Seebühne Bregenz 3D-Sound

Bregenz Open Acoustics 2.0: Madame Butterfly in 3D-Sound

Pionierarbeit in Sachen 3D-Sound leistet die Bregenzer Seebühne mit ihrem System zum Erzeugen eines passenden Richtungs- und Raumeindrucks schon lange. Durch neue Komponenten wurde das System ‚Bregenz Open Acoustics‘ – kurz BOA – weiterentwickelt und begeistert Zuschauende mit Madame Butterfly in den Sommermonaten 2022 und 2023.

Seebühne Bregenz(Bild: Christiane Bangert)

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Übersicht: 

Audioaufgabe: Opern-Erfahrung!

Lautsprecher: Höhenbedarf beeinflusst Bühnenbild

Prodigy.MP als DSP- und Havarie-Zentrale

Orchester in Surround

Lawo: Update für mehr Speed und Komfort

Richtungsrichtig

Raum ohne Raum

Ans Wetter adaptierter Mix


Madame Butterfly lebt in der Illusion, ihr Mann käme zu ihr zurück. Der Zuschauer verfolgt diese Tragödie in der Illusion, die Sänger auf der Bühne zu hören, eingebettet in den Klang des Orchesters. Nun sind die Zuschauer auf der ca. 90 m breiten und 80 m tiefen Tribüne aber sehr weit von den Sängern entfernt. Die Distanz von der Bühnenvorderkante zur ersten Zuschauerreihe beträgt allein 20 m. Das Orchester sitz nicht in einem Orchestergraben, sondern auf der Bühne des Festspielhauses in räumlicher Entfernung. Es ist also die Aufgabe der Tontechnik, diese Illusion für den Zuhörer zu schaffen und dafür zu sorgen, dass die Zuschauer zwei Stunden gespannt und emotional berührt dem Geschehen auf der Bühne folgen – einem Geschehen, das bei der Tragödie „Madame Butterfly“ oft nur aus wenigen Akteuren auf der Bühne besteht und bei dieser Inszenierung auch mit wesentlich weniger ‚Klamauk‘ als bei anderen Produktionen auf der Seebühne auskommt.

Madame Butterfly
Parkgarage des Bootes, das Madame Butterfly ihren Mann wiederbringen soll (Bild: Christiane Bangert)

Wie dies tontechnisch gelingt, erklärte Clemens Wannemacher, Leiter der Tonabteilung der Bregenzer Festspiele, bei unserem Besuch der Seebühne.

Clemens Wannemacher
Clemens Wannemacher Leiter der Tonabteilung der Bregenzer Festspiele (Bild: Christiane Bangert)

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Audioaufgabe: Opern-Erfahrung!

Die Erwartungen der Zuhörer an die Klangqualität sind bei einem Opernbesuch immer hoch – und in Bregenz ganz besonders. Schließlich stehen international renommierte Sänger auf der Bühne, begleitet werden sie von den Wiener Symphonikern, dem Prager Philharmonischen Chor und dem Festspielchor. Das Publikum möchte hören, wie in einem guten Opernhaus, in dem sich der Orchesterklang aus dem Orchestergraben mit den Stimmen perfekt zusammenfügt und der Saal dafür sorgt, dass man angenehm eingehüllt in das Klanggeschehen an der Aufführung teilhat. Dass man die Sänger auch an der Position hört, wo man sie sieht, ist eine Selbstverständlichkeit. Nicht aber in Bregenz, wenn man rein die ‚räumlichen‘ Bedingungen betrachtet. Denn es gibt weder Saal noch Orchestergraben und die Sänger sind weit entfernt. „Die richtungsrichtige Wahrnehmung ist bei den Entfernungen und Größe der Bühne besonders wichtig, um zu wissen, wer singt, um der Handlung folgen zu können“, erklärte Clemens Wannemacher.

Hinterer Rand der Tribüne
Hinterer Rand der Tribüne Lautsprecher tragen dazu bei, dass sich die Zuschauer wie in der Oper von der Musik umhüllt fühlen (Bild: Christiane Bangert)

Richtungsrichtig, räumlich und in einer Klangqualität, die wie rein akustisch ohne jegliche Verstärkung anmutet, muss also die Elektroakustik Musik und Gesang zu den Zuhörern übertragen.

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Lautsprecher: Höhenbedarf beeinflusst Bühnenbild

Dazu ist eine große Anzahl Lautsprecher im Bühnenbild, um die Bühne herum und auf der Tribüne verteilt. Es arbeiten Lautsprecher unterschiedlicher Hersteller zusammen, viele kommen aus dem Hause Kling & Freitag. Auch Adamson, JBL und KV2 sind vertreten. Die ca. 50 Lautsprecher, kaschiert im Bühnenbild, sind für den Richtungsreiz zuständig. „Die Elektroakustik war nicht ganz unschuldig an der jetzigen Gestaltung des Bühnenbildes“, erläuterte Clemens Wannemacher. „Ursprünglich sollte die Bühne flacher sein, noch mehr ein ins Wasser geworfenes, zerknülltes Blatt Papier assoziieren. Wir brauchten aber auch Lautsprecher in der Höhe, um auch die oberen Bereiche der Tribüne zu erreichen.“

Für das Nahfeld sind Adamson-Lautsprecher Point 12 zwischen Bühne und Tribüne auf Ständern im Wasser montiert. Das Orchester wird vornehmlich von den KV2 ESR212 wiedergegeben, die an jeweils zwei hohen Pfosten rechts und links der Bühne platziert sind. Durch die Verteilung der Pfosten fast über die Tribünenbreite wird ein räumliches Klangbild in der Horizontalen ermöglicht. Mit den KV2 ESR212 an jedem Pfosten gelingt auch eine Höhenstaffelung der Orchesterwiedergabe.

KV2 ESR212 und Kling & Freitag Spectra 212
Masten neben der Bühne mit KV2 ESR212 und Kling & Freitag Spectra 212 (Bild: Christiane Bangert)

Während die KV2 den für den Orchesterklang passendende, eher breite Abstrahlung haben, beschallen die jeweils zwei Kling & Freitag Spectra 212 zwischen den KV2s am Pfosten recht genau ein bestimmtes Segment. Sie sind für die Unterstützung der Stimmen zuständig.

Rückseite des Bühnenbilds
Rückseite des Bühnenbilds Lautsprecher sind hier hinter schwarzen Abdeckungen installiert (Bild: Christiane Bangert)

Damit die Zuschauer sich vom Klang umgeben fühlen können, sind rund um die Tribüne an 29 Masten eine Vielzahl von Lautsprechern auf drei Ebenen montiert, ergänzt durch Lautsprecher an der Fassade des Schauspielhauses. Es sollen insgesamt ca. 340 Lautsprechersysteme sein, die meisten aus dem Hause Kling & Freitag. Dazu kommen 18 Lautsprecher von Adamson und acht Subwoofer von JBL. Oberhalb der Treppenaufgänge sind Lautsprecher im Zuschauerbereich positioniert. Aber es sind doch mangels Möglichkeiten – in die Betontribüne lassen sich im Nachhinein nicht einfach Lautsprecher einbauen – in den mittleren Zuschauerbereichen zu wenige, um den Zuhörern akustisch das Geschehen auf der Bühne näher zu bringen. Deshalb kommen hier seit 2021 Spezialanfertigungen aus dem Hause Kling & Freitag zum Einsatz.

Zuschauerraum
Im Zuschauerraum sind soweit wie möglich auch Lautsprecher aufgestellt (Bild: Christiane Bangert)

Bei diesem speziellen Untersitzlautsprecher mit Namen ‚Linus‘ handelt es sich um einen Linien-Lautsprecher mit vier 3″-Breitbandtreibern in einem geschlossenen Gehäuse, das 100 × 9 × 12 cm groß ist. Jeweils zwei Treiber sind parallelgeschaltet. Mit der Impedanz von 2 × 32 Ohm lassen sich zehn Lautsprecher mit einer Gesamtimpedanz von je 2 × 3,2 Ohm an zwei Verstärkern betreiben. Die zwei Wege pro Lautsprecher schaffen bessere Voraussetzungen für ein inkohärentes Schallfeld, das für die Raumsimulation wichtig ist. Im mittleren Tribünenbereich ist jede zweite Reihe mit den Lautsprechern ausgestattet, insgesamt sind es 270 Stück. Sie dienen dazu, erste Reflexionen zu erzeugen, die in einem Raum von den Wänden und Boden kommen würden und Nachhall zu kreieren.

Verstärker für die Lautsprecher
Verstärker für die Lautsprecher in und um die Bühne, zumeist aus dem Hause Crown (Bild: Christiane Bangert)

Viele Lautsprecher wurden über die Jahre getauscht und erneuert – geblieben ist der Hersteller der Verstärker. Es wurden – bis die die ersten KV2-Lautsprecher auftauchten – grundsätzlich Crown-Verstärker eingesetzt. Denn bei einer so großen Anlage ist die Möglichkeit der Fernüberwachung auf einer gemeinsamen Software-Oberfläche ein Muss. Die Subbässe werden neue Positionen finden: Nach dem Bau einer neuen Tribüne sollen 2023 14 Stück fest eingebaut sein.

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Prodigy.MP als DSP- und Havarie-Zentrale

Nach der Pandemie-Pause wurde auch die Havarie-Überwachung erweitert. Zwei redundant konfigurierte Prodigy.MP von DirectOut dienen als Verbindung zwischen den einzelnen Gebäudeteilen des Festspielhauses. Ein hohes Redundanzlevel ist für die Bregenzer Festspiele wichtig, da die Prodigy.MP die wesentlichen Venues des Bregenzer Festspielhauses miteinander verbinden: Die Seebühne mit Tribüne, großen Saal, Werkstattbühne und den Platz der Wiener Symphoniker. Im Planungsverlauf zeigte sich, dass die Prodigy.MP innerhalb der komplexen Infrastruktur bei den Festspielen weitere Aufgaben ausfüllen können. Genutzt werden sie nun nicht nur als Multiformatwandler zwischen MADI, Dante, Ravenna, analog und AES3, sondern auch ihre DSP-Ressourcen.

Das ursprüngliche Konzept sah vor, dass nach der Formatwandlung durch Prodigy.MP die Signale via MADI an Rackmischer weitergereicht werden, um dort ein Processing zu realisieren. „Nachdem wir aber im Zuge der Planung immer mehr um die Möglichkeiten von Prodigy.MP verstanden haben, waren die zusätzlichen Rackmischer nicht mehr notwendig. Dadurch sparten wir nicht nur Kosten, sondern haben auch die Bedienung auf nur ein Gerät beschränkt, was im Fehlerfall die Suche und hoffentlich auch die Lösung von Problemen erleichtert. Ein weiteres wichtiges Kriterium, welches für Prodigy.MP spricht, ist das ausgeklügelte Redundanzkonzept mit diversen Strategien, um System- und Signalausfälle zu minimieren“, so Wannemacher. Neben der Redundanzumschaltung EARS, die einen Signalausfall an allen digitalen Mehrkanaleingängen detektiert und automatisch auf eine alternative signalführende Quelle umschaltet, kam so auch der Mirror-Mode zum Einsatz: Er liest ausgewählte Parameter der Main-Unit von der Mirror-Unit aus und übernimmt sie 1:1. Im Falle eines Ausfalls übernimmt die Mirror-Unit automatisch diese Rolle in identischer Konfiguration.

Durch die Prodigy.MP wurden auch weitere Workflows verbessert. Das Mithören aller im Lawo mc² 96 erzeugten Summen wird beispielsweise ermöglicht, indem diese als Ravenna-Format an Prodigy.MP übergeben werden und von da aus als AES3- und Analog-Signale allen wesentlichen Protagonisten jederzeit zur Verfügung stehen. Auch der Probetrieb wurde effizienter gestaltet, indem Benutzer mittels der TouchOSC-App im gesamten Areal für sie wichtige Regler an die Hand bekommen.


Orchester in Surround

Bei einem Orchester im Orchestergraben ist ein räumliches Klangbild durch die horizontale und vertikale Ausdehnung der ‚Klangquelle‘ gegeben. Der Saal tut dann seinen Teil hinzu, dass sich Stimmen und Orchester klanglich miteinander vereinen. Nicht aber in Bregenz, wo es nur See und keinen Orchestergraben vor der Bühne und auch keinen Saal gibt. Hier müssen allein die Lautsprecher das räumliche Klangbild erzeugen. Damit dies gelingt, muss das Orchester auf der Bühne des Festspielhauses so aufgenommen werden, dass die Lautsprecher auf den verschiedenen Ebenen ein entsprechendes Signal bekommen. „Bei der Mikrofonierung geht es unter anderem darum, die Surround-Beschallung auf der Tribüne mit Lautsprecher auf mehreren Höhenebenen – Untersitzbeschallung und bis zu drei Ebenen auf den Masten – auch in der Mikrofonierung abzubilden“, erläuterte Clemens Wannemacher: „Deshalb haben wir zusätzlich zu einer konventionellen Mikrofonierung wie für ein Recording noch Raummikrofone auf mehreren Ebenen installiert.“

Aufnahme des Orchesters
Die Aufnahme des Orchesters vom Saal des Festspielhauses hat zum Ziel, mit verschiedenen Signalen auf den unterschiedlichen Ebenen ein möglichst natürlich wirkendes Klangbild zu erzeugen (Bild: Christiane Bangert)

Dazu kamen ein ‚Hamasaki-Square‘ mit vier Sennheiser MKH30 und ein Josephson C700S zum Einsatz. Beim Hamasaki-Square handelt es sich um eine Sourround-Sound-Aufnahmetechnik, bei der vier Mikrofone mit Achter-Charakteristik in einem Quadrat mit einer Seitenlänge von ca. 2 m angeordnet sind. Dabei zeigen die Achten nach außen, die „0“-Ebene ist auf die Hauptquelle ausgerichtet. Das „Square“ war über dem Publikumsbereich des Saals aufgehängt. Die Signale wurden auf die mittleren und oberen Lautsprecher an den Masten um die Tribüne rum verteilt, die Signale vom vorderen Achter-Mikrofon nach links, die vom hinteren linken Mikrofon nach hinten links, usw.

Hamasaki-Square
Hamasaki-Square (über der mittigen Tür) mit vier Sennheiser MKH30 im Festspielhaus für das Orchester (Bild: Clemens Wannemacher)

Das Josephson C700S hat drei Kapseln, die getrennt aus dem Mikrofon abgreifbar sind. Mit der Charakteristik der Kapseln als Kugel und zwei Achten lassen sich beliebige Richtcharakteristika formen. „Für die unteren seitlichen und hinteren Lautsprecher haben wir je ein Surround L- und Surround R-Signal matriziert, auf 120° von der Hauptachse des Orchesters gesehen. Die Signale von einer Niere, die nach hinten zeigt, wird auf die Untersitzbeschallung geroutet.“

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Lawo: Update für mehr Speed und Komfort

Schon mit der Neuanschaffung des MC²96 im Jahr 2018 wurde der neue UHD-Core mitgeliefert – mit der Herstellerinformation, dass die Hardware zwar schon fertig, aber die Steuerung (also die Software) noch nicht implementiert sei. Im März 2022 wurde dann der Umbau vorgenommen und der UHD Core installiert. Clemens Wannemacher: „Da es sich hier um eine komplett neue Hard-und Software handelt, war es auch für uns notwendig, das komplette Grundsetup des Pults von Grund auf neu zu denken, da von einer Portierung seitens Lawo dringend abgeraten wurde. Das haben wir gemacht, und ich habe einige Wochen damit verbracht, das neue Pultsetup zu integrieren. In der Probenphase wurde dann selbstverständlich noch so einiges angepasst, und auch noch so einige Kinderkrankheiten sind ans Tageslicht gekommen, und auch sehr schnell vom Lawo- Support behoben worden.“

Lawo mc2 96
Lawo mc² 96 Die Mischung wird bei jeder Vorführung auf die wechselnde Besetzung und die Wetterverhältnisse angepasst (Bild: Christiane Bangert)

Eine sichtbare Neuerung sei auf jeden Fall die optische weitaus aufgeräumtere Oberfläche, und sehr viel Spielraum in deren Anpassung, um auf die Bedürfnisse der Nutzer eingehen zu können. Auch seien mit dem UHD-Core die Ladezeiten zwischen Snapshots dramatisch verkürzt worden. Die neue Home-Umgebung lässt umfangreiche Verwaltung sämtlicher Streams im Ravenna-Netzwerk zu und bietet sogar die Möglichkeit, sehr umfangreich Routings in den jeweiligen Geräten zu ändern. Die Einbindung von externen (also nicht Lawo-) Geräten wie die Prodigy.MP und ein Merging-Anubis-Interface (Multitrack-Recording) waren ebenso relativ einfach zu bewerkstelligen. Clemens Wannemacher zum Stichwort „Multitrack-Recording“: „Mit der Einführung eines dritten Inputs pro Eingangs-Kanal ist die Umschaltung zwischen Live-Inputs, Havarie-Inputs und Virtual Soundcheck um einiges einfacher geworden. In Summe: Beeindruckend, was für Rechenleistung in einem 1-HE-Frame steckt. Ich bin gespannt, was noch alles in Zukunft an Funktionen dazukommen wird.“

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Richtungsrichtig

Das Bühnenbild ist in seiner Gesamtheit visuell mit oft eindrucksvollen Bildern konzipiert und die Sänger nehmen selbst bei einer geringen Anzahl von Akteuren einen Großteil der Bühne ein. Wer wo gerade singt, kann man mit bloßem Auge nicht erkennen, aber hören. Für dieses richtungsrichtige Hören sorgt das System ‚Spatial Sound Stage‘. Es generiert aus den 64 Eingangssignalen am ‚Richtungsmischer‘, kurz RiMi genannt, 256 Ausgangskanäle, die dann über die Lautsprecher wiedergegeben, den passsenden Richtungseindruck erzeugen. Spatial Sound Stage geht auf die 3-D-Sound-Entwicklungen des Frauenhofer IDMT zurück und schafft die Möglichkeit, Schallereignisse im 3D-Raum zu platzieren. Dies ist schon für statische Quellen eine komplexe Aufgabe, da ja nicht nur die Richtung, sondern auch die Lautstärke der beim Hörer ankommenden Signale stimmen muss. Wenn sich die Quellen wie die Sänger auf der Bühne auch noch bewegen, wird es noch aufwendiger.

„Zur Festlegung der Quellposition ist die Bühne in 66 verschiedene Richtungsgebiete eingeteilt“, erläuterte Clemens Wannemacher. „Das Orchester, von dem ein 7.1-Mix in die Anlage eingespeist wird, gehört zu den 32 statischen Quellen und hat feste Richtungsgebiete. Bei den Sängern, die zu den 32 dynamischen Quellen gehören, muss der RiMi zwischen jeweils drei Richtungsgebieten interpolieren: Zwischen dem, wo die Sängerin herkommt, wo sie gerade ist und wo sie hinwill. Dies braucht natürlich eine große Rechenleistung und so ist es sinnvoll, die Anzahl der dynamischen Quellen auf 32 zu begrenzen.“

Die Verfolgung der dynamischen Quellen erfolgt momentan noch händisch, es wird kein Tracking-System genutzt. „Wir suchen ein System, das für alle Gewerke genutzt werden kann,“ erläuterte Clemens Wannemacher. „Licht und Video sind noch stärker auf die Genauigkeit des Trackings angewiesen. Zudem muss Aufgrund einer gewissen ‚Trägheit‘ der Lampen ein Trackingsystem für die Beleuchtung vorausschauend arbeiten. Sonst hinkt schnellen Bewegungen der Lichtkegel dem Sänger immer etwas hinterher. Ein solches System ist nicht leicht zu finden.“ Zur Einstellung und Bedienung während der Aufführung stehen grafische Oberfläche mit Bühnenbild und allen notwendigen Informationen zur Verfügung. „Man kann für jeden Lautsprecher für das jeweilige Richtungsgebiet Pegel und Zeit einstellen,“ erläuterte Clemens Wannemacher. „Es lassen sich EQs für ein ganzes Richtungsgebiet einstellen oder auch für jeden einzelnen Lautsprecher setzen. Das ist schon ein sehr mächtiges Werkzeug. Wir machen im Richtungsmischer auch das Muten der Sänger. Es erleichtert die Arbeit am Mischpult, dass hier nicht noch die nicht aktiven Sänger stumm geschaltet werden müssen.“

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Raum ohne Raum

Nun fehlt den Zuhörern nur noch das Gefühl, dem Geschehen auf der Bühne nah und, wie vom Opernhaus gewohnt, in das Klanggeschehen eingehüllt zu sein. Hierfür kommt ‚Vivace‘ von der Müller BBM Solutions GmbH zum Einsatz.

Vivace
Vivace der Nachhall lässt sich u. a. in Pegel und Zeit für die einzelnen Oktaven beeinflussen (Bild: Christiane Bangert)

Vivace schafft in Zusammenarbeit mit den Lautsprechern die Akustik wie in einem Raum – obwohl es den Raum gar nicht gibt. Die geschieht einerseits durch die Generierung eines Nachhalls durch die so genannte Faltung (mathematische Operation) der Signale mit der Impulsantwort eines Raumes, z. B. eines guten Opernhauses, einer Kirche, eines Konzertsaales. Das Ergebnis-Signal hört sich dann an, als wenn das Signal in diesem Raum aufgenommen worden wäre. Zusätzlich erzeugt Vivace frühe Reflexionen, die für das Raumempfinden hinsichtlich der Geometrie, Größe und Nähe von Quellen dem Hörer die notwendigen Informationen liefern.

Damit für den Opernbesucher der Nachhall, umhüllender Klang und Nähe der Akteure natürlich wirkt und es vor allem auch keine Klangverfärbungen durch sich überlagernde Signale gibt, ist selbstredend einiges mehr an Signalverarbeitung als eine einfache Faltung notwendig. Die Signale werden u. a. in einer Matrix miteinander vermischt und mit verschiedenen Impulsantworten gefaltet. Die ‚verhallten‘ Signale können zudem nicht nur in der Zeit, sondern auch im Pegel angepasst werden, so dass z. B. fehlende Energie in einem kürzeren Nachhall durch Anheben der Verstärkung (Gain) ausgeglichen werden kann. Anpassungen sind in einzelnen Oktavbändern möglich. Die Algorithmen und Matrizen sorgen dafür, dass die Lautsprecher die Signale so wiedergeben, dass ein inkohärentes Schallfeld entsteht, in dem u. a. der einzelne Lautsprecher als Quelle nicht wahrgenommen wird.

Vivace
3D-Pegelverteilung auf der Tribüne, dargestellt auf der Vivace-Oberfläche (Bild: Christiane Bangert)

„In der Kombination von Mikrofonierung und Vivace lässt sich ein sehr homogen und ‚echt‘ klingender Raum erzeugen, der klanglich sehr überzeugend wirkt“, erläuterte Clemens Wannemacher.

In der Mitte der Tribüne hatte die Versorgung der Zuschauer mit den ‚vorgegaukelten‘ Raumreflexionen bisher ihre Grenzen. Deshalb wurden hier die Linus von Kling & Freitag nachgerüstet. „Man nimmt die Lautsprecher nicht wahr, wenn sie an sind“, erklärte Clemens Wannemacher. „Erst beim Ausschalten merkt man, dass sich die Ortung des Signals merklich weiter entfernt und auf einmal die großen Distanzen zu den Sängern spürbar wird. Die Lautsprecher holen das Geschehen ca. 20 m näher an den Zuhörer.“

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Ans Wetter adaptierter Mix

Es gibt verschiedene Gründe, warum bei jeder Aufführung die Tonabteilung mit einigen Mitarbeitenden aktiv ist. Zunächst sind einige auf der Bühne, um die Drahtlos-Mikrofone zu betreuen und die Tontechnik dort zu überwachen. Zwei- bis drei stehen aber auch allabendlich am Mischer – einem Lawo mc296 – und bedienen Spatial Sound Stage. Jede Aufführung ist schon deshalb klanglich von den Quellen her anders, weil jede Hauptrolle mit zwei bis drei Personen besetzt ist. „Es wird zwar so geplant, dass immer dieselben Besetzungen zusammen sind“, erläuterte Clemens Wannemacher. „Aber über die Zeit entsteht immer mal wieder die Notwendigkeit, dass z. B. aufgrund von Krankheit die Zusammenstellung wechselt. Außerdem singen und spielen Sänger und Musiker nicht jeden Abend gleich. Schon von daher ist es notwendig, jede Aufführung aktiv zu mischen. Der Hauptgrund ist aber das Wetter.“ Bei sehr schlechtem Wetter und Gewitter wird zwar nicht gespielt. Aber leichter Wind, Wellen und Regenschauer sind keine Gründe für Absage oder Unterbrechung einer Aufführung. „Es ist ein riesiger Rauschgenerator, wenn 7000 Gäste sich bei einsetzendem Regen die Regenjacken überziehen, Wellen sind gut hörbar“, sagte Clemens Wannemacher. „Die Dynamik wird damit begrenzt, an sich leise Signale müssen lauter sein, damit sie nicht in den Umgebungsgeräuschen untergehen.“

Beim eigenen Besuch der Aufführung lag der See ruhig und regenfrei. Und trotz Wissen um die komplexe Technik gelang es gut, sich auf die Illusion einzulassen, den Gesang direkt von der Bühne zu hören. Dabei war die Inszenierung eher einfühlsamen, mit eindrücklichen Bildern durch Projektionen auf das helle Bühnenbild und zum Teil so wenigen Akteuren auf der riesigen Bühne, dass auch eine kleine Kammerspielbühne hinreichend Platz geboten hätten. Ohne die Illusion der akustischen Nähe zum Geschehen auf der Bühne und die Qualität des vielschichtigen Klangbildes, wäre es wohl schwergefallen, Spannung und Aufmerksamkeit über die Aufführungsdauer aufrechtzuerhalten.

Tribüne für 7000 Zuschauer
Tribüne für 7000 Zuschauer mit Lautsprechern rundum auf verschiedenen Ebenen (Bild: Christiane Bangert)

Aber so nahmen einen die klanglich überzeugenden Sängerinnen und Sänger mit in die tragische Welt der Madame Butterfly und die Illusion endete erst mit ihrem Tod. Hinter der Bezeichnung BOA 2.0 steht also ein komplexes System aus all den hier beschriebenen Komponenten, das seine Aufgabe erfüllt: Dem Besucher ein klanglich vollwertiges Opernerlebnis in der einmaligen Kulisse der offenen Bühnen im Bodensee zu bieten – auch in 2023 wird das Publikum dieses Erlebnis mit weiteren 26 Vorstellungen wieder genießen können.

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Kommentar zu diesem Artikel

  1. Was ist die DRITTE “Dimension” und wie groß ist ihre Abmessung (Abstand der Schallquellen von der “Surround”-Schallebene) ?

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