Yamaha VCM: Vintage-Klassiker emulieren

In den Yamaha-Mischpulten haben diverse Emulationen von Rupert Neves Analog-Klassikern Einzug gehalten. Wie setzen Toshi Kunimoto und sein Digital-Team diese um und welche Entscheidungen werden bei der Entwicklung getroffen?

Yamaha PM10
Yamaha Rivage PM10 (Bild: Anselm Goertz)

Digitale Audiotechnik hat mittlerweile einen Grad der Vollkommenheit erreicht, der kaum noch Raum für nachvollziehbare klangliche Verbesserungen zulässt. Daraus resultieren Gerätschaften, die herstellerübergreifend weitgehend gleich klingen – nämlich makellos, sofern die R&D-Abteilungen ihre Hausaufgaben fehlerfrei erledigen. Dieser eigentlich erlösende Endzustand der Entwicklung bringt aber keineswegs allen Musikschaffenden den erhofften ewigen Seelenfrieden. Im Gegenteil wünscht sich so mancher die Würze und inspirierende Imperfektion der altvertrauten analogen Signalverarbeitungsklassiker mit all ihren Haken und Ösen zurück – ein Zustand, dem die Hersteller verstärkt durch digitale Emulation der linearen und nichtlinearen Übertragungseigenschaften altbekannter Vintage-Klassiker Rechnung tragen. Bei Yamaha kümmert sich ein Team („K’s Lab“) um den illustren Toshifumi Kunimoto, der sich schon einen Namen bei der Entwicklung der legendären Physical Modeling Synthesizer VL1 und VP1 gemacht hatte, um die Verhaltensforschung an den analogen Schaltungen klassischen Outboard Gears, den anschließenden Entwurf passender Algorithmen zur deren Emulierung und der digitalen Implementierung für die Channel Strips aktueller Mischpulte. In einem Interview mit PRODUCTION PARTNER erläutert Toshi uns einige der dabei zugrunde liegenden Prinzipien und Yamahas erfolgreiche Zusammenarbeit mit Rupert Neve.

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Interview mit Toshifumi Kunimoto

Toshi, kannst Du uns Deinen Werdegang beim Physical Modeling von den ersten Anfängen mit den Synthesizern VL1 und VP1 bis hin zu aktuellen VCM-Technologie im PM10 schildern?

Toshi Kunimoto: Mein Team, das K’s Lab, hatte schon einige digitale Musikinstrumente entwickelt, die Ideen zum Physical Modeling umsetzten, einschließlich der Musiksynthesizer EX5 / EX7, des Virtual-Acoustic Synthesizers VL1/VP1 und des virtuellen analogen Synthesizers AN1x. Zum Beginn des 21. Jahrhundert dachten wir uns dann, dass diese Technologie auch im PA-Bereich eingesetzt werden könnte und wir begannen, uns dieser Entwicklung zuzuwenden. Die ersten Ergebnisse waren Upgrades für die DM2000/O2R96 Pulte. Der Name VCM (Virtual Circuit Modeling) wurde ebenfalls in dieser Zeit geboren.

Wann hat sich Yamaha denn dazu entschlossen, die Vorverstärker, Kompressoren und Equalizer aus Rupert Neve’s Portico-Serie zu emulieren? War es schwierig, ihn zur Zusammenarbeit mit Deinem Team zu bewegen?

Toshi: So um 2006-2007 untersuchten wir verschiedene EQs aus vergangenen Zeiten und kamen schließlich zu einer Übertragungsfunktion (ein mathematischer Ausdruck, dessen Bedeutung Schaltungstechnikern aber klar ist, deswegen verwende ich ihn hier zur Erklärung), welche den Kern des Vintage-EQ-Sounds wie der des 1073EQ darstellt. Während wir uns bei Yamaha über diese Ergebnisse besprachen, kamen wir auf die Idee, dass vielleicht eine Zusammenarbeit mit Rupert Neve Design möglich wäre. Wir besuchten ihn also und stellten unsere Untersuchungen an den analogen Schaltungen vor und wie wir ihr Verhalten digital zu realisieren gedachten. Rupert antwortete sofort auf unsere Erklärungen, unsere Fähigkeiten auf diesem Gebiet verstehend. So kamen wir, Yamaha und RND, leicht zu einem Übereinkommen zur Zusammenarbeit. Während wir verschiedene Vorschläge erörterten, dachten wir an digitale Realisierungen ihrer Hauptprodukte, den EQs und Kompressoren der Portico-Serie.

Ich denke, der Knackpunkt war, ob wir und er eine gemeinsame Sprache (auf Ingenieursebene) sprachen oder nicht. Tatsächlich haben wir die gleiche Sprache und so können wir leicht miteinander kommunizieren. So kann ich also sagen, dass es gar keine große „Schwierigkeit“ wie von Dir erwähnt gab. Erfreulicherweise kann die schon erwähnte Übertragungsfunktion genutzt werden, um den Sound der Portico-EQs zu emulieren.

Wie kommt man mit mehreren Prototypen-Iterationen schließlich seine Zustimmung bezüglich der Klangreue der Emulationen?

Toshi: Rupert hat strikte Anforderungen an Technologie und Klang. Jedes Mal, wenn wir ihm eine neue Modellierung vorstellen und Hörsessions mit ihm durchführen, kommen detaillierte Verbesserungsvorschläge von ihm. Es ist zweifelsohne eine herausfordernde Aufgabe, diese abzuarbeiten. Glücklicherweise ist uns das noch jedes Mal gelungen. In vielen Fällen handelt es sich um subtile Einstellungen und es ist oft schwierig, die Bedeutung seiner sinnlichen Worte zu entschlüsseln. Es braucht etwas Zeit und Mühe, die entsprechenden Korrekturen durchzuführen.

Welche analogen Effekte sind am schwierigsten zu modellieren? Wie messt Ihr sie und wie schafft Ihr es, sie naturgetreu auf digitaler Ebene zu emulieren?

Toshi: Im Allgemeinen weisen ältere Vintage-Geräte kniffelige Schaltungen auf. Deswegen sind sie schwierig zu emulieren. Zwei der Geräte, denen wir uns gewidmet haben, nämlich Rupert EQ 773 und Rupert Comp 754, benötigten neue Ansätze auf dem Gebiet der numerischen Berechnung und ihre Modellierung war sehr zeitaufwändig. Was die Messungen angeht, gibt es zwei Ansätze. Der eine nutzt das traditionelle Mess-Equipment à la Audio Precision, der andere hauseigene Werkzeuge. Über letztere können wir leider nicht sprechen. Es kann aber festgehalten werden, dass meistens ernste Mathematik, Know-how und Beharrlichkeit gefragt sind; um das umzusetzen, was vorher mit besagten Werkzeugen gemessen wurde. Wir nehmen uns sehr viel Zeit, um die Musikalität zu optimieren und ich denke, das ist ein ganz wichtiger Punkt.

Emulieren die Vintage VCM Plug-ins wirklich sämtliche Eigenarten der analogen Vorbilder, oder werden manche der eher störenden Eigenschaften (Brummen, Rauschen, beschränkter Frequenzbereich, früh einsetzende Übertrager- Sättigung bei tiefen Frequenzen) manchmal weg- gelassen, um so den heutigen Sound-Anforderungen mit erweitertem Frequenzbereich gerecht zu werden, ohne die beabsichtigte analoge Wärme und Musikalität zu beeinträchtigen?

Toshi: Wir streben gründliche Modellierungen an, die musikalisch funktionieren müssen. Aus diesem Grunde entscheiden wir von Fall zu Fall, ob wir die störenden Eigenschaften, die analogen Schaltungen zu eigen sind, implementieren oder nicht. Wenn es sich um eine reizvolle musikalische Zutat handelt, realisieren wir sie. Wenn sie wirklich nur zu stören scheint, lassen wir sie weg. Wir achten auf effiziente Algorithmik, um nicht unnötig DSP-Ressourcen zu verschwenden, denn wir wollen schließlich Produkte zu vernünftigen Preisen herstellen.

Wie geht Ihr mit den Aliasing-Produkten um, die entstehen, wenn digitale Signale nichtlinearer Verarbeitung unterworfen werden? Mehrfaches Oversampling und anschließende Dezimierung auf die ursprüngliche Abtastrate? Helfen die 96 kHz, die heutzutage überwiegend als Abtastrate in den Hosts eingesetzt wird, um auf natürliche Weise dieses Problem zu lindern?

Toshi: Wenn nichtlineare Verarbeitung heftig eingesetzt wird, muss der Aliasing-Problematik passend begegnet werden, wie Du Dir vorstellen kannst. Im Bereich des professionellen Audio-Equipments ist die Nutzung von 96 kHz Abtastrate oft eine gute und einfache Lösung, aber unsere Produkte laufen häufig auch mit 44,1 oder 48 kHz, deswegen mag so ein passiver Ansatz manchmal nicht ausreichen. Es kommt auf den Fall an. Wenn wir über Studioausrüstung sprechen, so werden gewollte grobe Verzerrungen, wie sie zum Beispiel Tretminen für Gitarren produzieren, ja normalerweise gar nicht eingesetzt. Deswegen ist es dort nicht nötig, mit Oversampling zu arbeiten.

Wo wird das Number-Crunching in den fertigen Produkten letztendlich ausgeführt? In Standard-DSPs, ASICs oder heutzutage auch in FPGAs?

Toshi: Anfangs setzte Yamaha eigenentwickelte DSPs in den digitalen Mischpulten ein. Heutzutage gibt es verschiedene technische Lösungsansätze und so nutzen wir die richtige DSP-Lösung für den richtigen Zweck. In der Praxis verwenden wir eigene DSPs, Allzweck-DSPs, aber auch FPGAs. Für die allgemeine Klangbearbeitung bauen wir sowohl auf eigene als auch auf Standard-DSPs. Yamaha hat seine eigenen DSPs insbesondere für die EQs und Kompressoren in den Channel Strips konzipiert, sie sind aber nicht in der Lage, verschiedene numerische Berechnungsarten auszuführen, die für VCM-Plug-in-Prozessoren benötigt werden. Die Stärke von Yamahas eigenentwickelten DSPs liegt in der Berechnung einer großen Anzahl von EQs und Kompressoren in hoher Qualität zu einem vernünftigen Preis.

Was sind die Gründe, einen speziellen DSP (SILK) im Rivage PM10 einzusetzen, der sich dort um die digitalisierten Eingangssignale kümmert? Ist das eine Frage der verfügbaren Rechenleistung, oder hat dieser DSP eine spe zielle Architektur, die dazu optimiert ist, die Transformator- gekoppelten analogen Vorverstärker von RND zu emulieren?

Toshi: Im SILK ist es nötig, die Schaltung inklusive des Transformators von RND mit der VCM-Technologie zu emulieren. Deswegen haben wir dort Allzweck-DSPs für die VCM-Plugin- Prozessoren eingesetzt.


»Wir entscheiden von Fall zu Fall, ob wir die störenden Eigenschaften, die analogen Schaltungen zu eigen sind, implementieren oder nicht. Wenn es sich um eine reizvolle musikalische Zutat handelt, realisieren wir sie. Wenn sie wirklich nur zu stören scheint, lassen wir sie weg.«

Toshifumi Kunimoto | leitet Yamahas „K’s Lab“


Kannst Du uns ein wenig mehr über die Unterschiede zwischen diesen Allzweck-DSPs und den speziellen Yamaha- DSPs erzählen?

Toshi: Die klassischen Standard-DSPs beherrschen viele verschiedene arithmetische Operationen, die gut für VCM geeignet sind. Tatsächlich benötigt die VCM-Technologie eine Vielzahl von Kombinationen und Berechnungen, mathematische Funktionen und Tabellen. Individuelle VCM-Verfahren benötigen auch individuelle Algorithmen, und die können vernünftig nur mit Software realisiert werden, indem sie also individuell programmiert werden.

Im Gegensatz dazu sind die Fähigkeiten der proprietären Yamaha-DSPs beschränkt und zu 90% durch ihre Hardware definiert. Sie sind bestens für Mix-Busse, Filter und Kompressoren geeignet, aber ihre Funktionalität ist nur geringfügig durch Software veränderbar. Es handelt sich bei ihnen weitgehend um fest verdrahtete Hardware. Wir könnten natürlich auch einen speziellen DSP entwerfen, der für VCM optimiert ist und diesen für SILK im Rivage PM10 einsetzen. Das tun wir derzeit aber nicht.

Und noch aus Neugier: Wenn die SILK-Verarbeitung am Pult aktiviert wird, dann verstärkt die „blaue“ Einstellung den Bassbereich, während die „rote“ die Höhen anhebt. In der Optik ist es aber umgekehrt. Dort entspricht rot dem unteren Frequenzbereich des sichtbaren Lichts und blau dem oberen. Gibt es einen Grund für die Verletzung dieser oft auch in der Audiotechnik genutzten Analogie?

Toshi: Das werden wir immer mal wieder gefragt. Yamaha hat die blaue und rote Einstellung bei SILK von RND geerbt, die dort schon in der Portico-Serie zum Einsatz kam. Diese Frage müsste also an RND gerichtet werden.

 


 

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