Technologisch hat sich der ESC in den letzten 15 Jahren zu einer Hochleistungsschau der Medientechnik entwickelt – abgesehen von den oft belächelten obligatorischen Windmaschinen wurden bisher immer neue Superlative in Bezug auf Scheinwerferanzahl, der Größe von LED-Wänden, kinetischer Elemente und Pyroeffekte erreicht. Production-Partner-Redakteur Ebi Kothe traf in Lissabon Produktionsleiter Ola Melzig und Lichtdesigner Jerry Appelt während der Proben, um über die Umsetzung der Show 2018 zu sprechen.
Auch wenn der ESC als Eurovisionssendung grundsätzlich eine Produktion der EBU (European Broadcasting Union) ist, wird die jährliche Veranstaltung jeweils von der Sendeanstalt des Landes produziert, die den Vorjahresgewinner gestellt hat. Im Fall Portugals handelt es sich um die Rundfunkanstalt Rádio e Televisão de Portugal (RTP). Eine der vorrangigen Aufgaben besteht bei der Planung einer solchen Show darin, eine geeignete Location zu finden. Nur die Altice Arena in Lissabon, die für die Weltausstellung 1998 errichtet wurde und ein Fassungsvermögen von bis zu 20.000 Zuschauern bietet, blieb als einzige Halle in Portugal übrig, die auch die von der EBU aufgestellten Anforderungen erfüllte. Diese bestehen insbesondere in infrastrukturellen Voraussetzungen – ein Pressezentrum für mindestens 1.500 Journalisten, Anbindung an Flughafen und öffentlichen Personennahverkehr und ausreichend erreichbare Hotelkapazität.
Nach der offiziellen Festlegung der Location Ende Juli 2017 wurde Anfang November das Motto des ESC 2018 bekanntgegeben: „All Aboard“. Es bezieht sich auf die historische Bedeutung von Portugal als Seefahrernation mit aktuellem Brückenschlag zur Veranstaltung 2018, bei der Künstler und Fans zusammenkommen sollen. Wesentlich für alle weiteren technischen Planungsschritte ist neben Location und Motto natürlich die Bühne selbst. Nach Sichtung der Entwürfe von zehn unterschiedlichen Anbietern entschied man sich Anfang Dezember für den Entwurf des bekannten deutschen Bühnendesigners Florian Wieder, der auch schon die ESC-Bühnen in den Jahren 2011 (Düsseldorf), 2012 (Baku), 2015 (Wien) und 2017 (Kiew) entwarf. Wieders Konzept für Lissabon beinhaltete unter anderem eine angedeutete Armillarsphäre, ein nautisches Instrument, welches auch in Portugals Wappen enthalten ist, sowie einen rippenförmigen Bühnenhintergrund, der sowohl an Wellen als auch von der portugiesische Schiffsbautradition inspiriert an einen Schiffsrumpf erinnert. Der Greenroom, Aufenthaltsort der auftretenden Künstler vor und nach ihren Auftritten, wurde wie bereits in den letzten Jahren in den Publikumsbereich integriert. Ebenfalls Angang Dezember wurde bekannt, dass – inspiriert durch den medial extrem reduzierten Auftritt des Vorjahressiegers Salvador Sobral 2017 – bei der Show 2018 auf LED-Wände und Projektionen verzichtet werden soll um den Fokus vermehrt auf die Interpreten und deren Vortrag zu legen.
Vorbereitung und Durchführung in weniger als einem Jahr
Wie kann man es schaffen, eine Fernsehproduktion für etwa 200 Millionen Zuschauern mit 43 teilnehmenden Ländern zuzüglich Vorjahresgewinner und Intervall-Acts in weniger als einem Jahr zu planen und durchzuführen? Haben die teilnehmenden Länder möglicherweise schon Pläne in den Schubladen für den Fall, dass sie gewinnen? Ola Melzig, Head of Production beim ESC 2018, der seit 2000 bereits viele ESC-Produktionen begleitet hat, erzählt dazu: „Kommt drauf an welches Land es ist. Portugal hatte das nicht. Vor Beginn der Proben 2017 war Portugal auf Platz 14 oder 15 im Ranking der Wettbuchmacher und sie hatten das daher nicht vorhergesehen. Nach den ersten Proben stieg Portugal allerdings im Ranking. Italien war bis dahin durchgehend auf Platz 1, aber schon am Nachmittag des Finaltages wurden sie in den Vorhersagen durch Portugal überholt. Zuerst waren die Portugiesen geschockt“, erzählt Melzig lachend, „aber dann waren sie sehr effizient und proaktiv in der Vorbereitung. Mitte Juni 2017 war eine technische Abordnung der EBU zur Inspektion der Halle in Lissabon. Als ich zum ersten Mal in Lissabon war, hatte RTP bereits die Organisationspläne fertig und ich war als Head of Production eingetragen – dadurch erfuhr ich, dass ich den Job habe.“
Nun durch RTP mit der Produktionsleitung beauftragt, begannen Ola Melzig und Tobias Åberg mit der eigentlichen Planungsarbeit Mitte August. „Zuvor waren jedoch viele Gespräche nötig“, berichtet Ola Melzig weiter. „Man braucht eine Geschichte: was ist der ESC, was soll mit dem ESC erzählt werden – man braucht das, um daraus ein Setdesign zu entwickeln. Natürlich kann man auch einfach die Aufgabe stellen: wir brauchen eine Bühne für den ESC, aber wenn man das mit Schlüsselwörtern, Gefühlen und vielleicht auch Bildern und Farben untermauern kann, ist es für Setdesigner erheblich einfacher, passende Entwürfe zu erstellen. Es ist notwendig mit dem Bühnendesign zu beginnen und daher arbeiteten wir daran, eine frühe Entscheidungsfindung zu erreichen, weil alle weiteren technischen Planungen von der Bühne abhängig sind.
»Beim ESC 2018 sollte das Bühnenbild vor allem um LED-Wände und Projektionen verschlankt werden, um den Interpreten und seinen Vortrag wieder mehr in den Vordergrund zu stellen.«
Ola Melzig | Head of Production, ESC 2018
Wir sprachen dazu zwölf Setdesigner aus ganz Europa an und baten sie, ihre Entwürfe einzureichen. Ende September wurde entschieden und Florian Wieder gewann den Wettbewerb. Nachdem man sich auf das Designkonzept für die Bühne festgelegt hatte – und es ist erst mal ein Konzept – war es unsere Aufgabe, die einzelnen Komponenten der Zusammensetzung in enger Zusammenarbeit mit WiederDesign zu beschreiben um diese zu bauen.
Eine wichtige Entscheidung war es, auf eine große LED-Wand als gestalterisches Element zu verzichten. Anfangs gab es Behauptungen, wir hätten dies aus Kostengründen getan, aber das stimmt nicht. Der Etat, der üblicherweise für LED zur Verfügung steht, wurde in die anderen Gewerke investiert. Unter dem Strich haben wir allerdings Einsparungen verzeichnen können, da wir keinen zusätzlichen Videocontent produzieren mussten. Die Entscheidung gegen eine LED-Wand basierte viel mehr auf der Tatsache, dass Salvador Sobral nach seinem Sieg 2017 daran erinnerte, wieder den Künstler in den Mittelpunkt zu stellen. Das letzte Mal, dass wir den ESC ohne große LED-Wand gemacht haben, war 2010 in Norwegen. Daher sahen wir uns noch einmal die Bilder der damaligen Show an und wir stellten fest, wie sehr der Fokus auf den Künstlern blieb weil es keine Ablenkung durch die Effekte einer LED-Wand gab. Auch Florian Wieder, dessen erstes Konzept für 2018 noch die Nutzung von LED-Flächen enthielt, erkannte, dass die Bühne nach ein paar kleineren Änderungen auch ohne diese Flächen großartig aussieht.
Ein weiteres Teil des Bühnenkonzeptes sind senkrecht stehende Rippen, die an eine Welle oder einen Schiffrumpf erinnern. In der ursprünglichen Idee sollten diese Teile einzeln bewegbar sein, aber wir haben festgestellt, dass wir diese wichtigen Gestaltungselemente als permanenten Hintergrund benötigen um die Bildtiefe zu erhalten. Daher wurde die Beweglichkeit gestrichen und sie wurden als statische Elemente ausgeführt, was uns zusätzlich den Vorteil bietet, dass wir mit den Länderdelegationen nicht diskutieren mussten, wer welche Bewegung haben möchte. Die Vorderkanten der Rippen sind mit farbigen LED bestückt und erlauben Farbverläufe. Wenn man sich nun die Kamerabilder betrachtet, kann man sehen, welchen Kontrast und welche Tiefe man erreicht, was mit einer LED-Wand als Hintergrund nicht möglich gewesen wäre.
Als mit der Produktionsplanung begonnen wurde, lag allerdings kein 3D-CAD Modell der Halle vor. „Irgendwo sollte es wohl eins geben, aber wir hatten es nicht“, so Ola Melzig. „Also erstellten wir selbst ein virtuelles 3D-Modell, wofür die gesamte Halle mit Lasern vermessen wurde.“ Dabei erkannte das Planungsteam zum Glück frühzeitig, dass die ursprünglich geplanten Bühnenabmessungen nicht passen würden, woraufhin die Maße korrigiert wurden.
Eine weitere Problematik bestand in den Befestigungsmöglichkeiten für die Hängepunkte. Als die Halle mit einer hölzernen Dachkonstruktion gebaut wurde (Fertigstellung war im Jahr 1998), hatte man ein permanentes Mothergrid – eine Traversenkonstruktion, um verschiedene Hängepunkte zur Verfügung zu stellen – eingebaut. Da übliche Riggingmotoren damals eine Kettenlänge von 18 Metern hatten, wurde dieses Mothergrid dazu passend auf 20 Meter Höhe gehängt. „Das Problem war nun für uns, dass man die wunderschöne Dachkonstruktion der Halle so gar nicht mehr wahrnehmen konnte und wir uns auch bei unseren Einbauten hätten einschränken müssen. Daher haben wir uns gewünscht, dieses Mothergrid auf eine Höhe von 25 Meter zu versetzen. Dies war allerdings ein extrem großer Aufwand und wir haben über 100 Lastmesseinheiten dort oben eingebaut, um jederzeit genaue Informationen über die eingeleiteten Kräfte zu erhalten, die sich durch die kinetischen Bewegungen auch dauernd verändern. Schlussendlich haben wir mit etwa 700 Kettenzügen insgesamt 220 Tonnen Gewicht in die Halle gehängt.“
Parallel zur Entscheidung bezüglich der Bühne wurde im Herbst auch an der Festlegung für die Beauftragung des Lichtdesigns gearbeitet. Dabei ist die Entscheidung für einen Lichtdesigner nicht mit einem vorgelegten Lichtdesign oder einem ersten Entwurf verbunden, sondern es geht um die Person und sein Team, wobei bereits bestehende ESC-Erfahrung der Person sicherlich eine wichtige Rolle spielt. „Wir gaben RTP eine Liste von fünf Designern, die nach unserer Ansicht in Frage kamen, überließen aber RTP die Auswahlentscheidung und hielten uns auch absichtlich aus dem weiteren Prozess heraus. Es ist die Show der Portugiesen und es ist ihre Kreativität“, so Ola Melzig. RTP führte daraufhin Gespräche mit den Designern und entschied sich schließlich für Jerry Appelt, der bereits als Lichtdesigner für den ESC 2011 in Düsseldorf, 2012 in Baku und 2017 in Kiew tätig war.
Für die Showübertragung kamen 19 Kameras, unter anderem drei Kamerakräne mit 14, 16 und 21 Metern Länge, zwei Kameras auf Schienen und einige Steadycams, zum Einsatz. Von RTP wurde entschieden, dass die Show mit zwei portugiesischen Regisseuren gefahren werden sollte. Zusätzlich wurde ein Senior-Multicamera-Director mit bereits bestehenden ESC-Erfahrungen benötigt, weil die Show mit dem Schnittsystem CuePilot gefahren wurde und dieses System einiges an Erfahrung benötigt. Dabei werden alle Kameraschnitte framegenau programmiert und abgerufen. Die Wahl fiel auf Troel Lund, der bereits 2014 und 2017 für den ESC tätig war und der nun eng mit den portugiesischen Regisseuren Paula Macedo und Pedro Miguel zusammenarbeitete. Es war dem portugiesischen Ausrichter natürlich wichtig, möglichst viele Positionen aus dem eigenen Land zu besetzen – und das geht auch, wenn man genügend Zeit hat. Zum Glück begannen die Vorbereitungen hier sehr früh, sodass das gut funktionierte.
Bild: Andreas Putting
Fernsteuerbare Kamera
Bild: Thomas Hanses
Künstlerproben ohne Publikum um das Publikum für die Kameras zu simulieren, wurden lebensgroße Silhouetten im Publikumsbereich aufgestellt
Bild: Andreas Putting
Steadycam auf der Bühne
Dann wurden die Ausschreibungsdokumente für die einzelnen Gewerke wie Licht, Ton, Rigging, Generatoren, Pyrotechnik, Bühnenbau, Spezialkameras und was noch alles für die Show benötigt wurde, erstellt. Dabei wurden alle Gewerke nicht an einen Generaldienstleister sondern einzeln vergeben. So sollte die Produktion die Kontrolle über die einzelnen Bereiche behalten. „Ich schätze, dass etwa 87% dieser Produktion portugiesisch ist – und so sollte es ja auch sein. Bühnenbau, Pyrotechnik, die Soundcrew sowie alle Kameraleute bis auf die Bediener der Spezialkameras sind portugiesisch. Das Tonmaterial kommt aus Italien und mit dem Gewerk Licht und Rigging wurde eine Kooperation von Flashlight aus den Niederlanden mit dem portugiesischen Partner Pixellight beauftragt. Die Altice Arena, in der die Veranstaltung stattfindet, ist unser Partner und baute alle Delegationsbereiche, die Kommentatorenboxen und alle Zelte im Außenbereich.“
Die Logistik ist eine der größten Herausforderungen bei einem Eurovision Song Contest und fällt auch in den Aufgabenbereich des Head of Production: „Neben den auftretenden Künstlern gibt es Produktionsmitarbeiter, die Länderdelegationen, akkreditierte Fans der Teilnehmerländer, Kommentatoren, Presse, VIP und auch Hallenpersonal. Alle diese Leute müssen im Rahmen ihrer Tätigkeit jeweils auf dem Gelände von irgendwo nach irgendwo, um Dinge zu tun oder andere Menschen zu treffen. Allein die Zugangsregelung benötigt Monate der Vorplanung – wo steigt die Delegation aus dem Bus, wie kommt sie zu ihren Räumlichkeiten im Gelände, zu den Garderoben, in die Proberäume, zur Bühne, zum Viewing Room (in welchem die Delegationen sich den aufgezeichneten Auftritt jeweils nach den Proben ansehen können, um daran zu arbeiten), zum Green Room und zur Pressekonferenz. Insgesamt ergeben sich dadurch auf dem Gelände in Lissabon 220 verschiedene Bereiche, deren unterschiedliche Zugangsberechtigungen durch Pässe und Security-Personal geregelt werden müssen – eine massive Herausforderung! Dabei hilft es, wenn man etwas Erfahrung mit dem ESC hat. Auch die Anforderungen an Bürofläche und Ausstattung für die örtliche temporäre Verwaltung sind enorm, insbesondere an die IT-Technik. Allein an Glasfaser haben wir hier 20 Kilometer Strecke verlegt. Auch der Personalbedarf zur Produktionsdurchführung ist riesig. Zu Beginn der Proben arbeiten hier circa 1.800 Personen an dem Projekt vor Ort.“
»Logistisch gesehen ergibt das Gelände in Lissabon 220 Bereiche mit unterschiedlichen Zugangsberechtigungen, die durch Pässe und Security kontrolliert werden. Eine massive Herausforderung!«
Am 4. April 2018, also etwa vier Wochen vor Sendung, begannen die ersten Aufbauten in der Halle, um für den Beginn der technischen Proben am 23. April funktionsbereit zu sein. Nach vier Tagen Stellproben ohne Künstler begannen dann ab dem 29. April die einzelnen Künstlerproben. Dabei stehen jedem Teilnehmerland Probenzeitfenster von 30 Minuten für die erste und 20 Minuten für die zweite Probe zu, die nach einem exakt vorgegebenen Zeitplan durchgeführt werden. Die Musikeinspielungen finden alle als Playback statt, zu dem live gesungen wird. Die gesamte Showsteuerung von Playbackzuspielung, Licht, Ton, Bild und auch den Kameras ist für eine framegenaue Wiederholungsmöglichkeit der geprobten Abläufe timecode-gesteuert – nur sicherheitsrelevante Aktionen wie Kinetik oder Pyrotechnik benötigen zusätzlich händische Freigaben der verantwortlichen Personen. Alles in allem entstand eine hochpräzise Maschine, die sich um den jeweiligen Künstler auf der Bühne bildet, um diesem die optimale Umgebung für seinen Vortrag zu bieten.
Insgesamt werden drei Veranstaltungen im Abstand von jeweils zwei Tagen übertragen: 1. Halbfinale, 2. Halbfinale und das Finale, für das sich 20 der 37 Halbfinalteilnehmer qualifizieren können. Der erste Gesamtshowdurchlauf mit allen Künstlern erfolgt am Tag vor der jeweiligen Übertragung. Nach diesem ersten Durchlauf ohne Publikum findet ebenfalls am Tag vor Sendung die sogenannte Juryshow mit Publikum statt, die aber nur an die Jurys in den einzelnen Ländern übertragen wird. Für nicht so ESC-affine Leser: die Bewertungspunkte der Teilnehmerländer werden sowohl durch eine jeweilige Länderjury der einzelnen Teilnehmerländer als auch durch Publikumsvoting der Übertragungszuschauer vergeben. Nach der Juryshow am Vortag müssen die Jurys bereits ihre Bewertungspunkte an die EBU abgeben. Am eigentlichen Übertragungstag gibt es dann nachmittags die sogenannte Family Show, die ebenfalls vor Publikum stattfindet und dann abends die eigentliche Show mit öffentlicher Fernsehübertragung.
Dieses Prozedere gilt sowohl für die beiden Halbfinale als auch für das Finale, wobei alle Shows vorsichtshalber aufgezeichnet werden. Ola Melzig: „Die Aufnahmen der Juryfinals liegen für Notfälle auch für die Versendung anstelle der Liveübertragung vor. Ein solcher Havarie-Einsatz ist von mehreren Positionen ausführbar: die Übertragungswagen vor Ort sind gedoppelt und können jeweils in einer Havariesituation diese Backups auslösen. Eine weitere Auslösemöglichkeit steht der EBU auf dem Gelände vor Ort zur Verfügung. Auch in der Zentrale von RTP Portugal sowie in der Zentrale der EBU in Genf gibt es weitere Backup-Zuspielmöglichkeiten – nur für den Fall der Fälle. Die Übertragungen werden via Glasfaser über Madrid und Frankfurt und zusätzlich über Satellit sichergestellt. Generatoren vor Ort stellen die gesamte Stromversorgung aller showrelevanten Einheiten sicher, um nicht vom örtlichen Stromnetz abhängig zu sein.“
Selbst in den technischen Details ist Ola Melzig tief im Detail: „Beim ESC 2018 können wir auch wieder einige technische Neuerungen sehen: Sehr helle LED-Movinglights wie den Clay Paky Axcor 900 und ebenfalls kraftvolle LED-Movinglights wie Ayrton Ghibli und Mistral. Von der deutschen Firma GLP setzen wir KV-N Arc Strobes ein, die aus einer Kooperation zwischen GLP und Jerry Appelt entstanden sind. Als Verfolger werden Robe-RoboSpot-Systeme verwendet. Als neue Pyroeffekte haben wir Sparklers, von welchen keine Brandgefahr ausgeht, sowie Pyroeffekte, deren Flammrichtungen steuerbar sind.“
Lichtdesign: Song und Performer in den Mittelpunkt
Wie die Bühnengestaltung ist auch das Lichtdesign und seine Umsetzung wesentlich für die visuelle Gestaltung einer Show. Wie nähert man sich der Aufgabe, für über 40 verschiedene Künstler in einer Show Bilder zu erzeugen, die jedem einzelnen Künstler eine individuelle Umgebung bieten?
Jerry Appelt, der auf eine lange Referenzliste von Shows im nationalen und internationalen Bereich zurückblicken kann: „Hier in Lissabon war zu Beginn meiner Arbeit die Entscheidung bezüglich Bühnendesign bereits getroffen. Bezüglich des Sets gab es ursprünglich zwei Versionen – mit und ohne LED-Wand. Relativ früh ist die Entscheidung getroffen worden, die Show nicht mit massiven Videowänden auszustatten. Man vertraute darauf, dass das Set in der Formsprache zusammen mit dem Licht das wiederspiegelt, wofür Portugal bereits 2017 stand: reduziert auf den Song und nicht auf eine Inszenierung. Man wollte keinen medialen Overkill sondern wieder den Song und den Performer in den Mittelpunkt stellen. Auf Basis dieses Bühnenentwurfs entwickelte ich dann das Lichtdesign. Auch durch die Vorgaben der EBU an die Teilnehmer – zum Beispiel maximal sechs Performer auf der Bühne, maximale Titeldauer drei Minuten – definieren sich bereits viele handwerkliche Komponenten: Wie viele Vorderlichtspots brauche ich? Was mache ich mit Hinterlichtspots? Wo brauche ich Aufhellungen oder Publikumslicht? Wo ist der Greenroom? Daraus ergeben sich bereits viele Bausteine. Man spielt mit den geometrischen Vorgaben eines Sets, mit den Möglichkeiten der Verwandlung durch kinetische Elemente zur Verfahrbarkeit von Lichtkomponenten, man baut sich eine Toolbox zusammen, ohne bis etwa Mitte März genau zu wissen, was auf einen zukommt. Wesentlich ist dabei, eine hohe Variabilität des Systems zu erhalten, da es das Ziel ist, für jeden der etwa 45 auftretenden Acts einen eigenen Look bei der Show herstellen zu können. Darüber hinaus versucht man aber auch, bei einer Show eine generelle Linie zu verfolgen. Die Show ist trotz Hallenpublikum in erster Linie eine Fernsehaufzeichnung. Ich fand die Herangehensweise der medialen Reduzierung dieses Jahr sehr interessant und verfolgenswert. Grundsätzlich bin ich dabei schon davon ausgegangen, dass dadurch mehr Verantwortung bei uns im Licht liegt.“
Lichtequipment: Crews an die Neuheiten heranführen
Jerry Appelt: „In meiner Planung werden natürlich auch technische Parameter der Geräte wie Leistung, Farbwiedergabe, Farbmischung, Zoom, Gewicht und Strombedarf berücksichtigt. Trotz weitgehendem Einsatz von LED-Geräten sind wir immer noch bei einer Unmenge von Strombedarf, aber hätten wir unser Setup mit einer Technik wie vor fünf Jahren mit 1.200 bis 1.500 Watt HMI durchgeführt, würden wir uns in Bezug auf Stromaufnahme in deutlich höheren Regionen bewegen.
Der Hauptsponsor ist Osram mit seiner Showbrand Clay Paky: alles was mit Clay-Paky-Geräten möglich ist, sollte mit Clay-Paky-Scheinwerfern gemacht werden – was für mich keine Schwierigkeit darstellte, da es sich hier um qualitativ hochwertige Geräte handelt. Aber auch hier muss auf Kosten geachtet werden und die Rückspiegelung aus dem Markt hat hier ergeben, dass es auch andere Konstellationen gab, die wirtschaftlich für die Produktion sinnvoll waren. Von den insgesamt über 2.500 eingesetzten Scheinwerfern kommen etwa 800 von Clay Paky. Es ist das erste Mal, dass wir Führungslicht mit LED-Lampen, den Clay Paky Axcor 900, machen. Sie haben sehr gute Farbwiedergabe … es ist allerdings etwas tricky, sie an die Farbtemperatur der Verfolger anzupassen.
Darüber hinaus ist auch eine hohe Anzahl von Ayrton-Lampen und auch von GLP-Geräten herausgekommen. Geräte mit Funktionen wie Magic Panel FX von Ayrton oder Strobe mit Tiltfunktion wie JDC1 oder die KNV-Ringe von GLP hat Clay Paky nicht. 351 Ayrton-MagicPanels bilden eine große Matrix noch hinter den Rippen des Bühnenhintergrundes. Ein weiterer großer Schritt für uns ist der Einsatz von Remote-Followspots. Hier nutzen wir das System von Robe mit 23 aktiven Movinglight-Köpfen, die von 17 Steuereinheiten in einem ebenerdigen Raum hinter der Bühne bedient werden. Die visuelle Kontrolle erhalten die Bediener über Bildschirme, die das Bild der an den jeweiligen Köpfen angebrachten Kameras zeigen. 17 Steuereinheiten für 23 Köpfe, weil wir nicht immer alle Verfolger abhängig von den Traversen- und Kulissenpositionen der einzelnen Titel einsetzen können.
Der große Vorteil des Robe-Systems liegt für uns darin, dass es uns lückenfreie Übergänge einer Steuerung von einem auf einen anderen Kopf ermöglicht. Aber wie so oft ist eine neue Technologie Fluch und Segen zugleich: hatte ich früher eine Produktion mit 16 konventionellen Verfolgern, nahm ich mindestens 12 erfahrene Spotfahrer als Bediener der Führungsspots aus eigener Crew mit, um hier auf der sicheren Seite zu sein. Bei dem Einsatz von Remotesystemen liegt es kaufmännisch betrachtet nahe, die Aufgabe der Bedienung mit lokalen Kräften zu besetzen, da sie nicht mehr an die Verfolgerpositionen im Dach oder in der Traverse müssen – was nicht jedermanns Sache ist. Man hat dann fleißige und sehr engagierte Kräfte, die aber mit den Systemen nicht vertraut sind. In Ländern wie zum Beispiel der Ukraine oder auch Portugal bekommt man einfach nicht 18 Top-Spotfahrer, die ihr Leben lang nichts anderes gemacht haben. Da uns relativ viel Probenzeit zur Verfügung stand, ist es hier zwar machbar, man muss aber die Bediener an ein neues System heranführen.
Zur Steuerung verwenden wir MA-Pulte der 2er-Serie. Natürlich gab es auch Überlegungen, Pulte der brandneuen 3er-Serie einzusetzen, aber es ist kein Geheimnis, dass es bei Pultgenerationswechseln oft so ist, dass der Input von Usern im Feld zu weiteren Verbesserungen führt, was ja auch nicht unehrenhaft ist. Aus Produktionssicherheitsgründen haben wir uns daher doch lieber für die bewährte 2er-Serie entschieden. Dabei bewegen wir hier in Lissabon mit 152.000 Kontrollparametern und 300 aktiven DMX-Universen bereits weit über den offiziellen kommunizierten Parameterzahlen. Für Licht- und Mediensteuerung sind für die Show neun Personen zuständig. Allein das Showlicht fahren wir aus Performancegründen mit zwei Pulten in zwei Sessions, die natürlich mit Havariepulten abgesichert werden. Für Weißlicht, Publikumslicht und die Remotespotsysteme werden jeweils eigene Pulte eingesetzt, natürlich ebenfalls mit Backup. Ein Pult steht für Servicezwecke und zum Checken der von den einzelnen Teilnehmern mitgebrachten zusätzlichen Effekte auf der Bühne zur Verfügung. Alle Aktionen werden – wie fast alles in dieser Show – über Timecode gesteuert.“
Doch wie erreicht man nun das Ziel, neben einer allgemeinen Funktionsausleuchtung und einer atmosphärischen Gesamtgestaltung der Location jedem einzelnen Interpreten einen individuellen Look zu geben? Jerry Appelt: „Bisher habe ich meine Vorproduktion auf virtuellen Systemen im Computer immer in Deutschland gemacht, doch diesmal fand die Vorprogrammierung auf Wunsch der Portugiesen drei Wochen im März in Portugal statt. Dabei benötigt man allein eine Woche, um das doch relativ umfangreiche virtuelle System im Ganzen an den Start zu bekommen. In weiteren zwölf Tagen wurden die Basics für die einzelnen Songs programmiert. Dabei werden die einzelnen Punkte auf den Timecodelisten identifiziert, die sich für die Lichtprogrammierung anbieten.
Die teilnehmenden Länder erhalten im Vorfeld ein grobes Briefing wie die Bühne aussieht und was lichtmäßig im Großen und Ganzen an Elementen zur Verfügung steht. Im Rahmen einer Präsentation wird dieses den Länderdelegationen vorgestellt. Bei dem Head-of-Delegation-Meeting Mitte März sollen die Delegationen dann ihre Vorstellungen abgeben. Das klappt mal mehr und mal weniger gut und dieses Jahr waren viele extrem spät dran. Viele Länder stellten dabei Add-ons vor, zusätzliche Elemente auf der Bühne, die nur für den jeweiligen Vortrag genutzt werden.
Manchmal gibt es nur Scheinwerferzusätze – die Niederländer wollten zum Beispiel zusätzliche Blinder. Auch wenn auf der Gesamtbühne auf LED-Wand und Projektionen verzichtet wurde, war es allerdings den einzelnen Ländern gestattet, solche Elemente im Rahmen ihres Vortrags einzusetzen. So hat zum Beispiel der deutsche Beitrag eine aufblasbare Projektion, Russland hat seine Performerin auf einen Felsen gesetzt, auf den projiziert wird und die Schweden kommen mit einem LED-Käfig. Durch die verschiedenen Projektionswünsche wurden die notwendigen Projektoren zusätzlich im Rig aufgenommen und es wurde von der Produktion noch ein Medienserveroperator nachgebucht, der alle diese Einspielungen verwaltet. Die zusätzlichen Kosten dafür müssen allerdings die Teilnehmerländer selbst zahlen.
Einige Länder sind der Idee gefolgt, sich mehr auf den Künstler zu konzentrieren, andere versuchen aber trotzdem eine große Inszenierung zu erschaffen. Meines Erachtens sieht man hier relativ genau, wo es funktioniert hat und wo nicht. Wo ist der Song beziehungsweise der Künstler stark genug, dass man auf Brimborium verzichten kann, oder wo fangen die Delegationen an – aus für sie natürlich völlig respektablen Gründen – völlig in die Inszenierung mit Tänzern, Pyro und großen Kulissen zu gehen? Ich finde man merkt, dass es ein paar Länder gibt, die versuchen durch die Inszenierung – um es charmant auszudrücken – dem Song noch etwas zur Seite zu stellen.“
Bild: Andreas Putting
Künstlerin aus Estland nutzt ihr Kleid als Projektionsfläche
Auch Ola Melzig ist bei der Frage der zusätzlichen Bühnenelemente unmittelbar eingebunden: „Die Delegationen sollen im Vorfeld ihre Vorstellung ihrer Bühnenumsetzung möglichst weitgehend beschreiben. Dabei geht es auch um die Stimmung auf der Bühne: ist es Tag oder Nacht? Sonnenlicht oder Regen? Winter oder Herbst? Auch die Farben sind natürlich wichtig. Zusätzlich muss ein Bühnenplan vorgelegt werden. Danach setzen sich ESC-Produzent und technische Produktion zusammen und entscheiden, wie welcher Beitrag umgesetzt wird. Auch wenn die eigentliche Bühne keine LED-Wand mehr hat, wurde den Teilnehmern doch erlaubt, eigene visuelle Lösungen einzusetzen sofern das ESC-Team der Meinung ist, dass es gut in die Show passt.
Der Verzicht auf eine bühneneigene LED-Wand war natürlich eine Herausforderung an die einzelnen Teilnehmer, die sie auch vielfach angenommen haben und mit tollen Ideen kamen. Es gibt dieses Jahr erheblich mehr Kulissenteile als sonst, aber Vorgabe ist, dass sie innerhalb von 40 Sekunden spielfertig auf die Bühne gebracht werden können. Um eine schnelle und exakte Wiederfindung aller Bühnenpositionen zu erreichen, werden diese für die Umbauzeit bei Proben und Show mit einem Laser aus dem Traversensystem auf den Bühnenboden projiziert. Letztes Jahr in Kiev hatten wir eine Ausnahme: die Konstruktion des englischen Beitrags konnten wir trotz aller Bemühungen nicht schneller als in zwei Minuten aufbauen – wir entschieden uns dennoch diese zuzulassen, da sie ein tolles Zusatzelement für die Bühne und die Show war. Und am Ende des Tages ist das doch das warum wir hier sind: eine Show so gut wie möglich abzuliefern.
Als schönes Beispiel kann man dazu auch den Beitrag von Russland 2016 in Stockholm nennen, bei dem der Künstler an einer mitgebrachten Projektionswand imaginäre Stufen heraufklettert. Der Künstler stand vor einer Projektionsfläche aus Stretchstoff, bei dem die notwendigen Stufen mechanisch herausgedrückt wurden. In der Projektion wurden dabei die dadurch entstehenden Verzerrungen wieder ausgeglichen und wurden so unsichtbar. Da den Länderdelegationen bewusst ist, dass sie hier mit einer Plug-and-play Lösung ankommen müssen, fragten die Russen alle technischen Details über Typ, Position, Winkel und Optik der im ESC-System geplanten Projektoren ab und bauten diese Situation im Vorfeld in einem Studio in Moskau 1:1 nach mit der dann geprobt und programmiert wurde, bevor das Equipment nach Stockholm kam. Eine großartige Kooperation!“
Bild: Andreas Putting
LED-Streifengestell des schwedischen Beitrags
Bild: Andreas Putting
Durch Verzicht auf das bestehende Showlicht wird eine vollständig eigene Optik erzeugt
Die Bühnenkulisse für den schwedischen Künstler war in Lissabon ein mitgebrachtes Gestell mit an Neonröhren erinnernde LED-Streifen. Durch fast kompletten Verzicht auf die Nutzung des vorhandenen Showlichtes erzielten die Schweden so eine vollständig andere Optik ihres Beitrages. Auch für Michael Schulte, den deutschen Künstler, hatte sich sein Team etwas einfallen lassen: Hinter dem Sänger wurde eine etwas sechs Meter hohe halbkreisförmige, aufblasbare Projektionsfläche errichtet, die von der Spezialfirma Tait Towers gebaut wurde. Drei 3-Chip-Laserprojektoren Panasonic PT-RZ31K wurden dabei für die Projektion benutzt. Der Vortrag des in schlichtem schwarz gekleideten Sängers startete mit schwarzem Hintergrund und mit auf das Minimum reduziertem weißem Licht. Später kamen erste schwarz-weiß Zeichnungen und Bilder auf der sonst nicht wahrnehmbaren Projektionsfläche hinzu. Erst zum Ende des Songs öffneten farbige grafische Projektionen mit farblich abgestimmtem Bühnenlicht den Blick auf die gesamte Bühne.
Bild: Thomas Hanses
Der deutsche Beitrag startete reduziert
Bild: Andreas Putting
Erste Projektionen werden hinter Michael Schulte sichtbar
Abstimmung mit den Delegationen: Bewegungsabläufe nachstellen
Jerry Appelt erzählt, wie es in Bezug auf die Lichtabstimmung mit den einzelnen Delegationen im Vorfeld der Proben weitergeht: „Zur Vorbereitung schicken die Delegationen an das ESC-Team jeweils ein One-Shot-Video ihres Beitrages, eine Bild- und Tonaufnahme ohne Schnitte – zum Beispiel aus einem Proberaum – auf dem die Bewegungsabfolge der vorgesehenen Choreografie erkennbar ist. Theaterstudenten in Lissabon studierten danach die dargestellten Bewegungsabläufe ein und tanzten diese dann mit der von mir geplanten Lichtshow des jeweiligen Titels bei den Stand-In-Rehearsals Ende April hier in der Halle auf der Originalbühne. Natürlich sind dann noch nicht alle Feinheiten ausgearbeitet. Diese nachgetanzte Choreografie mit Licht wird von den Kameras mit dem bis dahin entstandenen Look-and-Feel abgefilmt und als Video an die Delegationen zurückgesendet. Das ist für die Delegationen das erste Mal, dass sie sehen, was wir vorhaben und wir erhalten dann von diesen darauf ein Feedback.
Die einzelnen Länder sind unterschiedlich aufgestellt und haben in ihrer Delegation Production Designer, Showdesigner, Creative Directors, teilweise auch Lichtspezialisten, je nachdem. Mittlerweile gibt es in den Länderdelegationen viele kreative Köpfe mit genauen Vorstellungen der Lichtgestaltung ihrer Show. Es gibt Leute, die man kennt und mit denen man bereits seit Jahren gut und partnerschaftlich zusammen arbeitet. Da bin ich auch froh, wenn die Wünsche möglichst dezidiert und in „fachchinesisch“ formuliert werden. Begrifflichkeiten wie „iconic-look“ oder „majestic-look“ sind Ausdrücke mit unheimlich viel Interpretationsspielraum und da interpretiert man an der geschmacklichen Welt der Kollegen aus anderen Kulturbereichen oft vorbei, weil sie eine ganz andere Sicht auf die Dinge haben. Aber natürlich haben sie sich bereits ein halbes Jahr mit ihrem Beitrag beschäftigt und natürlich muss man die Grundideen wertschätzen und ernstnehmen. Aber: Zum Einen müssen die Umsetzungen in Bezug auf die Standards einer Fernsehshow verwertbar sein, und zum Anderen müssen sie zur Gesamtshow der Sendung passen.
Auch kommt es oft vor, dass die geplanten Bewegungsabläufe der Künstler vor Ort optimiert werden. Es gibt hier mit Marvin Dietmann einen Stagedirector des ESC, der aus der Choreografie kommt. Ein typischer Fall wäre: „Eure Choreografie ist schön gedacht, aber so nicht abzufilmen. Wenn wir das mit der Steadycam so machen wie ihr das wollt, steht die Steadycam mitten auf der Bühne, wenn es weitergeht.“ Daher wird viel noch vor Ort festgelegt. Im Idealfall steht die Choreografie des Künstlers bereits bei der Ankunft, in der Realität ist in Bezug auf Fertigstellungsgrad von 30 bis 90% alles dabei. Wenn dann hier in der Halle die Proben mit den Originalkünstlern beginnen, gehen die Delegationen nach den Bühnenproben in den Viewing Room, schauen sich den Auftritt ihres Künstlers als Aufzeichnung an und können Wünsche bezüglich der Schnitte äußern. Diese werden dann in Absprache mit dem Regisseur umgesetzt. Dabei hat der Einsatz des in CuePilot programmierten Bildschnittes den Vorteil, dass man mit den Delegationen nicht über das Timing der Schnitte diskutieren muss, da diese immer exakt nach der vorherigen Programmierung erfolgen. Natürlich müssen die Kameraleute aber immer noch rechtzeitig den jeweils gewünschten Bildausschnitt finden.“
»Um die eigene Vorstellung des Bühnenbilds umsetzen zu können, hatte Russland 2016 die Bühnensituation in einem Moskauer Studio 1:1 nachgebaut und damit geprobt und programmiert. Das war großartige Kooperation!«
„Eine Besonderheit in Lissabon für uns war ein strafferer Produktionszeitraum. Beim aktuellen ESC traten weniger Intervall-Acts – Darbietungen während der Show zur Unterhaltung außerhalb des Wettbewerbs – bei Halbfinale und Finale auf. Dadurch waren natürlich weniger Proben nötig und der Zeitplan konnte im Vergleich zu den bisherigen Veranstaltungen um fünf Produktionstage gekürzt werden. Leider fehlten uns diese Tage aber als Reaktionstage nach den Dress-Rehearsals, um die jeweiligen Änderungswünsche der Länderdelegationen der Contest-Teilnehmer abzuarbeiten. Um dies aufzufangen, wurde von der Produktion noch ein Nachtprogrammierer nachgebucht. Insgesamt arbeiten wir mit neun Personen an Licht- und Mediensteuerung. Der Zeitplan für die Proben sieht täglich einen Arbeitsbeginn um 10 Uhr, das Probenende um 20 Uhr und Arbeitsende für uns um 24 Uhr vor. Das gilt für uns ab dem 16. April bis zur Show ohne Offdays. Dabei geht jeder in unserem Team über seine Grenzen und eine solche Aufgabe lässt sich nur durch perfektes Teamwork bewältigen, wofür ich mich besonders herzlich bedanke!“
Drei Wünsche hat Jerry Appelt für seinen nächsten Eurovision Song Contest: mehr Zeit, eine ESC-Veranstaltung in Hamburg als Heimschläfer (hat leider zumindest für 2019 nicht geklappt) und ein virtuelles Vorproduktionstool, welches große Systeme besser abbilden kann: „Bei 2.500 Movinglights sind Performance und Bildwiederholungsfrequenz der bestehenden Computerprogramme nicht mehr nutzbar. Daher mussten wir einzelne Bereiche der Anlage für Visualisierung und Vorprogrammierung auf verschiedene Systeme verteilen, wodurch der Gesamteindruck verloren geht.“ Beeindruckend: für den Abbau der gesamten Produktion in Lissabon standen nur 72 Stunden zu Verfügung – im Nachhinein wissen wir jetzt, dass es auch geklappt hat.
Das ESC-Produktionsteam hat trotz allen Hightech-Equipments den Rahmen geschaffen, der es ermöglicht, sich bei der Show auf den ursprünglichen Kern der Veranstaltung zu konzentrieren: den Künstler und sein Lied. Wird es sich dabei um eine kurzfristige Modeerscheinung oder eine nachhaltige Besinnung des Song Contests handeln? Auch wenn heutzutage beim ESC nicht mehr wirklich deutlich wird, was eigentlich bewertet werden soll, war er doch ursprünglich als Komponistenwettbewerb gedacht, bei dem es nicht auf die Art des Vortrags – und streng genommen noch nicht mal die Leistung des Sängers – ankam, sondern auf die Komposition selbst. Bei demokratischen Prozessen gewinnen aber nicht unbedingt Inhalte, sondern Mehrheiten und mit dem israelischen Beitrag siegte 2018 dann doch ein bunt-quietschiger Krawalltitel – armer Salvador Sobral.