Sound-Zukunft für Theaterproduktionen

Immersive Sound am Theater

Mehrkanalton-Ansteuerung
Mehrkanalton-Ansteuerung bei “Soldaat van Oranje” (Bild: Detlef Hoepfner)

Seit einigen Jahren drängen zunehmend neue 3D-Sound-Systeme auf den Markt. Haben sich diese am Kinomarkt be reits bestens etabliert und sind im Event-Sektor auf dem besten Wege dies zu tun, so besteht im Theaterbereich noch Nachholbedarf. Und das, obwohl Immersive Sound gerade hier gut aufgehoben wäre! Auch in kommerzieller Hinsicht: Immerhin gibt es alleine im deutschsprachigen Bereich mehrere hundert Bühnen.

Toningenieure, Tontechniker und Sounddesigner erwartet am Theater heutzutage ein ebenso komplexes wie spannendes und abwechslungsreiches Arbeitsgebiet. Studioarbeit und Location-Recording sind zu erledigen, aber natürlich stehen die zahlreichen Vorstellungen im Mittelpunkt des Schaffens und auch bei diesen gilt es, eine ungeheure Spannbreite abzudecken: Konzert und Musical, Schauspiel und Oper, Tanztheater und Sonderveranstaltungen – und vieles andere mehr. Dabei stellt nicht nur jede einzelne Sparte – Schauspiel, Ballett, Musiktheater oder Konzert – ganz spezielle Ansprüche an den Ton, sondern auch jede spezifische Produktion will adäquat und somit jeweils anders und individuell betreut werden. Hinzu kommt, dass man sich als Tonschaffender am Theater nicht einfach in einem Vakuum bewegt, sondern dafür Sorge tragen muss, dass sich die Klangästhetik in ein übergeordnetes künstlerisches Konzept einfügt. Hierzu sollte man über hinreichendes künstlerisches Fingerspitzengefühl verfügen und in der Zusammenarbeit mit dem künstlerischen Team (Regie, Bühnenbild) und den anderen Gewerken (Video, Licht etc.) zum Wohle der Produktion sein eigenes Ego auch einmal hinten anstellen können.

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Planungssoftware von Iosono
Benutzeroberfläche der Planungssoftware von Iosono (Bild: Thomas Zahn)

Fake 3D-Sound?

Im Grunde wird am Theater seit jeher mit 3D-Sound gearbeitet, wenn auch nicht notwendigerweise mit festgelegten Algorithmen, sondern eher pragmatisch. Soll heißen: der Theatertonschaffende orientiert sich eben an den Anforderungen der jeweiligen Produktion und versucht, sich diesen pragmatisch zu nähern. Ein zentraler Punkt nämlich, der die Arbeit und den Umgang mit Ton am Theater grundlegend unterscheidet vom eher konventionellen Konzertbetrieb, ist die Einbindung und Nutzung des jeweiligen Theaterraumes in das Sounddesign. Stellt im herkömmlichen Beschallungsbetrieb eine ordentliche FoH-Anlage häufig das Maß der Dinge dar, ist dies im Theaterbetrieb eher unüblich: vielmehr kommt es

hier entscheidend darauf an, mit dem jeweils gegebenen Raum kreativ umzugehen, damit zu spielen und Klangwelten zu erzeugen, die die Zuschauer in das Bühnengeschehen mit einbeziehen. Zu diesem Zweck werden üblicherweise zahlreiche diskret, d. h. individuell und über einzelne Ausgänge ansteuerbare Lautsprecher im Bühnen- und Zuschauerraum verteilt, zuweilen aber auch in den Foyers und anderen Orten – anything goes! Diese Lautsprecher wiederum sind teilweise fest installiert, teilweise mobil und somit je nach Produktion und deren jeweiligem Anforderungsprofil an einem anderen Ort untergebracht.

Real Immersive Sound

Die eben beschriebene Arbeitsweise kann zwar oft erstaunliche Ergebnisse hervorbringen und den Erlebniswert für die Besucher nicht unbeträchtlich steigern, weist aber natürlich auch gewisse Grenzen auf, die im Grunde nur durch ein „echtes“3D-Verfahren überwunden werden können. Und auch wenn es immer heikel ist, in Bezug auf zukünftige Entwicklungen zuverlässige Prognosen abzugeben, so lässt sich doch feststellen, dass gerade der für das Theater so zentrale Bereich Raumklang zumindest einige recht interessante Ansatzpunkte bietet:

1. 3D-Sound für alle

Zahlreiche Lautsprecher, die sich um die Zuschauer herum befinden, werden komplementiert durch eine große Anzahl an Deckenlautsprechern, wodurch ein dreidimensionaler Hörraum geschaffen wird. Dies ermöglicht die Erzeugung nicht nur sehr beeindruckender, sondern auch erstaunlich stabiler Klangwelten: je nach Anzahl der verwendeten Lautsprecher ist der Sweet-Spot tatsächlich auf die gesamte Hörfläche ausgedehnt. Der Hörer ist somit nicht mehr darauf angewiesen, sich im – normalerweise recht kleinen – Sweet-Spot irgendwo in der Mitte des Raumes aufzuhalten, sondern kann sich frei im Raum bewegen und kommt trotzdem in den Genuss äußerst realistischer Klangerlebnisse. Auch die Zuhörer auf den vermeintlich „billigen Plätzen“werden so aufs Beste bedient.

2. Variable Nachhallzeitverlängerung

Dieser Punkt dürfte vor allem für die Theater, die verschiedene Sparten auf nur einer Bühne bedienen müssen, sehr interessant sein. Bevorzugt man z. B. für eine Schauspielproduktion normalerweise eine eher „trockene“Akustik, so ist bei Opern oder (klassischen) Konzerten eher das Gegenteil der Fall. In der Vergangenheit musste eine variable Raumakustik mit oft sehr kostenintensiven baulichen Maßnahmen erzeugt werden. Heutzutage lässt sich dieses Problem auch anders lösen: Hierzu wird der Raumklang über diverse, im Raum angebrachte Mikrofone abgenommen, an einen entsprechenden Prozessor weitergegeben, dort analysiert, zer-legt und mittels bestimmter Algorithmen bearbeitet und schließlich an die einzelnen Kanäle des Systems und somit an die Lautsprecher im Raum wieder abgegeben. Das Resultat können äußerst realistisch klingende, virtuelle Räume sein. Dem Nutzer ist es somit möglich, ohne aufwändige und teure variable Akustikelemente, gewissermaßen „per Knopfdruck“die gewünschte Raumakustik einzustellen.

3. Tracking / Klangquellenpositionierung

3D-Soundsysteme erlauben theoretisch die freie Positionierung von Klangquellen im Raum – egal ob es sich um eine Live-Quelle handelt oder um die Wiedergabe einer Aufnahme. So kann beispielsweise ein im Raum umherlaufender und mit einem Funkmikrofon ausgestatteter Redner akus-

tisch „verfolgt“werden: d. h. der verstärkte Klang kann an der realen Position des Redners platziert und mit diesem quasi in Echtzeit mitbewegt werden. Aber auch größere Ensembles können so im Raum platziert werden – so lässt sich etwa bei Orchestern eine klangliche Tiefenstaffelung erzeugen, wie sie mit konventionellen Mitteln praktisch nicht möglich ist.

Figurentheaterfestival
Figurentheaterfestival: Je nach Sparte muss die Tontechnik in vielen Häusern noch manuell umgebaut werden, um den jeweiligen Anforderungen der Produktion gerecht werden zu können (Bild: Thomas Zahn)

Mensch-Maschine

Bei den meisten Theaterproduktionen kommen zusätzlich zu vorproduzierten, mehr oder weniger komplexen Einspielungen außerdem noch live produzierte Geräusche und Effekte hinzu und natürlich immer auch die Stimmen der Schauspieler und/oder Sänger sowie häufig auch zahlreiche Instru-mente. Vom DJ bis zum Orchester ist hier alles denkbar. Es gilt also, eine sehr große Zahl an Klangquellen zu verwalten und zu positionieren – am besten intuitiv und in Echtzeit. Hierzu bedarf es natürlich eines Interfaces und einer Benutzeroberfläche, die es dem Nutzer erlauben, die gewünschten Eingriffe schnell und präzise vorzunehmen – am besten direkt vom Mischpult aus oder anhand eines dafür vorgesehenen speziellen Controllers. Und genau hier sehen wir in Zukunft den größten Handlungsbedarf: 3D-Sound soll auch im Theaterbereich etabliert werden.

Deckenlautsprecher
Deckenlautsprecher sollten ein möglichst breites Abstrahlverhalten in allen Achsen aufweisen (Bild: Thomas Zahn)

Schallwandler für 3D-Soundsysteme

Für den Einsatz in 3D-Soundsystemen bestimmte Schallwandler sollten zunächst grundsätzlich alle Anforderungen erfüllen, die an jeden professionellen Lautsprecher gestellt werden: Dazu gehören neben einer ausgeglichenen Directivity und gleichmäßigem, schnellem Abklingen vor allem hohe Pegelfestigkeit bzw. geringstmögliche Verzerrungen bei Pegelspitzen. Bei Klangereignissen, die in ihrer Ortung nahe der Lautsprecherposition liegen, sind oft nur wenige Lautsprecher an deren Wiedergabe beteiligt. Jeder einzelne Lautsprecher muss hier in der Lage sein, hohe Schalldrücke an jeder Hörposition zu erzeugen. Durch die vollständig kontrollierte Ansteuerung und entsprechende Entzerrungsmöglichkeiten ist der Frequenzgang auf Achse des einzelnen Lautsprechers zwar nicht von entscheidender Bedeutung, im Interesse eines guten Headrooms sollte dessen Übertragungsbereich jedoch so groß sein, dass die Ankopplung an Subs ohne allzu große Anhebungen möglich ist.

Die wichtigste Eigenschaft solcher Wandler betrifft jedoch die Directivity: Hier muss zwischen Systemen, die in der Hörebene liegen (2D) und Deckensystemen (3D) unterschieden werden. Beiden gemeinsam ist die Forderung nach einer pegelgleichen Überlagerung möglichst aller Quellen an der Hörposition. Für Deckensysteme, die für den Hörer quasi senkrecht aus einer Ebene beschallen, bedeutet das ein möglichst gleichmäßiges, breites Abstrahlverhalten in allen Achsen und ein möglichst schnelles Abfallen des Schalldrucks außerhalb des nominellen Abstrahlkegels, um Störschall durch Reflexionen an außenliegenden Strukturen zu vermeiden.

Noch spezieller sind indes die Anforderungen an Lautsprecher in der Hörebene: Für deren horizontale Directivity gilt dasselbe wie für Deckensysteme, die vertikale Abstrahlung sollte jedoch relativ eng sein um unerwünschte Reflexionen möglichst zu vermeiden, da diese als kritisch für die akustische Ortung zu sehen sind.

Linienstrahler
Linienstrahler in der Hörebene sollten eine möglichst geringe vertikale Abstrahlung aufweisen, um Reflexionen zu vermeiden (Bild: Thomas Zahn)

Fazit: der nächste logische Schritt

Es bleibt spannend für Theatertonschaffende: Hat sich das Berufsbild des Theatertonmeisters im Laufe der letzten 20 bis 25 Jahre ohnehin grundlegend geändert, so sind wohl auch zukünftig Flexibilität und Aufgeschlossenheit gegenüber neuen technologischen Entwicklungen und künstlerischen Anforderungen gefragt. Engstirniges Festhalten an vermeintlich Bewährtem hat sich am Theater ohnehin noch nie ausgezahlt und so wird es wohl auch weiterhin bleiben. Die künstlerischen Ansprüche an die Tonabteilungen im Theater sind mit dem Auftreten einer neuen Generation von Regisseuren, die u. a. auch mit dem Medium Film und dessen spezifischen Gestaltungsmöglichkeiten aufgewachsen sind, stetig gestiegen und werden wohl auch in Zukunft nicht wieder geringer werden. Die konsequente Nutzung von 3D-Sound dürfte wohl der nächste logische Schritt in dieser Entwicklung sein.

 

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