Neben unserem großen Grundlagenartikel mit den wichtigsten Basics zum Streaming wollen wir euch nun zeigen, wo die größten Hürden und Fallstricke beim Streaming lauern. Aus dem Gespräch mit vier Profis haben wir für euch Tipps für ein gelungenes Streaming herausgefiltert.
(Bild: Petra Rühle)
Besonders seit die Branche durch die Corona-bedingten Veranstaltungsverbote in großen Teilen zum Stillstand gekommen ist, konzentrieren sich immer mehr Kunden, Künstler und Dienstleister auf Streaming-Events. Dass der Weg dorthin komplizierter sein kann als nur eine Offline-Veranstaltung „an das Internet anzuschließen“, zeigt unser Gespräch mit vier Profis: Jens Wolf (Geschäftsführer, MMC Studios in Köln), Steffen Schenk (COO/Prokurist, Teltec AG), Francesco Elsing (Head of Innovation, satis&fy AG) und Helge Herrmann (Geschäftsführer, numeo GmbH) geben Tipps für ein gelungenes Streaming, erzählen von Fallstricken und Hürden und verraten uns am Ende sogar ihre ganz persönlichen Allzweckwaffen für die Produktion eines Streams.
Auf einen Blick: 8 Tipps für ein gelungenes Streaming
1. Bewusste Herangehensweise: Anwendungsfälle entscheiden
2. Verständnis aufbauen: Setup und Netzwerktechnik verstehen
3. Ausspielung: Geeignete Distributionswege und Plattformen finden
4. Infrastruktur sicherstellen: Zugang und Backup müssen stehen
5. Technik hinterfragen: Vorhandene Ressourcen dem Produkt anpassen
6. Rechtliches: Veränderte Bedingungen
7. Planung: (zusätzliche) Kostenfaktoren
8. Konsequenzen für die Show: Fehlendes Feedback und längere Fristen
Add-On: Persönliche „Allzweckwaffen“ unserer Branchenprofis
1. Bewusste Herangehensweise: Anwendungsfälle entscheiden
Ein typischer Ansatz für den ersten Einstieg in das Thema Streaming sei es, so Jens Wolf, einfach eine entsprechende Software zu kaufen, alles auf ‚Automatik‘ zu stellen und damit dann direkt loslegen zu wollen. „Wenn ich mich mit meinem Produkt aber richtig auseinandersetze, wird schnell klar, dass im professionellen Bereich anders gearbeitet werden muss.“ Für dieses Bewusstsein um das eigene Produkt sei zuallererst auch wichtig, sich klar zu werden, wovon überhaupt die Rede ist, wenn es um Streaming geht, bekräftigt auch Steffen Schenk: „Nicht nur in puncto eingesetzter Technik muss man unterscheiden, von was der Kunde eigentlich spricht. Geht es um eine klassische Telko-Anwendung (WebEX, Skype-Schalte), eine wirkliche Verbreitung von Inhalten über einen Sender hin zum Zuschauer (Live-Konzert, Aufführung, Produktpräsentation) oder um eine Mischung aus beidem?“ Auch er bemerke die teilweise verbreitete Auffassung, dass der Kauf eines Encoders alleine schon ausreiche, um sich als Streaming-Dienstleister zu positionieren. Eine Produktion live auf – zum Teil – unterschiedliche Plattformen zu realisieren, bedürfe aber einiger Erfahrung.
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2. Verständnis aufbauen: Setup und Netzwerktechnik verstehen
„Nur das, was im Stream landet, kann auch Emotionen auslösen und Informationen transportieren“, mahnt Francesco Elsing die betreuenden Techniker vor den Risiken von Streaming-Only. „Was es durch das Setup nicht in den Stream schafft, ist verloren. Daher ist es eben wichtig, das richtige Bild zum richtigen Zeitpunkt mit dem entsprechend guten Ton zu liefern. Fehler versenden sich eben nicht im allgemeinen Live-Setting – die sind und bleiben da.“
Gleichzeitig sei es auch wichtig, sich frei machen zu können und einer Technik zu vertrauen, die in Teilen weniger nachvollziehbar ist, als auf einer komplett lokal stattfindenden Veranstaltung, rät Helge Herrmann. „Techniker neigen dazu, alles kontrollieren zu wollen – hier gibt man die Kontrolle vermeintlich an eine ‚Blackbox‘ ab. Man ist abhängig vom Internet und kann eben nicht mehr jeden physischen Kabelweg nachvollziehen.“ Wichtig sei dafür auch ein grundlegendes Verständnis von Netzwerktechnik und Netzwerktopologie, so Hermann weiter.
Für Steffen Schenk ist außerdem wichtig, als Dienstleister vor Ort seine Ansprechpartner für Fragen rund um Portfreischaltung, Firewall, Content Delivery Network (CDN), Rückkanal und übrige Themen zu kennen. Für diese Kommunika¬tion sei ein grundlegendes Netzwerkverständnis essenziell. „Vor Ort bereiten auch meist die Netzwerkthemen Kopfzerbrechen. Gesperrte Ports oder fehlende Freigaben der Haus-IT für die Produktionsgeräte (Encoder/Decoder) sind leider nicht selten.“
»Nur das, was im Stream landet, kann auch Emotionen auslösen und Informationen transportieren.«
Francesco Elsing | Head of Innovation, satis&fy AG
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3. Ausspielung: Geeignete Distributionswege und Plattformen finden
Aus Erfahrung lasse sich außerdem sagen, dass Produktpräsentationen und Versammlungen in puncto Interaktion meist aufwendiger zu realisieren seien, als eine lineare Übertragung beispielsweise eines Konzerts. „Fragen oder Anmerkungen aus der Audienz oder verschlüsselte Übertragungen für einen dedizierten Kreis an Teilnehmern machen aufwändigere Installationen notwendig. Gerade interaktive Formate können sich keine großen Übertragungsdelays leisten.“ Daher seien hier vermehrt Zusatztechnologien in der Codierung im Einsatz (SRT), um hohe Übertragungsqualität und geringe Latenz zu vereinbaren.
Auch Helge Herrmann zieht klare Grenzen zwischen Musikevents und beispielsweise einer Produktpräsentation: „Bei einem Konzert oder Festival ist es nicht absehbar, wie viele Zuschauer am Ende teilnehmen. Hier ist die Auswahl der entsprechenden Distributionswege und -plattformen wichtig – ob intern oder extern.“ Bei einer Produktpräsentation wiederum könne man diese Dinge klar abgrenzen: „Ich weiß, wie viele Teilnehmer ich eingeladen habe und über welche Plattform diese zuschauen werden – oft über die eigene Website als iFrame eingebunden.“ Entsprechend könne man andere Anforderungen an Sicherheit und Performance stellen.
»Bei einem Konzert oder Festival ist nicht absehbar, wie viele Zuschauer am Ende teilnehmen. Hier ist die Auswahl der entsprechenden Distributionswege und -plattformen wichtig.«
Helge Herrmann | Geschäftsführer, numeo GmbH
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4. Infrastruktur sicherstellen: Zugang und Backup müssen stehen
„Wenn man sich in der klassischen Broadcast-Welt bewegt, ist man weitestgehend gezwungen, sich seine eigene technische Infrastruktur zu schaffen. Damit kennt sich dann auch jeder Techniker gut aus. Sind wir aber im Bereich der Außenübertragung, wird beim Streaming oft die bereits vorhandene IT-Infrastruktur vom Kunden gestellt.“ Dabei ergebe sich laut Jens Wolf oftmals ein erhöhter Aufwand auf Seiten des technischen Dienstleisters, der bereits bei der Planung beginnt. Für Steffen Schenk ist dabei der Zugang ins Netz der wichtigste Fallstrick: „Ein Public-WLAN geht gar nicht. Ein dedizierter Zugang per Kabel ist zwingend und eine konstante Datenrate zur Plattform essenziell erforderlich.“
Sei dieser seitens der IT mit Firewalls oder anderen Beschränkungen wie beispielsweise Geschwindigkeit oder Portbeschränkungen versehen, funktioniere ein Stream gegebenenfalls nicht, führt Helge Herrmann weiter aus. „Wenn ich etwas über WLAN streamen möchte, sollte auch dies entsprechend konfiguriert und auch performant sein.“ Idealerweise halte man neben einer zweiten Leitung natürlich auch zusätzlich ein Backup über etwa LTE-Modems vor, fasst Steffen Schenk seine letzte Redundanz zusammen.
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5. Technik hinterfragen: Vorhandene Ressourcen dem Produkt anpassen
Generell gebe es beim Thema Streaming keine De-facto-Standards, fasst Jens Wolf zusammen. „Die Qualitätsfrage sollte immer vom Produkt abgeleitet werden, nie aus der verfügbaren Infrastruktur.“ Die MMC Studios setzen beispielsweise für ihren Kunden ESL Gaming-Veranstaltungen um, die mit doppelt so hohen Bildfrequenzen produziert werden, wie es im klassischen TV-Format abgebildet würde. Konzerte mit starken Lichtwechseln und hoher Dynamik wiederum benötigen andere Lösungen für Codecs, Datenraten und Übertragungswege als eine Produktpräsentation auf Facebook. Diese fänden dafür heutzutage immer öfter im 9:16-Format statt, damit der Zuschauer sein Endgerät fürs Vollbild nicht mehr drehen muss.
Auch Francesco Elsing rät abschließend, seine eigene Technik hinreichend zu kennen um sie entsprechend einsetzen zu können: „Manchmal kann die Hardware selbst auch zum Stolperstein werden. Eine Kamera mit großformatigem Sensor und Cine-Look beispielsweise ist bei Szenen mit schnell wechselnden Schärfeebenen auch schnell mal Teil des Problems und jede zweite Einstellung unscharf.“
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6. Rechtliches: Veränderte Bedingungen
Helge Herrmann führt dazu auch das Thema Plattform etwas weiter aus: „Ein Stream kann auf unterschiedliche Weisen an die Zuschauer verteilt werden. Soll das ganze Thema öffentlich sein und nahezu jeder weltweit zuschauen können, so kann ich kostenlose Plattformen wie beispielsweise YouTube einbeziehen. Im Corporate-Bereich ist dies meist nicht gewünscht.“ Dabei sei es dann notwendig, den Kunden in Bezug auf Datenschutz, Eigentumsrechte des Bildes etc. zu beraten und aufzuklären. „Unter anderem muss hierbei auch geprüft werden, ob es sich bei der Produktion um ein Format handelt, das basierend auf dem Rundfunkstaatsvertrag eine Sendelizenz benötigt oder nicht“, geht Jens Wolf weiter ins Detail. Durch den Stream zum Endkunden agiere man im Endeffekt wie ein Sender und stehe dementsprechend in der Pflicht, den Kunden über rechtliche Konsequenzen aufzuklären.
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7. Planung: (zusätzliche) Kostenfaktoren
„Besonders als in den letzten Jahren das Thema Streaming eine immer größere Bedeutung bekam, hielt sich der Glaube hartnäckig, dass Streaming immer günstiger sei als die klassische TV-Produktion“, bringt Jens Wolf eine oft irreführende Erwartungshaltung beim Kunden auf den Punkt. Im Gespräch mit Kunden sind sich daher alle vier einig: Kommunikation im Voraus wird durch den Faktor Streaming noch wichtiger als im sonstigen Alltag. Durch die zusätzliche Dienstleistung und die Anbindung nach Außen habe man mehr Gewerke als zumeist üblich und müsse sich entsprechend umfassend abstimmen, so beispielsweise Schenk. „Die zusätzlich benötige Technik und Techniker, sowie die anfallenden Kosten in Puncto Telekommunikation und Plattform sollte man im Gespräch nicht klein reden. Und dass Ausfallsicherheit und angemessene Qualität nicht ‚for free‘ sind, sollte nicht verschwiegen werden.“
Im Grunde lägen Streaming und klassischer Broadcast auch nicht weit auseinander, stimmt Wolf zu. „Im Zweifel kommt es wie immer auf den Einzelfall an, aber wenn ich eine klassische Studio- oder Sport-Produktion anstatt über das klassische lineare Programm lieber online streame und dabei eine ähnlich große Zuschaueranzahl voraussetze, habe ich quasi keine Einsparungen. Die eingesetzte Technik im Hintergrund ist dieselbe. Eventuell muss eine Bühne gebaut werden, Personal möchte bezahlt sein, und so weiter.“ Zwar könne man Streaming kleiner produzieren, indem man beispielsweise weniger Kameras einsetze oder auf Grafik- und Replay-Systeme verzichte. Aber das sei dann eben eine neue Art von Show – und dessen müsse man sich bewusst sein.
»Es hielt sich hartnäckig der Glaube, dass Streaming immer günstiger sei als die klassische TV-Produktion.«
Jens Wolf | Geschäftsführer, MMC Studios Köln
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8. Konsequenzen für die Show: Fehlendes Feedback und längere Fristen
Neben den rein technischen Aspekten betont Francesco Elsing, wie wichtig es bei Streaming-Only sei, den Kunden auch auf die Konsequenzen für die Show vorzubereiten. Genauso wie sich technische Fehler nicht versenden, fehle vor der Kamera vor allem das direkte Feedback des Publikums zur Person auf der Bühne. „Es kann sich sehr komisch anfühlen, nur vor einer Kamera zu präsentieren, ohne zum Beispiel den Applaus oder das non-verbale Feedback eines echten Publikums zu spüren“, erklärt Elsing ein gängiges Problem. „Für untrainierte Redner oder Gäste kann das ein richtiger Stress- und Unsicherheitsfaktor werden. Ich empfehle daher dringend, Trockenübungen vor einem Live-Event zu machen, um zu lernen, mit der Situation umzugehen.“
Auch müsse laut Hermann rechtzeitig kommuniziert werden, dass im Streaming oft andere Fristen gelten, als bei Live-Veranstaltungen üblich. In der Regel dauere es nämlich oft etwas länger, Dinge aufzusetzen, zu programmieren und zu testen. Die größte Herausforderung sei es entsprechend, zu verstehen, dass viele Dinge eben nicht mehr ad-hoc geändert oder angepasst werden können. „Das sind wir aber normalerweise bei einem Live-Event gewohnt. Hier gilt es, den Kunden rechtzeitig zu beraten und ihm eine klare Zeitplanung mit Fristen zu liefern. Das ist eben etwas anderes als noch eine Lampe oder ein Display mehr zu platzieren. Es soll am Ende auf allen Geräten funktionieren und muss entsprechend im Vorfeld getestet werden. Auch die Absprache zwischen der IT und der Veranstaltungstechnik sollte rechtzeitig und früh genug beginnen – die Mühlen mahlen anders als in unserer Branche üblich.“
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Allzweckwaffen: Persönliche „nice to have“ auf Produktion
Für die letzten Probleme auf der Produktion hat jeder ein paar Allzweckwaffen in der Hinterhand, auch unsere Profis. Steffen Schenk, Francesco Elsing und Helge Herrmann verraten uns ihre ganz persönlichen Lieblinge, die vor allem dem Videogewerk vermutlich schon aus dem Alltag bekannt sind. Diese sollten in keinem Case fehlen – oder zumindest im Hinterkopf behalten werden:
„Signalwandler braucht man immer“, bringt Steffen Schenk seine Rettungsanker auf den Punkt – und meint damit vor allem den MD-HX / MD-CROSS V2 von Decimator, Blackmagic Designs UpDownCross HD oder den U-Tap von AJA Video Systems. „Mit diesen kleinen Helferlein bekommt man auch spontan den Laptop des Gastredners ‚online‘.“ Auch ein kleiner Bildmischer könne auf vielen Events nicht schaden, um beispielsweise dem gesendeten Bild nochmal einen anderen Schnitt zu geben als etwa der Aufzeichnung.“
Francesco Elsing hat hierbei gute Erfahrungen beispielsweise mit der VR-Reihe von Roland oder auch dem noch sehr frischen ATEM Mini Pro von Blackmagic Design gemacht. Eines von Elsings persönlichen Highlights im Gepäck ist der Teradek VidiU Go. Mit sowohl einem Ethernet-Anschluss als auch der Option, über zwei LTE-Modems verschiedene Mobilfunknetze abzudecken, könne im Notfall schon mal relativ wenig schief gehen, auf das man nicht vorbereitet sei. „Eine weitere Allzweckwaffe in der Streaming-Welt sind auch die neuen Camcorder von Panasonic mit eingebauten RTMP-Encodern.“
Generell, so Schenk, seien geschlossene Systeme gegenüber aufgezogenen Konstellationen aus Rechnern, Software und Interfaces vorzuziehen: „Die müssen zwar nicht zwingend schlecht sein, aber spätestens wenn sich das Ergebnis nicht nach Wunsch präsentiert, ist die Hektik groß und die Fehlersuche ufert rasch aus. In puncto Service und Stabilität sind Encoder – egal ob kleine Teradek, der AJA HELO oder große Haivision Encoder – bzw. komplette Produktionssysteme wie NewTek Tricaster für uns die bevorzugte Lösung.“
Als letzte Backup-Alternative empfiehlt Helge Herrmann dennoch, ein Notebook mit OBS (Open Broadcaster Software) bereit zu halten. „Dies ist eine Open Source Streaming Software, welche viele Funktionen abdeckt.“ Allerdings müsse man eventuell damit einhergehenden Bedarf an zusätzlicher Audio- und Videohardware im Hinterkopf behalten.
»Spätestens wenn sich das Ergebnis nicht nach Wunsch präsentiert, ist die Hektik groß und die Fehlersuche ufert rasch aus.«
Steffen Schenk | COO/Prokurist der Teltec AG
Mit diesem Bewusstsein für die Besonderheiten des Streamings und der nötigen Kommunikation sowohl mit Kunden als auch Kollegen, steht einer erfolgreichen Übertragung der nächsten Veranstaltung nichts mehr im Weg.
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