Kling & Freitag Schallzeile VIDA mit „Raketenantrieb“
von Redaktion,
Ende 2015 liefen regelmäßige Beta-Tests der Kling & Freitag VIDA, beispielsweise in der Orangerie in Hannover. Auf den ersten Blick sieht die Kling & Freitag VIDA ja aus wie andere DSP-Zeilen auch. Projektleiter Christoph Lohrer zeigt in unserem Gespräch auf, welche Details bei der Entwicklung des kraftvollen Linienstrahlers beachtet wurden.
Christoph, die Kling & Freitag VIDA hat eine intensive Forschungsphase hinter sich. In welchen Disziplinen wolltet Ihr Euch von den existierenden Lösungen absetzen?
Anzeige
Christoph Lohrer: Eigentlich in allen, außer vielleicht dem Preis 🙂 Hinsichtlich der Akustik haben wir uns bewusst für ein 3-Weg Koax-Konzept entschieden. Somit arbeitet jeder Treiber in seinem optimalen Arbeitsbereich und die gesamte Schallinformation kommt aus einem Punkt. Außerdem ließ sich dieses Konzept gut mit dem Wunsch vieler Rental-Firmen nach einem vereinfachten Handling in Logistik und Disposition vereinen, nämlich nur einen Typ-Lautsprecher im Pool verwalten zu müssen. Dank der eigens entwickelten Reflexports und der 6,5″-Langhubchassis können wir eine untere Grenzfrequenz von 60 Hz und damit Fullrange-Tauglichkeit bei minimalen Abmessungen und schlankem Design garantieren. Die klangliche Abstimmung hat außerdem geholfen, die Vorurteile gegenüber einem Linienstrahler im Vermietpark abzubauen. Im Hochtonbereich ist es in dieser Leistungsklasse das System mit den geringsten Abständen zwischen den Hochtönern, wodurch das physikalisch bedingte Auftreten von Sidelobes bei VIDA erst oberhalb von ca. 10 kHz stattfindet.
Gleichzeitig macht dies aber wiederum auch eine hohe Anzahl an DSP-Kanälen erforderlich (48 pro Box) und das bitteschön aber mit einer geringen Latenz (1,4 ms), da man es ja in der Regel mit Livedarbietungen zu tun hat, die lippensynchron ablaufen sollen. Diese Anforderungen an die Rechenleistung des Gesamtsystems ließen sich nur mit einem FPGA der neusten Generation umsetzen, mit dem wir uns eine Plattform geschaffen haben auch sukzessive weitere Features, wie z. B. erweiterte FIR-Algorithmen etc. zu implementieren. Man darf gespannt sein, was hier noch alles kommen wird … VIDA ist mit 3 kW Gesamtleistung pro Box eine echte P.A., die somit auch ein adäquates Netzteil brauchte. Das Projekt hat sich durch die ausgiebige Suche und Tests von diversen Netzteilen leider etwas nach hinten verzögert, schlussendlich wurden wir aber in der Luft- und Raumfahrttechnik fündig und haben unserer VIDA jetzt einen „Raketenantrieb“ verpasst.
»VIDA ist mit 3 kW Gesamtleistung pro Box eine echte P.A.«
Christoph Lohrer | Kling & Freitag Projektleiter der VIDA-Entwicklung
Last but not least sind wir auch wieder sehr stolz im Bereich Mechanik mit VIDA neue Maßstäbe setzen zu können. Ein VIDA-Array kann aus bis zu acht Boxen (8,9 m) bestehen, welches durch einen innenliegenden Verbindungsmechanismus zusammengehalten wird, der komplett werkzeuglos bedient wird. Mit Hilfe eines integrierten elektrischen Goniometers können am zugehörigen Flugrahmen auch mechanische Winkel eingestellt werden, die dann über die App in Echtzeit am Tablet abgelesen werden können. Der Flugbetrieb eines Arrays ist sowohl einsträngig (ein Motor) als auch zweisträngig (zwei Motoren) möglich.
Welche Möglichkeiten bietet das Kardioid-Modul, und sieht Kling & Freitag es als festen Bestandteil des Systems oder eher als Option?
Christoph Lohrer: Das Kardioidmodul VIDA C gehört als Erweiterung fest zum Gesamtsystem dazu. Wir haben es jedoch bewusst als Option ausgelegt, falls die nötige Tiefe von 480 mm in den entsprechenden Lokalitäten nicht zur Verfügung steht. Die Kardioidwirkung ist speziell im Low-Mid-Bereich (100 Hz – 400 Hz) aktiv. Der Anwender kann in Kombination mit VIDA C verschiedene Charakteristika in Echtzeit umschalten (Niere, Hyperniere, Kugel – Bass-Boost). Das Basismodul VIDA L stellt für VIDA C einen DSP-Ausgang mit 2 x 400 W RMS zur Verfügung, an dem alternativ auch bis zu vier Passio Sub 12 oder Passio Sub 15 betrieben werden können.
Durch die Rückwärtsdämpfung entstehen im Raum deutlich weniger Reflexionen. Konventionelle Systeme strahlen hier quasi wie ein Dipol ab. Dieses Thema wird oftmals leider außer Acht gelassen, da es u. a. auch in der Regel nicht in Datenblättern etc. aufgeführt wird. Erst wenn sich jemand mit einem Ansteckmikrofon hinter den Lautsprechern aufhalten soll fällt oftmals auf, dass der Lautsprecher zu wenig Rückwärtsdämpfung macht …
Abgesehen davon, dass die Kling & Freitag Zeile natürlich schmaler ist: Wie würdest Du eine Grenze/Unterscheidung aus klanglicher Sicht zu einem kompakten Line-Array ziehen?
Christoph Lohrer: Durch die integrierte Optimize-Funktion werden Sidelobes reduziert, was nachweislich eine bessere Sprachverständlichkeit in schwieriger Akustik in Form eines besseren STI-Wertes liefert. Dieser wird durch die oben beschriebene Rückwärtsdämpfung des Systems noch einmal weiter verbessert. Optionen, die ein kompaktes Line-Array so nicht bietet.
Darüber hinaus kann mit dem sog. Split-Beam gearbeitet werden. Dabei erhält z.B. der vorderer Beam (Nahfeld) einen großen Öffnungswinkel, der zweite Beam (Fernfeld) einen engen. Mit dem reinen mechanischen Curving (intensity shading) eines kompakten Line-Arrays kommt man trotz großer Splaywinkel bei solchen Einstellungen schnell an die Grenzen. Das alles lässt sich in Form von Presets (Snapshots) abspeichern, was mir die Arbeit vor Ort extrem erleichtert, da ich bei einer Veränderung der Hörfläche nicht gleich umriggen muss!
»Das beste akustische Ergebnis erreicht man aber unserer Meinung nach aus einer Kombination von elektrischem und mechanischem Winkel«
Christoph Lohrer zum DSP-Konzept bei Zeilen
Beam-Steering ist bei manchen Anwendern etwas verrufen, man möchte doch lieber den Lautsprecher direkt gleich ins richtige Curving bringen, statt Klangeinbußen und Pegelverluste durch die DSP-Manipulationen zu erhalten. Wie dicht kann eine DSP-Zeile heute aus Sicht von Kling & Freitag am „akustischen Ideal“ sein?
Christoph Lohrer: Der Ansatz sollte sein, das Beste aus zwei Welten miteinander zu vereinen und nicht zu versuchen mangelnde Qualität mittels DSP zu kompensieren. Konkret heißt das für uns: Hochwertige Chassis verwenden, die zusätzlich per DSP entzerrt werden. Abstrahlcharakteristik (spread) per Algorithmus, aber zusätzlich auch mittels Waveguide (mechanisch) optimieren. Neigung per Software (tilt), aber auch zusätzlich mechanisch einstellbar. Speziell der letzte Punkt hat vermutlich am meisten dazu beigetragen, dass die DSP-Zeilen leider etwas in Verruf geraten sind, da viele Anwender dem Trugschluss erlegen sind sie könnten bedenkenlos elektrische Neigungswinkel von 45° und mehr an ihrem System einstellen. Das beste akustische Ergebnis erreicht man aber unserer Meinung nach aus einer Kombination von elektrischem und mechanischem Winkel. Vermutlich umgehen viele dies u. a. aus dem Grund, da bei langen Stangen (max. Ausbaustufe der VIDA: 8,9 m Länge) enorme Hebelkräfte auftreten, die man zunächst natürlich erstmal bändigen muss.
Kommentare zu diesem Artikel
Pingbacks