Scheinselbstständigkeit: Interview mit Christa Weidner
„5 Verfahren später und man fängt bei null an …“
von Redaktion,
Als eine der ganz wenigen der Betroffenen traut sich Christa Weidner, öffentlich über das Thema Scheinselbstständigkeit zu sprechen. Fünf Prozesse musste sie gegen die DRV führen (die sie alle gewonnen hat). Nun teilt sie ihre Erfahrungen als Freiberuflerin sowie als Auftraggeberin und Vermittlerin mit uns und gibt zahlreiche Tipps, wie man sich verhalten und am besten absichern sollte. Christa Weidner ist eine von drei Sprechern der Arbeitsgruppe Scheinselbstständigkeit des VGSD. Sie ist heute als selbstständige IT-Beraterin, Buchautorin, Trainerin und Vortragsrednerin tätig. Dass sie komplexe Zusammenhänge gut erklären und auf den Punkt bringen kann, beweist sie auch in ihren Büchern.
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Wie ist die DRV auf dich aufmerksam geworden?
Indem wir die Statusfeststellungsverfahren (SFV) nach Berlin geschickt haben. Das war gängige Praxis bei uns von 2007 bis 2009.
Du hast für deine Subs ein SFV eingeleitet. Ein SFV ist dafür gedacht, im Zweifelsfall klären zu lassen, wie ein Arbeitsverhältnis zu beurteilen ist. Warum war es für dich fragwürdig, in welchem Arbeitsverhältnis deine Sub – unternehmer zu dir stehen?
SFV haben wir tatsächlich zunächst für die Subunternehmer durchgeführt, bei denen wir uns nicht ganz sicher waren, ob die DRV das bei diesen Selbstständigen genauso sieht. Alle Verfahren wurden auf selbstständig entschieden. Also entschieden wir, dieses Verfahren grundsätzlich für alle Selbstständigen zu nutzen und haben das vertraglich geregelt. Das erschien uns ein geeignetes Verfahren, um vor den Folgen von Scheinselbstständigkeit geschützt zu sein. Das ist schließlich der Sinn des SFV. 2009 hatte die DRV dann alle SFV auf scheinselbstständig entschieden.
Was wurde dir zur Last gelegt und welches waren die Hauptargumente der DRV?
Die DRV hatte uns im Vorfeld sehr viele Zusatzfragen gestellt, die über das damals noch zweiseitige Formular hinaus – gingen. Man wollte genau wissen, wie die Zusammenarbeit gelebt wird. Danach fand sie nur Argumente, die für eine Scheinselbstständigkeit sprachen und kein einziges Argument für Selbstständigkeit. Einige der wesentlichen Argumente lauteten:
– Abrechnung der Leistung nach Aufwand, also Stunden
– Abrechnung der Leistung nicht direkt mit dem Endkunden, sondern über uns
– kein wesentlicher Kapitaleinsatz
– Vereinbarung von Ort, Zeit und Inhalt der Tätigkeit (in unserem Falle waren das Trainings) sah die DRV als Anweisung an
Hingegen war die Tatsache, dass die Subunternehmen mehrere Auftraggeber hatten, kein Hinweis auf Selbstständigkeit. Schließlich nimmt die Anzahl der Arbeitnehmer, die mehrere Arbeitgeber haben, stetig zu.
Du vertrittst die Meinung sehr deutlich, dass dieser Vorgang der Prüfung nichts mit gesundem Menschenverstand zu tun hat. Wie bist du damit umgegangen und wo hast du Hilfe bekommen?
Ich war verzweifelt. Schließlich sind die möglichen Konsequenzen enorm. Das hätte mein Unternehmen ruiniert, bei Vorsatz hätte man sogar auf mein privates Vermögen durchgegriffen. Mein Mann und ich hätten alles verloren, wofür wir 35 Jahre lang gearbeitet haben. Im ungünstigsten Falle hätte mich sogar eine Haftstrafe erwartet, wegen Sozialversicherungs- sowie Umsatzsteuerbetrug. Ich war verzweifelt, da ich alles richtig gemacht hatte. Es ging mir nie darum, geltende Regeln oder geltendes Recht zu umgehen, sondern wollte es immer richtig machen. Mein Geschäft konnte ich nicht mehr weiter ausüben. Schließlich hatte auch die Finanzkrise Auswirkungen und die Kunden schraubten ihre Forderungen nach oben und gleichzeitig die Honorare nach unten. Das Risiko, das ich damit zu tragen hatte, stand in keinem Verhältnis mehr. Ich wusste nicht, wie ich – konfrontiert mit den Argumenten der DRV – mein Geschäft weiterbetreiben sollte. Bis alle Verfahren entschieden waren, hatte ich mein gesamtes Business aufgegeben. Der Druck war so hoch, dass ich tatsächlich kein Geld mehr verdient habe und von unseren Rücklagen lebte. Erst als auch das letzte Verfahren entschieden war, konnte ich wieder arbeiten und unseren Lebensunterhalt verdienen. Die psychische Belastung für einen rechtschaffenen Bürger, der bemüht ist, sich an geltendes Gesetz zu halten, ist extrem. Das raubt jede Kraft und Energie.
Du hast alle fünf Verfahren, die die DRV dir angehängt hat, gewonnen. Das zeigt ja, dass Richter es durchaus anders beurteilen, als die DRV. Wie ist in Bezug auf die Rechtsprechung deine Erfahrung und Einschätzung?
Ja, bei allen Verfahren wurde die Selbstständigkeit be – stätigt – nach drei Jahren. Bei den beiden letzten Verfahren hat man sich an den bis dahin getroffenen Entscheidungen orientiert. Da die Verfahren jedoch bei unterschiedlichen Sozialgerichten, Kammern und/oder Richtern geführt wurden, verging Zeit, bis die Informationen ausgetauscht waren. Während der ersten Verhandlung fragte die Richterin die DRV, was sie eigentlich von mir wollten. Schließlich wäre die Rechtslage eindeutig – eindeutig selbstständig. Da hat man das Gefühl im falschen Film zu sein. Wenn ich jedoch höre, wie es Kollegen heute ergeht, bin ich mir nicht sicher, ob heute – drei Jahre später – die Entscheidungen noch immer so ausfallen würden.
Nach den Verfahren zahlst du jetzt freiwillig in die Rentenversicherung ein. Was hat das für einen Grund?
Zunächst einmal: Die heutige Zinssituation lässt die DRV nicht mehr so schlecht dastehen, wie das noch vor einigen Jahren der Fall war. Ich hatte aus meiner Zeit als Angestellte bereits eine ordentliche Rentenanwartschaft, die ich nun weiter aufstocke. Damit stellt die Rente der DRV eine Säule meiner Altersvorsorge dar. Aktuell investiere ich einen wesentlichen Teil meines Einkommens in die weiteren Säulen unserer Altersvorsorge. Allerdings: Ich habe nicht vor, jemals das typische Rentnerdasein zu führen und mich ganz aus dem Erwerbsleben zurückzuziehen. So möchte ich nicht alt werden. Stattdessen möchte ich die Freiheit haben, mir die Aufträge und Aufgaben auszusuchen, jedoch ohne den Druck, Geld verdienen zu müssen. Schließlich bin ich in meinem Beruf mit zunehmender Erfahrung immer wertvoller.
Was hat dich das Verfahren gekostet?
Am Ende haben mich die Verfahren mein gesamtes Business gekostet. Ich habe danach – mit 50 – wieder bei null angefangen. An meinen Rechtsanwalt habe ich insgesamt 30.000 Euro an Honorar bezahlt, die Rechtsschutzversicherung drohte mir mit Kündigung, wenn ich nicht höhere Beiträge bezahle. Nein, eine Rufschädigung gab es nicht. Das hatte ich ja selbst in der Hand. Dahingegen habe ich die Gesamtsituation als Makel empfunden.
Gibt es etwas, was man tun kann, um sich vor einem Verfahren zu schützen?
Der einzig wirkliche Schutz ist, sich anstellen zu lassen. Gesellschaften zu gründen, besondere vertragliche oder organisatorische Konstrukte zu erfinden, nur um der Scheinselbstständigkeit zu entgehen, davon halte ich nichts. So etwas raubt unnötige Energien. Wenn wir nicht mehr sinnvoll mitein – ander arbeiten dürfen, dann müssen wir uns dagegen wehren. Ich glaube und ich hoffe, dass am Ende auch die Politik sich nicht gegen sinnhafte Argumente verschließen wird.
Was bedeutet das eigentlich für den Subunternehmer? Den müsste man ja dann eigentlich anstellen?
Eine solche Entscheidung ergeht ja immer rückwirkend und auch nur für das überprüfte Auftragsverhältnis. Ergeht ein Bescheid auf Scheinselbstständigkeit, dann wird das Auftragsverhältnis in der Regel sofort beendet. Für andere Kunden kann ganz normal weiter gearbeitet werden. Solange es kein SFV gibt, gibt es für diese Aufträge keine Gefahr.
Einige von deinen Ratschlägen finden sich auch in unserer Liste, wie man sich als Einzelunternehmer aktiv dem Thema stellen kann, wieder. Eines davon ist: Produkte anzubieten, nicht nur die eigene Arbeitsleistung.
Ja, die Idee mit den Produkten entspringt der Tatsache, dass man uns vorwirft, nach Aufwand abzurechnen. Auch als Wissensarbeiter – also Experte in einem gewissen Bereich – kann ich zum Beispiel Methoden, Tools, Checklisten oder Prozesse entwickeln, mit denen ich schneller oder sicher zum Ergebnis komme. Mit einem standardisierten oder toolgestützten Vorgehen kann ich ggf. Mitarbeiter einsetzen, die mich bei dem Erbringen der beauftragten Dienstleistung unterstützen. Ich kann dann eine Leistung abrechnen und nicht den Aufwand, den ich für das Ergebnis benötigt habe.
Sind Verbände deiner Meinung nach das richtig Instrument, um sich Gehör zu verschaffen?
Wir Selbstständige sind Einzelkämpfer. Mit der Hilfe von Verbänden können wir uns Gehör verschaffen. Und das müssen wir auch. Als wir uns mit dem DGB-Vorsitzenden Reiner Hoffmann in Berlin getroffen haben, war eine der ersten Fragen die nach der Anzahl der Mitglieder. Damit bekommen die Aktivitäten ein Gewicht oder auch nicht. Ich glaube, dass Verbände auch erforderlich sind, damit wir an dem Erarbeiten von Lösungen mitwirken können.
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Die Aktivitäten dieser Versicherung, die de Facto keine Versicherung durch ihre Leistungen ist, schafft eine ungeheure Marktverzerrung, die weder im Rahmen einer Demokratie, noch in einer funktionierenden Wirtschaft nicht zulässig ist.
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