Doku-Tipp: Jack White – Kneeling at the Anthem D.C.
von Nicolay Ketterer,
Jack White verbannte Handys auf seiner 2018er „Boarding House Reach“-Tour, um dem Publikum ein „Leben im Moment“ zu ermöglichen.
(Bild: Amazon)
Jack White war 2018 mit Band auf Tour, um sein drittes Solo-Album „Boarding House Reach“ zu promoten. Dabei wurde auch Material seiner bisherigen Bands (White Stripes, The Raconteurs und The Dead Weather) präsentiert. So weit, so unkompliziert.
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Im Vorfeld der Tour kündigte White an, Aufnahmegeräte bei den Konzerten zu verbieten. Die Botschaft: Es muss auch mal ohne Smartphone gehen. Die Telefone wurden in Hüllen des amerikanischen Anbieters Yondr gepackt und verschlossen, sie blieben im Besitz des Eigentümers während des Konzerts. Wer telefonieren musste, konnte den Konzertbereich verlassen und das Case an einer Station entsperren – diese Lösung erscheint deutlich praxisorientierter, als etwa Smartphones am Einlass einzusammeln.
Der „Toronto Sun“ erklärte White, dass er das Publikum ursprünglich im Sinne eines Kunstprojekts überraschen wollte. Es sei seltsam: Im Kino mache jeder sein Telefon aus, bei Orchesterkonzerten oder in der Kirche verzichteten die Menschen ebenfalls auf ihr Smartphone. „Also lasst es uns bei einem Rock’n’Roll-Konzert versuchen und sehen, was passiert.“
Er wolle den Menschen ermöglichen, im Moment zu leben, „und es ist schon lustig: Der einfachste Weg zu rebellieren, besteht darin, den Leuten zu sagen, sie sollen ihr Telefon ausschalten. Wenn dir dein Telefon derartig wichtig ist, dass du nicht zwei Stunden ohne leben kannst, dann weiß ich auch nicht. Vielleicht ist es Zeit, einen Therapeuten aufzusuchen.“
Und damit zum Dokumentarfilm, der sich dem Washington- D.C.-Aufenthalt der Tour Ende Mai 2018 widmet: Der Film beginnt mit einem kurzen Überraschungs-Gig in der „Woodrow Wilson High School“. Die Band spielt in der lichtdurchfluteten Empfangshalle während der Mittagpause über eine mäßige Gesangsanlage, ohne großes Monitor-Besteck. Die Schüler sind begeistert. Nach ein paar Minuten dann das „Zentrum“ des Films – ein Ausschnitt eines Gigs in der Venue „The Anthem“.
Interessantes Detail: White nutzt ein Stativ mit gleich drei Mikrofonen, an je einem eigenen Galgen. Die zwei zusätzlichen Exemplare dienen für Effekt-Sounds. Im Club ist ein begeistertes Publikum zu sehen, das ohne Ablenkung beim Konzert der Band samt Gitarre, Keyboards, Synthesizer und Sampler mitgeht. „Die Leute erlernen praktisch neu, wie man eine Show wahrnimmt“, fasst White seinen Eindruck in der Doku zusammen. Nach befürchteter Kritik im Vorfeld der Tour seien die Rückmeldung unglaublich positiv gewesen, „die Negativste: Die Leute wüssten nicht, wie spät es ist“, meint er lachend.
Musikalisch erreichen manche Stücke aus Whites anderen Bands nicht ganz den Charme der ursprünglichen Besetzung. Manchem dürfte der rustikal-minimalistische „Rumpel- Charme“ der White Stripes fehlen, anderen die verwobene Komplexität der Raconteurs. Der Sound ist tendenziell dünn, ohne wirkliche Präsenz der Bassgitarre oder Bassdrum. White singt gehetzt, trifft eher die Töne, und seine Gitarren erscheinen mitunter leicht verstimmt.
Alles problematische Zutaten, die kein brauchbares Ergebnis vermuten lassen? Eigentlich. Und dennoch: Jack Whites Energie reißt irgendwann mit und zieht in seinen Bann. Spätestens beim Raconteurs-Klassiker „Steady As She Goes“ rastet das Publikum aus. Der Hit „Seven Nation Army“ wird erwartungsgemäß gefeiert und stellt einen Höhepunkt dar. Dass es bei manchen Stücken im Ideal noch besser geht oder der Sound-Mix des Konzertfilms noch ausgewogener sein könnte – (fast) geschenkt. Der Moment zählt, die Botschaft macht Jack White deutlich.
Der 52-minütige, für Amazon produzierte Film des Regisseurs Emmett Malloy erschien 2018. Der Titel „Kneeling At The Anthem D.C.“ spielt einerseits auf den Namen des Clubs an, andererseits auch auf den Protest einzelner Sportler gegen Rassismus durch Knien während der Nationalhymne. Die Doku (Englisch mit Untertiteln) ist im Rahmen des Amazon Prime-Abos abrufbar.