Zeitenwechsel bei Martin Audio: Nach einer Phase, die ein wenig an einen Dornröschenschlaf erinnerte, schickt sich Martin Audio nun an, wieder deutlicher an seine traditionelle Stärke im Pro-Audio-Markt anzuknüpfen: Neuer Eigentümer, neue Produkte und neuer D-Vertrieb.
Eigentümerwechsel, ein neuer Vertrieb in Deutschland, Produktoffensive: Martin Audio nutzte mehrtägige Kundenveranstaltungen im Anschluss an die (oder als Alternative zur) PLASA 2018 für eine engagierte Kommunikation in den Markt. Den Hauptsitz von Martin Audio mit seinen rund 60 Arbeitsplätzen erreicht man im (eher etwas verschlafenen) High Wycombe, nordwestlich von London gelegen. Der Ort ist einerseits militärisch geprägt, aber auch die ehemals starke Möbelindustrie hat ihre Spuren hinterlassen. Ein Grund für den Ortswechsel der 1971 von Dave Martin gegründeten Traditionsfirma aus London heraus nach High Wycombe hatte 1987 tatsächlich indirekt damit zu tun: Die frühen Beschallungsanlagen, genutzt von Urgesteinen wie Pink Floyd oder Supertramp, waren ja bereits „Tonmöbel“ größeren Ausmaßes, und die Fertigung oder Logistik solcher Produkte war in so einem industriellen Standort einfach besser aufgehoben als direkt in London. Allerdings verbunden mit dem kleinen Wermutstropfen, dass man die bisherige räumlich Nähe zu einem weiteren britischen Audiopionier verlor: Denn zur Martin-Audio-Entwicklung gehörte auch der Austausch mit dem Mischpulthersteller Midas; gemeinsam rang man um die besten Gesamtlösungen für die damals gerade erst entstehende Beschallungsindustrie.
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Ähnlich vielfältig wie die frühen PA-Konzepte der 70er und 80er Jahre fiel auch Martin Audios wirtschaftliche Struktur aus: Nach wechselnden Besitzverhältnissen und Managements waren die letzten Jahre von der Einbindung in die Loud-Gruppe geprägt, die Martin Audio nun wiederum 2018 an den Private-Equity-Investor LDC übergab – und damit sozusagen zurück ins Vereinigte Königreich. Damit einher geht ein Vertriebswechsel in Deutschland. Audio-Technica tritt hier ja nicht allein als Support der gleichnamigen Mikrofone auf, sondern betreut auch Marken wie Clearcom und Allen&Heath vertrieblich. Tom Mikus, Sales & Marketing Director Professional Audio bei Audio-Technica, konnte zudem Tobias Franzgrote-vom Brocke zurückgewinnen – ein bekanntes Gesicht für die bestehenden Martin-User. Bereits etwas länger arbeitet in UK ein weiterer erfahrener Profi mit daran, die Marke zu unterstützen: Product Group Manager Dan Orton war zuvor bei Turbosound und L-Acoustics engagiert.
Produktoffensive bei Martin Audio
Strukturen und Kontakte sind wichtig, aber nicht zu vernachlässigen sind die Produkte. Dom Harter wechselte 2016 nach Zeiten bei Harman und Turbosound als Managing Director zu Martin Audio und begann direkt, die Produktpalette zu modernisieren.
Mit dem MLA (Test des „Mini“ in Production Partner) hat Martin Audio seinen aktuellen Ruf begründet, solide akustische Hardware mit modernster DSP-Unterstützung zu verbinden. Auch wenn die Software etwas in die Jahre gekommen ist (und deshalb derzeit erneuert wird), ist hier schon lange eine hervorragende Art des detaillierten Line-Array-Setups gegeben. Mit ihm lässt sich eine sehr gleichmäßige Balance in der Hörerzone erzielen, oder umgekehrt Raumteile ausblenden, die nicht angeregt werden sollen. Voraussetzung dafür ist, wie bei allen anderen vergleichbaren Systemen bis hin zur typischen „DSP-Zeile“, dass die einzelnen Schallquellen individuell ansteuerbar sind. Das treibt den Aufwand nach oben: Mehr Amps, mehr Processing, mehr Verkabelung und nicht zuletzt mehr potentielle Fehlerquellen. Letztere sind durch Verbesserungen im ganzen Aufbauprozess bis hin zur Frage, wie man auf der Bühne zwischen Cases und Kabeln schnell nochmal Zugriff auf die richtigen Werte der Pin-Positionen bekommt, zu mindern. Der strukturelle Mehraufwand (und damit die Kosten) sind aber nur zu reduzieren, wenn man die „Auflösung“ der Ansteuerung reduziert – also im Falle eines Line-Arrays nicht jedes Modul einzeln ansteuert, sondern mehrere Module zusammenfasst. Vorausgesetzt, das Amping gibt das leistungsmäßig her, betreibt man dann mehrere Schallquellen an einem Amp-Kanal.
Martin Audio hatte bisher zwei Konzepte realisiert:
Beim MLA und MLA Compact sind Amping und Signalbearbeitung in die Array-Module integriert.
Beim kleinesten MLA Mini sind alle elektronischen Komponenten zum Betrieb eines Basses und vier Tops in den Subwoofern eingebaut.
Passive Optimised Line Arrays
Dazu gesellt sich bei Martin Audio die dritte mögliche Variante der „Passive Optimised Line Arrays“: Das Amping inkl. DSPs befindet sich in klassischen Amp-Racks, und statt dass jedes „Top“ (oder gar jeder Treiber innerhalb des Tops) individuell angesteuert werden muss, kann man auch zwei, drei oder im Fall des WPC (und damit in „schlechtester“ Auflösung) vier Module zusammenfassen. Je höher der Aufwand, umso besser die über Splay-Winkel hinaus optimierbare Gleichmäßigkeit der Abstrahlung über die Entfernung, und umso schärfer lassen sich Zonen ausblenden. Dadurch steht dem Anwender offen, die Balance zwischen „super fein modellierbare Coverage, aber teuer“ und „budgetfreundlich, aber leicht holprige Schallverteilung“ selbst zu bestimmen – entweder adaptiert an die eigenen Unternehmens- und Investitionsmöglichkeiten, oder auch je nach Qualitätsbedarf in einzelnen Anwendungen.
Unter dem Label „Wavefront Precision“ fasst Martin Audio diese „Passive Optimised Line Arrays“ zusammen, derzeit in zwei Varianten:
WPM (drei Hochtöner an einzelnen Hörnern, plus 2 × 6,5″) dagegen wird „2-Way Passive“ betrieben.
WPC und WPM werden an den beiden neuen Class-D-Amps mit mächtigen DSPs der Ikon-Serie betrieben, die vier oder acht kraftvolle Kanäle bei kompakten 2HE Bauhöhe liefern und beispielsweise dafür sorgen, dass die WPM ein sicheres, aber nicht frühzeitig limitiertes Signal bekommen. Als Bridge in MLA-Setups/DD12 dient der ebenfalls neue U-Hub von Ethernet zu Martin Audios U-Net. Nebenbei speist er analoges oder AES-Audio in freie Adern der ODU-/Lemo-Verkabelung. Zusammen mit einem DX4 wird ein MLA so auch Dantekompatibel.
Bild: Detlef Hoepfner
2 x 10" flankieren beim Martin Audio WPC die beiden Mittel- und vier Hochtöner
Bild: Detlef Hoepfner
Vom Martin Audio WPM lassen sich bis zu vier Module an einem Ikon-Amp-Kanal betreiben
Bild: Detlef Hoepfner
System-Rack mit Martin-Audio-Amps IK42
Bild: Detlef Hoepfner
Elektronik-Neuheiten: der U-Hub wandelt von Ethernet, Controller DX4.0 und vier Amp-Varianten der Via-Serie
Nicht nur Line-Arrays
Eine weitere Fülle an Neuheiten hat Martin Audio ebenfalls jenseits der prestigeträchtigen Line-Arrays zu bieten. Hier steht wieder im Fokus, neben der reinen Technologie auch Anwendung und Budget überein zu bekommen. Herunterskaliert von den Ikon-Verstärkern liefert man daher auch die (diesmal hausintern entwickelte) Via-Verstärkerserie mit zwei bis vier Kanälen unterschiedlicher Leistungsklasse. Sie beschränkt sich auf die reine Verstärkerfunktion, optionales Processing erhält man mit dem DX4.0, sozusagen einem aus den Ikons herausgelösten Controller inkl. Dante-Eingängen.
In Richtung Installationen zeigen auch die Adorn-Lautsprecher 40 und 55 in 16 Ohm (optional auch mit 70/100-VoltTrafo), serienmäßig in schwarz oder weiß bzw. einfach individuell lackierbar. Ergänzt werden sie um einen kompakten, flachen 10″-Subwoofer. In die unauffällige Optik sind für eine hochwertige Audiowiedergabe je ein 4″- bzw. 5,5″-Chassis plus Hochtöner verbaut, größere Installationen verwaltet man dann mit den Controllern DX0.5 oder DX4.0. Ein Wandhalter soll sich im Lieferumfang befinden, eine wasserdichte Abdeckung der Anschlussklemmen oder ein wasserbeständiger Grill werden als Zubehör gelistet.
Bild: Detlef Hoepfner
Martin Audio Adorn A40
Bild: Detlef Hoepfner
Immersive Sound ebenfalls bei Martin Audio im Fokus
Dass die verschiedensten Serien (noch gar nicht erwähnt wurde die Selfpowered-Linie CCD) alle gut miteinander harmonieren, demonstriert Martin Audio derzeit auch mit seiner Antwort auf die heutigen Immersive-Sound-Fragestellungen: In einer Kooperation mit Astro Spatial Audio, deren Rendering-Engine SARA II und optional dem Stage Tracker II, empfiehlt man mögliche Systemkonfigurationen für solch hochwertige Beschallungsanwendungen – „Sound Adventures“ eben. Einhelliges Urteil der Martin-Audio-Anwender aus dem deutschsprachigen Raum, die wir in Wycombe trafen: Höchste Zeit, dass die aktuellen Innovationen dieser Traditionsmarke wieder die Aufmerksamkeit erhalten, die sie verdienen.