Audiotechnik bei der Rolling Stones “No Filter”-Tour
von Nikolay Ketterer, Artikel aus dem Archiv vom
„No Filter“ hieß die Europa-Tour der Rolling Stones – im Bezug auf das Setup von Dave Natale am FOH lässt sich das Motto beinahe wörtlich nehmen: Der 59-Jährige, der sonst etwa Tina Turner, Fleetwood Mac, Van Halen, Jeff Beck, Prince oder Mötley Crüe gemischt hat, verzichtet auf jegliche Ansätze von Effekthascherei: Er verwendet ein analoges Board, keine Kompression, keine Gates, keinen Hall oder Delay, und er arbeitet ohne Subs. Natale erklärt, warum der Mix im Konzert genau deshalb funktioniert – allerdings auch nur dort. Dazu ein Blick auf die Tour-Vorbereitung, optimierte Zuverlässigkeit und den überdimensionalen Kuba-Gig im Vorjahr.
Dave Natale, in Pennsylvania aufgewachsen, stieß Ende der 1970er Jahre zur Touring-Company Clair Brothers. Natale fing als Vorarbeiter im Lager an, wurde später Systemtechniker bei Yes. Bei der Nachfolge-Band Asia stand er ab den frühen 1980ern am FOH-Pult. „Seitdem habe ich alle Asia-Touren gemischt“, so der 59-Jährige. „Seit ich 25 Jahre alt war, habe ich mit dem Mixing angefangen und nie aufgehört.“ Über die Jahrzehnte hat er Tina Turner, Joe Cocker, Fleetwood Mac, Prince, Jeff Beck, Mötley Crüe, Van Halen, Liza Minnelli und Lionel Richie gemischt.
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Clair Brothers – die heute in der Touring-Sparte unter Clair Global firmieren – ist er treu geblieben, auch wenn er zwischendurch die Firma verließ, um 1987 mit Van Halen arbeiten zu können, die beim Konkurrenten Audio Analyst waren. „Ich wurde selbstständig und machte ein paar Touren, von denen aber bald jede von Clair Brothers kam! Irgendwann fragte ich Ronnie Clair, ob ich eigentlich wieder für ihn arbeite. Dazu kommt: Ich lebe sechs Meilen von deren Standort [in Pennsylvania; Natale wohnt zudem noch in New York] entfernt.“ Von Anfang der 1990er bis 2000 war er wieder angestellt, mittlerweile macht er als Selbstständiger gelegentlich deren Touren, darunter die Rolling Stones. Ansonsten mischt er gelegentlich einzelne Veranstaltungen – in seinem Portfolio finden sich etwa die Grammy-Verleihung, die MTV Video Music Awards, VH1-Shows oder Veranstaltungen der Rock’n’Roll Hall Of Fame.
Natale wirkt im Gespräch äußerst sympathisch und gelöst, sein Umgangston im Job sei allerdings mitunter sehr direkt, gibt er zu. Es gehe um die Sache. Natale wirft gleichzeitig ein: „Ich mache auf Tour alles, wenn ich muss – kümmere mich um den Strom, verlege Kabel, mikrofoniere die Bühne – und ich verlange nichts von meiner Crew, das ich nicht selbst bereit bin, zu tun.“ Er arbeitet zudem gelegentlich als Stagehand in New York. Das Einzige, auf was er mit zunehmendem Alter verzichtet: „Ich klettere keine 30 Meter mehr zur Hallendecke hoch. Aber ich übernehme auch mein FOH-Setup komplett selbst.“ Es gehe um Kontrolle und die eigene Gewissheit, dass alles wie gewünscht funktioniere.
»Ich nehme keine Änderungen am PA-System vor, nur weil es irgendwo etwas Neues gibt.«
Dave Natale | FOH Rolling Stones
Zu seiner ersten Stones-Produktion stieß Natale 2005, die „A Bigger Bang“-Tour. Was sich bei der aktuellen „No Filter“-Europa-Tournee seitdem verändert hat? „Das PASystem bleibt weitgehend gleich: Alles, was wir haben, funktioniert, und ich nehme keine Veränderungen vor, nur weil es irgendwo etwas Neues gibt.“ Das Bühnen-Design wurde verändert, aber: „Die PA befindet sich immer in der gleichen Position, relativ dazu, wo die Band auf der Bühne steht. Wir wissen, dass das gut funktioniert und die Band ist mit dem Klangbild vertraut – ich möchte nichts verändern, was sie stören würde. Was das Equipment betrifft: Früher hatten wir einen Chor, beim Anfang von ‚You Can’t Always Get What You Want‘. Für die Kanäle hatte ich eine separate zusätzliche kleine Konsole.“ Die hat er bei der aktuellen Tour nicht mehr dabei, sonst sei sein FOH-Setup exakt gleich geblieben – dazu später mehr. Personelle Veränderungen in der Band sind ebenfalls Mangelware, nur die Background-Sängerin Lisa Fischer ist seit letztem Jahr nicht mehr dabei, sie wurde durch Sasha Allen ersetzt.
Vorproduktion
Die Vorproduktion läuft laut Natale immer gleich ab und dauert ungefähr zwei Wochen. Dieses Mal haben sie in London geprobt. „Die Band ist den ganzen Tag verfügbar. Vielleicht nehmen sie ein, zwei Tage frei, aber arbeiten sonst wirklich viel, spielen drei, vier Stunden am Stück. Sie proben jede Menge Songs und stellen danach die Setlist zusammen.“ In der Vorproduktion seien nur Band, Monitor-Mann und er am Werk, meint Natale. Licht- und Video würden anderweitig vorbereitet. „Nach der Vorproduktion gehen wir in die Stadt, in der die Tour startet. Vier, fünf Tage vor dem Konzert proben wir in der dortigen Location den Gesamtablauf. Die Band sieht dort die fertige Bühne, gewöhnt sich daran. Aber wie gesagt: Die PA befindet sich im Verhältnis am gleichen Platz, das Monitoring ebenfalls.“
Havanna-Show
Ein kurzer Blick zurück: Im März 2016 spielten die Rolling Stones einen Umsonst-Gig in Havanna; eine Premiere, direkt zu Obamas Öffnungspolitik. Je nach Zählung waren bis zu 1,4 Millionen Zuschauer bei dem Gig anwesend. „In Kuba fanden vorher praktisch keine ähnlichen Show-Großveranstaltungen statt, daher gestaltete sich die Produktion etwas schwieriger.“ Eine Untertreibung: Das größte Problem? „Alles! Es gibt keine lokalen Beschallungsfirmen, nichts! Wir mussten alles selbst anschleppen.“ Normalerweise gabeln sie Clair-PA-Lautsprecher und Endstufen-Racks nach Möglichkeit vor Ort auf, wo es logistisch Sinn ergibt. „Das ist einer der Vorteile, einige Niederlassungen weltweit zu besitzen. Wir nehmen in dem Fall nur die Konsolen, Racks, Mikrofone, Kabel, Wedges und deren Endstufen mit.“ Auf Kuba sei das Einzige, was sie vor Ort verwendet hätten, Diesel für die Stromgeneratoren gewesen. Dazu ein Kran, der die Bühne aufbaut. Aufgrund der mangelnden Show-Erfahrung auf Kuba hätten sie auch längere Vorbereitungszeit gebraucht, erklärt Natale. „Wir hatten eine gesamte separate Crew von Clair Global vor Ort, um die PA aufzubauen, bevor wir ankamen. Normalerweise haben wir vier Delay-Türme – dort waren es acht oder zehn, wegen des großen Andrangs bei dem kostenlosen Konzert. Es waren so viele Leute da, wie dort hinpassten. Dazu standen noch jede Menge Leute auf allen umliegenden Gebäudedächern, die ich sehen konnte. Eine recht gelungene Show“, lacht er.
No Filter-Tour
Bei der aktuellen Tour spielte die Band nur zwei Shows pro Woche, weil sich die Band erholen wolle, „weil sie das so möchten – und weil sie es sich leisten können!“ Natale schätzt die Crew je nach Zählung auf rund zwischen 100 und 120 Leute, insgesamt sind 25 Sattelschlepper im Einsatz. Die PA für die Outdoor-Shows sei nur ein paar Lautsprecher größer skaliert als die für Indoor-veranstaltungen, erzählt Natale. „Die Frontfills sind draußen größer, dazu kommen Delays, die wir innen nicht verwenden.“ Er selbst kommt am Load-In-Day vor der Show zur Venue, hilft beim Ausladen. „Wir checken die PA mit Rosa Rauschen. Am Show-Tag komme ich um zehn Uhr an, wir EQen die PA, hören uns die Delays an, machen einen Line-Check, danach findet der Soundcheck mit der Band statt.“
»Ich will kein Equipment, das selbstständig denkt, sondern ein ‚primitives‘ analoges Board, das nur etwas macht, wenn ich es dazu bewege.«
Dave Natale | analoge vs. digitale Pulte
Analoges Pult als „Sicherheitsmaßnahme“
Als Pult dient ihm seit Jahren eine analoge Yamaha PM4000-Konsole, er verzichtet nach Möglichkeit auf digitale Boards, wenn er die Wahl hat. Das sei keine Angst vor Technik, sondern eine „Sicherheitsmaßnahme“, um den reibungslosen Ablauf der Produktion zu stützen: „Ich habe digitale Konsolen zu oft ausfallen sehen. Bei einer analogen Konsole sind die Fehlerquellen überschaubar: Etwa das Netzteil – dafür habe ich Ersatz. Wenn ein Kanal nicht funktioniert, ist der Fehler auf das Modul beschränkt und ich kann es austauschen. Das geht bei einem digitalen Pult zwangsläufig nicht. Wenn das die Konsole entscheidet, ‚ich funktioniere heute nicht“, kannst du vermutlich nichts dagegen tun! An der Stelle will ich kein Equipment, das selbstständig denkt, sondern ein extrem ‚primitives‘ analoges Board, das nur etwas macht, wenn ich es dazu bewege. Die Show ist zu groß. Ich würde nicht zu den Rolling Stones gehen wollen und sagen: ‚Das war’s für heute, das Pult läuft nicht!‘, das darf nicht passieren.“ Er hat zusätzlich eine Ersatzkonsole im Gepäck. „Bei den Tour-Proben nutze ich in der ersten Woche die Hauptkonsole, danach eine Woche lang die Ersatzkonsole, damit dort alle Pegel richtig justiert sind. Wenn ich auf Tour wechseln muss, wird das Ergebnis sehr nah am ersten Pult sein.“
Stichwort Klangbild: „Die Rolling Stones sind eine ‚analoge‘ Band, also passt die Klangästhetik. Soweit ich weiß, sind die Ohren der Leute auch immer noch analog. Jeder bevorzugt den Klang der analogen Konsole, ob bewusst oder unbewusst, weil Klang in der Natur nun mal analog entsteht.“ Ob der Klanggedanke mit digitalem Fortschritt nicht vernachlässigbar würde? „Klar, wenn du mit 192 oder vielleicht gar 384 kHz arbeiten würdest, wird der Unterschied geringer – aber warum warten? Ich habe die analogen Konsolen zur Verfügung, die dafür ideal funktionieren.“ Seine Lake Contour-Crossover digitalisieren das Gesamtsignal naturgemäß. „Es gibt keine analogen Alternativen als System-Crossover.“ Trotzdem sei es besser, nur ein digitales Element in der Signalkette zu haben, als jede Einzelspur von vornherein zu digitalisieren.
Monitoring von Shon Hartman
Das Monitor-Setup seines Kollegen Shon Hartman arbeitet ebenfalls mit einem analogen Pult, ein Midas H4000 samt H3000 Extender. Im Monitoring sei ein Hall und Delay im Einsatz auf Mick Jaggers Stimme, „und einen Hall für alle anderen Signale – aber auch keine Noise Gates, keine Kompression“, erklärt Natale. Das Monitoring selbst? „Nur Mick nutzt In-Ears, alle anderen verwenden Wedges.“ Auf der Bühne befinden sich 100 dieser Bühnenmonitore, allesamt Clair Brothers-Modelle. „Der Großteil von Micks Gesang ist in seinen In-Ears, nur wenige Anteile auf den Wedges, was den Gesang sonst hohl klingen lassen würde.“ Noch vor wenigen Jahren waren zwei Leute für das Monitoring zuständig – für die „Kernband“ samt Bassist Daryl Jones sowie für alle zusätzlichen Musiker. Über die Jahre hat das Monitor-Personal gewechselt, mittlerweile übernimmt Shon Hartman alleine alle Musiker. Natale: „Auf der ‚A Bigger Bang‘-Tour hatten wir vier Bläser, mittlerweile sind es zwei. Früher hatten wir zudem drei Background-Sänger, von denen einer noch Akustik- und E-Gitarren gespielt hat, was weitere Mixes und zusätzliche Inputs erforderte.“
Stones-Mikrofonierung
Natale nutzt am FOH-Pult rund 60 Kanäle. Die Backline-Mikrofonierung ist denkbar unspektakulär gehalten: „Je ein Shure SM57 an den Gitarren-Amps. Keith spielt einen Fender Twin, Ronnie einen Vibrolux – das ist alles!“ Die Amps stehen in zweifacher Ausführung auf der Bühne. Bei den Gesangsstimmen nutzt er allesamt SM58, je nach Bedarf als kabelgebundene oder als Funk-Variante.
An den Drums hat er kürzlich das Stand-Tom-Mikrofon ausgetauscht, statt eines MD409 verwendet er hier ein Telefunken M82. „Bei den Proben brachte ich fünf, sechs Mikrofone mit, die gute Basswiedergabe für das Stand-Tom haben – dann sitzt der Drum-Tech am Schlagzeug und ich halte jedes Mikrofon an die Trommel.“ Das Ergebnis hören sie über die Monitore ab, entscheiden, welcher Klang besser funktioniert. Trotzdem gebe es verlässliche Größen, die sie nicht hinterfragen. „Das MD409 am Hängetom klingt gut und wird nicht getauscht.“ Eine Ausnahme – sonst verwenden sie nach Möglichkeit aktuelle Mikrofone, die sie jederzeit wieder beschaffen können. Ebenfalls „gesetzt“: „An der Bassdrum funktioniert das Beyerdynamic M88 für uns. Jeder mag den Sound – Charlie Watts, unser Drum-Tech, der Monitor-Mann und ich. Aber: Alle Exemplare klingen unterschiedlich. Deshalb haben wir bei den Proben zehn M88-Exemplare durchprobiert. Bei der Snare verwenden wir ein SM57 oben und unten – das Modell ist unserer Erfahrung nach sehr konsistent, da selektieren wir nicht.“ An der HiHat verwendet er ein Neumann KM184. „Früher hatten wir die AKG-Modelle C414 ULS verwendet. Die werden allerdings nicht mehr hergestellt, weshalb sie schwerer zu finden sind. Stattdessen verwende ich mittlerweile C314-Großmembraner.“ Es gehe um Zuverlässigkeit: „Bei einem alten, gebrauchten Mikrofon weißt du nicht, was damit passiert ist.“
Außerdem zum Thema Zuverlässigkeit: „Ursprünglich hatten wir ein Leslie für die Hammond B3 in der Backline, jetzt verwenden wir ein kleines Pedal als Simulation, den NEO Instruments Ventilator. Jemand schlug es vor – ursprünglich wollte ich es eigentlich gar nicht ausprobieren. Dann hörte ich es, und fand den Klang großartig! Das Leslie steht normalerweise immer irgendwo hinten rum, die Mikrofone werden angestoßen, sie befinden sich nie in der gleichen Position. Das Pedal wird per DI abgenommen – es klingt also jeden Tag exakt gleich. Das kleine Ding ist das Einzige, was sich seit 2005 für mich verändert hat!“ Zu guter Letzt – die Cowbell zu Beginn von „Honky Tonk Women“: „Der Keyboarder Chuck Leavell spielt sie direkt vor seinem SM58-Gesangsmikrofon.“
Gitarren-Sound von Ron Wood
Der Fender-Vibrolux-Amp von Ron Wood ist mit drei 10-Zoll-Chassis ausgestattet. „Alle klingen unterschiedlich. Wir hören uns alle an und kommen für die Mikrofonierung auf einen Nenner, welchen Speaker wir bevorzugen.“ Das abgenommene Ergebnis müsse am Ende den Amp-Eindruck repräsentieren. Wie er der Problematik entgegenwirkt, dass ein einzelnes 10-Zoll-Chassis mit seinem betonten Hochmittenspektrum kaum die Klangfülle eines „ganzen“ Verstärkers transportiert – während ein 12-Zoll-Lautsprecher mit stärkerer Tiefmitten-Wiedergabe den selektiven Eindruck eher ausgleicht? „Na ja, ich reiße das Signal einfach richtig laut auf“, muss er lachen. „Nein, ich verstehe natürlich, was du meinst: Du bekommst nur ein kleines Stückchen vom Gesamt-Sound, nicht das Gesamtbild transportiert. Für mich und meinen Mono-Mix ist das allerdings positiv, das einerseits ein 10-Zoll-Chassis abgenommen wird, andererseits bei Keith Richards’ Gitarre ein 12-Zoll-Chassis: Die klingen so unterschiedlich, dass es für den Hörer einfach ist, Keith und Ronnie jederzeit zu orten.“ Es helfe, die Definition im Mono-Mix zu erhöhen.
PA ohne Subwoofer
„Dazu kommt: In der PA sind keine Subs vorhanden. Mit Blick auf Leute, die sich in ihrem Wohnzimmer den Fernsehton in 5.1 Surround anhören, sage ich immer – ‚ich mische in 1.0‘! Mono, ohne Sub.“ Er brauche keinen „Erdbeben“-Eindruck für die Stones. „Als wir S4-Boxen benutzt haben, hatten wir ausreichend Basswiedergabe und aktuell mit den i5- und i5B-Boxen bekomme ich ebenfalls genug Low-End. Subs verwende ich auf keiner meiner Touren. Sogar als ich Mötley Crüe gemischt habe – keine Subs! Wenn ich ausreichend EQ einsetze, funktioniert das System auch dafür.“ Sonstige Vorteile beim Subwoofer-Verzicht? „Es finden weniger Bass-Aufladungen auf der Bühne statt. Bei vielen Produktionen werden die Subs an der jeweiligen Bühnenseite auf dem Boden gestapelt. Ich bin mir sicher, dass ein Großteil der Energie schlicht hin- und her wandert.“
„Effektfrei“
Sein Mix? Natale verzichtet praktisch komplett auf Effektbearbeitung der Signale: „Keine Gates, kein Kompressor, kein Limiter – nichts!“ Weder im Board intern noch als externen Effekt, so Natale, auch keinerlei Hall- und Delay-Einsatz, nicht mal auf den Stimmen. In seinem Rack findet man etwa ein Bricasti M7, Lexicon PCM81 und PCM91 sowie dbx-Kompressoren/Noise Gates. Die sind allerdings lediglich als „Notfall-Reserve“ eingebaut, erklärt Natale: „Die Geräte sind eingeschaltet, werden aber nicht benutzt.“ Abseits des Verzichts auf Dynamikbearbeitung im Mix sind naturgemäß die Systemschutz-Limiter der Anlage aktiv. „Die sprechen nur gelegentlich an – je nachdem, wie wild mein Pegel wird.“ Natale selbst nimmt lediglich EQ-Bearbeitung einzelner Spuren vor, etwa mit TC 1128-Rack- Equalizern. Die fast asketische Reduktion erscheint gerade bei einer Großproduktion ungewöhnlich. Allerdings: „Jede Menge EQ!“, er lacht. „Dazu kommt: Der Mix ist – wie erwähnt – komplett in mono. Der Zuschauer links außen zahlt schließlich den gleichen Preis wie der in der Mitte oder rechts außen. Sie sollten also auch genau das Gleiche zu hören kriegen.“
Seine Grundidee bestehe darin, schlicht die Band laut zu machen und so zu vermitteln, wie sie klinge, betont er. „Jeder kommt, um die Rolling Stones zu hören und zu sehen – die Leute kommen nicht wegen mir, weil ich einen abgefahrenen Mix präsentiere. Ich will nicht, dass das Ergebnis an Pink Floyd erinnert. Umgekehrt würden Pink Floyd bescheuert klingen, wenn man ihnen die Stones-Ästhetik aufdrängt. Der Mann am Pult muss verstehen, für wen er arbeitet und wie das Ergebnis klingen soll – wie das Publikum will, dass es klingt. Die Leute wollen rauen Rock’n’Roll-Sound, also liefere ich den Klang – kein poliertes Ergebnis, es ist schließlich keine Platte.“ Überhaupt sei das eines der großen Missverständnisse, die Studio-Klangästhetik nachzuahmen: „Das ist der fundamentale Unterschied, ob man zu Hause sitzt und sich eine Platte anhört, oder zu einer Live-Show kommt. Das muss anders und außergewöhnlich klingen. Wenn du zur Show kommst – so denke ich jedenfalls – ist das eine brachiale Erfahrung: Alles ist viel lauter, die Band erscheint riesig auf den Videoleinwänden“, es sei eine „Larger-Than-Life-Experience“, betont er. „Es ist eine Übertreibung, und so mische ich auch, wenn es darum geht, Elemente herauszustellen: Ein Solo drehe ich nicht einfach ein bisschen auf, sondern richtig stark – ungefähr fünf Zentimeter am Fader.“ (lacht) Normalerweise führt der Gesang das Publikum durch den Song. „Wenn der Gesang aufhört, muss ein anderes Element das Vakuum füllen, also greife ich mir, was an der Stelle im Arrangement stattdessen passiert und stelle es laut heraus, um den Platz der Gesangslautstärke einzunehmen.“ Es gehe darum, das Ergebnis interessant und die Energie konstant zu halten. „Mir scheint, viele Leute mischen nicht mehr. Der Kompressor und die Noise-Gates übernehmen den Mix.“ (lacht)
Kompression? Er reitet stattdessen die Fader exzessiv: Das größte Problem im Mix? „Bei Indoor-Shows ist es für mich am schwierigsten, bei der Bassgitarre jede Note hörbar zu machen, ohne dass der Bass insgesamt zum Problem wird.“ Die Gesangslautstärke sei hingegen unproblematisch. „Den Gesang mache ich so laut, wie er sein kann. Alles andere wird so eingestellt, dass es nicht lauter ist.“ Er verzichtet auch hier auf Kompression. Einerseits liefere das Pult ohnehin wohlklingende Sättigung, „andererseits kenne ich die Musik sehr gut und bewege die Fader entsprechend. Ich nutze sie sozusagen vollkommen ab – die Fader dieser Konsole wurden bestimmt schon vier, fünf Mal ersetzt.“
Die Stones seien als gute Performer eine große Hilfe. „Sie spielen seit ungefähr 55 Jahren live und wissen, was sie tun müssen!“ Übrigens verzichtet die Band auf festgezurrtes Tempo in Form eines Click Tracks. Einzige Ausnahme: „Bei ‚Sympathy For The Devil‘ wird eine Percussion-Aufnahme zugespielt, die den ganzen Song durchläuft. Aber auch hier existiert kein Click, Charlie hört den Percussion-Track über Kopfhörer und spielt dazu.“
Anpassungen für einzelne Konzerte? Seine EQ-Einstellungen an der Konsole verändert er praktisch nicht, meint Natale. „Der Konsolen-EQ ist so eingestellt, dass die einzelnen Kanäle relativ zueinander harmonieren. Ich ändere nur den Summen-EQ an der PA, an der Konsole hingegen wenig.“
Natale mischt mit der Wucht und dem Transientenverhalten der großen Anlage: „Deshalb kann ich nie im Studio mischen, über die kleinen Lautsprecher – das finde ich lächerlich!“ (lacht) Mit großen Lautsprechern klänge es dort beeindruckend, aber würde auf keinem kleineren System funktionieren. „Wenn mein Live-Mix für eine Fernsehübertragung genutzt werden soll, sage ich den TV-Leuten, dass es wahrscheinlich nicht gut klingen wird. Ich höre die Musik über die 18-Zoll-Chassis der PA ab, mit jeder Menge Bass. Das heißt, auf dem Konsolen-Mix selbst wird nicht besonders viel Bass sein, weil ich den vom Lautsprecher bekomme. Ich sage ihnen, dass das alles andere als ideal ist – wenn sie es richtig machen wollen, brauchen sie einen Recording-Truck. Ich warne sie vor – wenn sie es dann immer noch wollen, in Ordnung. Ich denke, bei einem Mischer, der viele Kompressoren, Noise Gates und Effekte verwendet, würde sich der PA-Mix besser auf den Fernseher übertragen – jedenfalls besser als meiner!“ Ob seiner als Konserve eher wie ein Proberaum-Mitschnitt klinge? Natale wiegelt ab. „Nein, nein – mein Mix klingt als Mitschnitt schrecklich. Für die Band spiele ich ihn nur über sehr große Lautsprecher ab“, meint er lachend.
I love this guy.
And I thought I’m oldschool! ?
Thank you, Dave.. Nice to meet you… I like it…