Stage-Design als Mehrwert: Interview mit Ray Winkler von Stufish Entertainment

Die Bühne für die Stones – seit 1989

Die Rolling Stones, U2, Beyoncé, Madonna, Elton John, Helene Fischer, AC/DC, Black Sabbath oder die neue ABBA-Arena: Die Londoner Entertainment-Architekten „Stufish“ haben eindrucksvolle Referenzen. Firmenchef Ray Winkler erzählt von Hürden im Tour-Alltag, dem Wandel der „Bühnen-Maßanfertigungen“ und Abläufe von der Idee bis zur fertigen Bühne.

Sixty Steel Wheels The Rolling Stones Stage
Rolling Stones „Sixty”-Tour zum 60-jährigen Bandjubiläum 2022: Die architektonische Fassade mit dem Zungenausschnitt soll die Aufmerksamkeit der Zuschauer im Stadion auf das Zentrum des Bühnengeschehens fokussieren (Bild: Stufish Entertainment)

Der 53-Jährige Ray Winkler entstammt einer Architektenfamilie, er ist in Indonesien geboren und wuchs dort auf, bevor er nach England ging. „Wenn du Architektur studieren willst, lerne zuerst ein Handwerk!“, soll sein Vater ihm seinerzeit geraten haben. Das empfand der Sohn als sehr richtig – durch das gelernte Möbelhandwerk lernte er demnach die Balance zwischen Ästhetik, intellektuellen Überlegungen und den praktischen Aspekten zu schätzen. Das dürfte im Kontext von Welttourneen sicher nicht schaden. Im Gespräch über die Hintergründe zum Thema Bühnendesign, Bau und Logistik erscheint Winkler hoch gebildet und über jegliche Tellerränder hinaus informiert.

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Ursprünglich hast du mit Möbeldesign angefangen – wie kamst du zum Bühnendesign?

Ray Winkler: Wir sind „Entertainment-Architekten“, und Bühnendesign ist praktisch nur ein anderer Begriff für Entertainment-Architektur. Nach einem praktischen Kurs im Bereich Möbelhandwerk, Design und Produktion ging ich ans University College in London, um Architektur zu studieren. Am Ende landete ich beim Southern California Institute of Architects und war sehr interessiert an Leichtbau-Architektur, die von Ort zu Ort neu aufgebaut wurde. Mark Fisher [der ehemalige, 2013 verstorbene Chef von Stufish, d. Autor] war mein externer Gutachter bei Bartlett [Architektur-Fakultät am University College in London], und er bot mir einen Job bei Stufish an. Ich blieb – 35 Jahre später bin ich immer noch hier.

Stufish ist spezialisiert auf das Design großer Bühnen für Welttourneen. Wo liegen im Tour-Alltag die praktischen Grenzen dessen, was für eine große Bühne wie bei den Rolling-Stones-Touren umsetzbar ist?

Winkler: Ich denke, man muss den gesamten Kreislauf verstehen: Eine Show ist immer in Bewegung, außer für die zweieinhalb, drei Stunden, in denen die Band auf der Bühne performt. Bei einer typischen großen Show hast du ein Set, auf dem die Band performt, ein Set wird gerade aufgebaut, auf dem die Band drei Tage später auftritt – und ein Set, auf dem die Band drei Tage zuvor gespielt hat, wird auseinandergebaut.

Welche Teile des gesamten Aufbaus sind denn mehrfach vorhanden, welche nicht?

Winkler: Es gibt drei Rahmenstrukturen, drei Hauptsysteme, die den gesamten Aufbau halten. Ein, zwei Tage vor der Show kommt der Teil, der „Production Value“ genannt wird. Bei der neuen Stones-Tour „Sixty“ siehst du die große rote Fassade. Davon existiert nur eine, die wird am Tag vor der Show eingebracht. Videoscreens, Lichter und Lautsprecher sind ebenfalls Teil dessen, was zur eigentlichen Produktion zählt. Dazu ist eine bestimmte Denkweise nötig, um die jeweiligen Objekte passend einzubeziehen. Es ist ein bisschen so, als würde man einen Architekten bitten, sein Gebäude alle drei Tage von null aufzubauen. Dazu musst du sehr genau über den Prozess nachdenken, weil ein Fehler vielfach wiederholt wird: Bei jedem Zusammenbau wird der Fehler Teil des Prozesses, verlangsamt alles und macht es unter Umständen teurer und gefährlicher. Die Grundlage unseres Designs hier im Studio ist Architektur, aber um Entertainment-Architekt zu werden, musst du beobachten, wie Crews die Bühnen zusammenbauen, wie die Struktur im Truck ein- und ausgeladen wird. Das sind die Parameter, die dein Design von Erfolg und Misserfolg unterscheiden. Wenn es nicht in der vorgegebenen Zeit zusammengebaut werden kann oder nicht in die Anzahl der Trucks passt, die vom Budget vorgegeben werden, wird das zu nichts führen, und du wirst nie mehr in der Industrie arbeiten.

Die großen Stones-Tourneen mit eigenständigem Bühnendesign begannen 1989 mit der „Steel Wheels“-Tour. Den Tourneen und Designs lag immer ein anderes Motto zugrunde …

Winkler: Ja, die unterschiedlichen Ansätze waren immer Freude und Herausforderung bei der Arbeit mit den Stones! Meine Karriere mit ihnen begann lange nachdem die Beziehung zwischen Mark Fisher und der Band aufgebaut war. Ich stieß 1997 dazu. 1996 entwarf Stufish „Bridges To Babylon“. Siehst du dir alle Tourneen davor und danach an, fällt auf, dass kein Rolling Stones „House File“ existiert. Es gibt keine Wiederholung. Der Grund ist recht simpel: Die Rolling Stones verstehen die Notwendigkeit, sich für ihr loyales Publikum neu zu erfinden und zu präsentieren, mit einem unverbrauchten Look. Sie schätzen die Bedeutung von Entertainment-Architekten, um die Aufmerksamkeit des Publikums innerhalb des Stadions auf die Performance auf der Bühne zu fokussieren. Wir suchen nach unterschiedlichen Wegen, um das zu erreichen. Du nutzt dieselben allgegenwärtigen Tools – Licht, PA, Video. Das gleichzusetzen, ist ein bisschen so, als würdest du sagen: „Jedes Backsteingebäude sieht gleich aus.“ Nein, es geht darum, wie du die Bausteine verwendest. Deshalb denke ich, wir bringen als Architekten Mehrwert in ein Projekt ein, indem wir verstehen, wie sich Probleme lösen lassen, Materialität und Konstruktionsweisen verstehen, sowie philosophische Narrative, die repräsentiert werden sollen.

Schau dir zum Beispiel die 2014er Tour „14 on Fire“ an: Deren Bühne hatte eine sehr elaborierte Barock-Fassade hatte. Im Vergleich dazu hatten wir 2017 und 2018 die „No Filter“-Bühne praktisch auf vier Monolithe reduziert, die die vier Bandmitglieder repräsentierten, dazu ein einzelnes Ausleger-Dach und eine große flache Bühne. Das war sehr minimalistisch und architektonisch. Und nun die aktuelle Tour, wo wir einige Ideen einbauten, die wir aus „14 on Fire“ gelernt hatten, hinsichtlich dessen, wie du ein großes Bild auf einfache Weise erschaffst. Trotzdem kreierten wir etwas sehr Unterschiedliches: eine starke Grafik, der Hinweis auf das ikonische Rolling-Stones-Zungenlogo. Mark Norton [Creative Director der Branding- und Design-Agentur „Thinkfarm“] hat einen fantastischen Grafikentwurf gemacht. Unter der Führung von Patrick Woodroffe [Rolling Stones‘ Creative Director und Licht-Designer] wirken Video, Licht, Grafik und Architektur zusammen und präsentieren sich als eindeutiges und zwingendes Rolling-Stones-Stage-Set.

Steel Wheels The Rolling Stones Stage
Beginn der Sonderbauten für die Stones: Die 1989 gestartete „Steel Wheels“-Tour wurde von Winklers Vorgänger bei Stufish, Mark Fisher, entworfen (Bild: Stufish Entertainment)

Wie lässt sich ein großes Gesamtbild effizient realisieren?

Winkler: Wichtig ist, zu verstehen, wie du am meisten für dein Geld bekommst, und damit große, kühne Statements erschaffst. Darüber hinaus kämpfst du mit einzelnen Gege- benheiten, die schwer zu überwinden sind. Eines davon: Die meisten Sommer-Shows finden bei Tageslicht statt. Video, Licht und Nebel können ihre Wirkung und die zugehörigen Illusionen nur recht begrenzt entfalten. Oft entsteht sehr diffuses Tageslicht, was alles eher langweilig aussehen lässt. Dazu ist die schiere Größe eines Stadions selbst schlicht überwältigend – sie überlagert das, was du in der Mitte siehst. Blicken wir auf ein Stones-Set, ist uns klar, dass Tageslicht herrscht. Farbe lenkt die Aufmerksamkeit weg von der „langweiligen“ Stadion-Umgebung, bei der etwa weiße Dächer oder weiße Sitze dominieren – hin zu etwas, das sehr fokussiert und farbenfroh ist.

Davon abgesehen, wie lässt sich noch konkret die Aufmerksamkeit in einer Tageslicht-Situation erregen?

Winkler: Du brauchst zum einen eine Größenordnung, die das Publikum in einer Stadion-Umgebung wahrnimmt und erkennt. Die Bühnen sind traditionell zwischen 55 und 75 Meter breit – im Fall der „Sixty“-Tour 55 Meter. Dazu sind sie zwischen 20 und 30 Meter tief, und zwölf bis 15 Meter hoch. Und natürlich besteht der Hauptgrund, warum die Leute kommen, darin, dass sie die Musik hören und die visuelle Darstellung sehen möchten, die die Band mitbringt. Jede Show hat eine sorgfältig konstruierte Set-List, die das Narrativ der Band zum Publikum bringt.

Die Abfolge soll die Erwartung aufbauen – das Publikum „aufwecken“, die Stimmung wieder absenken und erneut hochschaukeln; sozusagen eine konstant wallende Landschaft. Wenn du als Zuschauer reinkommst, entsteht zunächst ein großes Tageslicht-Statement, aber wenn die Dämmerung einsetzt, die Sonne sinkt, haben wir eine zweite Gegebenheit, mit der wir arbeiten: Die Lichter kommen zur Geltung, aber noch nicht richtig. Und schließlich folgt das „ankommende“, nächtliche Setting. Alle drei „verschwören“ sich gemeinsam, um dem Publikum die bestmögliche Show zu bieten. Die Stones haben das seit 60 Jahren gemacht, sie wissen ziemlich gut, wie sie den Nagel auf den Kopf treffen. Wir sind nur dazu da, ihnen den passenden Look zur Verfügung zu stellen.

Voodoo Lounge The Rolling Stones Stage
Ebenfalls eine Maßanfertigung: „Voodoo Lounge“-Bühne aus 1994 (Bild: Stufish Entertainment)

Stichwort Tageslicht und Nebel: Einer der für dich emotional bewegendsten Momente war, als du im Jahr 2000 für Jean-Michel Jarre eine Bühne auf den Pyramiden von Gizeh in Ägypten konstruiert hattest – mit der Videoprojektion eines rund 70 Meter großen Froschs auf den Treppenstufen. Allerdings setzte am Tag der Show ein unerwarteter Jahrhundert-Nebel ein …

Winkler: Das war fantastisch – speziell, als der Nebel uns überkam und wir nichts sehen konnten! Aber das sind Naturgewalten, und du wirst demütig daran erinnert, wer die Zügel in der Hand hält. Auch wenn viele Popstars denken würden, sie befänden sich auf der Spitze der Pyramide. (lacht) Wenn’s ums Wetter geht, sitzen sie darunter, genau wie wir. Wir hatten auch schon Taifune, Schneestürme, Regenstürme … Wir haben mal eine Show in Südafrika gemacht, bei der das Fußballfeld drei Zentimeter unter Wasser stand. Bei einer Show in Okinawa, Japan, stand der FOH- Platz praktisch unter Wasser – das fand an einem Strand statt, wo das Wasser alles wegschob. Wir sind also Herausforderungen gewöhnt, und das sind auch besonders spannende Momente unserer Arbeit.

So könnte man es im Fall von Gizeh auch sagen. Nach der Jean-Michel-Jarre-Show wollte man dein Team und dich verhaften …

Winkler: Ja, das war ein lustiger Zwischenfall (lacht) – weil der Nebel die Pyramide überkam und [der damalige Präsident] Mubarak nicht zufrieden damit war, dass er die Pyramiden in der Show nicht sehen konnte. Sie dachten, der geeignete Weg, um das Problem zu lösen bestand darin, uns zu verhaften … Wir machten deutlich, dass eine höhere Gewalt am Werk war. Am Ende wendete sich alles zum Guten. Ich bin noch da und sieche nicht in einem Gefängnis dahin. (schmunzelt)

Zum Thema Custom-Bühnendesign … Wann und wie kam der Gedanke bei großen Bands auf, dass eine Bühnen-Maßanfertigung nötig wäre, weil ein individuelles Spektakel vom Publikum erwartet wurde?

Winkler: Ich denke, die Entwicklung von Rock’n‘Roll-Shows, etwa am Beispiel von Amerika, zeigt das ganz gut auf: In den späten 1950er Jahren tourte Elvis Presley auf der Rückseite eines Pritschenwagens! Er würde auf einem lokalen Jahrmarkt auftauchen und für ein stehendes Publikum auf der Rückseite des Trucks mit seiner Band auftreten, mit einem sehr kleinen Setup. 1965 traten die Beatles im Shea Stadion auf [New York, siehe auch DVD-Tipp „The Beatles. Eight Days a Week. The Touring Years“, Production Partner 10/19], das war eine komplette Kakophonie: Niemand konnte sie hören oder sehen. Das waren wahrscheinlich einige der Gründe, warum sie nicht mehr live auftreten wollten. Stadion-Entertainment-Architektur war noch nicht erfunden!

Schaust du dir Woodstock 1969 an: Das sah aus, als ob jemand zum Baumarkt ging, ein paar Dielen und ein Gerüst kaufte, dazu ein Zelt, und meinte: „Okay, wir bauen das zusammen und lassen es wie eine Bühne aussehen!“ Na ja, so sah es dann nicht ganz aus: Es gab keine Abdeckung, um vor schlechtem Wetter zu schützen, über den Lichtern ließ sich nichts aufhängen. Und dann Pink Floyd, die mit Mark Fisher 1977 ihre „In The Flesh“-Tour machten und anfingen, speziell angefertigte aufblasbare Objekte zu verwenden. Das war sehr effizient, um ein großes Bild mit minimalem Aufwand zu erzeugen. Dazu kam die Arbeit mit Frei Otto [deutscher Architekt, der unter anderem das Olympiastadion in München mit entwarf], um sehr schöne Schirme zu kreieren – so fing das ganze an. Ein erster Höhepunkt war die „The Wall“-Tour, bei der der „Production Value“ einer Rock’n’Roll-Show wichtig war. Davor tauchten die Musiker einfach auf der Bühne auf, sangen und spielten ihre Instrumente, das war‘s. In den 1980er Jahren investierten Queen viel in Lichtequipment und Bühnenillusionen mit Aufzügen. So ging es weiter! Ich denke, Mark Fisher und auch Stufish danach haben die heikle Balance aus dem Spektakel und den Erfordernissen, um das Spektakel abliefern zu können, verstanden – ohne dass eins das andere unterminiert. Beide Erfordernisse müssen zusammenarbeiten.

Was die Rolling Stones angeht – die Band nimmt selbst sehr am Thema Bühnendesign Teil, richtig?

Winkler: Ja! Das hat auf verschiedene Arten stattgefunden. Normalerweise würde der Creative Director Patrick Woodroffe das Kreativteam zusammenstellen, das sich direkt mit Mick Jagger und Charlie Watts austauscht. Nachdem Charlie verstorben ist, war der Prozess dieses Mal etwas anders. Generell gesehen: Die besten Projekte sind die, bei denen sich die Künstler einbringen und ein klares Verständnis von dem haben, was sie machen wollen – oder wenigstens den Leuten, die sie beauftragen, erlauben, ihnen dabei zu helfen, zu verstehen, was sie machen möchten, sodass wir gemeinsam daran arbeiten können. Wenn du den Künstler hinterfragen musst oder der Künstler kein wirkliches Interesse hat, ist der Job schwierig. Ungefähr so, als würdest du zu mir als Architekt kommen und ein Haus bestellen. Wenn ich zurückfrage, ob du sechs oder zwölf Zimmer willst, meinst du: „keine Ahnung!“ Da kann ich nur ein falsches Ergebnis abliefern.

… du hast keinerlei Richtlinien …

Winkler: Ja, keinerlei Richtlinien! Wenn du dir die Projekte auf der Webseite ansiehst – du kannst bei Stufish nicht wirklich sagen, dass ein fester Stil mit einem einzelnen Architekten assoziiert wird. Zum einen bauen wir auf starke Zusammenarbeit mit den Künstlern und ihren Kreativteams, zum anderen bauen wir ein Projekt von null an auf: Wir kommen nicht an und sagen, wie wir denken, dass das Ergebnis sein sollte – eine blaue Box mit einer roten Kirsche obendrauf. Wir fragen: Was ist es, was du versuchst zu erreichen? Wie sieht die Erwartung deines Publikums aus? Falls ein neues Album vorhanden ist: Was ist das Narrativ des Albums? Oder geht es um die „Greatest Hits“? Oder schaust du in die Zukunft? Alles davon sind Zutaten, die ins Konzept hereinspielen und bestimmen, wie das Endergebnis aussehen soll.

Bridges To Babylon Stage
Das 1997er „Bridges To Babylon“-Design – im Vorfeld der Tour brach die Brücke (Bildmitte) zusammen, sodass sie bei den ersten drei Konzerten fehlte (Bild: Stufish Entertainment)

Wie sahen denn auf organisatorischer Seite die Rahmenbedingungen bei „Sixty“ aus?

Winkler: Dabei herrschten sehr genaue Rahmenbedingungen, darunter eine Balance zwischen kommerziellen Aspekten wie Brexit, Supply-Chain-Problemen, Covid, … Das zusammen hat die Industrie sehr träge gemacht – es ist schwierig, Materialien, Equipment und Crews zu bekommen, sowie von A nach B zu kommen. Wir könnten hier alle sitzen und uns wünschen, die Welt wäre eine andere, aber das ist sie nicht. Also musst du die Gegebenheiten einkalkulieren, und darin liegt die Herausforderung. Ich habe nie daran geglaubt, dass komplette künstlerische Freiheit und unbegrenztes Budget das beste Produkt liefern – das ist nicht er Fall! Als Referenz verweise ich immer gerne auf das fantastische kulturelle Erbe der Weimarer Republik: Damals wurden in Deutschland viele hervorragende Opern mit wenig Geld produziert. Die Budgets waren nicht vorhanden, die Kartenpreise mussten niedrig sein, aber die Ambitionen, der Intellekt und die Kreativität waren da, und es wurden immer noch fantastische Dinge kreiert.

Stufish-Firmenchef Ray Winkler
„Entertainment-Architekt” und Stufish-Firmenchef Ray Winkler (Bild: Stufish Entertainment)

Stichwort Effizienz: Du hast mal erwähnt, dass die ersten Stage- Designs in den 1980er Jahren alle Sonderanfertigungen waren, wohingegen mittlerweile aus Kostengründen mehr Effizienz gefragt ist, und die Bühnen weitgehend aus fertigen Bausteinen zusammengestellt werden, allerdings immer noch so individuell aussehen sollen, als wären es Sonderanfertigungen?

Winkler: Ja, der überwiegende Teil der Elemente, die wir verwenden, sind Standard-Bausteine. Außer du bist U2 und wir entwickeln einen komplett neuen Screen – wie wir es für die 360°-Tour oder „The Joshua Tree“ umgesetzt haben – bist du ziemlich an das gebunden, was der Markt anbietet, und nutzt herkömmliche Videoscreens. Das gleiche gilt für Licht und Sound. Du hast also diese Zutaten und weißt, dass sie in empfindlicher Balance zueinanderstehen: Sound muss in einer bestimmten Position hängen, Videoscreens und Licht ebenfalls. Wie du mit den Einschränkungen umgehst und sie arrangierst, in welchen Proportionen, darin besteht die Freiheit des Architekten. Du könntest zu mir kommen und sagen, „ich habe 15 Millionen Backsteine“, darauf würde ich antworten, dass ich 15 Millionen Arten hätte, sie einzusetzen. Wie mit Lego: Vier Lego-Bausteine geben dir praktisch Milliarden Möglichkeiten, sie zusammenzubauen. Was ich sagen will: Eine begrenzte Anzahl an Zutaten limitiert nicht die Möglichkeiten dessen, was du damit umsetzen kannst. Was meine Laufbahn angeht: Wenn du dir die „Vertical“-Tour von U2 und „Close Encounter“ von Robbie Williams ansiehst, die Produktions-Elemente wegnimmst und nur auf die Rahmenstruktur blickst, sind die Bühnen sozusagen dieselben – sie sehen am Ende allerdings komplett unterschiedlich aus. Eine war gelb und heroisch, hatte große Ausleger, die andere war viel glatter – aber die Infrastruktur dahinter war praktisch identisch. […] Im Großen und Ganzen dient Entertainment-Architektur dem höheren Zweck, Standard-Bausteine der Industrie zu nehmen und sie so zusammen zu bauen, dass ein neues, unverbrauchtes Gesamtbild entsteht, dass maßgeschneidert für die Band wirkt. Die Zutaten zur Umsetzung sind hingegen recht genau definiert: Eine gesamte Industrie ist inzwischen damit „erwachsen geworden“, von A nach B auf schnelle und effiziente Art zu touren.

Abb6 - Foto-Credit Stufish Entertainment
„14 on Fire”-Bühnenbild, 2014. Einige Ideen für das „Sixty“-Design fanden hier ihre Grundlage, meint Winkler, „hinsichtlich dessen, wie du ein großes Bild auf einfache Weise erschaffst“ (Bild: Stufish Entertainment)

Woran lag es, dass in den 1980ern jene Bühnen viel mehr „Custom-made“ hergestellt wurden – einfach, weil die nötigen vorgefertigten Bausteine in dieser Industrie erst durch die Tourneen verfügbar wurden, oder schlicht, weil die Budgets für Tourneen größer waren?

Winkler: Ich denke, das hat mehrere Ursachen – ich bin nicht wirklich die Autorität, die genau weiß, woran es am Ende gelegen hat, aber ich kenne ein paar Umstände, die meiner Meinung nach wichtig waren: In den 1990er Jahren wurde Geld noch durch Plattenverkäufe verdient. Tourneen dienten dazu, das Zugpferd – das Album – zu bewerben, von dem das Geld kam. Du konntest dir also größere Budgets leisten, weil die Tournee nicht das primäre Einkommen darstellen musste. Durch das Internet – mit Napster, Spotify und so weiter – stürzten die Plattenverkäufe bekanntlich ab. Tourneen wurden nun zur primären Einnahmequelle, weil sich das Erlebnis nicht herunterladen lässt. Budgets wurden nun ein Thema, mit zwei Aspekten: Wie viel kostet der Bau der Produktion bis zu dem Punkt, dass sie auf Tour gehen kann? Und darauffolgend: Wie viel kostet es jede Woche, mit der Produktion zu touren? Das legt den Profit fest. Ich denke, am Ende schwand der Aspekt der Sonderanfertigungen etwas, aber die Bandbreite der Angebote, was mit standardisierten Elementen machbar war, nahm gleichermaßen zu: Plötzlich gab es 20 verschiedene Arten von Aufzügen, die du mieten konntest, wohingegen du vorher selbst einen bauen musstest. Bei „Bridges To Babylon“ hatten wir einen Lift, der 50 Meter über das Publikum fuhr. Das wurde vorher noch nicht gemacht. Jetzt kannst du Equipment mieten, das ähnliches leistet. Wir haben für Helene Fischer gearbeitet – 90 Prozent dessen, was wir für sie gebaut hatten, um sie über das Publikum zu geleiten, waren Standardteile. Die Hersteller hatten einen Katalog mit Artikeln, die als Sonderanfertigung entstanden und dann ins Verleihinventar übernommen wurden. Dadurch konnten sie neu konfiguriert werden. Helene Fischer konnte auf eine Tour gehen, die großartig und sehr nach ihr aussah, aber primär aus Mietmaterial bestand.

Das lässt sich natürlich nicht pauschal sagen – aber wie lange dauert es vom Entwurf bis zum fertigen Aufbau im Probe-Hangar?

Winkler: Das hängt von der Komplexität ab. Für die aktuelle Rolling-Stones-Tour erhielt ich den ersten Anruf am 17.Dezember, die erste Show fand am 3. Juni statt – also knapp sechs Monate. Wir haben’s in anderen Fällen schon schneller geschafft, und auch schon länger gebraucht.

No Filter The Rolling Stones Stage
Nahezu minimalistischer Gegenentwurf: Die 2017/2018er „No Filter“-Tour (Bild: Manfred Vogel)

Wie sah bei der „Sixty“-Tour die erste Grundidee aus?

Winkler: Hier kommt das zum Tragen, auf das ich mich vorhin bezogen hatte, dass wir bei Stufish sehr eng mit anderen Abteilungen zusammenarbeiten: In der Etage über unserem Studio sitzt Mark Norton, der alle Tour-Grafiken für die Stones-Tour entwickelt hat. Ich brauchte also nur die Treppe hoch, um mich mit ihm zu unterhalten. Patrick, der Creative Director, hatte den Überblick. Du beginnst mit einem leeren Stück Papier und einem Stift – ungefähr 90 Skizzen später hast du alle möglichen Szenarien und Optimierungen durch. Es ist ein organischer Prozess – niemand hat eine eindeutige Idee, wie das Endergebnis herauskommen wird. Die Erfahrung lehrt: Dein Bauchgefühl sagt dir, wenn du gerade eine gute Idee hast, und darauf kannst du aufbauen. Umgekehrt sagt dir dein Bauchgefühl auch, ob du in einer Sackgasse bist. Beim „Sixty“-Entwurf ging alles recht schnell; unser Bauchgefühl bestätigte uns, dass wir in der richtigen Richtung unterwegs waren. Ich referenzierte auf ihre Farbpalette und auf ihr Logo, du siehst beispielsweise den Ausschnitt der Zunge um die Band, ohne dass das zu offensichtlich oder zu subtil wirkt. Wir haben unterschiedlich Designstudien vorgenommen – „lasst uns die Zähne reinnehmen, rausnehmen, die Zunge erscheinen lassen oder rausnehmen“. Das ist ein Prozess, den du durchläufst.


Design-Team Rolling Stones „Sixty”-Tour

  • Show Director: Patrick Woodroffe
  • Lighting Design: WBD Video Design & Animation Treatment Lighting Director: Ethan Weber
  • Production Director: Dale “Opie“ Skjerseth
  • Tour Director: Paul Gongaware
  • Scenic Supplier: Tait Stage
  • Creative Design: Stufish Entertainment
  • Technisches Bühnendesign: WonderWorks
  • Grafiken & Tour Logo: Mark Norton

Inwieweit schränkten dich mechanische Gegebenheiten in Stadien beim Design-Aspekt etwa der „Sixty“-Tour ein?

Winkler: Im Falle von „Sixty“ bestand eine der Gegebenheiten darin, dass das Set, dass wir entwarfen, in viele vorhandenen Dachstrukturen passen musste: Unterschiedliche Höhen, Breiten, unterschiedliche Konstruktionsmethoden. Wir mussten also sehr dicht an einem modularen System arbeiten; manche Dächer waren 15 Meter, andere nur 13 Meter hoch. Du musst offensichtlich etwas in das modulare System einbauen, dass dir diesen Unterschied erlaubt – in Madrid hatten wir die volle Höhe von 15 Metern, in München waren wir bei zwölf, 13 Metern. Du arbeitest also innerhalb dieser Parameter.

Du hattest vorhin schon die erschwerenden organisatorischen Umstände erwähnt. Was war für diese Tour am schwierigsten in die Praxis umzusetzen?

Winkler: Alles! Allein die Materialien waren ein Problem. Es ginge nicht ohne Leute wie Production Director „Opie“ [Dale „Opie“ Skjerseth] – ihm gebührt jede Menge Anerkennung, das alles zu ermöglichen. Wir leben in einer Post-Pandemie, Post-Brexit, in der Mitte einer ukrainischen Krise – das hat einen massiven Effekt auf Dinge, die wir normalerweise für gegeben hielten. Du kannst nicht mehr Stahl wie gewohnt bekommen, das Thema Versandcontainer hat sich vervielfacht: Ein Container von China nach Großbritannien kostet 12.000 Pfund, während es vor der Pandemie noch 1.000 Pfund waren. Kraftstoff wurde teurer. Leute wie „Opie“ machen den Scheiß möglich!

Mein Job ist einfach: Ich kann in einem komfortablen Büro sitzen und schöne Skizzen zeichnen. Alles, was ich am Bildschirm mache, funktioniert wunderbar, weil ich nur Pixel durch die Gegend schiebe. Er muss das Material, die Crew und die Container zum Verschiffen auftreiben! Hier beginnt die wahre Magie: Das, was wir uns in unseren Köpften vorgestellt haben, in einem Stadion in Leipzig oder Liverpool stattfinden zu lassen.

Lass uns bei den Stones mal in die Vergangenheit blicken: Beim „Bridges To Babylon”-Setup von 1997 gab es vor dem Tour-Start Probleme mit der Brücke.

Winkler: Die Brücke ist zusammengebrochen. Wir begannen daraufhin eine Tour, die „Bridges To Babylon“ hieß, und bei den ersten drei Shows war keine Brücke vorhanden. (schmunzelt)

Was war passiert?

Winkler: Wenn du etwas als Einzelstück entwirfst und es funktioniert, ist das großartig. Wenn du etwas entwirfst, das auseinandergenommen werden muss, auf einen Truck geladen und transportiert werden muss, ist das wieder etwas anderes. Die Brücke hat jede Menge Seilzüge und Kabel, mit denen sie auseinandergezogen wird. Während des Transports im Truck hat sich durch die Vibration einer der Seilzüge in seiner Position zum nächsten Seilzug verschoben.

Falsch ausgerichtet, entsteht eine viel höhere Kraft auf dem Mast, auf dem der Seilzug sitzt. Die Kräfte waren schlicht zu stark, die Brücke riss. Was du im Hinterkopf behalten musst: Alles, was wir bauen, ist ein Prototyp! Es ist nicht so, dass wir es bauen, um danach sagen zu können, „okay, lass es uns optimieren, und dann bauen wir’s nochmal!“

Zum Glück offenbarte sich das Problem vor der Tour …

Winkler: Genau. Um es so zu formulieren: Es gibt mehr Erfolgsgeschichten als Misserfolge, weil die Industrie sehr gut funktioniert. Die Bauten folgen allen DIN-Standards, allen Brandschutzvorschriften, allen Standards hinsichtlich der Strukturindustrie. Es gibt keinen Rock’n’Roll bei einer Rock’n’Roll-Bühne! Es ist sehr, sehr strikt. Wie wir immer sagen: Kein Leben ist es wert riskiert zu werden für so etwas wie das. Es muss richtig gemacht werden.

Wie erfolgt die Freigabe für die unterschiedlichen Länder?

Winkler: Normalerweise läuft es so: Du suchst dir die striktesten Vorgaben, in Europa ist das der DIN-Standard, und alle anderen Länder folgen entsprechend. In den USA arbeiten wir üblicherweise nach den New Yorker oder den kalifornischen Vorgaben, weil die die höchsten Standards haben – alle anderen Staaten folgen dem dann. Allerdings brauchst du noch ein sogenanntes Baubuch, mit dem zu den lokalen Behörden gehst – das Vorab-Team lässt das alles abzeichnen, eine Formalität. Es ist stark reguliert, und zu Recht! Du hast einige der berühmtesten und wertvollsten Vermögenswerte unter deinem Set – du willst sicherlich nicht als derjenige in die Geschichte eingehen, der das Dach fallen lässt!

Sixty The Rolling Stones Stage
Die „Sixty“-Bühne ist 55 Meter breit, mit 400 Quadratmetern Gesamtfläche. Die Deckenhöhe beträgt 16 Meter, sie ist allerdings skalierbar: Im Münchener Olympiastadion beispielsweise waren 12-13 Meter als Limit vorgegeben (Bild: Stufish Entertainment)

Metallica hatte das 2012 als Show-Einlage gemacht – ein Teil der Bühne kollabierte scheinbar, als Überraschungseffekt der Show …

Winkler: Das wurde auch auf extrem kontrollierte Weise gemacht! Bei Beyoncés OTR II-Tour hob sich die flache Bühne an, fuhr über das Publikum und kam zurück. Weil du die Künstlerin darauf hast und das Publikum darunter, bestehen aus Ingenieurssicht einige Sorgen und Belange. Alle davon müssen erfüllt werden. Sie hat mehr oder weniger 48 Shows gespielt, mit nur sehr wenigen Problemchen, auf keinen Fall Verletzungen. Das ist ein Beweis dafür, wie „erwachsen“ die Industrie ist. Es gab mal eine Zeit – nicht nur im Rock’n’Roll-Bereich, sondern auch in der Gebäudeindustrie – in der es akzeptiert war, dass Gesundheit und Sicherheit ein Preis waren, den man zahlte, um auf einer Baustelle zu arbeiten! Es muss dir möglich sein, komplett sichere Arbeitsumgebungen zu garantieren, selbst, wenn die Arbeitsumgebung gefährlich ist. Abkürzungen zu nehmen ist kurzsichtig, sie werden dich immer beißen. Noch schlimmer: Jemand verliert sein Leben. Das ist es nicht wert. Du willst nicht mit jemandes Leben spielen, indem du ihnen eine unsichere Arbeitsumgebung zugrunde legst. Darüber hinaus wäre es auch vernichtend für eine Tour, mit einer Katastrophe oder Tod assoziiert zu werden. Ich habe noch keine Produktion getroffen, bei der das Thema Sicherheit nicht ganz oben auf der Agenda stand.

Sixty The Rolling Stones Stage
Die Trademark-Zunge darf nicht fehlen: Zwei große Bildschirme sind in die Fassade integriert, im Zusammenspiel mit dem großen Screen hinter der Band (Bild: Stufish Entertainment)

Zum Schluss: Worin besteht für dich die emotionale Belohnung als Entertainment-Architekt?

Winkler: Es ist unglaublich belohnend, wenn du jemanden wie die Stones auf die Bühne gehen siehst, die seit 60 Jahren existieren, und Mick Jagger auf der Bühne auftreten kann, die wir für ihn entworfen haben – und 60.000 Fans in Madrid jedes Wort kennen von einem Song, der 1965 geschrieben wurde. 20-jährige sangen „I can’t get no Satisfaction“! Wenn du in der Umgebung stehst und auch nur einen sehr kleinen Anteil daran hast, dass das zustande kam, ist das ein ziemlich gutes Gefühl.

Und ich kann das gar nicht genug betonen: Wir lieben es, mit einem großen Team zu arbeiten. Wenn das Licht gegen Video ankämpft, Video gegen Sound, und Sound gegen die Struktur, und die Struktur gegen die Choreografie, passiert gar nichts. Es ist wie eine Band: Du kommst zusammen, jeder weiß, zu welcher Musik wir spielen, jeder kennt seine Fähigkeiten – und darin gibst du dein Bestes, während du auf andere vertraust, dass sie ihr Bestes geben. Wenn das gut funktioniert, wie bei dieser Produktion, dann ist das wundervoll, eine Freude.

Nach den vielen Jahren und Tour-Designs: Welcher Entwurf reizt dich noch in deiner Vorstellung, sollte sich die Möglichkeit bieten?

Winkler: Keine Ahnung – vielleicht mit Pink Floyd auf der dunklen Seite des Mondes! (lacht)

Kommentar zu diesem Artikel

  1. … der Artikel ist genial, wenn man die Bühnen seit 1990 live gesehen hat. Danke dafür. It’s only rock’n roll.

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