von Swen Müller, Detlef Hoepfner, Artikel aus dem Archiv
Die Konzeption von PA-Systemen hat sich weg von der empirischen Käschtlezimmerei im Hinterhof zu wissenschaftlich unterfütterten Entwicklungsmethoden verändert.
Während früher oft bei der Planung von PA-Systemen rein über subjektive, klangliche Aspekte gestritten wurde, ist heute ein ganzes Bündel an Anforderungen zu erfüllen: Der gewünschte Sound soll nicht zufällig, sondern planbar und an vorhersagbaren Plätzen gleichmäßig erzielt werden können. Das Material muss einfach und sicher aufzubauen sein, wodurch bei den Herstellern hoch qualifizierte Mechanikabteilungen in den R&Ds entstanden: Die ersten Line-Array-Entwickler sind vor allem auch an mechanischen Fragen schier verzweifelt, wenn das Gewicht und die Toleranzen vieler Module miteinander ein total verklemmtes Array ergaben, aber kein System, das von wenigen Mitarbeitern flott ins Rigg (und wieder auseinander …) zu bringen war.
Selbstverständlich sind heute Netzwerkanbindung eines abgestimmten Systems und softwareseitige Simulation von Akustik und Mechanik. Das Akustik-R&D ist nach wie vor wichtig, aber ergänzt um weitere hochqualifizierte Hard- und Software-Entwicklungsabteilungen von mehrfacher Größe. Der gesamte Fertigungsprozess ist dazu professionalisiert und industrialisiert worden, eine Lautsprecher-„Box“ ist damit heute zu einem extrem hochwertigen Investitionsgut geworden, dessen Wirtschaftlichkeit ebenfalls betrachtet werden muss.
Und wenn ein Lautsprecher über eine Tablet-App in der Hektik schneller eingestellt werden kann oder sich im Netzwerk selbstständig meldet und so sicher im Betrieb identifiziert werden kann, ist das klanglich mindestens so wirksam wie ein esoterisches Membranmaterial.
Obwohl sich der prinzipielle Aufbau der eigentlichen Schallwandler kaum geändert hat, tat sich aber auch im Lautsprecherbau viel: Bessere Kühlmechanismen und das Magnetmaterial Neodymium boten beispielsweise die Chance, ihnen noch mehr Leistung trotz des reduzierten Gewichts anvertrauen zu können.
Schnell die Nase vorne hatten seit den 80er-Jahren Hersteller, die einen Lautsprecher als Gesamtsystem in der Anwendung betrachteten, seien es beispielhaft d&b mit einer frühzeitigen Integration von Controllern und Amps oder auch nur Details wie ein praktikables Gehäuse samt Transportdeckel beachtend (wie Bose bei der vielgescholtenen 802, die gerade wieder neu aufgelegt wird).
Große Fortschritte ergaben sich dann durch die Optimierung des Zusammenspiels der Wege und vor allem aller Lautsprecher des gleichen Weges – mit den Line-Arrays. Die „Geburtsstunde“ der kohärenten Abstrahlung bei Großveranstaltungen war 1993 mit der Markteinführung des L-Acoustics V-DOSC des französischen Pioniers und Firmengründers Christian Heil. Seitdem sind Line-Arrays von der Live-Beschallung ab einer gewissen Größenordnung – die sich stetig nach unten verschob – nicht mehr wegzudenken.
Nach und nach sprangen andere Hersteller mit auf – teils zähneknirschend oder nach dem mürrischen Vorwurf, die Branche eile nur einem Hype hinterher. Zu überwältigend sind die Vorteile für Veranstalter (weniger Holz) und Publikum (besserer Klang).
Die physikalischen Prinzipien waren lange bekannt. Linienstrahler auch – z. B. in den nicht gerade Modernität versprühenden ELA-Zeilen in Kirchen, Gemeindehäusern und Gerichtssälen (oft aus schrottigen Komponenten zu überteuerten Preisen gebaut). In der Großbeschallung hatten aber Druckkammertreiber mit Hörnern das Sagen.
Die Abdeckung großer Publikumsflächen mit ausreichendem Pegel wurde erreicht, indem relativ eng strahlende Systeme so angewinkelt wurden, dass (im nicht jedem Anwender bekannten Idealfall …) nur Schall aus einer Quelle den Zuhörer erreichte. Solche Touring-Systeme waren immerhin schon meist um Lichtjahre besser als die in vielen Hallen (oft mit viel Hokuspokus teuer verbauten) Festinstallationen und der Hausmeister stand dann oft am Tour-FOH: „Warum klingt das bei euch so gut, in unserer Anlage versteht man mit Mühe nur ein Mikro?“
In den Übernahmezonen ergab sich allerdings ein wildes Interferenzmuster mit einer Berg- und Talfahrt des Frequenzgangs insbesondere in den Höhen, welches nur wenige Meter weiter schon ganz anders aussieht und dort einen völlig veränderten Klangeindruck hinterlässt. Mit der annähernd kohärenten Wellenfront eines Linienstrahlers lässt sich dies verhindern.
Wie erzeugt man diese mit Druckkammertreibern, die eher als punktförmige Quellen agieren? Mit einem Waveguide, das die Wellenfronten mehrerer dicht-an-dicht angeordneter Treiber so auf einen schmalen vertikalen Schlitz (der fast die gesamte Höhe einer Einzelbox durchzieht) umleitet, dass sie gleichphasig als Stück einer Zylinderwelle aus ihm austreten.
Es ist der Verdienst von L-Acoustics, erstmalig ein solches Waveguide (das sich verschieden realisieren lässt) konzipiert zu haben, das tatsächlich bis zu den höchsten Höhen oberhalb von 10 kHz annähernd kohärente und damit interferenzmusterfreie Abstrahlung erlaubt.
Neben der erheblich verbesserten Homogenität des Frequenzgangs fällt auch die Schalldruckverteilung von vorne nach hinten gleichmäßiger aus, da die Lautstärke von Linienquellen in der Theorie nur um 3 dB bei Verdopplung der Distanz abnimmt gegenüber von 6 dB von sphärisch abstrahlenden Punktquellen. Sie lässt sich mit der vertikalen „Ausleuchtung“ durch Anwinklung der Einzelboxen zueinander steuern, was zu der typischen Bogenform der Arrays führt, zu deren Auslegung Berechnungsprogramme dienen.
Die Waveguides für Druckkammer-Lautsprecher sind allerdings nicht die einzige Möglichkeit, annähernd kohärente Wellenfronten auch für höhere Frequenzen zu erzeugen. Dies geht bis zu einer gewissen Frequenz und mit Einbußen des Maximalpegels auch mit Direktstrahlern, sofern sie nur klein genug sind und dicht aneinandergereiht werden können. Winzige 19-mm-Kalotten mit innenliegendem Neodym-Magnet sind zum Beispiel Kandidaten, mit denen sich Waveguide-freie Line-Arrays aufbauen lassen. Und ein Lautsprechertyp, der quasi auf natürliche Weise bereichsweise eine Linienquelle darstellt, ist der zarte Bändchenhochtöner und sein robusterer Verwandter, der Magnetostat (so genannt in Anlehnung an die Elektrostaten mit ähnlichen Abstrahlungseigenschaften).
Zur Klangverbesserung hat auch die Signalverarbeitung (Trennung, Entzerrung, Limitierung) bedeutende Fortschritte gemacht, zu der wiederum die Digitaltechnik entscheidend beigetragen hat. Mit ihr lassen sich hohe Flankensteilheiten bei der Trennung, komplexe Korrekturen von Frequenz und Phase sowie die Limitierung ohne Einbußen hinsichtlich Verzerrungsfreiheit und Dynamikumfang durchführen.
Anfangs noch auf teure externe 19″-Geräte beschränkt wandert dieses Loudspeaker Management nebst Endverstärker (deren Geschichte wir hier technisch betrachten) zunehmend in die Boxen selbst hinein, ist zumindest individuell auf diese optimiert. Basis für die Programmierung der Signalverarbeitung sind allerdings eine verlässliche Messtechnik und viel Erfahrung, die ist kein Anwenderthema mehr.
Eine indirekte Renaissance erfährt heute die gute alte ELA-Säule insofern, als man für optisch besonders anspruchsvolle Anwendungen sehr hochwertige Komponenten mit komplexem Signalprocessing aller Treiber verbindet und so aus schlanken Abmessungen nicht nur eine hohe Leistung erzielt, sondern auch die Zeile sozusagen „elektronisch krümmt“ oder sogar die Abstrahlung in mehrere Beams aufteilt.
Besonders in akustisch schwierigen (halligen) Räumen setzen sich diese Systeme – verglichen mit einer „normalen Box“ – hervorragend durch, und der alte Quäk-Sound ist längst Historie. Ein Beispiel von Kling & Freitag ist die VIDA. Mit einer weiteren Kehrtwendung landet diese Technik wiederum bei großen Line-Arrays, um deren Beams weiter zu optimieren (wie beim d&b ArrayCalc) oder ebenfalls Mechanik-unabhängig zu schwenken.
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