von B.-Eng. Florian Mett, Artikel aus dem Archiv vom
Während der Aufbauphasen entstehen Zwischenbauzustände, in denen die Tragfähigkeit und Standsicherheit von Bauteilen noch nicht vollständig gewährleistet ist. Welche statischen Maßnahmen können ergriffen werden, um die Risiken in diesen kritischen Phasen zu minimieren?
(Bild: BigRig GmbH)
Bauliche und technische Anlagen werden sukzessive errichtet. Dabei werden Bauzustände erreicht, in denen die statische Funktion einzelner Bauteile noch nicht so gegeben ist, wie es für die Tragfähigkeit und Standsicherheit erforderlich ist. Solche Zustände werden auch als Zwischenbauzustände bezeichnet. Um Risiken in Bezug auf einen ausreichenden Lastabtrag während dieses Prozesses zu minimieren, kann es sinnvoll sein, für die Zwischenbauzustände besondere statische Betrachtungen und Berechnungen vorzunehmen.
Anzeige
An der Berliner Hochschule für Technik (BHT) wurde im Rahmen einer Abschlussarbeit in dem Bachelorstudiengang Theater- und Veranstaltungstechnik und -management untersucht, inwieweit Zwischenbauzustände in der Veranstaltungstechnik eine Rolle spielen.
Vorhersehbare Auswirkungen von Zwischenzuständen
Ein Bereich in der Veranstaltungstechnik, in dem solche Zwischenbauzustände eine Rolle spielen können, ist das Veranstaltungs-Rigging. Veränderungen des statischen Systems während des Auf- und/oder Abbaus können für die Tragfähigkeit oder Standsicherheit relevant sein und müssen dann als eigener Zustand betrachtet werden. Streng genommen führt jeder Scheinwerfer, der an eine Traverse angeschlagen wird, zu einem Zwischenbauzustand – jeder Hubvorgang eines Riggs ebenfalls.
Nun geht nicht automatisch von jedem Zwischenbauzustand eine explizite Gefährdung aus. Insbesondere das Einbringen von Lasten bis zur Nennlast bei ansonsten fertig gestelltem Tragsystem stellt in der Regel keine zusätzliche Gefährdung dar. Beispielhaft für eine solche Situation wäre eine Traversenkonstruktion, an die nach und nach Scheinwerfer angeschlagen werden. Für diese Konstruktion ist keine Berechnung für alle Zwischenbauzustände erforderlich.
Traverse an zwei Aufhängungen
Anders stellt es sich dar, wenn z. B. ein unsymmetrisches Einbringen von Lasten erfolgt, sodass Über- oder Unterlastzustände an den Anschlagpunkten auftreten können. In einem solchen Fall entsprechen die Schnittgrößen in dem Traversensystem und der Lastabtrag an den Anschlagpunkten nicht denen, die bei der statischen Berechnung zu Grunde gelegt wurden. Können solche Zustände betrieblich nicht vermieden werden – z. B. durch Einhaltung einer vorgegebenen Abfolge der Lasteinbringung – kann die Berechnung von Zwischenbauzuständen erforderlich werden.
Traverse mit Kragarm
Unfertige, komplexe Konstruktionen
Für viele Standard-Traversenkonstruktionen ist es einem/einer erfahrenen Veranstaltungstechniker/in möglich, das Auftreten kritischer Zustände rechtzeitig zu erkennen und zu unterbinden. Wenn die Konstruktionen aber komplexer sind, und die statischen Funktionen der Bauteile und die Lastweiterleitung in die Anschlagpunkte nicht augenscheinlich erkennbar sind, sollte eine Berechnung das adäquate Mittel sein.
Als eine besondere Herausforderung ist es anzusehen, wenn der Zwischenbauzustand dadurch entsteht, dass die statische Struktur noch nicht fertiggestellt wurde. Dabei sind vor allem fehlende Auflager oder fehlende Aussteifungen kritisch. Beispiele hierfür sind: eine Bühne, in welche noch keine Windverbände gespannt wurden; ein Tower, welcher gerade gekippt wird oder auch eine LED-Wand, welche noch nicht gegen Wind gesichert wurde. Oftmals entstehen diese Zustände zu einem Zeitpunkt, in dem in die Strukturen noch keine Nutzlast eingebracht wurde (Beispiel Bühne und Beispiel Tower). Eine Einwirkung aber, die sich auch im Aufbauzustand zumindest bei Outdoor-Konstruktionen nicht vermeiden lässt, ist der Wind. Es ist unwahrscheinlich in den kurzen Aufbauzeitfenstern kritische Windbelastung zu bekommen, auszuschließen ist es aber nicht. Eine Berechnung des Zwischenbauzustandes mit auftretender Windbelastung kann Auskunft darüber geben, inwiefern weitere Maßnahmen (Windmessung, zusätzliche konstruktive Maßnahmen) im Bauzustand erforderlich sind.
»Aufbautoleranzen wie unterschiedliche Höhenstellungen der Kettenzüge können zu einer Kettenzug-Belastung führen, die nicht der berechneten Last im Endzustand entspricht.«
Ein besonderes Augenmerk sollte dabei auf LED-Wände gelegt werden. Diese sind gegenüber Wind, aufgrund ihrer Geometrie, besonders anfällig. Um eine LED-Wand fachgerecht gegen Wind zu sichern, wird in der Regel ein Aussteifen mit Traversen gegen die Bühne vorgesehen. Dabei besteht die Schwierigkeit, dass eine Befestigung der Aussteifung nur bei Erreichen der finalen Höhe erfolgen kann. Während des Aufbauprozesses kann die LED-Wand also nur in sich versteift, aber nicht gegen eine Bewegung als gesamte Wand gesichert werden. Zur Lösung des Problems wären konstruktive Maßnahmen denkbar, diese sind aber aufwendig. Basierend auf einer Gefährdungsbeurteilung kann auch auf organisatorische Maßnahmen zurückgegriffen werden. Dafür kommen beispielsweise eine kontinuierliche Wind- und Lastmessung in Frage. Im Rahmen einer statischen Berechnung müsste dann geklärt werden, bis zu welcher Windstärke der Aufbau erfolgen darf und welche Maßnahme bei Überschreitung des Grenzwertes ergriffen werden müssen. Das Vorgehen ähnelt damit dem Vorgehen der Unterscheidung verschiedener Betriebszustände, welches für Fliegende Bauten angewandt wird. Die Besonderheit ist, dass eine Betrachtung nicht nur für den Endzustand, sondern auch für Zwischenbauzustände erfolgt.
Nicht vorhersehbare Auswirkungen von Zwischenbauzuständen
Bei den vorher genannten Beispielen sind die auftretenden Zwischenbauzustände absehbar und quantifizierbar. Aber es sind auch Zwischenbauzustände denkbar, deren Auftreten und die dann entstehenden Größen von Einwirkungen, Abweichungen zu getroffenen Annahmen, etc. nicht einfach vorhergesagt werden können.
Folgendes Beispiel sei hierfür genannt: Eine Traverse hängt an fünf Kettenzügen und ist mit vielen Einzellasten (Scheinwerfern) belastet. Die Traverse ist nicht hoch ausgelastet und die Abstände zwischen den Kettenzügen sind gering. Der limitierende Faktor ist die Belastbarkeit der Anschlagpunkte im Dach. Das System wurde so berechnet, dass die Belastbarkeit der Anschlagpunkte inkl. aller Sicherheiten und Dynamikfaktoren gerade so eingehalten wird. Die Konstruktion wird zunächst ohne Lastüberwachung geplant.
Statisch unbestimmte Traverse an mehreren Aufhängungen
Beim Aufbau werden die Kettenzüge aufgehängt, an die Traverse angeschlagen und auf Arbeitshöhe gefahren. Dabei wird ein Höhennivellieren der Traverse zunächst nur per Augenmaß durchgeführt. Das finale und genaue Nivellieren ist erst bei Erreichen der Nutzhöhe vorgesehen. Dieses Vorgehen entspricht häufig der Praxis.
Der Zustand der Traverse auf Arbeitshöhe (der Höhe, die zum Einhängen der Lasten vorgesehen ist) stellt einen Zwischenbauzustand dar und unterscheidet sich insofern vom Endzustand, als dass hohe Aufbautoleranzen vorliegen können. Ein Risiko kann aus der Tatsache entstehen, dass die geplante Nutzlast bereits in das System eingebracht wird und Aufbautoleranzen (z. B. unterschiedliche Höhenstellungen der Kettenzüge) zu einer Belastung der Kettenzüge führen können, welche nicht der berechneten Belastung im Endzustand entspricht. Das System ist dabei umso sensitiver für Abweichungen, je steifer das angehängte Traversensystem ist und je enger die Kettenzüge zueinander platziert sind. Es droht die Gefahr der kritischen Überlastung einer der Hängepunkte.
Die besondere Problematik liegt dabei in der Quantifizierung des Effektes. In der Fachplanung kann keine genaue Berechnung des Zwischenbauzustands erfolgen, da die Größe der Toleranz und das genaue Systemverhalten unbekannt ist. Es kann lediglich eine Abschätzung erfolgen. Deswegen muss in einem Fall, in dem die beschriebene Problematik auftreten könnte, eine passende Gegenmaßnahme ergriffen werden. Dafür eignen sich als technische Maßnahme eine Lastüberwachung und als organisatorische Maßnahme die Festlegung bestimmter Grenztoleranzen. Es muss in jedem Zustand sichergestellt sein, das die zulässige Belastung einzelner Systemkomponenten nicht überschritten werden kann.
ESC 2018 in Lissabon Besondere Herausforderungen können komplexe Aufbauszenarien oder Outdoor-Windlasten beim LED-Aufbau stellen (Bild: BigRig GmbH)
Erfahrungswerte plus Fachwissen
Die Bearbeitung des Themas in der Abschlussarbeit hat gezeigt, das Zwischenbauzuständen in der Veranstaltungstechnik mehr Aufmerksamkeit zuteil werden sollte, als es häufig der Fall ist. Vor allem in der Rigging-Fachplanung ist eine Berücksichtigung durchweg notwendig und sinnvoll. Bereits bei der Auslegung eines Systems müssen zusätzliche Beanspruchungen der Bauteile durch Aufbautoleranzen, Gleichlauftoleranzen von Hebezeugen, durch sukzessive Lasteinbringung oder durch noch fehlende statisch relevante Bauteile beachtet werden. Dies kann durch die Analyse der vorgesehenen oder auch erwartbaren Zwischenbauzustände erfolgen. Je nach Ergebnis ist eventuell die Anwendung zusätzlicher Maßnahmen erforderlich. Dafür müssen Erfahrungswerte mit statischem Fachwissen kombiniert werden.
Die Autoren
B.-Eng. Florian Mett absolvierte das Studium Theater- und Veranstaltungstechnik und -management an der BHT und hat in seiner Bachelorthesis das Thema der Zwischenbauzustände bearbeitet. Heute ist er als Projektleiter und Fachplaner für Rigging-Konstruktionen bei der BigRig GmbH in Berlin tätig. Prof. Stephan Rolfes ist als Professor für Konstruktionslehre an der BHT in den Studiengängen der Theater- und Veranstaltungstechnik tätig und leitet den Studiengang Theater- und Veranstaltungstechnik und -management. Zu seinem Lehrgebiet gehört auch der Leichtbau in der Veranstaltungstechnik, dem das Thema der Abschlussarbeit zuzuordnen ist.