Profimusiker, ein FOH-Mann und ein Medienkünstler besinnen sich auf die „ursprüngliche Idee“ des Musikmachens: Eine Bühne mitten im Raum, kein klassisches Monitoring, stattdessen aufeinander hören. Für das Publikum wird mit überschaubarer Rundum-Beschallung verstärkt. Statt üblicher Beleuchtung verwenden sie schummrige Wohnzimmerlampen, verfremdete Visuals werden auf Backsteinwände projiziert. Das „Vereinsheim“ in Karlsruhe dient den Beteiligten als „Belohnung“, bei der Spontanität und Freiraum im Vordergrund stehen.
Am Anfang steht ein Stromausfall: Während des Soundchecks in der Scenario-Halle des Karlsruher Tempelvereins verursacht eine der mitgebrachten Wohnzimmer-Stehlampen einen Kurzschluss, sie war auf den Ton-Stromkreis gelegt worden; die Digico SD5-Konsole quittiert den Dienst mit einem Absturz. FOH-Mann Rouven Eller kann die Session zwar neu laden, muss allerdings einzelne Plug-ins neu aufsetzen. Eigentlich will er abgestürzte Sessions nicht nutzen, aufgrund der Unwägbarkeit interner Fehler. Die fortgeschrittene Zeit macht ihm einen Strich durch die Rechnung, und der musikalische Rahmen erlaube – im Gegensatz zu „großen“ Produktionen, bei denen zuverlässig reproduziert werden soll – Improvisation.
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Den ungezwungenen Rahmen stellt das „Vereinsheim“, ein Projekt aus Profimusikern und Technikern. „Wir – Schlagzeuger Tommy Baldu, Keyboarder Nico Schnepf, Sänger David Maier, Lichtmann Haegar und ich, haben zu fünft das ‚Vereinsheim‘ gegründet. Wir sind mittlerweile alle in ganz Deutschland unterwegs, wollten aber mal ein Projekt zusammen machen“, erklärt Rouven Eller, der als fester FOH-Mann für Laith Al-Deen, Lou Bega, die SWR Bigband und Rolf Stahl- hofen (Söhne Mannheims) unterwegs war.
Sie haben Stücke geschrieben, grob experimentellen Folk-Rock mit deutschen Texten, und nach einem geeigneten Rahmen gesucht. „Für mich war wichtig, Musik wieder anders zu erleben, weg von einer großen Beschallungs- und Monitorlösung, in die sich jeder in seinen eigenen Mikrokosmos einstöpselt.“ Er habe sich auf eine Proberaumsituation zu- rückbesonnen, meint Eller: „Dort geht es darum, die Dynamik anzupassen: Wenn mein Element zu laut ist, spiele ich leiser
oder drehe mich runter.“ Aus dem Grund wollte er ohne Wed- ges und In-Ear-Systeme auskommen. Die Musiker sollten sich so nah zusammensetzen, dass jeder auf den anderen achtet, mitgeht. Das Projekt entstand vor rund fünf Jahren. „Wir veranstalten das Vereinsheim zwei bis drei Mal im Jahr, jeweils eine ‚Rutsche‘ von zwei bis vier Gigs.“ Sie spielen meist im regionalen Einzugsgebiet, in der gefühlten „Band-Heimat“ Karlsruhe und Mannheim, wo die Konzerte immer ausverkauft seien, erzählt Eller. Die Scenario-Halle des Tempel-Kulturvereins in Karlsruhe, ein altes Backstein-Gebäude, dient bislang als „Stamm-Club“, ebenso wie die Alte Feuerwache in Mannheim, in der sie am Vortag aufgetreten sind; das Projekt war auch in Ludwigsburg oder Frankfurt unterwegs.
Zum „Kern“ haben sich in den letzten Jahren der Bassist Paucker (u. a. Joy Denalane, Max Herre, Thomas D) und der isländische Gitarrist Ómar Guðjónsson gesellt, der jedes Mal aus Reykjavík einfliegt. Die Musiker bildeten eine passende Einheit, meint Eller. „Für jeden der sieben Leute, die hier fest mitmachen, ist das eine tolle Reise, mit zwei, drei Gastsängern, die bei jeder ‚Konzertserie‘ wechseln. Wir nehmen die mit in unsere Sound-Welt.“ Bislang war etwa Zweiraumwohnung dabei, die eigentlich elektronische Musik machen. „Die Gäste sind zunächst überrascht: Kein herkömmliches Monitoring, kein In-Ear, nichts – das ist ein ‚Zurückkommen‘, einfach mal darauf einlassen! Manchmal ist es schwierig: Wenn jemand sehr leise singt, müssen schlicht alle sehr leise spielen! Die Musiker müssen sich anpassen. Ich kann den Gesang nicht endlos laut machen. Die Musiker machen zusam- men Musik, und ich mache das, was drum herum stattfindet.“
»Kein Monitoring, kein In-Ear, nichts – einfach darauf einlassen!«
Rouven Eller ⃒ FOH
Der Klang müsse im Raum funktionieren. „Die Idee ist, dass ich das Ganze nur transportiere und damit eine ‚Sound-Welt‘ schaffe – Effekte dazumische, viel mit Delays arbeite oder eine Stimme ‚reinfliegen‘ lasse. Das entsteht, wenn man sich beim Konzert ‚eingegroovt‘ hat, zusammen mit dem Publikum – und ist jedes Mal anders. Ich weiß vorher nie, was ich mache: Es sind keine Szenen auf dem Pult vorbereitet.“ Sie hätten sich umgeschaut und nichts Vergleichbares gefunden. „Es gibt die Sendung ‚Inas Nacht‘, bei der ein improvisierter Rahmen vorhanden ist, aber nichts, bei dem die Band als Einheit im Vordergrund steht.“
Aufbau mit Rundum-Beschallung: von außen nach innen oder vice versa?
Sie veranstalten ein „360-Grad-Konzert“, wie sie es nennen. Die Bühne wird jeweils in der Mitte des Raums aufgebaut. Im Tempel stehen am hinteren Ende des Raums Stühle in auf- steigenden Reihen, dort befindet sich normalerweise die Bühne. „Wir wollten das Publikum in ein Wohnzimmer holen. Der Raum ist rundum bestuhlt, die Leute sitzen so nah dran, dass sie theoretisch mitspielen könnten. Das soll eng und kuschelig sein, das Publikum mitnehmen.“ Der Saal sei ein „Hexenkessel“, meint Eller. Im Karlsruher „Tollhaus“ haben sie den bisher größten Gig gespielt, rund 800 Leute im gro- ßen Saal. „Das war ein Versuchsobjekt: Die Musiker stehen genauso eng beisammen, das Publikum drum herum. Das hat immer noch super funktioniert, aber ich vermute, da liegt die Grenze für das Konzept. Wir hatten auch Anfragen für ‚Das Fest‘ [ jährliche Karlsruher Open-Air-Großveranstaltung, d. Red.], wollten aber nicht auf einer normalen Bühne vor dem Publikum spielen. Dann wäre die Idee des Abends weg.“
Zunächst wollten sie von außen nach innen beschallen, was Probleme aufwarf. „In einem 30 m breiten Raum entstehen bereits 100 ms Delay. Da können die Musiker nicht mehr spielen, und das klingt auch nicht gut.“ Daher entstand der umgekehrte Ansatz, von innen nach außen zu beschallen. Es sei ein Sponsoring-Projekt aller Beteiligten. „Wir sind mit zwei Sprintern unterwegs, eigentlich eine sehr kleine Nummer. Es gibt kein Budget, wir machen das alle zusammen.“ Die Beschallung über- nimmt er mit seiner Firma Pink Event Services. „Eine normale Rundumbeschallung, meist d&b – wir nehmen, was eben gerade noch im Lager ist. Aktuell eine Dreierreihe d&b T10-Tops, zwei T10, die die Außenbereiche abdecken und eine d&b Q10 in die Gegenrichtung – das ist nicht zuletzt der Traversenlast der einzelnen Läden geschuldet. Dazu noch zwei E3, die nach außen leicht auffüllen, und zwei Q-Sub.“ Die Anlage läuft über zwei D80-Verstärker, dazu das erwähnte Digico SD5-Pult samt Stagerack. Sie bringen das komplette Sound-Setup mit, weil kein Haus für den Zweck eine passende Lösung habe.
Eine kleine „Ausnahme“ beim Thema Monitoring: „Über dem Gesangspodest hängt eine Q10-Wedge, die als ‚Dusche‘ fun- giert.“ Das sei sozusagen der Ersatz für die gedachte Proberaum-Gesangsanlage. „Die Wedge beschallt praktisch nur das Podest, nur Stimme, damit der Sänger etwas Intonationskontrolle hat – so, dass er es wahrnimmt, aber nicht be- sonders laut. Wenn jemand Akustikgitarre spielt, kommt die vielleicht noch mit drauf, zur Orientierung. Ansonsten gilt: Wir machen das einmal an, es gibt auch keinen wirklichen Monitor-Check, die Einstellung bleibt den Abend über gleich. Der Rest passiert als Reflexion aus dem Raum. In der Alten Feuerwache in Mannheim ergibt das ein anderes Konzert, weil jeder auf die Dynamik und das Geschehen achtet.“
Die größten Unterschiede zur Mannheimer Räumlichkeit am Vorabend? „Der Raum dort ist etwas halliger bei 2–3,5 kHz und hat problematische Raummoden in den unteren Mitten. Da muss der Bassist anders spielen, alle müssen auf die Akustik eingehen und ihre Anschlagdynamik anpassen.“
Ungewöhnlich, dass Profis ein gemeinsames Tour-Projekt als „Belohnung“ für sich selbst veranstalten: „Das ist genau das richtige Stichwort: Wir zehren alle davon.“ Der Aufwand sei riesig, aber nach einer Konzertreihe sei ihm wieder bewusst, weshalb er sich sein erstes Mischpult gekauft hat und den Beruf mache. Er selbst stehe mittlerweile nur noch bei Projekten am Pult, die ihm wichtig sind, übernimmt sonst die administrative
Arbeit seiner Firma in Pfinztal bei Karlsruhe. „Es muss für uns gut sein. Wir müssen Bock darauf haben. Dann wäre es fast ein Wunder, wenn das Publikum das nicht gut findet, aber das ist nicht die Prämisse. Wir meinen nicht, einen Song einbauen zu müssen, weil das Publikum das brauchen könnte.“ Mittlerweile kündigten sie die Gäste auch nicht mehr vorher an. „Unser Ziel war immer, das ‚Vereinsheim‘ als Gesamtereignis zu vermitteln. Das gibt einen tollen Abend – völlig egal, ob ein Popstar Gast ist oder nicht.“
Recording-Vorbereitung
Als Gastsänger ist der Musiker Robert Laupert alias L’aupaire dabei; bislang die erste Wiederholung bei einer Vereinsheim- Konzertreihe. Er ist aktuell der einzige Gast. Eller: „Wir wollten uns bei dieser Rutsche auf eine anstehende Recording- Session vorbereiten und mehr eigene Songs spielen.“ Das Publikum habe immer nach einer Platte gefragt, schließlich haben sie sich entschlossen, am folgenden Wochenende zwei Recording-Sessions mit kleinerem Publikum in Ellers Studio mitzuschneiden. „Zuerst war die Idee, ohne Publikum aufzunehmen, aber wir würden dann nicht in die gleiche Stimmung kommen. Davon lebt die Musik.“ Sie hätten sich dagegen entschieden, schlicht einen normalen Auftritt zu veröffentlichen, „weil wir die Aufnahme grundsätzlich analog halten wollen. Bei mir im Studio steht eine analoge SSL-Konsole und Outboard-Equipment. Dazu wollen wir live auf eine Telefunken Zwei-Spur-Maschine mischen, so dass das Ergebnis nach den beiden Sessions theoretisch fertig ist. Das wird nicht bei allen Songs funktionieren: Wir schneiden zur Sicherheit die Einzelspuren in Pro Tools mit, aber es wäre schön, wenn ein paar Mischungen endgültig funktionieren und den ‚Live-Ansatz‘ vermitteln.“
Sounds und Mikrofonierung
Anfangs hat Keyboarder Nico Schnepf ein Upright-Piano für Piano-Sounds ausprobiert, musste aber schnell auf Alternativen ausweichen. Eller: „Wenn das Piano eine tragende Rolle übernimmt und die Melodie spielt, bekomme ich es bei lauten Stücken nicht mehr über den Rest. Ich habe zu viel Übersprechen im Mikrofon.“ Sie hatten über die Jahre ein Rhodes E-Piano probiert, auch ein Yamaha CP70, aber das sei – abseits von Aufwand und Gewicht – ebenfalls ein Kompromiss für das Projekt gewesen. Mittlerweile hat sich Schnepf ein eigenes Master-Keyboard gebaut, er steuert ein Notebook an und spielt daneben zwei alte Synthesizer. Die Signale laufen über einen Keyboard-Verstärker, den Eller mit einem Sennheiser MD441 abnimmt.
Die Drums von Tommy Baldu, der u. a. mit Laith Al-Deen, Xavier Naidoo und Söhne Mannheims gespielt hat, sind „jazzig“ experimentell gehalten, mit offener Stimmung. Eine Felldecke dämpft das geschlossene Frontfell der Bassdrum von außen, Eller mikrofoniert das Frontfell mit einem alten AKG D12, das die ausgeprägten Bassanteile gut transportiert. „Ich mache Anpassungen, die ich brauche und haben möchte, aber versuche nicht, ein Instrument zu verbiegen. Das ist ohnehin ein spezielles Schlagzeug, das muss auch so rüberkommen.“ An der Snare-Oberseite nutzt er ein Sennheiser 441, unten ein Audix i5. „Da hätte ich auch lieber ein ‚altes‘ Modell gehabt, aber mir sind die Mikrofone ausgegangen.“ Die Hi-Hat nimmt er mit einem Audio-Technica ATM450 Kleinmembran- Kondensatormikrofon ab, mit seitlicher Einsprache. „Aufgrund des natürlichen Sounds der Hi-Hat brauche ich ein Mikrofon, das sanft abbildet, ohne die Höhen anzuheben oder hart zu klingen. Dazu habe ich auch den Popschutz drauf gelassen, der nimmt noch mal etwas Höhen weg.“
»Einstreuungen? Die Leute sterben nicht, weil es mal brummt.«
Rouven Eller ⃒ FOH
Schlagzeuger Baldu setzt Schellen am linken Bein zur rhythmischen Betonung ein; Eller hat neben dem Hi-Hat-Pedal ein Beyerdynamic MCE83 positioniert. „Ich verwende immer mal was anderes, normalerweise ein SM57. Die hohen Frequenzen über 8 kHz brauche ich nicht, daher habe ich sie – ebenso wie die Bassanteile – abgeschnitten.“ Über der Bassdrum hängt ein Schoeps CMC5-U, das Eller im Sinne eines „gecrushten“ Mono- Raummikrofons nutzt. „Im Studio hänge ich ein Mikrofon über das Kit, für einen Mono-Gesamt-Sound. Das wäre live zu weit weg, daher platziere ich es direkt über der Bassdrum und komprimiere relativ fett.“ Den Ansatz verwende er mittlerweile bei allen Projekten. „Das Schlagzeug lebt noch mehr, wenn ich das Signal dazuschiebe.“ An beiden Toms verwendet er jeweils ein Beyerdynamic M88TG, als Overhead ein Sennheiser MK4-Großmembran über dem Ride-Becken. „Die Mikrofonierung stammt noch von einem alten Set-Aufbau, wo Tommy Baldu kein Crash verwendet hat. Das Crash-Becken brauche ich in den kleinen Räumen nicht zu verstärken.“
Am Gitarren-Amp setzt er ein Sennheiser MK4-Großmembran-Kondensatormikrofon ein, dazu ein Shure SM7 als dynamische Ergänzung. Im Verstärker sind Einstreuungen in die Single-Coils von Ómar Guðjónssons alter Harmony- Gitarre zu hören, sie sind dem Dimmer geschuldet. Eller: „Hier gilt: Wir arbeiten nicht an einem cleanen Abend. Wir schauen, wie wir das Problem minimieren können – aber wenn der Single-Coil wegen des Lichts brummt, dann ist das so. Wir hatten schon Gigs mit einem Gast mit einer alten Gitarre, die brummte laut. Natürlich könnte er eine andere Gitarre mit Humbuckern spielen, aber wenn das die Gitarre für den Song ist – die Leute sterben nicht, weil es mal ein bisschen brummt.“ Ein anderer Punkt sei die Dynamikspanne: „Wir haben ein gemischtes Publikum von 20 bis 70, und manchen ist es bei zwei kräftigen Nummern zu laut, aber ich fasse den Master-Fader nicht an. Das ist die Band – von sehr leise bis sehr laut. Bei einem Orchester ist das auch der Fall und gehört zur Musik dazu.“
»Wenn ich gestresst bin, weil ich noch 25 Kompressoren anschließen muss, haben die Musiker auch nichts davon.«
Rouven Eller ⃒ FOH
Als Gesangsmikrofon dient ein Shure KSM86-Doppelmembran-Mikrofon. „Ich habe zwar keine Szenen im Pult für die Songs, benutze aber für jeden Sänger eine abgespeicherte EQ-Einstellung. Jeder benutzt das gleiche Mikrofon. Wenn ein Gastsänger sein eigenes benutzen will, ist das auch kein Problem – allerdings muss er selbst umstecken, weil ich alleine bin.“ Es sei eine kleine, aber sehr gemeinschaftliche Produktion, ein „Miteinander“, betont Eller. „Klar ließe sich das viel professioneller aufziehen, und ich würde mit größeren Produktionen nicht so rausgehen wie hier, aber wir basteln uns etwas zurecht und schauen, was passiert. Manchmal schöne Sachen, andere Male nicht, aber es soll eine Spielweise für jeden sein. Wenn ich ein neues Pult habe, nehme ich das hier mit, zum Ausprobieren. Das Publikum nimmt einem auch nicht krumm, wenn mal was schiefgeht. Ich arbeite gelegentlich mit Verzerrern auf der Stimme, manchmal entsteht im Eifer des Gefechts ein Feedback. Woanders würde ich mir das nicht erlauben, aber hier kann es auch zum Abend passen, weil wir gerade im Flow waren.“ Es sei keine „getaktete“ Show. „Der Abend lebt davon, dass sich ein Song manchmal in eine andere Richtung entwickelt.“
Effekte und Signalbearbeitung
Die Effekte laufen weitgehend über sein Pult. „Im Rack habe ich noch ein TC M3000, das ich gelegentlich benutze, aber das ist heute nicht angeschlossen. Mit den internen Digico- Effekten bin ich nicht ganz glücklich, aber die sind grundsätzlich in Ordnung.“ Anfangs hatte er weiteres Studioequip- ment dabei, mittlerweile setzt er auf Waves-Plug-ins als Ergänzung. „Das schlechteste Glied in der Kette bestimmt deinen Sound. Meistens ist es nicht die Qualität der Plug-ins, sondern der Raum, der dich begrenzt oder störende Signale in Mikrofonen. In letzter Konsequenz transportiere ich den Bühnensound, der muss für alle funktionieren und Spaß machen. Wenn ich gestresst bin, weil ich noch 25 Kompressoren anschließen muss, haben die Musiker auch nichts davon.“ Das sei ein Kompromiss, der gut klinge. Er betreibt einen Waves Server One für 12 virtuelle Effekt-Racks, bedient die Plug-ins am Bildschirm des Digico-Pults. „Bei manchen Parametern muss ich mit der Maus arbeiten, da fällt die verzögerte Ansprache auf. Vorher hatte ich die Bedienung auf einen externen Rechner ausgelagert, das ging schneller.“ „Ich benutze den H-EQ in fast jedem Kanalzug, weil er mir etwas mehr Kontrolle und unterschiedliche Filtercharakteristiken bietet“, ansonsten verwendet er etwa die Abbey- Road-Plate- und verschiedene Vintage-Kompressor-Emula- tionen. „Das bietet sich für die Show an – Elemente, die ich im Studio habe und gerne mitnehmen würde. Früher hatte ich einen Klark D50-Federhall dabei. Das wurde nach einigen Gigs problematisch: „In Räumen mit schwingendem Boden wird die Hallspirale manchmal angeregt, je nachdem, wie sich das Publikum verhält.“
Das Bassdrum-Mikrofon läuft über einen Waves-Kompressor Maserati DR Drum Slammer. „Danach ein Vitamin Sonic En- hancer, mit dem ich das Mittenband etwas anhebe, um mehr Anteile zwischen 80 bis 120 Hz zu erhalten. Im Anschluss verwende ich einen NLS-Channel, der das Signal verfärbt, komprimiert sowie dichter und kompakter macht.“ Auf der Snare setzt er ebenfalls den Maserati-Kompressor und einen NLS-Channel ein. Beim Bottom-Mikrofon verwendet er keine Kompression, senkt allerdings Bässe ab und hebt die Höhenwiedergabe des Teppichs über das SM57 an. „Die Toms sind nur mit einem ‚Sicherheitsnetz‘ komprimiert, das eigentlich kaum eingreift.“ Er nutzt hier frequenzabhängige Noisegates, um nur tiefe Frequenzen zu gaten. Beim Overhead-Mikrofon hat er Höhen abgesenkt, dazu einen niedrigen Low-Cut, „damit es den Gesamtklang des Schlagzeugs überträgt.“ Das Mono-Mikrofon hat er mit einer 15:1-Ratio dicht komprimiert. Auf dem Schlagzeug liegt gelegentlich die virtuelle Hallplatte mit einem Nachhall von knapp fünf Sekunden.
Zwischen Bass-DI und Mikrofonsignal korrigiert er die Phasenlage mit dem Waves-Plug-in In-Phase. „Bei einem normalen Phasenschalter weiß man nie, wo man ist – es kann sein, dass man zwischen zwei halbschlechten Optionen hin- und herschaltet. Hier kann ich die Mikrofone aufeinander schieben, der Unterschied ist merklich. Das benutze ich auch bei separaten Kick In- und Out-Mikrofonen. Bei Snare Top und Bottom funktioniert es weniger gut, da war es auch nicht nötig – aus Zeitgründen lasse ich es meist weg. Bei einem Gitarren-Amp mit zwei Mikrofonen nutze ich es ebenfalls. Oft nur geringe Korrekturen, aber das Gesamtsignal klingt etwas offener.“ Die beiden Basssignale bearbeitet er parallel auf einer Stereo-Spur. „Ich nutze einen Waves API- EQ, danach Parallelkompression, um schnelle Transienten wegzunehmen. Anschließend eine dbx-Emulation zum eigentlichen ‚Plätten‘. Schließlich ein C6-Multiband-Kompressor, der von der Bassdrum als Sidechain angesteuert wird und mit kurzen Attack- und Release-Zeiten E-Bass-Anteile bei 55, 56 Hz wegnimmt, wo die Bassdrum viel macht. Das ist nicht wirklich hörbar, aber lässt mehr Luft, die Instrumente stören sich nicht gegenseitig.“ Weitere Gates dienen der Rauschunterdrückung brummender Amps in Pausen und an leisen Stellen, „damit die PA ruhig ist, gerade bei Ansagen und leisen Nummern.“ Auf dem Master-Bus verwendet er ebenfalls einen C6-Multibandkompressor. Insgesamt liegen 25 Spuren an. „Das würde auch auf ein kleineres Pult pas- sen, aber es ist eine Spaßnummer, da will ich auch Spaß haben!“ Ob angesichts des Flairs und der überschaubaren Spuren eine analoge Konsole in Frage käme? „Würde ich gerne machen, nur besitze ich keine mehr, auch das dazu nötige Outboard-Equipment fehlt – und ich habe mich an die digitalen Optionen gewöhnt.“
Haegar-Visuals als Raumprojektion mit Fahrrad-Verfremdung
Die Visuals, die der Medienkünstler Haegar live generiert, sind für die „einhüllende“ Atmosphäre mit entscheidend. Er verwendet Bilder, Texturen, Animationen, Videoschnipsel oder verfremdet die Band. „Ich arbeite seit langem mit Live-Kameras, zeichne auch gerne mit Farben und filme das Ergebnis ab“, erklärt Haegar, der bereits mit den Fantastischen Vier, David Garrett und Herbert Grönemeyer gearbeitet hat. „Teilweise filme ich auch meinen Monitor ab, was Rückkopplungen und Farbschlieren ergibt.“
»Ich filme mit schlechten Kameras durch ein sich drehendes Fahrrad – und es ist geil! Bei einer großen Produktion wird Qualität anders bewertet.«
Haegar Ι Medienkünstler
Vor seinem Arbeitsplatz steht ein Rad eines Fahrrads, die Speichen sind mit einem Farbfilter und Frischhaltefolie bespannt. Das sei sein „Magic Wheel“, erzählt er: Haegar filmt die Band durch das Rad. „Wenn sich das Rad dreht, ergibt sich eine Vermischung – ein analoger Effekt, der das Live-Bild kaputtmacht und den ich digital so nicht herstellen kann.“ Das passe zum „analogen“ Klang der Band. Seine Aufgabenstellung: Bilder finden oder kreieren, um die Atmosphäre zu unterstützen, den Sound in Bildern umzusetzen. „Im Gegensatz zu anderen Produktionen, wo ein Live-Bild dem Publikum die Künstler zeigt, nutze ich meine beiden Kameras für Effektbilder. Das Live-Signal wird verfremdet, abstrahiert – manchmal entsteht nur eine Struktur, Textur, Farbe oder Bewegung. Im besten Falle passiert etwas Gutes. Beim Vereinsheim weiß ich grob, wohin die Richtung geht – meine Assoziation in Bildern ist erdig, rau, roh. Wir haben im Grunde kein Licht – eine minimale Ausleuchtung der Band, ein paar Scheinwerfer, die eine Proberaumstimmung assoziieren, dazu zwei, drei Wohnzimmerlampen auf der Bühne. Die Situation wird nicht verändert. Lichteffekte entstehen durch die Videobespielung: Auf jede Wandfläche ist ein Projektor gerichtet, krumm, schief, wie’s gerade passt, auf grobes Mauerwerk oder Vorhänge. Ich will nicht alles clean, sondern die Backsteinwand sehen, die Veränderungen zur weißen Wand gegenüber.“ Manchmal lassen sie Flächen mit weißem Molton abhängen, ergänzt FOH-Mann Rouven Eller. „Das ist immer ein Kompromiss zwischen Haegar und mir – wie viele Flächen wir offen lassen, und wie viele verdeckt werden müssen.“ Im „Tempel“ reichen die Mauern aus.
Haegar erklärt, es gehe letztlich um die passende Atmosphäre: „Selbst wenn du auf die Band schaust, nimmst du bewusst oder unbewusst die Projektion dahinter – das Flimmern, die Farben und Strukturen – wahr.“ Er versuche, eine Einheit zu erzeugen: „Die Leute kommen wegen der Musik, aber gehen mit einer ganzheitlichen Wahrnehmung raus.“ Es sei ein spielerischer Umgang. „Manchmal verwerfe ich während der Ansage meine Vorbereitung, weil sich die Message eines Songs anders entpuppt als mein Ansatz, und ich nicht mit rosa Luftballons punkten kann – außer als ironische Brechung, was ich auch mache.“ Für ihn zähle, sich auf den Moment einzulassen. „Das Vereinsheim ist für mich eine experimentale Plattform, ein künstlerische Herzensprojekt, bei dem ich bewusst jedes Mal anders vorgehe, verglichen mit anderen Produktionen, wo man eine Tour vorbereitet hat und fertige Videoloops abruft.“ Hier gebe es weder Leistungsdruck noch eine Messlatte, nur die eigene. „Ich will mich selbst überraschen: Manchmal, indem ich Dinge gezielt vorbereite oder spontan improvisiere. Ich höre zwei Sekunden, was in dem Song passiert und frage mich, nach welcher Farbe der klingt. Habe ich eine Struktur, die passt? Kann ich mit der Live-Kamera ein Bild generieren, oder drücke ich auf einen vorbereiteten Loop? Dann entstehen manchmal Dinge, die ich mir nicht hätte ausdenken können.“ Schlagzeuger Tommy Baldu unterbricht ihn mit dem Vorschlag für ein Lichtgewitter bei einem ruhigen Song, als Kontrast. Haegar: „Das sind die Situationen, wo ich richtig einen drauflegen möchte.“ Als Projektoren dienen „anderthalb professionelle Geräte, zwei von der Landesmedienanstalt, dazu noch zwei von mir.“ Ein Bild sei schief, das andere rotstichig, das dritte unscharf. Jeder Trash sei recht, wenn er einen Ausdruck liefert. Ich tobe mich aus, versuche Nuancen zu finden, bei welchen Nummern ich mich zurückhalte und ruhigere Bilder liefere, oder lege etwas drauf. Dadurch entsteht eine Dynamik.“
Trotz „räumlicher“ Beschallung definiert
Rund 250 Leute sind gekommen, das Konzert ist ausverkauft. Das Publikum lauscht gebannt vom ersten Moment an, Smartphones sind kaum zu sehen. Die Band beginnt mit ruhigen „Klanglandschaften“, Schlagzeuger Baldu spielt sparsame Rhythmen auf offener Snare ohne Teppich, mit langem Hall. Er verwendet gelegentlich Tücher als bewussten Dämpfungseffekt, setzt teilweise Schlegel ein und nutzt auch Toms für Rhythmen. Gitarrist Ómar Guðjónsson liefertatmosphärische, mitunter leicht sperrige Indie-Blues-Schattierungen, untermalt von sphärischen Synth-Flächen oder bearbeiteten Pianoklängen. Das Ergebnis erinnert an Doors-Instrumentalstrecken oder späte, experimentelle Talk-Talk- Alben, die Band klingt trotz der „räumlichen“ Beschallung definiert. Sänger David Maier vermittelt bei seinen deutschen Texten den Spagat zwischen Befindlichkeitsprosa und halbironischen Pointen, die Gesangsstimmung erinnert an Element Of Crime. Die Songs bewegen sich zwischen Folkpop und Soul Rock, zwischen sehr leise und laut. Gastsänger L’aupaire singt eigene englischsprachige Songs, in Richtung getragenem Songwriter-Folk. Medienkünstler Haegar setzt teilweise auf komplexe wie abstrakte Farblandschaften, mischt eigene Ostsee-Urlaubsbilder mit ein; das Ergebnis unterstützt den Sog und die Wahrnehmung der Band als „Klangkollektiv“. FOH-Mann Rouven Eller spielt stilsicher mit Delay- und Halleffekten (und deren Fehlen) und lässt vereinzelt eine Gesangsspur im Hall „verschwinden“. Er unterstützt die Klangästhetik, das verstärkte Ergebnis klingt trotz des „kommunenhaften“ Ansatzes homogen und differenziert, mit deutlichem Bassfundament. Dabei verzichtet Eller auf präsente Hochmitten- bzw. Höhenanteile zugunsten eines unaufdringlichen Klangbilds. Probleme treten kaum auf. Lediglich kurze Handy-Einstreuungen durchsetzen die Atmosphäre zu Beginn, später ein kurzes Feedback. Das Publikum reagiert bereits nach vier Songs enthusiastisch. Bassist Paucker spielt ebenfalls eigene Stücke, sein Song „God Has Gone On Holiday“ vermittelt Pop-Elemente und erinnert mit seinem stoisch-beschwingten Rhythmus etwa an die Dandy War- hols. Später spielt er einen neuen Song, „Already Dead“, energetisch grob zwischen The Who und den Kinks angesiedelt, den er dem verstorbenen Chris Cornell widmet. Hier klingen Bass und Drums aggressiv-rockig. Keyboarder Nico Schnepf steuert schrille, Farfisa-artige B-Movie-Orgelklänge bei, Haegar unterlegt die Musik mit einem dystopischen Science-Fiction-Trash-Mix, alten Raketen- und Kriegsaufnahmen. Gegen Schluss improvisiert Gastsänger L’aupaire einen Text zum Blues-Schema, nach Themen auf Zuruf des Publikums.
FOH-Mann Eller geht mit der Musik mit, ihm ist der Spaß hinter dem Pult anzusehen, ebenso wie den Musikern auf der Bühne. Nach zwei Sets ist der Abend vorbei. Was bleibt? Intensive Musik zum Zuhören, in dichter, mitunter hypnotischer Club-Atmosphäre. Die Idee, sich wachhalten zu wollen, wirkt sich indes auch auf die Location aus: Ab der nächsten Reihe im September ziehen sie für die Karlsruher Gigs in den kleinen Saal des „Tollhauses“, um der eigenen „Routine“ entgegenzuwirken.