Für Max Giesinger nahm Ingo Thürauf eine ungewöhnliche Mikrofonierungs-Range mit auf „die Reise“, Jens „Bubbes“ Steffan lieferte außerdem eine binaurale In-Ear-Monitormischung.
US-Amerikaner kennen das GIGO-Prinzip: „Garbage in, Garbage out“ gilt als Weisheit auch für musikalische Aufführungen. Die beste Beschallungsanlage bringt nichts, wenn die Fertigkeiten der Musiker zu wünschen übrig lassen, die Arrangements unvorteilhaft ausfallen, die Instrumente schlecht klingen oder die Mikrofonierung nicht in der Lage ist, die Schallquellen auf der Bühne in gewünschter Form nuanciert abzubilden. Selbst in Zeiten höchst elaborierter Digitalverarbeitungsmöglichkeiten gilt:
Was zu Beginn der Signalkette nicht vernünftig eingefangen wurde, lässt sich später weder digital hervorzaubern noch tontechnisch auf Hochglanz polieren.
Was zwischen Mikrofonabnahme und Lautsprecherwiedergabe passiert, trägt selbstverständlich wesentlich zum (hoffentlich guten) Klangbild bei. Ein Mix, der auch in einer schwierigen akustischen Umgebung mit Druck, Transparenz sowie durchgängig guter Sprachverständlichkeit zu überzeugen versteht, ist dem Können erfahrener Tonleute wie Ingo Thürauf zuzuschreiben – vorteilhaft gewähltes sowie gekonnt eingesetztes Equipment trägt dazu bei, dass ton-technische Expertise vollauf zur Geltung kommen kann.
Ingo Thürauf setzte auf der Tournee von Max Giesinger jenseits der üblichen Mics eine nennenswerte Zahl kabelgebundener Mikrofone aus dem Portfolio von SE Electronics ein: Als Overhead-Mics über dem Schlagzeug dienten überraschenderweise aktive Bändchen-Modelle des Typs VR2 mit einem weiten Frequenzgang.
Die Konstruktion ist offenkundig robust genug für einen Bühneneinsatz; die Achtercharakteristik schien den Tonleuten keine größeren Probleme zu bereiten, wobei zu erwähnen ist, dass der Schlagzeuger während der Shows hinter einer Plexiglaswand saß.
Dynamische Kapseln mit dem schönen Namen V Beat fanden an den Toms Verwendung. Die zugehörige V-Clamp-Halterung wird direkt am Spannreifen der Trommel befestigt, wobei die Schwingungsübertragung wie bei den allseits bekannten Wettbewerbern durch eine Kunststoffklammer gemindert wird.
Anders als bei der Konkurrenz sind die kompakten V Beat nach Befestigung an der Klammer mit einem verschiebbaren Metallpin stufenlos höhenverstellbar, was mit Blick auf die Klanggestaltung (Distanz vom Fell zur Mikromembran) ein vorteilhaftes Feature sein mag.
Gut gelöst ist auch die Kabelzuführung, die am Winkelgelenk nach unten und nicht aus dem Mikrofonkorpus nach hinten führt; Winkelstecker sind somit nicht vonnöten.
Schaute man in Stuttgart durch das transparente Bassdrum-Schlagfell, war im Innenleben der Kick eine elastische Aufhängung zu erkennen, in der ein V Kick von SE Electronics platziert war. Ergänzende Kick-Klanganteile lieferte ein Shure Beta91A Grenzflächenmikrofon.
Die Snare war mit einem V7 von SE Electronics versehen, welches durch ein phasengedrehtes AKG C414 (Teppich) ergänzt wurde. Ein seitlich an der Snare positionierter Trigger war mit einem elektronischen Klangmodul verbunden.
Die HiHat wurde in bewährter Form mit einem Shure SM81 abgenommen, ein Neumann KM 184 befand sich unter dem Ride-Becken.
Alle Instrumentalisten mit Ausnahme des Schlagzeugers wurden als Backing-Sänger mit jeweils einem kabelgebundenden Shure Beta58 samt Optogate PB-05 (das den Kanal nur öffnet, wenn die Künstler am Mikrofon stehen) aktiv – aus Tonmenschensicht fraglos eine angenehme Konstellation, ohne Gesangsmikrofon in unmittelbarer Nähe des Drumkits.
Der E-Bass wurde ausschließlich direkt abgenommen, auf der Bühne fand sich keine Bassbox. Die Comboverstärker der Gitarristen befanden sich am hinteren Bühnenrand und zeigten ins Off bzw. auf schaumstoffgepolsterte große Case-Deckel.
Als Mikrofone fanden Shure SM57 sowie unterschiedliche Bändchen (Beyerdynamic, Royer Labs) Verwendung. Einer der Gitarristen verwendete parallel zu seinem physisch vorhandenen Verstärker einen Profiling-Amp, der in erster Linie Effekte lieferte.
Am FOH-Pult waren somit von einem Gitarristen vier unterschiedliche Gitarrensignale verfügbar, die sich beliebig zu einem gewünschten Klang verquicken ließen: Direktsignal, Effektsignal und zwei Mikrofonsignale. Bei fünf Musikern und einem gelegentlich zur Gitarre greifenden Lead-Sänger kamen etliche Signale zusammen: mit allem Drum und Dran war das Stage 64 I/O-Rack des als FOH-Pult verwendeten Avid Venue S6L fast vollständig belegt.
Mit der Musik von Max Giesinger ist Ingo Thürauf bereits länger vertraut: Seit Herbst 2018 ist er für den Singer/Songwriter tätig, doch die Bekanntschaft reicht zurück bis in Zeiten, in denen Giesinger als Support-Act für Sarah Connor unterwegs war.
Thürauf begleitete die Produktionsproben der „Die Reise“-Tournee, welche in den Bottroper Räumlichkeiten („one2one rehearsal studio“) von TDA Rental stattfanden. Es wurde während der intensiven Proben nicht nur an der technischen Umsetzung, sondern auch an den Song-Arrangements gefeilt, welche bei Live-Konzerten in größeren Hallen ihren Part zu einem differenzierten Klangbild beitragen sollten: Mehrfach griffen während der Show gleich drei Personen zur Gitarre, so dass eine genaue Abstimmung von Sounds und Lagen hilfreich war. Auch die geschmackvoll gewählten Synthesizerklänge wurden auf Transparenz bei gutem Gesamtklang optimiert.
Einige Flächen-Sounds sowie Percussion-Loops waren in der Sequenzer-Software Ableton Live angelegt und wurden während der Show getriggert. Die Musiker wurden durchweg mit einem Clicktrack versorgt. Ingo Thürauf griff passend dazu auf einen Timecode zurück.
Sein Avid wurde über den LTC-Eingang mit einem Longitudinal-Timecode-Signal gespeist, so dass sich das Pult in gewünschten Parametern (z. B. Effekte, Lautstärkefahrten, komplexe EQ-Settings und Gates) automatisieren ließ. Das Avid Venue S6L ist Thüraufs bevorzugtes Pult – im Gespräch wies er auf Aspekte wie den aus seiner Sicht besonders gelungenen Workflow sowie den guten Sound hin.
Besonderen Tonaufgaben rückt Ingo Thürauf mit spezialisierten Plug-ins zu Leibe. Darüber hinaus hat er als Hardware einen Waves-Soundgrid-Server im Einsatz. Edle Halleffekte liefert ein Bricasti Design M7.
Der Monitorplatz am seitlichen Bühnenrand war das Reich von Jens „Bubbes“ Steffan, der eine kompakte Digico-Konsole SD12 im Einsatz hatte – insofern nicht verwunderlich, als Bubbes Product & Sales Manager bei der United Brands GmbH ist, die unter anderem Produkte von Digico vertreibt.
Ergänzt wurde die Konsole durch einen Klangfabrik-Prozessor, einen Waves Soundgrid Server One sowie ein Waves-Prozessor Maxx BCL, welcher der In-Ear-Mischung von Max Giesinger vorbehalten war.
Die Konsole wurde audioseitig über einen MADI-Stream gespeist, der vom Stage 64 I/O-Rack des S6L geliefert wurde. Ingo Thürauf setzte in dieser Konstellation am FOH die Gains, wobei Jens Steffan die mit einer Abtastrate von 96 kHz eintreffenden Signale unter Einsatz eines Konverters von Directout Technologies auf 48 kHz herunterrechnete.
Gleiches galt für einen zweiten MADI-Stream, den eine I/O-Box während einer Akustiksession auf der B-Stage lieferte. „Für mich klingen die Signale bei einer Samplingrate von 48 kHz deutlich sauberer – das Rauschen ist geringer“, merkte Steffan an.
„Das höre nicht nur ich, sondern auch die Musiker haben mir eine entsprechende Rückmeldung gegeben. Es mag daran liegen, dass die Gain-Einstellungen von Ingo generell eher konservativ gehandhabt werden und die verfügbare Wortbreite bei der A/D-Wandlung nicht komplett ausgereizt wird.“
Am Monitorplatz waren zwei kaskadiert betriebene Klangfabrik-19“-Prozessoren der Aachener Klang-Technologies GmbH (im Dezember 2018 mit Digico fusioniert, in Deutschland im Vertrieb bei United Brands) zu entdecken. Bubbes nutzte sie, um eine binaurale In-Ear-Monitormischung zu erstellen.
„Mit der Klangfabrik arbeite ich seit rund fünf Jahren und verwende sie bei fast allen Produktionen, die ich am Monitorplatz begleite“, berichtete Bubbes in Stuttgart.
„Jede Klangfabrik wird unabhängig, post Fader und post Processing über Direct-Outs von der SD12 mit jeweils 48 Kanälen beschickt. Pro Gerät stehen vier Output-Mixes für die sechs Musiker, einen Gast und die Backliner zur Verfügung. Dank der neuen Kaskadierung kann ich in der Klang-App mit nur einer übersichtlichen Oberfläche ohne Layer-Untiefen gleich beide Maschinen steuern. Die Mixes werden via MADI in die Merge-Inputs der SD12-Aux-Wege zurückgeschickt, wodurch mir keine Eingänge verloren gehen und ich wie gewohnt am Pult arbeiten und die Mixes abhören kann.“
Der in den Klangfabrik-Prozessor integrierte Audiorouter wurde von Jens Steffan auch genutzt, um über die analogen Ausgänge Shure P10T Zweikanal-Sender sowie Subwoofer anzubinden.
Ein interessanter Aspekt bei Verwendung der Klangfabrik-Prozessoren besteht darin, dass sich Musiker unter Einsatz der Klang-App in die Mixes einwählen und beeinflussen können – beispielsweise via Tablet-Touchoberfläche.
Max Giesingers Musiker erarbeiteten während der Proben in Bottrop gemeinsam mit ihrem Monitortechniker die Basismischungen, welche später von Bubbes übernommen und weiter optimiert wurden. Wesentlicher Aspekt der binauralen Mixes über die Klangfabrik-Prozessoren ist die Möglichkeit, Instrumentensignale räumlich um die Musiker herum (vorne-hinten, links-rechts, oben-unten) zu positionieren, wodurch einzelne Instrumente dreidimensional geortet und einfacher unterschieden werden können.
Die Signale maskieren sich bei diesem Verfahren gegenseitig weniger als sonst üblich, und als Resultate entstehen im Idealfall transparenter wirkende Mischungen mit vergleichsweise niedrigen Gesamtlautstärken. „Durch eine geschickte räumliche Positionierung der Signale kann ich für jeden Musiker die für ihn besonders wichtigen Instrumente in den Fokus rücken, aber auch unwichtigere Signale wegräumen, ohne die Pegel verändern zu müssen“, erklärte Jens Steffan.
Dem Prozess zugrunde liegt die von Kunstkopf-Recordings bekannte Binauraltechnik, welche in Verbindung mit weiteren an der RWTH Aachen vorangetriebenen Forschungsarbeiten den Weg in einen Echtzeit-Prozessor für professionelle Monitoring-Anwendungen gefunden hat. Klang-Technologies spricht von „Immersive 3D In-Ear Mixing“.
Max Giesinger verwendete einen Handsender Shure AD2 mit Beta58-Kapsel, zwei weitere Handsender mit gleicher Bestückung lagen als Spare sowie als Gästemikrofon bereit. Der vierte verfügbare Axient-Kanal eines Shure AD4Q war einem Akkordeon bzw. dem an diesem befestigten AD1-Beltpack vorbehalten, das beim Akustikset auf der B-Stage zum Einsatz kam.
»Das sind meine Money-Channels – damit verdiene ich mein Geld!«
Jens „Bubbes“ Steffan über Ambience-Kanäle am Monitorplatz
Angebunden an den AD4Q-Vierkanalempfänger waren Antennen von RF Venue. Als Ambience-Mikrofone verwendete Jens Steffan dynamische Shure SM57, deren Signale den IEM-Mixes nach seinen Worten „so natürlich wie möglich“ beigemischt wurden: „Das sind meine Money-Channels – damit verdiene ich mein Geld!“, sagte Bubbes über die von ihm während der gesamten Show passend zum Geschehen unter Einsatz dynamischer EQs gefahrenen Atmo-Wege.
Alle Musiker hörten sich auf der Bühne über drahtlose Shure PSM 1000 IEM-Systeme, wobei auf dem Podium auch vier separat als Front- und Backline anzutreibende d&b V-SUB Tieftöner ihren Dienst verrichteten. Auf Sidefills und konventionelle Wedges wurde verzichtet.
Jens Steffan kommentierte: „Ein In-Ear-Mix klingt grundsätzlich besser, wenn das Signal durch Körperschall ergänzt wird – die meisten Hörer können die gewünschte Fülle einfach nicht vernünftig abbilden. Bei Max Giesinger besitzt der Schlagzeuger zwar einen Shaker, aber die anderen Musiker konnten wir aufgrund ihrer Bühnenbewegungen nicht entsprechend ausstatten. Hauptgrund für den Einsatz der SL-SUB ist allerdings die Tatsache, dass wir auf der Tournee mit KSL-Lautsprechern von d&b Audiotechnik unterwegs sind. Diese Systeme strahlen bekanntermaßen kardioid ab – bei mir ist es so, dass ich die PA normalerweise mit in den Monitorsound mit einbeziehe, um auf der Bühne die gewünschte Wärme zu erreichen. Letztere fehlt mir, wenn KSL-Lautsprecher zum Einsatz kommen. Ich booste daher bei Max Giesinger in Abstimmung mit dem FOH-Kollegen die Bässe stärker, als ich es normalerweise machen würde.“