich natürlich auch im Budget bemerkbar. Andernfalls würde auf dieser Bühne aber ein Großteil der Musiker sagen: ‚So kann ich nicht spielen!‘“
Jedes Jahr werden Einzelheiten im Setup optimiert: „Manchmal gestaltet sich das schwierig, aufgrund von Gewichtsrestriktionen. Wir sind immer am Koordinieren von Deckenlasten und Lichttraversen. Für nächstes Jahr steht das Thema Center-Bass an: Wir streben eine Center-Lösung oben im Bühnendach an, sodass wir den Bass als mögliche Mono-Centerquelle anfahren, was über den Platz verteilt noch homogener wahrnehmbar wäre. Dabei wollen wir die Leistung der kardioiden Subs, die sich links und rechts hinter den LineArrays befinden, in das Center packen. Das ist davon abhängig, ob wir den Bühnentyp um etwa 1,50 Meter angehoben bekommen. Wir müssten uns dazu natürlich auch an das geplante Lichtdesign anpassen und schauen, dass wir optisch und technisch nicht kollidieren. Wir prüfen gerade auch, ob die Bass-Systeme, die innerhalb der Main-Outfills geflogen sind, künftig weg gelassen werden können. Die klangliche Wärme könnten wir auch über eine gestellte Variante im unteren Bereich erzielen.“ Es sei immer ein bisschen wie Tetris spielen, lacht Bergmann.
System-Abstimmung
Für die Abstimmung der Subwoofer „hat Michael Häck das neue Outline Newton 16+8 [hier im ausführlichen PRODUCTION PARTNER-Test] vorgeschlagen, das sehr sauber arbeitet, wodurch er viel weniger Filterbearbeitung vornehmen muss. Zusätzlich haben wir die Aufstellung in einem leichten Arc vorgenommen, was wir vorher in der Soundvision-Software simuliert haben, da auch immer Zuhörer seitlich stehen. Über die elektronisch gekippte Arc-Anordnung kommen wir etwas besser und homogener in die Außenbereiche. Wir haben die KS28-Systeme, die hinter den K1-Sub/K2-Main-Systemen hängen, von vornherein etwas nach innen gezogen: Sie hängen nicht genau dahinter, sondern nach innen eingerückt, um die ‚Basskeule‘ schon mechanisch leicht nach außen zu lenken und einer zu großen Überhöhung in der Mitte vorzubeugen. Den Rest machen wir unter anderem vorne am FOH mit dem Outline Newton 18+8 LM. Die Künstler sind bis dato zufrieden – zumindest gibt es keine Beschwerden, dass sie auf der Bühne nicht arbeiten können, weil sie zu ‚boomy‘ oder insgesamt zu laut sei. Wir hören bei Anmerkungen innerhalb der unterschiedlichen Crews genau zu, sind für jede Kritik offen, prüfen Hinweise sofort. Letztendlich sehen wir unsere Aufgabe darin, Künstler und Publikum klanglich so gut es geht zufriedenzustellen – das Publikum soll mit dem Eindruck nach Hause gehen: das war ein cooles Konzert – und die Künstler oben mit dem Gedanken: Das war eine coole Crew, die haben sich um jegliche Problemlösung gekümmert. Letztendlich ist dann der Applaus des Publikums für den Künstler auch eine Wertschätzung für unsere Arbeit. Wir haben uns über die letzten Jahre ein großartiges Team aufbauen können, darunter auch die Jungs von Session Pro, die hervorragende Arbeit leisten – wie eine kleine Family. Ich bin mega-zufrieden, happy und hoffe, dass die Zusammenarbeit noch einige Jahre weitergeht“, meint er stolz.
Audio-Crew Jazzopen 2018
Sounddesign: Bodo Bergmann
FOH: Tobias Nievelstein
System Engineer: Michael Häck
System Tech: Bastian Wenzel
Problematischer Wechsel: Beschallung für Steh- und Sitzplätze
„Letztes Jahr hatten wir von den fünf Konzerttagen am Schloss drei Steh- und zwei Sitzplatztage, dieses Jahr allerdings nur Stehplätze“, erklärt Matthias Kreiner, das sei vom Programm abhängig. Der Aufbau der Subwoofer sei ein Kompromiss, um beide Situationen abdecken zu können. „Dadurch, dass wir die Subbässe für das Stehpublikum hochkant stellen mussten, wurde die Bühnenoberkante dieses Jahr auf 1,60 Meter erhöht“, ergänzt Bodo Bergmann. „Für Sitzpublikum müssten wir wahrscheinlich wieder runter. Auch für kardioide Anwendungen, die wir machen wollen, müssen wir uns etwas Neues einfallen lassen, denn der Platz fällt leicht ab. Wenn die Leute sitzen, können wir keine Bühnenrandsysteme drauflegen – gerade in der Mitte, wo ein Leadsänger steht, aber auch aufgrund der Richtlinien für die Fluchtwege. Man muss davor bauen, vielleicht sogar unter die Kante noch einbauen, etwas hochkippen – was auch ein Kompromiss ist, wenn die Situation auf Stehpublikum ausgerichtet werden muss. Du kannst nicht mal eben für einen Tag alles wieder auf die Bühne zurückbauen. Wir könnten höchstens überlegen, im nächsten Jahr die Bühnensituation zu doppeln – der Einbau bleibt als solcher bestehen, wird abgeschaltet, und wir legen zusätzlich drei Systeme für die Standpublikum-Situation oben drauf.“ Das sei dann allerdings wieder eine Frage des Budgets.
Wie praktikabel wäre Immersive Sound?
Über die letzten zehn Jahre seien die Ansprüche der Zuschauer gestiegen, auch durch die Qualität der Systeme, erklärt Kreiner und Bergmann ergänzt: „Video kam vor zwei Jahren dazu und auch ein Links/Rechts-Livebild. Klanglich wollen die Leute ihre CD live hören. Für uns gab es diesbezüglich auch Gespräche zum Thema Bühnenortung, so wie sie L-Acoustics mit dem L-ISA oder d&b über das aktuelle Soundscape anbieten.“ Aufwand und Akzeptanz seien allerdings problematisch: „Nicht jede Band und deren FOH-Leute akzeptiert die Anordnung der Mehrkanaligkeit. Mit dem FOHMann von Lenny Kravitz wäre das beispielsweise äußerst schwierig geworden. Der möchte am Ende schlicht seine gewohnte Leistung. Wir schaffen es auch aus finanziellen Gründen noch nicht, ein mehrkanaliges L-ISA- oder ein Soundscape-System am nächsten Tag auf Links/Rechts zurückzubauen. Wir hatten ein Gespräch mit Kraftwerk, die anregten, über Mehrkanaligkeit nachzudenken. Dabei stellten wir fest, dass uns mit Nachteinbau und den Soundcheck-Gegebenheiten auf dem Platz tagsüber gerade mal 45 Minuten bleiben würden, um unsere Arbeit und die der Gastmischer auf den Punkt zu bringen. Wenn pro Abend drei Kapellen spielen, von denen jede eine andere Vorstellung von Sound und System hat, ist das bisher nicht sinnvoll umsetzbar. Daher brauchen wir im Moment eine Lösung, mit der wir alle Künstler und das Publikum bezahlbar zufriedenstellen können.“ Auch Beam-Steering-Systeme kämen bislang nicht ohne einen entsprechenden „Live-Test“ auf dem Schlossplatz in Frage: „Auch hier gilt: Wenn wir es selbst gut fänden – hat diese Technologie denn auch die Akzeptanz der einzelnen Frontleute?“
»Wenn pro Abend drei Kapellen spielen, von denen jede eine andere Vorstellung von Sound und System hat, ist das bisher nicht sinnvoll umsetzbar. Daher brauchen wir im Moment eine Lösung, mit der wir alle Künstler und das Publikum bezahlbar zufriedenstellen können. «
Bodo Bergmann | Sounddesign
Bühne im Alten Schloss
Im Alten Schloss wird ein Innenhof mit hohen Mauern bespielt, in den 1.000 Zuschauer passen. Dort wird „reines“ Jazz-Programm geboten, in diesem Jahr waren Pat Metheny, Gregory Porter, Stanley Clarke und Till Brönner zu Gast. Die Beschallung „des langen Schlauchs“ mit elf bis 15 Meter hohem Mauerwerk gestaltet sich ebenfalls als schwierig. Um Reflexionen der harten Oberflächen zu minimieren, wurden die Balkone mit Moltonbahnen abgehängt. „Dieses Jahr haben wir Reflexionen von kleinen Glasscheiben gehört und gemessen: In der ersten Etage existieren Bullaugen, die wir künftig mit Stoff abhängen wollen. In der zweiten Etage ist es nicht mehr so kritisch, da verhält es sich wie beim Billardtisch – Einfallswinkel gleich Ausfallswinkel. Die erste Etage wird gerade beschallt, wenn die Systeme also nicht genau justiert sind, kommt das entsprechend zurück.“ Zur Eindämmung dieses Problems wurden einige Maßnahmen ergriffen: „Wir verwenden an jeder Balkonsäule kleine L-Acoustics 5XT. Dadurch schießen wir nicht nur von einem Punkt der Bühne über eine weite Distanz, sondern versorgen mehr über Delay- und dezentrale Systeme alle Ecken und Nischen. Gerade aus den Konzerten im Alten Schloss haben wir dieses Jahr erneut dazugelernt. Im Idealfall würden wir dort gerne ein individuelles System einsetzen, das nicht „designed ab Lager“ ist, sondern von der Elektroakustik, Bauphysik, Größe, Abstrahlverhalten und der Tonalität noch optimaler passt. Dort sollten wir künftig mit einem System arbeiten, das noch gebäudespezifischer passt und einen engeren Abstrahlbereich hat, um den Mischern über die Tiefe ein optimiertes Links-Rechts-Signal anbieten zu können.“ Er arbeitet in der Mitte mit einem Mono-Cluster, über die Strecke mit zwei Delays: „Wir hatten das Haupt-Center monofiziert, weil wir ansonsten mit den reinen Links/Rechts-100-Grad-Line-Arrays ständig gegen die sehr harten Seitenbereiche des Innenhofs beschallt hätten.“
Innenhof
Bild: Reiner Pfisterer
Herausforderung die Beschallung des schmalen Innenhofs mit hohem Mauerwerk
Bild: Reiner Pfisterer
Auch die Balkone wurden mit Moltonbahnen abgehängt
Kraftwerk-Gig mit 5 Sekunden Latenz ins All
Beim spektakulären Überraschungsauftritt im Kraftwerk-Konzert handelte es sich nicht um einen physisch anwesenden zusätzlichen Stargast, sondern eine Live-Schaltung ins All – zugeschaltet wurde der ISS-Astronaut Alexander Gerst, der gemeinsam mit Kraftwerk einen Song spielte. Die lange Geheimhaltung sei eine Bedingung der Europäischen Weltraumorganisation ESA gewesen, um Hackern nicht die Möglichkeit zu geben, die Verbindung stören zu können, hätten sie den genauen Zeitpunkt gekannt, so die Stuttgarter Zeitung. Demnach hatte der ISS-Astronaut, seines Zeichens großer Kraftwerk-Fan, selbst die Idee des Gastauftritts bei den Jazzopen. Dieser sei bereits lange vor seinem Abflug Anfang Juni organisiert worden – zu seinem Reisegepäck zählte also ein Tablet mit Software-Synthesizern, mit welchen er gemeinsam mit der Band den Kraftwerk-Song „Spacelab“ spielte. Während des Auftritts galt es, die Latenz der Live-Schaltung von fünf Sekunden zu berücksichtigen: „Die Kraftwerk-Produktion hat den ‚Deal‘ mit der ESA gemacht und die ersten Absprachen getroffen.“ Das SNG-Übertragungsfahrzeug (Satellite News Gathering) für das Live-Bild stammte von der Londoner „Hausfirma“ der NASA, World Wide Pictures. „Die bekamen einen speziellen Platz auf unserem Festivalgelände, um den Satelliten zu erreichen. Dazu haben wir die Leitungen nach Houston und zur ISS koordiniert“, erklärt Matthias Kreiner nach dem Auftritt. „Die Amerikaner benötigten analoge Telefonleitungen, die wir über die Telekom bestellt hatten – inzwischen wird ja im Netz möglichst alles mit VOIP gemacht. Eine Leitung diente dazu, mit Houston zu telefonieren, eine zweite lieferte den Originalton aus der ISS. Aufgrund verschiedener Termini war die Kommunikationsarbeit über die Landesgrenzen hinweg doch etwas aufwändiger“, resümiert er.
Kraftklub-Gig
Bild: Reiner Pfisterer
Höhepunkt Überraschende Live-Schaltung ins All zum ISS-Astronaut Alexander Gerst, der an seinem Tablet-Synthesizer einen Song gemeinsam mit Kraftwerk performte. Große Herausforderung: eine Latenz von 5 Sekunden musste ausgeglichen werden
Bild: Reiner Pfisterer
3D-Projektionen Während des Auftritts von Kraftwerk wurden den Zuschauern 3D-Projektionen zugespielt
Matthias Kreiner greift das von Bodo Bergmann erwähnte Thema der Problemlösung nochmal auf: „Wir versuchen es den Künstlern möglichst recht zu machen. Und wir bekamen auch entsprechendes Feedback: Stanley Clarkes Manager schrieb mir am Tag nach dem Festival, dass sie es super fanden und wir unserem Ruf gerecht geworden seien. Auch von Jamiroquai kam eine ähnlich begeisterte Rückmeldung.“ Das spreche sich herum, wenn Bands auf anderen Festivals aufeinandertreffen – den Jazzopen-Besucher dürfte es ähnlich gegangen sein.