Gremien-Arbeit muss nicht dröge sein

Berichte aus dem Normungsalltag: Heute schon genormt?

Normen: Sie regeln unsere Arbeit, bestimmen Verantwortungen, schützen vor Fehlern und sorgen gerne auch für Diskussionen. Wer sich in Normungsgremien engagiert, hilft eine Branche zukunftssicher mitzugestalten.

Normung Titel online(Bild: Shutterstock: desdemona72)

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Übersicht:

Spannungsfall gestern und heute

Sei wachsam

VDE 0100 – anwenden oder nicht?

Ritterschlag

Normungsarbeiten der Verbände

Arbeitsbedingungen mitgestalten


Fachkräftemangel ist zurzeit in aller Munde und zeigt sich vor allem in den Produktionsbetrieben. Die geburtenstarken Jahrgänge bewegen sich zusehends in Richtung Rente, gefolgt vom „Pillenknick“. Diese Ausdünnung spiegelt sich auch in Bereichen wider, die wir bisher wie selbstverständlich anwendeten und die wir einfach als „gegeben“ annahmen: Bei den Normen und technischen Regeln – dem Gerüst, mit dem wir unsere Produktionen sicher umsetzen.

Selbstverständlich wendet man die Normen an und befolgt die Regeln der Technik. Dabei geht es auch schon mal emotional zu, wenn man über deren Sinn oder über Anwendungsbereiche diskutiert oder flucht. Manchmal entwickelt man sogar positive Gefühle, weil man seine Einschätzung vom Regelwerk bestätigt sieht. Aber hinter all den Vorschriften und Regeln stehen Menschen. Kolleg:innen von uns, die sich aufgrund ihrer Erfahrung in der Branche und in ihrem Fachgebiet Expertise angeeignet haben und bereit sind, diese in ein Normenwerk einfließen zu lassen. Dabei geht es nicht nur um neue Normen, auch der Altbestand wird turnusmäßig auf seine Aktualität überprüft und dementsprechend geändert, zurückgezogen oder ersetzt.

Jetzt ist es nicht einmal so, dass man für die Normungsarbeit bezahlt würde. Bei der DIN erhält man noch nicht einmal ein kostenloses Exemplar der selbst mitgeschriebenen zugute. Um nun den Kreis zum Personalmangel zu schließen – auch in den Normungsgremien und Arbeitsgruppen findet immer mehr eine Ausdünnung statt und es wird immer schwieriger, Experten für diese Arbeiten zu begeistern. Wie langweilig oder spannend sich die Arbeit an Vorschriften, Normen und Regeln der Technik gestaltet, liegt letztendlich an uns. Wir können unser Umfeld über die Regeln selbst gestalten. Wir müssen es nur tun. Das Pauschalurteil „die da oben machen doch sowieso, was sie wollen“ greift überhaupt nicht. Wie wichtig unser Einmischen ist, sollen folgende Beispiele verdeutlichen.

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Spannungsfall gestern und heute

Früher fand ein Spannungsfall von 3% allgemeine Anwendung. Das war zu der Zeit, als in Westdeutschland Veranstaltungstechnik noch gar keinen Lehrberuf hatte, sondern man als ausgebildeter Elektriker als Beleuchter in einem Theater oder Produktionsbetrieb arbeitete. Aber woher stammen diese 3%, üblicherweise zwischen Hausanschluss und den Steckdosen oder Geräteanschlussklemmen? Es gab zu der Zeit gar keine Regel oder DIN-Norm, die den Spannungsfall vom Übergabepunkt im Haus bis zum Verbrauchsgerät geregelt hätte. Aber irgendwo wurden diese 3% herausgekramt. Sei es aus der DIN 18015-1, die vom Zähler bis zum Steckverbinder im Haus gilt, oder der VDE 0100-520 Anhang G und der Niederspannungsanschluss-Verordnung NAV §13, wo jedoch hier der Weg bis zum installierten Beleuchtungsgerät die 3% angibt.

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Spannungsfall Erst mit der SQP4 wurde er für die Stromverteilung hinter dem Hausanschluss definiert (Bild: Herbert Bernstädt )

Heute haben wir in der Veranstaltungsbranche diesen Wert für uns selbst definiert. Dazu hat der VPTL als Verband mit der Schriftenreihe SQ (Standard der Qualität) eine Vorreiterrolle übernommen. Sie steht heute als SQP4 Mobile Elektrische Anlagen in der Veranstaltungstechnik von der IGVW (Interessengemeinschaft Veranstaltungswirtschaft – einem Zusammenschluss mehrerer Verbände der Veranstaltungstechnik wie DTHG, BVVS, EVVC, VPLT, VLLV, …) kostenlos zum Download bereit. Hierüber fand zum ersten Mal die Definition des Spannungsfalls nach dem Anschlusspunkt im Haus statt, der in der Spannungsfallübersichtstabelle mit 5% angegeben wird.

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Sei wachsam

Wie viele in dem Regelspiel eine Rolle übernehmen und wie wichtig es ist, nicht alles als gegeben hinzunehmen, sondern aufmerksam zu bleiben und Einspruch zu erheben, zeigt das Beispiel der letzten Ökodesignrichtlinie. Es stand die Überarbeitung der EU-Verordnung zur umweltgerechten Gestaltung „energieverbrauchsrelevanter Produkte“ an, die letztendlich in die Version Nr. 2019/2020 überführt wurde. Das Konzept zur Überarbeitung wurde von einer niederländischen Energie-Beratungsgesellschaft erstellt und ist im zeitlichen Zusammenhang mit der VW-Diesel-Affäre zu sehen. Diese Arbeitsgruppe schloss erfolgreich alle möglichen Schlupflöcher (inkl. Softwareumstellung bei Testbetrieb) zur Umgehung der Vorschrift. Im Fokus standen insbesondere Consumer-Geräte wie Spiegelschränke mit eingeklebter LED-Beleuchtung, die bei einem Defekt unweigerlich in der kompletten Entsorgung enden würden. Dies galt es zu verhindern, was von der Kommission auch erfolgreich umgesetzt wurde.

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Infoblatt Ökodesign und Energieverbrauchskennzeichnung von Licht­ quellen Ein Verbot wäre – da Millionen funktionierende Scheinwerfer sonst aus dem Betrieb hätten herausgenommen werden müssen – alles andere als nachhaltig gewesen (Bild: Herbert Bernstädt )

Dummerweise hatten sie die Veranstaltungsbranche aber gar nicht auf dem Schirm. Nur der aufmerksamen European Entertainment Ecodesign Coalition fiel auf, dass die bis dahin gültigen Ausnahmen der Ökodesignrichtlinie für die Veranstaltungstechnik ersatzlos rausgestrichen waren. Nun folgte ein beherztes Eingreifen der Branche unter Mithilfe des Umweltbundesamtes Fachgebiet V 1.4 Rationelle Energienutzung bei Elektrogeräten und Beleuchtung. Es wurden kurz vor knapp weitere Ausnahmen für die Veranstaltungsbranche hinzugefügt. Waren in der alten Verordnung pauschal alle Scheinwerfer für Bühnen und Studios als Ausnahme deklariert, erfolgte nun nach dem Einspruch und einem zähen Rangeln um jede Position mit der neuen Verordnung eine detaillierte Auflistung der ausgenommen Lampensockel, bestimmter Entladungslampen wie auch farbliche abstimmbare Lichtquellen (siehe auch EU-Verordnung Nr. 2019/2020: Neue Ökodesign-Anforderungen an Lichtquellen).

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VDE 0100 – anwenden oder nicht?

Beim Straßenfest kommt der örtliche Elektriker um die Ecke und spricht den Veranstaltungstechniker an, dass er die Bühne gar nicht an den vorgesehenen Verteiler anschließen dürfe – nur er, als ins Installateurs-Verzeichnis eines Netzbetreibers eingetragenes Installationsunternehmen gemäß VDE 0100. Und schon gehen die Diskussionen los.

Um Grundsätze wie diesen zu klären, brachte Dipl. Ing. (FH) Sascha Rose als ehrenamtliches Mitglied im DIN-Normenausschuss Veranstaltungstechnik, Bild und Film (NA 149-00-04 AA Beleuchtungs- und Energieverteilungssysteme) das Thema ein und informierte das DKE, genauer das zuständige DKE/UK 221.3 „Bauliche Anlagen für Menschenansammlungen“ über diese Problemstellung.

Wenn man bei einer Veranstaltung eine Unterverteilung aufbaut, ist das dann ein Errichten einer Verteileranlage und nach VDE 0100 zu behandeln? Oder ist das ein temporäres Anschließen von Geräten, im Hinblick auf DIN VDE 0100-711 Anforderungen für Betriebsstätten, Räume und Anlagen besonderer Art – Ausstellungen, Shows und Stände? Wenn nämlich die Grundsätze der VDE 0100 zugrunde gelegt würden, dann müsste z. B. vor der Inbetriebnahme jede einzelne Steckdose vermessen werden. Das wäre bei einem Tour-Betrieb zeitlich gar nicht realisierbar. Aber die DIN VDE 0100-711 Anforderungen für Betriebsstätten, Räme und Anlagen besonderer Art – Ausstellungen, Shows und Stände, hat vor allem die Schaustellerbetriebe, die steckerfertige Geräte zuschalten, im Fokus und deckt die Anforderungen unserer großen Veranstaltungen auch nicht so richtig ab.

Die Mühlen mahlen zwar langsam, aber sie begannen zu mahlen. Die Antwort lautet nun sinngemäß, dass die veranstaltungstechnischen, mobilen elektrischen Anlagen eben temporär sind und nicht als dauerhaftes Errichten einer Verteileranlage nach VDE 0100 zu betrachten sind. Weiterhin wurde auf die IGVW-Standard-SQQ1 Elektrofachkraft für Veranstaltungstechnik, SQP4 Mobile elektrische Anlagen in der Veranstaltungstechnik und die DGUV Veranstaltungstechnik – Elektrotechnische Qualifikation verwiesen.

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Ritterschlag

Für unsere Veranstaltungsbranche wurde mit dieser Antwort deutlich, dass unsere selbst erstellten Regeln auch von dem „Riesen“ DKE – einem Organ des DIN (Deutsches Institut für Normung e. V.) und des VDE (Verband der Elektrotechnik Elektronik Informationstechnik e.V.) durchaus ernstgenommen und mitgetragen werden. Dazu gehörte im Vorfeld auch Überzeugungsarbeit, die z. B. der Kollege Thomas Bardeck leistete, als er zu einem Treffen des IEC (International Electrotechnical Commission) als Gast nach Stockholm eingeladen wurde. Hier hatte er die Gelegenheit, unsere Branche vorzustellen, in welchen Größenordnungen Großveranstaltungen mit Strom und Generatoren agieren, wie schnell diese Anlagen auf- und abgebaut werden und letztendlich welche Größe und Umsätze die Veranstaltungsbranche bewegt. Dies machte einige Kollegen in Stockholm neugierig auf diese Branche und einige mussten ihre bisherigen Vorstellung überdenken.

Die Erkenntnis daraus ist, dass bestimmte Teile bzw. Anforderungen sich eben nicht mehr unbedingt mit normalen Haus- oder Industrieinstallationen abbilden lassen, sondern ihre eigenen Lösungen benötigen. Somit ist über unsere IGVW-Regel und andere Normungsgremien für die Veranstaltungstechnik ein breiter Spielraum möglich, der förmlich alle Kollegen einlädt und auffordert, das Arbeitsumfeld über ihre Berufsverbände mitzugestalten.

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Normungsarbeiten der Verbände

Auf den Webseiten einiger Branchenverbände findet man auch deren Engagement zur Normung. Der VPLT (Ansprechpartner Randell Greenlee) ist in folgenden Ausschüssen des DIN-Normenausschuss Veranstaltungstechnik, Bild und Film (NVBF) aktiv:

  • NA 149-00-04 AA „Beleuchtungs- und Energievertei- lungssysteme“, NA 149-00-05 AA „Maschinen“,
    NA 149-00-06 AA „Arbeitsmittel und Einrichtungen“, NA 149-00-07 AA „Medien- und Tontechnik“.
  • Ständiger Sitz in der Ecodesign Koalition, Vertreter im europäischen Normungsausschuss CEN/TC 433 Entertainment Technology; CEN/TC 433 WG 1 , WG2, WG3, WG4. Beteiligt an der Normung im Technical Standards Programm der ESTA (ANSI).
  • Konzipiert in Zusammenarbeit mit der IGVW und dem DGUV Branchenstandards zur Qualifikation, Organisation und praktischen Umsetzung des Arbeitsschutzes. Ständiger Vertreter in der AGVS.

Bei der DTHG werden der Einfachheit halber die DIN- Delegierten (Normenausschuss Veranstaltungstechnik, Bild und Film) aufgelistet: Sascha Rose NVBF 4, Bernd Broszeit NVBF 5, Matthias Möller NVBF 5, Felix Malkowski NVBF 5, Andreas Bickel NVBF 6, Sascha Theissen NVBF 6, Adrian Groß NVBF 7, Vertreterin im Beirat: Martina Meyer.

Der EVVC www.evvc.org sucht auf seiner Homepage ebenfalls aktiv Mitarbeit*innen für den DIN-Ausschuss des EVVC.

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Arbeitsbedingungen gestalten

Normungsarbeit ist also alles anderes als öde. Wir haben es in der Hand, unser Umfeld selbst zu gestalten. Oder wie Thomas Bardeck es so passend ausdrückte:

» Es ist reizvoll, wie aus dem trockenen Text einer Norm lebendiges Handeln entsteht. «

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