Bei einer rund 70 m breiten Bühne und einem 100 m tiefen Zuschauerraum muss die Technik ‚nachhelfen‘, damit 5.000 Zuschauer im Steinbruch eine Oper so hören wie im Opernhaus. In St. Margarethen kamen dafür u. a. ein Timax-System und Amadeus Active Acoustics zum Einsatz. Das Resultat: Eine Oper in 3D.
Ohne Lautsprecher und Mikrofon kommt auch der lauteste Opernsänger auf einer großen Bühne unter freiem Himmel nicht aus. Die Zuschauer möchten ihn aber so hören, als ob er ohne jegliche elektroakustische Unterstützung brillieren würde: mit der ganzen Dynamik seiner Stimme und von dort wo er auch wirklich steht, nicht aus einem Lautsprecher.
Bei Ortwechseln möchten die Zuschauer den Bewegungen folgen und sich gleichzeitig vom Klang umhüllt fühlen, eben wie in einem geschlossenen Saal, mit dem Orchester im Orchestergraben und einem ausgewogenen, natürlich wirkenden Klangbild aus Sängern, Chören und Orchester.
Selbstredend darf die Inszenierung ruhig etwas Spektakuläres haben, mit Szenen, die auch mit einigem Abstand noch den Spannungsbogen der Handlung aufrechterhalten. Wie kann man diesen Erwartungen entsprechen und damit fast allabendlich über einen Monat hinweg mehrere tausend Zuschauer in eine doch eher abgelegene Gegend ca. eine Autostunde südöstlich von Wien locken? Antworten darauf gab u.a. Volker Werner, Tonmeister und Verantwortlicher für den Ton bei der Oper im Steinbruch.
Wie so vieles im Burgenland gehört der Steinbruch der Familie Esterhazy. Als Steinbruch wird er nur noch für außergewöhnliches genutzt – schuf er doch die Grundlage für kulturelle Bauten wie den Wiener Stephansdom und liefert für ihn immer noch die Steine bei Instandhaltungen.
Kulturstätten andernorts schufen quasi den Platz für Kulturstätten im Steinbruch: Es gibt zwei Bühnen (ca. 2.200 und 5.000 Plätze), ein festes Bauwerk mit Garderoben, Maske, Näherei, etc. und feste Infrastruktur für Gäste mit Shop, Cateringständen und Toiletten.
Sie wurden 2006 gebaut, bereits seit 1996 werden Opern aufgeführt. Die Zauberflöte, Oper des Jahres 2019, wurde auf der großen Bühne mit einem Areal von 7.000 m² in Szene gesetzt.
Die schroffen Kalksandsteinwände des Steinbruchs bildeten die Kulisse, riesige Raben thronten auf ihnen über dem Geschehen. Dass einige kleinere Felswände zum Bühnenbild gehörten, sah man nur von hinten an den Gerüstverstrebungen, die auch die ‚Kugelbühne‘ von hinten prägten: Das Ensemble aus Kugeln unterschiedlicher Größe mit Freitreppe in der Mitte und leicht ovaler Gesamtform bildete das Zentrum des Geschehens.
Die weiße Farbe erinnerte an Wolken und Himmel. Aber so ganz wurde nie klar, wo man sich befand – zumindest nicht auf der Erde. Dabei bot das Weiß die Spielfläche der Projektion, die die spektakulären Akzente der Aufführung setzt.
Mit einer großen schwarzen Kugel linkerhand – gleichermaßen Gefängnis im inneren und Podest für die Königin der Nacht – und dem ‚Arbeitsplatz‘ von Papageno, einem Vogelnest rechts, gab es über die ganze Breite der Bühne und auf verschiedenen vertikalen Ebenen Auftrittsorte für Sänger und Chöre.
Mit den vielen unterschiedlichen Spielorten war die Nutzung drahtloser Mikrofone für Sänger und Chor gesetzt. Die Hauptakteure waren mit DPA-Mikrofonkapseln an Bügeln ausgestattet.
„Wir haben bei manchen Sängern mit verschiedenen Kapseln experimentiert, um den bestmöglichen Klang zu erreichen“, berichtete Volker Werner. „Die Kopfbedeckung einiger Sänger war aus akustischer Sicht eine Herausforderung. Einige Helme wurden geöffnet und optimiert, damit sie die Stimmen nicht allzu sehr beeinflussen.“
Die Drahtlos-Systeme waren eine Mischung aus den digitalen Axient und ULX-D-Systemen. Als Antennen-System wurde der 4 Zone Antenna Combiner von RF Venue eingesetzt.
„Die Bühne ist groß, es gibt verschiedene Zonen und im Laufe der Inszenierungen ändern sich die Positionen der Darsteller immer mal wieder“, erzählte Balou Fahrner, der u.a. für die Ausstattung der Sänger und Chöre mit ihren Drahtlos-Systemen und deren Kontrolle verantwortlich war.
Die Ton-Crew
Armin Wilfling (Systemtechnik)
Balou Fahrner (Systemtechnik, Funk, Chor-Submischung)
Stiletto Stohl, Sylvia Schuch (Mikrofonierung)
Ulrich Wagner, Philipp Treiber (Tonmeister)
Maria Ayalde Ángel, Viktor Seedorf (Qlab Operator)
Benjamin Wuthe (Sound-FX Design)
Volker Werner (Sound System Design)
„Mit dem RF-Venue-System ist es einfach, eine gute Abdeckung zu bekommen. Das System hat sich sehr bewährt.“ Balou Fahrner mischte auch den Chor vor, so dass Volker Werner auf vier Gruppensignale zurückgreifen konnte. Für den Submix und die Kontrolle der einzelnen Drahtlos-Kanäle wurde ein Allen & Heath D-Live genutzt.
Das Orchester, untergebracht in einem wenig charmanten aber raumakustisch aufbereiteten, temporären Gebäude, wurde mit einer ‚Sammlung‘ von Schoeps-Mikrofonen eingespeist, wobei einzeln oder Pultweise aufgenommen wurde. Diese Signale mischte Volker Werner selbst auf seiner Studer Vista 5 Konsole im Regie-Container hinter dem Publikum.
Bei den Passagen, bei denen der Chor aus dem ‚off‘ sang, fanden sie auch noch Platz im Orchesterraum, rund um vier Mikrofone platziert. Und die Knaben, die ob ihres Alters am Ende aufgrund der späten Stunde nicht mehr auf der Bühne spielten aber schon noch dahinter singen durften, taten dies auch vom Orchesterraum aus. Sie wurden auf der Bühne von Statisten ersetzt.
In der Tonregie liefen alle ‚Fäden‘ zusammen – über Glasfaser-Ringleitungen redundanter Art wurden MADI- und Dante-Signale zwischen Technikzentale mit Drahtlos-Systemen und Verstärkern, Orchesterraum und den diversen Gerätschaften in der Regie ausgetauscht.
Herzstück des ganzen Systems war der Studer-Core mit der Vista 5-Konsole. Netzteil und Schnittstellenkarten waren redundant vorhanden. Im Notfall konnte als Bedienoberfläche die Vista-Oberfläche auf einem Laptop übernehmen, so dass man auch bei Ausfall der Konsole nicht komplett handlungsunfähig war.
Effekte und Einspielungen wurden mittels Studer Vista Oberfläche verwaltet. Auch die Einspeisung der einzelnen Signale in die Magix Sequoia DAW erfolgte über den Studer-Core. Letzteres passierte vor allem, um die Möglichkeit eines virtuellen Soundchecks zu haben.
So konnten auch ohne Anwesenheit der Künstler Anpassungen vorgenommen werden. „Zu Anfang gab es eine A- und eine B-Besetzungen“, berichtete Volker Werner. „Inzwischen hat sich das durch krankheitsbedingte Ausfälle und ähnlichem sehr gemischt, so dass man immer wieder andere Sängerkombinationen auf der Bühne hat. Da kann ein virtueller Soundcheck sehr hilfreich sein. Manchmal möchten die Sänger sich auch ihre Aufführung anhören.“
Auf Entfernungen wie bei der Freilichtbühne im Steinbruch kann auch der Richtungsimpuls nicht mehr von den Sängern selber kommen. Die Grundlage für das Hören der Akteure von dem Ort, an dem sie auch zu sehen sind, wurde mit dem Timax Hardcore Prozessor und den D4-Trackern geschaffen.
Die Bühne war in ein 4 × 4 m Raster eingeteilt, auch verschiedene Höhenebenen wurde berücksichtigt.
„Das Raster eignet sich gut“, berichtete Volker Werner. „Die Quellen auf der Bühne lassen sich genau genug lokalisieren. Das System muss aber nicht bei kleineren Bewegungen der Sänger neue Delay-Zeiten ausrechnen. Die Rechenkapazität der neuen Hardcore-Serie mit FPGAs ist merkbar gestiegen, die Übergänge erfolgen ohne Sprünge und schnell. Ein leichtes ‚Nachhinken‘ kann man eigentlich nur bei sehr schnellen Bewegungen wahrnehmen, wenn z.B. die Knaben mit ihren E-Scootern quer über die Bühne rasen.“
Neben den ‚getrackten‘ Signalen lagen auch Orchester und Chor mehrspurig am Timax Hardcore an, so dass auch sie eine räumliche ‚Note‘ bekommen konnten. Entsprechend gestaffelt und ‚natürlich‘ hörten sich beide an.
Vom Timax-System gingen die Signale an die Lautsprecher-Systeme, wobei zuvor den richtungsrichtigen Signalen noch die räumliche Komponente zugemischt wurde.
Bei klassischer Musik entspricht es den Hörgewohnheiten, dass der Raum Musik und Sänger unterstützt, die traditionell ohne Mikrofone und elektroakustische Verstärkung arbeiten. Nachhallzeiten in Opernhäusern sind daher etwas länger als z.B. im Sprechtheater, der Saal bestimmt den Klang mit und man möchte sich ein wenig vom musikalischen Geschehen eingehüllt fühlen.
Was macht man nun, wenn auf einer Freilichtbühne dieser Raum fehlt? Man schafft ihn mittels Lautsprechern und einem System, mit dem sich eine passende Raumakustik schaffen lässt. Ein solches System ist das Amadeus der Firma Amadeus Acoustics aus Salzburg. Vertrieben wird es international von Medias Pro in Bayreuth.
Amadeus kann nicht nur die Akustik in einem Raum variabel unterschiedlichen Nutzungen anpassen, es kann eben auch wie in St. Margarethen einen Raum schaffen.
Dabei geht es weniger darum, künstlich dem Steinbruch einen Raum mit langer Nachhallzeit aufzusetzen, sondern vielmehr darum, die Zuschauer sanft und unmerklich in das Geschehen auf der Bühne einzubinden und sie vergessen zu lassen, dass sie weit von der Bühne entfernt sitzen.
Dies geschieht u.a. durch das Emulieren der Signale, die ein Zuhörer in einem Raum als erste Reflektionen hört. Der zweite Mechanismus zur Schaffung des virtuellen Raums ist das Erzeugen eines diffusen Schallfeldes, also all der Mehrfachreflexionen in einem Raum, die nach einiger Zeit gleichmäßig verteilt den Raumklang prägen.
Amadeus kam dieses Jahr zum ersten Mal im Steinbruch zum Einsatz – mit Erfolg, wie Volker Werner berichtete: „Das Klangbild insgesamt ist viel ausgewogener. Gerade auch die unteren Mitten, die vorher etwas fehlten, werden gut unterstützt. Die Reaktionen auf Amadeus sind durchweg positiv. Ich kann mir gut vorstellen, dass es nun zum festen Bestandteil des Aufführungsequipments wird.“
Ob der Name der Herkunft aus Salzburg oder den klanglichen Ansprüchen geschuldet ist – die natürlich empfundene Wiedergabe, auch bei hohen Erwartungen an Musikalität und klassischer Instrumentierung, gehört zu den Zielen, die durch den Einsatz von Amadeus erreicht werden sollen. Deshalb arbeiten wohl nicht nur Akustiker, Ingenieure und Programmierer an der Entwicklung des Systems, auch Tonmeister prägen die Entwicklung mit.
„Volker Werner hat in Bezug auf die künstlerischen und musikalischen Aspekte viele Impulse gegeben“, berichtete Thorsten Rohde, sozusagen ‚Urheber‘ des Systems. „Es ist eine große Gruppe Menschen, die an der Entwicklung von Amadeus beteiligt waren und sind.“ Thorsten Rohde und Fabio Kaiser von der Rohde Acoustics kamen nach St. Margarethen, um über das System zu informieren.
Ein Einsatzbereich ist die Schaffung einer passenden, raumakustischen Umgebung in Freiluft-Situationen wie bei der Zauberflöte in St. Margarethen. In einem Saal wird das System eingesetzt, um die Raumakustik für unterschiedliche Nutzungen zu optimieren – und so den Saal akustisch multifunktional zu machen. Diese Fähigkeiten werden unter AMADEUS ACTIVE ACOUSTICS zusammengefasst.
Für Live-Veranstaltungen, Theater, Oper, etc. interessant ist der 3D- Sound, der sich mit AMADEUS SHOW ACOUSTICS erzeugen lässt. Quellen lassen sich im Raum platzieren und dynamisch verschieben. Das AMADEUS kann also auch die Funktion übernehmen, für die richtungsrichtige Wiedergabe der mittels Tracking ermittelten Positionen von Akteuren dynamisch zu sorgen.
Der AMADEUS CORE – der Prozessor – kann bis zu 128 Kanäle über MADI oder Dante ein- und ausgeben. Die maximale Latenz liegt bei 5 ms. Für die Bedienung sind unterschiedliche Alternativen vorgesehen – von der Auswahl von Presets am Gerät, über Schalter bis zu browser-basierten Bedienoberflächen, Steuerung per iPad oder über ein PlugIn einer DAW.
„Die Bedienoberflächen für 3D-Audio sind inzwischen ausgereift und gut zu handhaben“, sagte Thorsten Rohde. Die Planung und Einstellung einer multifunktionalen Raumakustik wird vom ‚AMADEUS‘-Team betreut.
Für die Wahrnehmung von Raum und Richtung braucht es Lautsprecher aus verschiedenen Richtungen und Ebenen, sowohl auf der Bühne als auch um den Zuschauerbereich herum. Diverse Lautsprecher aus dem Hause d&b kamen bei der Zauberflöte zum Einsatz.
Um den Zuschauerbereich herum waren in einem Abstand von in etwa 5 m auf Lichtmasten E8 installiert, die von C4 und C4-Subs in den Beleuchtungstürmen und auf dem Regie-Containern unterstützt wurden.
An der Bühnenkante waren zur Beschallung der ersten Reihen T10 über die Bühnenbreite verteilt. E8 auf die Bühne gerichtet fungierten als Monitore.
Alle weiteren Lautsprecher waren in das Bühnenbild integriert. Nur bei genauem Hinschauen waren die weißen oder steinfarbenen, luftdurchlässigen Gaze zu erkennen, hinter denen sich die Lautsprecher versteckten.
Dazu gehörten drei Line-Arrays aus V8 und V12 sowie über das ganze Bühnenbild verteilte 16 V7P und vier J-Subs.
„Dieses Jahr bietet das Bühnenbild viele Möglichkeiten, Lautsprecher auf unterschiedlichen Ebenen unterzubringen“, berichtete Volker Werner. „Auch im Hinblick auf Rückkopplungen sind die Positionen eher gutmütig. Es ist natürlich immer ein Prozess, in Zusammenarbeit mit den Bühnenbildnern die Positionen zu finden, die akustisch nicht zu große Kompromisse eingehen und gleichzeitig ins Design passen. Wir hatten da aber in den vergangenen Jahren schon schwierigere Bühnenbilder.“
Mittels ArrayProcessing von d&b wurden die Einstellungen der Line-Arrays mit dem Ziel optimiert, dass auf allen Hörerplätzen möglichst der gleiche Pegel und Klang ankam.
Es lässt sich z.B. durch die komplexen Berechnungen des ArrayProcessings der Höhenabfall über die Entfernungen, bedingt durch die Schallabsorption der Luft, ausgleichen. Die verteilten V7P im ganzen Bühnenbild waren für die Richtungsimpulse zuständig.
Dabei sorgten Timax und Amadeus dafür, dass die V7P nicht die ganze ‚Last‘ der Wiedergabe tragen mussten, sondern durch die entsprechende Verzögerung der anderen Lautsprecher von diesen unterstützt wurden.
Dieser alte Trick – auch bekannt als „Haas-Effekt“ – beruht darauf, dass der zuerst eintreffende Schall die Richtungswahrnehmung bestimmt, selbst wenn der etwas später eintreffende Schall lauter ist.
In der Regel werden mit Verzögerungen von 10-30 ms gearbeitet, je nach Verzögerung können die Pegeldifferenzen in einer Größenordnung von 10dB liegen. So kann z.B. eine einzelne V7P am Vogelnest den Richtungseindruck bestimmen, der passende Lautstärkepegel wird von den anderen Lautsprechern mit erzeugt, auch von denen ganz in der Nähe der Zuhörer.
Es ging recht schnell, sich der Illusion hinzugeben, die Sänger und Chöre von der Bühne und das Orchester aus dem nicht vorhandenen Graben zu hören – und zu vergessen, dass hier eigentlich Lautsprecher am Werk waren. Eine gut gelungene „Oper in 3D“ eben.