Während sich europäische Autohersteller der Herausforderung gegenübersehen, ihr Angebot wieder zukunftsfähig aufzustellen, holt die chinesische Industrie rasant auf – und mit ihr die begleitende Messelandschaft. Tyron Truong von Studio RGB berichtete 2023 über ein Business, das eine neue Dynamik erlebte.
Mit über 1.400 Fahrzeugen auf mehr als 360.000 Quadratmetern feierte die Auto Shanghai 2023 ihren Neubeginn in der Post-Corona-Ära. Dass die Veranstalter fast eine Million Besucherinnen und Besucher nannten und Cision Insights der medialen Sichtbarkeit einen Zuwachs gegenüber 2021 von über 30% attestiert, wird neben der pandemiebedingten Pause 2022 noch an einem zweiten Faktor liegen: Der weltweite Trend zu „New Energy Vehicles“, wie sie in China klassifiziert werden, kommt den chinesischen Herstellern sehr gelegen. Sie füllen mit rasantem Tempo die von den traditionellen Autobauern derzeit offen gelassenen Lücken. Auf der Auto Shanghai 2023 waren die meisten der neuen Modelle, die präsentiert wurden, elektrifizierte Fahrzeuge – insgesamt 92 von 150. Als weitere wichtige Ausrichtung der Messe galt zudem die Digitalisierung und „Intelligenz“ der Fahrzeuge, mit fortschrittlichen Funktionen wie hoher Rechenleistung, intelligenten Fahrchips, LiDAR und intelligenten Cockpits, die hier bereits zum Standard für die meisten Fahrzeuge wurden. Auch die Marktanteile chinesischer Automarken im Bereich der Personenkraftwagen steigen weiter und sind ein weiteres Anzeichen für ihre zunehmende Wettbewerbsfähigkeit und Bedeutung in der globalen Automobilindustrie – ihr Marktanteil erreichte 2022 fast 50 %. Branchenkenner und mit der technischen Umsetzung vieler Messeauftritte diverser Autohersteller betreut, ist seit vielen Jahren Tyron Truong, Managing Partner der Studio RGB (www.rgb-china.com). Mit den Eindrücken dieser Rekorde brechenden Messe schildert er seine Einschätzungen, wie sich das Messegeschäft auch für europäische Dienstleister verändern kann.
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Lokale vs. internationale Produkte
Tyron, wie würdest du den aktuellen technischen Stand der chinesischen Veranstaltungstechnikfirmen im Vergleich zu deutschen Unternehmen einschätzen?
Tyron Truong: Der technische Stand ist im groben ja von zwei Faktoren abhängig. Erstens von dem zur Verfügung stehenden Material, also der Hardware (wie Scheinwerfern, Lautsprechern, LED-Walls etc.). Zweitens von der daraus gebildeten Infrastruktur, also z. B. Verkabelung, der Wartung, der Lagerhaltung und vielen, vielen anderen Faktoren. In der Beleuchtungstechnik und bei LED-Wänden werden bei Veranstaltungen in China ca. 90 % lokale Produkte verwendet. Im Audiobereich sieht es interessanterweise anders aus: Hier sind es geschätzt nur 10 % lokale Produkte. Auch bei der Steuerung, also Lichtpulten, Video- und Audio-Mixern, dominieren weiterhin internationale Produkte. Wir haben fortwährend Anfragen internationaler Kunden, die natürlich auf international anerkannten Produkten basieren. Unsere Aufgabe ist es dann, in Zusammenarbeit mit dem Kunden die Erwartungshaltung zu definieren und im Hinblick auf Rental-Budget und Logistikkosten eine optimale Lösung zu finden. Wir finden es insbesondere auch im Hinblick auf die Klimaveränderung nicht sinnvoll, tonnenweise Equipment einzufliegen, wenn ein vergleichbares Produkt lokal erhältlich ist. Auch unsere Veranstaltungsbranche sollte hier so weit wie möglich zur Nachhaltigkeit beitragen.
Zum zweiten Punkt, dem technischen Stand der Infrastruktur: Die Anforderungen der Veranstaltungsstätten haben sich zudem in Bezug auf die Sicherheit extrem verschärft, wir werden mit immer strengeren Vorschriften konfrontiert. Dies ist eine Herausforderung nicht nur für den Dienstleister, also die chinesische Veranstaltungstechnikfirma, sondern auch für uns. Es ist unter anderem spannend, unserem deutschen Kunden zu vermitteln, dass ein Kabel, das nach VDE, DIN oder ähnlich in Deutschland zugelassen ist, hier in China nicht verbaut werden darf.
Aber dafür sind wir ja da 🙂
Wie hat sich der Ausbildungsstand der chinesischen Fachkräfte in der Veranstaltungstechnik über die letzten Jahre entwickelt?
Truong: Das ist eine gute Frage! In China gibt es keine „klassischen“ Lehrberufe. In Bezug auf die Veranstaltungstechnik ist das also noch so wie in Deutschland vor 20 Jahren. Aber auch in Deutschland gab es ohne den Ausbildungsberuf schon damals hochspezialisierte Fachkräfte, die ihr Fachwissen durch Know-how-Transfer erworben haben.
Wenn ich Bezug nehme auf die letzten Jahre, und dabei spielt die Pandemie natürlich eine nicht unwesentliche Rolle. Es hat sich hier auch das Fachwissen im Durchschnitt verbessert. Das liegt wahrscheinlich auch daran, dass in China in den letzten drei Jahren das Veranstaltungsgewerbe mit einigen Einschränkungen – hier ist der bekannte Shanghai Lockdown im Frühjahr 2022 das beste Beispiel – weiter funktionierte. In China wurde die Pandemiezeit effektiv auch für Weiterbildung und Schulungen genutzt. Auch wir haben in dieser Zeit Schulungen in Form von Seminaren zur Beleuchtung, Rigging, Planung und Lagerhaltung durchgeführt.
Leider sind auch bei uns, wie in Deutschland, ein paar sehr gute Fachkräfte in der Corona-Zeit in andere Berufe abgewandert – zum Glück nicht so krass wie in Deutschland. Momentan ist es erfrischend zu sehen, dass die Profis, die ihren Job mit ganzem Herzen und vollem Einsatz machen, auch wieder zurück in die Branche finden. Auch wenn das grundlegende Fachwissen theoretisch bei allen Technikern vorhanden ist: Es ist jedoch immer ein weiter Weg von dem Erlernen der Theorie zu dem Umsetzen des Erlernten und dem Adaptieren in der täglichen Praxis. Das merkt unser internationales Team auf Produktionen immer wieder.
Welche Rolle spielten deutsche Dienstleister bei der Automesse 2023 in China im Vergleich zu früheren Messen?
Truong: Deutsche Dienstleister – Messebauer, Veranstaltungstechnikfirmen, Reinigungsfirmen etc. – haben in den letzten 20 Jahren sehr intensiv in China auf den Automessen in Beijing, Shanghai und Guangzhou gearbeitet. Besonders präsent waren „unsere“ Dienstleister bei deutschen Automobilmarken. Jedoch stieg der allgemeine Budgetdruck von Jahr zu Jahr und der Fokus wurde auf Kosteneinsparungen neben der Qualität gesetzt.
Somit wurden lokale Dienstleister Schritt für Schritt in international gesteuerte Projekte involviert und es ist eine natürliche Entwicklung, dass lokale Dienstleister durch diese technischen „high profile Projekte“ ihr Know- how erweitern – was gut ist für die generelle Professionalität unserer Branche. Auf der diesjährigen Auto China in Shanghai wurden ausschließlich Veranstaltungstechnikdienstleister (lokale sowie internationale) mit einem Sitz in China eingesetzt. Zumindest ist mir nichts anderes aufgefallen.
Wie entwickeln sich die Aufgaben für deutsche Firmen auf derartigen Messeprojekten?
Truong: Wir, die RGB, sind bereits seit fast 15 Jahren auf dem chinesischen Markt. Unseren Dienstleistungen auf Automessen sind wir treu geblieben: Wir sind ein technisches Planungsbüro für Licht, Rigging und AV für Messestände. Aufgrund unserer DNA, die nach Essen zurückführt, kommen immer mehr chinesische Automobilhersteller auf uns zu und wollen mit uns ihre Projekte in Deutschland realisieren. Auf der Autochina 2023 stellten sage und schreibe 186 chinesische NEV-Hersteller aus und präsentierten über 500 neue NEV-Fahrzeugmodelle! Unsere Firma hat sich mit unserem Netzwerk in Europa bereits auf diese Aufgabe vorbereitet, um dem Kunden ein umfangreiches Gesamtpaket anbieten zu können. Diese Tendenz steigt stetig.
Gibt es Bereiche, in denen deutsche Firmen noch einen klaren Wettbewerbsvorteil gegenüber chinesischen Anbietern haben?
Truong: Die Frage würde ich anders formulieren: Auch wenn die Globalisierung während COVID ihre Schwächen gezeigt hat, sind wir Teil eines globalen Konzeptes. Die Eingrenzung als rein deutsche bzw. chinesische Firma ist heutzutage zunehmend verschwommen. Wir als RGB sehen uns als eine in China ansässige Firma mit Büros in Beijing, Shanghai, Guangzhou, Hong Kong und Macau. Wettbewerbsvorteile kann man sich verschaffen über Industrieerfahrung mit dem dazugehörigen technischen Knowhow langjähriger Mitarbeiter, durch ein stark lokalisiertes Account Management Team sowie ein kontinuierliches Aufrechterhalten seines internationalen Netzwerkes.
„Made in Germany“ hat aber immer noch ein starkes Ansehen in China – ist jedoch kein Kaufgrund mehr.
Welche Herausforderungen und Chancen siehst du in der Zusammenarbeit zwischen deutschen und chinesischen Veranstaltungstechnikfirmen?
Truong: China ist weiterhin ein sehr großer Markt mit vielen Chancen für internationale Firmen. Wir haben in einem Interview in der Vergangenheit schon erwähnt, dass wir eine Abteilung für Planung und Realisierung von Festinstallation etabliert haben. Die separate Abteilung mit dem Hauptitz in Hong Kong existiert seit fast zehn Jahren und macht mittlerweile den Hauptteil unseres Geschäftes aus. Wir haben versucht, uns dem Markt anzupassen und Chancen frühzeitig zu erkennen. Dafür muss man selbstverständlich ansässig sein und sich ununterbrochen mit seinem Netzwerk austauschen.
Inwiefern hat die COVID19Pandemie die Zusammenarbeit und das Engagement deutscher Firmen im Bereich Veranstaltungstechnik in China beeinflusst?
Truong: Die Pandemie und der Lockdown in Shanghai haben bei vielen Firmen einen bleibenden negativen Eindruck hinterlassen. Die Abwanderung von Expats (Personen mit einem internationalen Arbeitsvertrag, die außerhalb ihres Heimatlandes leben ) ist immer noch deutlich im täglichen Straßenbild sichtbar. Man munkelt, dass nur noch circa 10% der bisherigen Ausländer in China geblieben sind. Aber ich hoffe, dass sich das schnell wieder erholt mit der Wiedereröffnung der Grenzen. Die Nachfrage nach technischer Expertise ist weiterhin vorhanden. Das zeigt sich am Beispiel der diesjährigen Auto China, wo mein Team auf elf Projekten parallel vor Ort war. Weiterhin würde ich stark auf Partnerschaften setzen, um Synergien zu schaffen. Diese sind sinnvoll für Projekte mit chinesischen Kunden in Europa oder für die Abwicklung eigener Projekte in China.
Welche Strategien oder Anpassungen sollten deutsche Unternehmen in Betracht ziehen, um weiterhin erfolgreich in der chinesischen Veranstaltungstechnikbranche tätig zu sein?
Truong: Setzt unbedingt auf ein stark lokalisiertes Management-Team. Dabei geht es nicht um die Herkunft der Personen, sondern vielmehr um die Erfahrung auf dem chinesischen Parkett der spezifischen Branche. In den vergangenen Jahren habe ich viele Firmen kommen und gehen sehen. Es wurde dabei sehr deutlich, dass „all business is local“ eine Tatsache ist. China hat eigene Arbeits- und Kommunikationsweisen, stolpert nicht darüber!
Ebenso muss man die Preisstruktur auf dem Markt vorher genau studieren. Die Dumpingpreis-Situation für stark verbreitetes Material hat sich leider auch nach COVID nicht verbessert. Aber es gibt für technisch komplexe Nischensegmente weiterhin stark Bedarf.
Gibt es neue Technologien oder Trends in der Veranstaltungstechnik, die das Potenzial haben, die Zusammenarbeit zwischen deutschen und chinesischen Firmen zu verändern?
Truong: Ich war gerade auf der Get Show 2023 in Guangzhou, welche eine wichtige chinesische Technologie-Messe in Südchina ist. Hier werden neue Produkte für Licht und teilweise auch AV ausgestellt. Viele Hersteller laden ein, Einblicke in ihre Infrastruktur zu bekommen. Die Fabriken der chinesischen Marken haben während COVID stark nachgelegt, um ihre Fabriken zu modernisieren. Ich war beim chinesischen LED Giganten Gloshine und war baff angesichts ihrer High-Tech-Fabrik! Wir hatten das Glück, dass unser Team eine exklusive Tour und einige Produktvorschauen bekommen hat. Die Qualität hat wieder einen deutlichen Sprung nach vorne gemacht und das Geschäft hat sich vollkommen regeneriert: Es wurde uns mitgeteilt, dass 20.000 m2 LED im April 2023 in der Miete unterwegs waren – und zwar nur LED dieser einen Marke!