Bluesrock muss nicht zwangsläufig das blinde Beharren auf Traditionen bedeuten – zumindest nicht im Falle von ZZ Top: Das texanische Trio setzt auf teilweise getriggerte Drum-Sounds und reduzierte Bühnenlautstärke. Zudem lässt Gitarrist Billy Gibbons alle Gitarren über einen Analyzer einem „Frequenz-Ideal“ angleichen, Bass- und Gitarrensignale werden in Iso-Cabs mikrofoniert. FoH Jamie „J-Mo“ Rephann treibt dabei die Herausforderung umher, den Gain-before-Feedback-Pegel beim Gesang zu maximieren. Ein Besuch bei der Produktion im Sommer 2019
Bei über 30 Grad brennt die Sonne auf den Asphalt vor der Nürnberger Frankenhalle, wo bereits nachmittags Fans warten, um das texanische Bluesrock-Trio ZZ Top auf deren 50- jähriger Jubiläumstour zu sehen. Auf der Rückseite des großen Messekomplexes brummt die Klimaanlage im Tour-Bus der Crew. Hinten, in der halbrunden Sitzecke auf hellbraunen Ledersitzen erscheint das Klima angenehm kühl, Tour-Manager Pablo Gamboa, Stage-Manager und Monitor-Engineer Jake Mann, FoH Jamie „J-Mo“ Rephann sowie Gitarren- und Bass-Tech Elwood Francis unterhalten sich, blicken auf Tablets und Smartphones, schlagen die Zeit bis zur Show tot.
Alles kein Vergleich, so der Konsens, zwei Tage zuvor ist die Produktion in der schwäbischen Kleinstadt Bietigheim-Bissingen vor 10.000 Zuschauern aufgetreten, im Rahmen des örtlichen Festivals „Live am Viadukt“ – auf einer großen Wiese vor einer monumentalen Eisenbahnbrücke in römischem Stil, ein beeindruckendes Panorama. Das war am bislang heißesten Tag des Jahres, bei rund 40 Grad. Die Temperaturen machten bereits der Crew zu schaffen, meint der 57-jährige Elwood Francis, da müsse man den Musikern Respekt zollen, die allesamt mit rund 70 Jahren entsprechende Leistung auf der Bühne ablieferten. Insgesamt ist die Produktion mit einem Truck und vier Bussen unterwegs, jedes der Bandmitglieder hat einen eigenen Bus. Die Truppe geht praktisch jedes Jahr auf Tour, die Produktion spielt teilweise drei Show-Tage nacheinander.
In Bietigheim-Bissingen wurden nach einem Gewitter am vorigen Wochenende Stahlplatten im Bühnenbereich verlegt, um den Bühnenaufbau auf dem aufgeweichten Wiesenboden zu sichern. Tour-Manager Pablo Gamboa erinnert sich in dem Zusammenhang an einen Gig in Florida, den die Produktion kurzerhand absagte, weil der Ground-Support der Bühne nicht gewährleistet war. Zwei Sicherungsmechanismen seien schlicht nicht verbaut worden.Jemand habe kurzerhand versucht, den Bühnenaufbau mit einem Wagenheber zu sichern, „nicht gerade die Art, wie man das üblicherweise macht“, erinnert er sich schmunzelnd. Gegen vier Uhr nachmittags haben sie entschieden, das Konzert nicht stattfinden zu lassen – „sodass gerade noch genug Zeit bestand, die Leute per Radio zu informieren, nicht zu kommen“. Der Auftritt wurde später nachgeholt.
In Nürnberg bot sich der verdutzten Produktion indes eine andere Überraschung: Die Vorgruppe – der fränkische Blues-Gitarrist Siggi Schwarz mit Band – konnte kurzfristig nicht, Schwarz schickte stattdessen eigenmächtig die Hardcore-Band „Brunhilde“ als Ersatz vorbei, die mit ihrem Van bei der Show auftauchte. Die ZZ-Top-Crew war nicht gerade begeistert,strich Schwarz daraufhin von den restlichen Shows. Brunhilde sollten am Abend trotzdem auftreten – für das Konzert als Gesamt-Event sind sie beim „normalen“ ZZ Top-Set von 75 Minuten praktisch auf einen Support-Act angewiesen. Neben der Bühne hat Elwood Francis seinen Arbeitsplatz mit den Instrumenten und Amps aufgebaut. Auf einem der beiden Iso-Cabs von Gitarrist und Sänger Billy Gibbons prangt ein Sticker, „Nazis essen heimlich Döner“. Den hat er von einem Freund bekommen, Amerikanern müsse er den Gag allerdings immer langwierig erklären, meint der schlaksige Tech mit leicht ausgebleichter blonder Punk-Mähne. Im Hintergrund läuft The Clash über ein Bluetooth-Speaker. Im eigenen Gepäck hat er sein Skateboard, sucht sich auf Tour lokale Skateparks, um dort einen Teil seiner Freizeit zu verbringen.
Francis war Gitarren-Techniker bei Aerosmith-Mann Joe Perry, Steve Vai oder dem Guns’N’Roses-Rhythmusgitarristen Izzy Stradlin und dessen späteren Ersatz Gilby Clarke. Mitte der 1990er Jahre heuerte er bei Billy Gibbons an. „Ich habe für Bands gearbeitet und gespielt, seit ich 15 Jahre alt bin. Als Tech war es immer sehr einfach, Arbeit zu finden; die Jobs waren zudem bezahlt, im Gegensatz zum Spielen. (lacht) Mein erster Gig war Joe Perry. Wenn du damit anfängst, bist du verwöhnt. Ich bin allerdings nicht ununterbrochen auf Tour, sondern mache nur ZZ Top, bis auf Ausnahmen.“ Seit fünf Jahren übernimmt er parallel Equipment-Betreuung von Bassist Dusty Hill. „Wir hatten immer getrennte Techs, aber mein Vorgänger ging zu Guns’N’Roses, und Dusty meinte, er wollte sich nicht mehr an jemand neues gewöhnen.“
Das Gitarren-Setup? Nach einem Shure-Drahtlos-System – den Sender an den Gurten hat Francis passend mit Tabakverpackungen umhüllt – wird das Signal auf mehrere Amps verteilt, darunter modifizierte Marshall-Preamps (einer liefert ein cleanes Signal, das per Palmer DI-Box ans Pult übertragen wird), mit Endstufen. Gleichzeitig werden zwei Magnatone-Röhrenverstärker angesteuert. Alle Signale liegen parallel am FoH-Pult an. Ein „pures“ Gitarrensignal wird ebenfalls übertragen und bei der Aufnahme der Einzelspuren mitgeschnitten, um die Gitarre bei Bedarf später re-ampen zu können.
Interessantes Detail auch für „Nicht-Gitarristen“: Im 19- Zoll-Marshall-Rig befindet sich ein alter MEQ „Mono 28“ – ein MIDI-programmierbarer digitaler grafischer Equalizer. Francis ruft dort ein Setting für jede Gitarre ab. „Billy möchte, dass alle Gitarren die Frequenzkurve seiner 59er Lieblings-Les-Paul nachempfinden – sein ‚idealer‘ Sound. Jede neue Gitarre im Setup spiele ich über diesen Amp durch einen Echtzeit-Analyzer [ein alter Gold Line Model 30 Digital RTA Real-Time-Analyzer, Anm. d. Red.] und analysiere die Frequenzantwort für einen offenen G-Akkord. Billys Sound ist eher mittig, ohne viele Höhenanteile.“ Auf dem Display ist die „Vorlage-Kurve“ beim G-Akkord markiert,so soll es am Ende aussehen. „Ich nutze den EQ, um klanglich so nah wie möglich zu kommen. Die Geräte sind wirklich alt, kaum noch aufzutreiben – zwar existieren natürlich aktuelle Analyzer, deren Anzeige ist allerdings auf eine Höheneinheit geschrumpft, weil das den meisten Nutzern ausreicht.“
Bild: Nicolay Ketterer
Ein alter Gold Line Model 30 Digital RTA Real-Time-Analyzer, um die Gitarren einzumessen: Die weiß markierte Kurve stellt die Frequenzkurve von Billy Gibbons‘ Lieblings Vintage-Les-Paul bei einem G-Akkord dar, seine anderen Gitarren sollen dem nachempfunden werden. Francis: „Billy will sich in der gleichen ‚Frequenz-Komfortzone‘ bewegen.“
Bild: Nicolay Ketterer
MEQ Mono 28: Für die angepassten Presets nutzt Frances einen alten MIDI-programmierbaren Equalizer
Dabei wird lediglich der Frequenzgehalt grob angepasst, nicht aber die Hüllkurven oder Resonanzverläufe über die Zeit. „Ich könnte ein Kazoo blasen, dessen Kurve aufnehmen und mit der Gitarre matchen – die Gitarre würde natürlich nicht exakt wie ein Kazoo klingen.“ Ein Vorteil der Anpassung bestehe in der Bühnenpraxis. „Billy nutzt viel Gain, er will sich mit den Gitarren in der gleichen ‚Frequenz-Komfortzone‘ bewegen. Ich kann beispielsweise Sustain erreichen, ohne dass das Signal gleich in Feedback umschwingt, wenn ich mich auf der Bühne umdrehe.“ Das angepasste Signal durchläuft nur das Marshall-Rig, nicht die Magnatone-Verstärker.
Generell wolle Billy Gibbons mehr oder weniger den gleichen Sound aus seinen Gitarren hören. „Er wechselt Gitarren rein aus optischen Gründen, allerdings nicht oft innerhalb des Konzerts. Billy nutzt eine Hauptgitarre. Lediglich für den Song ‚Just Got Paid‘ wechselt er zu einer Les Paul mit offener Stimmung für Slide, bei ‚Legs‘ spielt er eine Fellgitarre – ein Gimmick, das sie im Video-Clip verwendet hatten.“ Bei den Zugaben wechselt der Musiker zu einer Hauptgitarre in anderer Farbe, als optischen Reiz.
Über dem Marshall-Rig stehen zwei Iso-Boxen, vom Marshall- und Magnatone-Signal gespeist. Der jeweilige Eminence 1 × 12-Zoll-Lautsprecher wird mit einem Bändchen-Mikrofon Royer R10 abgenommen. Der Bass von Dusty Hill durchläuft ein ähnliches Marshall-Setup, das ebenfalls in eine 1 × 12- Zoll-Iso-Box mündet, allerdings mit einem Basslautsprecher ausgestattet, mikrofoniert mit einem Großmembran-Kondensatormikrofon Audio Technica AT4050. „Sein Sound ist recht nah an Billy – er nutzt das gleiche Equipment. Das Ergebnis ist deutlich verzerrt, ähnlich wie Lemmy bei Motörhead. Dusty spielt viele Barré-Akkorde.“
Ob Kammfiltereffekte das Signal in der geschlossenen Box mit dem Dämmmaterial nicht deutlich verfremden? „Klar, ein Speaker in einer eingehausten Box klingt nicht wie ein Speaker auf der Bühne! Die Amps sind nicht massiv aufgerissen – das hilft. Es mag nicht ideal sein, aber dafür klingt es bei jedem Konzert exakt gleich – ein Kompromiss im Sinne der Konsistenz. Die aktuellen Cabinets von Voodoo Amplification klingen viel besser als die Vorgänger eines anderen Anbieters, und sie sind auch nur noch halb so groß.“ Die Iso-Cabs hätten indes eine lange Tradition bei ZZ Top: „Als ich noch bei Aerosmith Joe Perrys Gitarren betreute, hörten wir von Billy Gibbons als erstem, der ein Iso-Cab einsetzte: ein riesiges Roadcase, das zwei mikrofonierte 4 × 12-Zoll-Boxen beherbergte – ein umhülltes Full-Stack.“ Und während er eine knapp 2 × 1 × 1-Meter große Fläche aufzeigt: „Stelle das mal in einen kleinen Club!“
Auf der Bühne hört Gibbons nur den Klang seines Marshall-Setups. „Wir speisen je eine Gitarren-Box pro Bühnenseite, die das Gitarrensignal alszusätzliches Monitoring abstrahlt.“
Francis deutet auf die beiden riesigen Magnatone-Stacks am linken und rechten Bühnenrand, deren LEDs bei der Show leuchten. Das Setup dient weitgehend der Optik, pro Bühnenseite wird lediglich eine 2 × 12-Zoll-Box mit Dusty Hills Basssignal gespeist sowie eine mit Gibbons‘ Gitarrensignal. „Das dient Billys persönlichem Monitoring, allerdings ist die Lautstärke sehr niedrig – du kannst dich auf der Bühne dabei unterhalten. Billy nutzt kein In-Ear-Setup, lediglich ein Wedge pro Bühnenecke. Ansonsten hört er auf die PA – sozusagen ‚Old School‘.“
Im Gegensatz zu Billy Gibbons spielen Dusty Hill und Drummer Frank Beard beide mit In-Ear-Monitoring. Stage-Manager Jake Mann übernimmt den Monitor-Mix für Gibbons und Hill. Frank Beard hat seine beiden Söhne mit auf Tour dabei: einer übernimmt seinen In-Ear-Mix, der andere arbeitet als Beards Drum-Tech. Zusätzlich zu den Signalen der drei Musiker verwendet die Produktion ein Pro-Tools-Rig als Zuspieler, das einzelne Loops, Geräusche oder kurze Gesangseffekte ergänzt – aus den Hits der 1980er Jahre. Beard spielt durchweg mit einem Click. „Bei Problemen haben sie auch schon mal auf den Zuspieler verzichtet“, erinnert sich Elwood Francis.„Es ist seltsam, wie sehr man ein Geräusch vermisst, wenn man es gewohnt ist und es Teil des Songs ist!“
Der 50-jährige FoH Jamie „J-Mo“ Rephann hat zuvor etwa mit Jane‘s Addiction, The Mars Volta oder 311 gearbeitet. Bei der Produktion nutzt er eine Digico SD 10.„Als Outboard verwende ich einen Rupert Neve Designs Portico II Master Bus-Kompressor sowie einen Portico 5045 [„Primary Source Enhancer“, eine Art„intelligentes“ Gate mit Trafos, Anm. d. Red.] auf dem Gesang. Das Outboard habe ich nach einer Empfehlung von Toby Francis, der gerade mit Ariana Grande unterwegs ist, ausprobiert. Auf meinem Master-Bus nimmt der Kompressor dem Pult sozusagen die ‚digitalen Klangeigenschaften‘ und wandelt sie gefühlt in einen fetten Analog-Sound um. Mit der Trafo-Auswahl – Silk, Red, Blue – kann ich die gewünschte Färbung einstellen. Für den Live-Mix erscheint mir das Gerät das beste auf dem Markt. Ansonsten noch zwei Lake-Controller – das war’s. In der Digico-Konsole brauche ich auch keine Waves-Plugins. Die Band braucht zudem nicht viel Hall; lediglich ein kleiner Hall auf den Drums, nicht wirklich viel auf dem Gesang – Billy mag praktisch keinen Hall auf seiner Stimme. Ein ‚Old School‘-Rock-Mix – bei anderen Bands würde ich Outboard für Hall mitnehmen.“
Entgegen dem „Classic Rock“-Purismus triggert Beard mit seinem akustischen Schlagzeug teilweise E-Drum-Sounds an, gemischt mit akustischen Signalen. „Frank spielt sehr leise, daher sind alle Mikros aufgerissen. Trotzdem bleiben die Einzelsignale recht sauber, ohne allzu viel Übersprechen. Bei den Becken brauche ich allerdings zusätzlich Spot-Mikes – Overheads allein würden nicht funktionieren. Ich nehme die Kick Drums ab, dazu die Snare, mit einem Shure SM57 oben und einem Neumann KM184 unten. HiHat und Ride mikrofoniere ich beide ebenfalls mit je einem KM184, dazu nutze ich zwei AKG 430 an den beiden Crash-Becken. Das zweite fängt auch Franks rechte HiHat mit ein.“ Als „Gesamt-Overheads“ dienen ihm zwei Großmembran-Kondensatormikrofone AKG 414. Die Toms werden ausschließlich getriggert.
Ob das nicht der eigentliche „Traum“ eines FoHs sei, den Sound frei gestalten zu können, ohne auf den Ausgleich des Bühnenschalls Rücksicht nehmen zu müssen? „Technisch gesehen mag das stimmen, außer dass Billy ungefähr so laut singt: (spricht in gehaucht-rauem Flüsterton). Das Telefunken M80 ist das einzige Mikrofon, mit dem wir ausreichend Gain-before Feedback-Pegel erreichen, rund 6 dB mehr Gain als mit anderen Modellen. Das funktioniert mit seiner Supernieren-Charakteristik sehr gut für Billy und hilft entscheidend an Tagen, wenn er weniger kräftig ‚singt‘. Der Portico 5045 hilft mir ebenfalls, etwas mehr Pegel zu erreichen. Das wird schwieriger, wenn die Band sich dahinter richtig ‚reinlegt‘ und ich den Gesang immer noch gerade so darübersetzen möchte. Je nach Song ‚reite‘ ich den Fader am Pult permanent und ziehe das Mikrofon in Pausen herunter. Allerdings muss ich aufpassen: Aufgrund der hohen Verstärkung bekomme ich Ambience-Übersprechen vom Schlagzeug und nutze es praktisch im Verbund mit den Overheads. Dusty hingegen singt laut, bei seinem Gesangsmikrofon habe ich keine Probleme durch Übersprechen.“ Die Gitarren- und Bassklänge bearbeite er kaum, erklärt Rephann. „Die Sounds, die aus Billys Boxen kommen – das ist der ZZ-Top-Sound, den Billy hören möchte. Ich habe eine Palmer-DI-Box mit einem cleanen Sound am Pult anliegen, dazu zwei Magnatone-Amp-Signale und ein Marshall-Stack, die blende ich zusammen. Für die Einzelsignale lege ich jeweils ein Stereo-Signal an, sodass ich sie etwas doppeln kann. Bislang hatte ich keine Probleme mit Phasing, wenn ich die Kanäle dopple und die verschiedenen Amp-Signale zusammenmische.“
Die Halle ist mit rund 6.000 Besuchern ausverkauft, im Vorfeld läuft „alte“ Bluesmusik, dazu beispielsweise die Stones-Nummer „Street Fighting Man“ – passend zur Gründerzeit der Band. Die Hardcore-Truppe Brunhilde spielt Progressive-Crossover-Rock, die unerwartete Stilistik wird trotzdem vom Publikum überraschend dankbar angenommen.
Der ZZ-Top-Auftritt beginnt mit einem Backing-Track-Intro aus Drum-Loop und Motorengeräuschen – danach folgt kurz Ernüchterung: Verglichen mit dem vorproduzierten Intro wirkt der Live-Sound zunächst dumpf, mittig und dünn, die Gitarre „nölt“ mit betonten Hochmitten. Der Gesang erscheint ebenfalls mittenlastig, schwebt beim Opener „Got Me Under Pressure“ allerdings fast losgelöst über der Musik. Die Band braucht ebenfalls eine Weile, um in das Konzert und zueinander zu finden – Billy Gibbons‘ Mikrotiming im Gitarrenspiel will noch nicht recht mit den Drums harmonieren, und umgekehrt.
Frank Beards Schlagzeug klingt trotz der akustischen Signale deutlich in Richtung E-Drum-Konserven-Sound, kombiniert mit echten Becken. Bei einem Stück werden einzelne Bassdrum-Schläge mit kräftigen Subbass-Schüben betont, Bassfahnen fegen spürbar durch die Halle. Die Bassdrum-Figur wurde hier durch entsprechende Samples aus dem ProTools-Rig unterfüttert, wie Rephann später erzählt.
Der noch verbesserungswürdige Sound tut der Stimmung indes keinen Abbruch, die Fans scheinen begeistert. Im Laufe der ersten Songs wird das Klangbild homogener. Ein erstes Highlight: „Gimme All Your Lovin‘“ mit seinem Disco-Stomper-Rhythmus – hier passen Beards Drum-Sounds stilistisch ideal. Zu dem Zeitpunkt hat auch die Band zu einer Einheit gefunden. Optisch erscheinen Gibbons und Hill in Hut, Sonnenbrille und Rauschebart fast alterslos, bewegen sich – wie schon immer – nur reduziert auf der Bühne, mit vereinzelten Unisono-Choreografien. Bei einzelnen Stücken spielt Dusty Hill an einem Keyboard-Arbeitsplatz Synth Bass – die einzige „große“ Veränderung im Aufbau.
Interessant erscheint auch die minimalistische, aber effektive Lichtshow: Im hinteren Bühnenbereich hängt ein Fiber Optic Drop, „mit praktisch tausenden kleinen Glasröhren“, wie Lichtdesigner John Lucksinger nach dem Konzert erklärt. „Der Hintergrund besteht aus drei unterschiedlichen Panels. Jedes hat eine LED-Lichtquelle, die die kleinen Glasröhren durchläuft.“ Er wechselt die Farben, das Ergebnis wirkt wie ein wandelbarer Sternenteppich, der die Bühne „öffnet“. Auf Moving Lights verzichten sie bei dem Aufbau, die möge die Band nicht. „In den USA haben wir ein großes Moving-Light-Rig, auch wenn ich sie nicht als solche einsetze. Billy mag es subtiler.“ Lucksinger bedient eine MA Lighting GrandMA2-Konsole, er geht bei den Songs mit, hat sichtlich Spaß bei der Arbeit – und trägt stilsicher wie extrovertiert eine schwarze Weste, pinkfarbene Krawatte und einen dunklen Kilt. Vereinzelter Nebeleinsatz reichert den „Sternenstaub“ auf der Bühne an, ansonsten arbeitet er auffällig oft mit Blindern bei Szenenapplaus oder zwischen den Stücken. „Die Blinder habe ich etwas mehr genutzt als bei anderen Shows, wollte sozusagen an die Grenzen gehen und die Zuschauer dadurch motivieren. Heute ist das Publikum gut mitgegangen“. Bei einem Publikum, das nicht sonderlich auf die Band reagiert, würde derartiger Einsatz allerdings seltsam wirken, gibt er zu bedenken.
Zurück zum Sound: Gibbons‘ Stimme klingt bei manchen Stücken lauter, geht bei anderen wiederum fast unter. Die Lautstärke sei ein Kampf gewesen, erzählt Jamie Rephann später, „heute hat er kaum gesungen“. Zwischendurch versendet sich erneut die Energie des Trios, vorwiegend bei langsameren Blues-Nummern. Das Merle-Travis-Cover „16 Tons“ sowie die ZZ-Top-Hits „Sharp Dressed Man“ und das mit Fellgitarre und -bass gespielte „Legs“ stellen weitere Höhepunkte dar. Auf die Rückseite seiner Hauptgitarre hat Gibbons ein Blatt mit der Botschaft „Bier“ gepinnt, die er lässig bei „Beer Drinkers & Hell Raisers“ zur Schau stellt. Billy Gibbons liefert gewohnt-geschmackvolle Licks, bis auf die offen gestimmte Les Paul klingen seine Gitarren beeindruckend „nah“ beieinander. Als Zugabe spielt die Band ihre Klassiker „La Grange“ und „Tush“ – letzteres wirkt eher behäbig. Als Rausschmeißer folgt eine Interpretation von „Jailhouse Rock“, das schnellste Stück im Set, bei dem der E-Drum-Sound von Frank Beards Snare deutlich auffällt und entfernt an eine Tanz-Band erinnert. Nach den erwähnten 75 Minuten ist die Show vorbei, das Publikum scheint gut bedient. Die Produktion packt zusammen, für den nächsten Gig in München. Danach sollte ein Besuch auf dem Montreux Jazz Festival folgen. Vor der Halle in Nürnberg machen sich die Zuschauer befriedet auf den Heimweg, teilweise in Motorradclub-Kutten gehüllt oder im ZZ Top-T-Shirt – völlig ausreichend in der schwülen Sommernacht.