Sounddesign im Musical: Geisterstunde im Theater des Westens
von Redaktion, Artikel aus dem Archiv
Aufwändige Musical-Produktionen stehen seit geraumer Zeit hoch im Kurs: Der Mix aus starker Story und technisch anspruchsvoller Inszenierung garantiert langfristig ausverkaufte Häuser. Das traditionsreiche Berliner Theater des Westens macht da keine Ausnahme. Die Produktion „Ghost – Nachricht von Sam“ füllte dort 2018 allabendlich die Ränge. PRODUCTION PARTNER schaute sich das Sounddesign hinter den Kulissen der unterhaltsamen Geisterstunde an
Musical-Produktionen von internationaler Geltung stellen anspruchsvolle Aufgaben an Crew und Technik. Üblicherweise gibt man sich nicht mit Standardlösungen zufrieden, sondern kombiniert im Rahmen der gegebenen Optionen die bestmöglichen Komponenten, die zur Verfügung stehen. Der Sounddesigner spielt dabei die zentrale Rolle – zeichnet er doch verantwortlich für alles, was Publikum, Schauspieler und Musiker während der Show hören können bzw. hören sollen. Neben der Produktion von Soundeffekten im Vorfeld gehört vor allem die kompetente Auswahl des Equipments, die Kontrolle der Installation sowie die Programmierung sämtlicher Audiogerätschaften zu den Kernaufgaben des Sound-Designers.
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Die deutschsprachige Version von Ghost liegt in der Obhut des Hamburger Sound-Designers Andreas Hammerich. Er arbeitet für das ebenfalls in Hamburg ansässige Unternehmen Stage Entertainment GmbH, welches zu den Global-Playern im Event-Bereich zählt. Für unseren Report folgten wir Andreas Hammerich in die Katakomben des Berliner Theater des Westens.
Auch Teil des Sounddesigns: Handsteuerung
Auch Andreas Hammerich hebt die anspruchsvollen Aufgaben von Sound-Designer und Operator/Mixer hervor. Synchron zur Show werden Szene für Szene Mixer-Scenes aufgerufen und zudem das Soundbild überwacht. Natürlich ließe sich der gesamte Ablauf theoretisch vollständig automatisieren, aber das würde nicht automatisch optimale Ergebnisse garantieren. Andreas Hammerich: „Zu viel Automation macht das Geschehen zwangsläufig sehr statisch. So war für Ghost zunächst vorgesehen, die mehreren hundert in Logic Pro angelegten Soundeffekte und Backings über einen starren Clicktrack auszulösen. Schauspieler und Band hätten dann jedoch fest nach diesem Timing agieren müssen. Wir änderten das Verfahren schließlich so, dass der Band-Keyboarder manuell von seiner Tastatur und einem Trigger-Pad die notwendigen MIDI-Befehle an die QLab-Software sendet, welche wiederum die gewünschten Soundeffekte abspielt. Diese Änderungen waren nicht ganz einfach zu realisieren und erforderten hier und da auch ein paar Abwandlungen im Arrangement. Aber das Ergebnis überzeugt.“
Bild: Matthias Fuchs
Keyboard-Setup über Tastatur, den Akai MIDI-Trigger/Controller und die DIY-Box links werden Sound-Einspielungen vom Keyboard aus getriggert
Bild: Matthias Fuchs
Der Band-Pit: der Keyboarder hat Sicht auf die Bühne und triggert szenensynchron diverse Sound-Ereignisse
Wireless: Radioraum
Im „Radioraum“ des Theater des Westens befinden sich die Mikrofonempfänger. Andreas hebt die dort installierte Abhöreinheit hervor: „Da wir die AES-Ausgänge der Sennheiser EM3732 nutzen und einzelne Kanäle dieser Doppelempfänger Mischpult-eingangsseitig patchen müssen, bemühen wir einen Rechner und eine User-definierte Patch-Matrix, über die wir einzelne Koppelpunkte setzen. Wir hören die Kanäle über eine selbst entwickelte Abhöreinheit ab. Sie patcht auf Knopfdruck den jeweiligen Kanal über eine GPI-Anbindung der Nexus Base-Devices auf den Kopfhörer-Verstärker, den wir letztlich abhören. Das ist wesentlich praktikabler als die Benutzung der Kopfhörerbuchsen an den Empfängern.“
Bild: Matthias Fuchs
Radioraum mit Sennheiser-Empfängern, darüber die selbst entwickelte Abhöreinheit
Bild: Matthias Fuchs
Unter der Bühne befindet sich der Technikraum – hier sind die Stagetec-Nexus Base-Devices sowie Lautsprecher-Management-Systeme und Amps installiert
Surround-Beschallung
Wie zu erwarten, wird auch für Ghost eine recht komplexe Surround-Beschallung eingesetzt: Auf jeder Saalebene gibt es Lautsprecherzeilen für links, rechts und hinten. Für die Haupt-Beschallungsanlage hat Andreas Hammerich Lautsprechersysteme von KV2 Audio gewählt: Im unteren Zuschauerbereich befinden sich zwei SL412 mit den zugehörigen Subwoofern SL2.15. Außerhalb des Stereodreiecks der Hauptbeschallung kommen für die ersten Sitzreihen ESD5 als Frontfills zum Einsatz. Sie sind in der Bühnenkante installiert.
Als Center-Downfills sind EX12 und ein Vierer-Array aus J2.18 (Doppel-18-Zoll-Subs) installiert. Dazu kommen zahlreiche, fest installierte Delayline-Lautsprecher, um den etwas schwierigen Akustikverhältnissen unter den Balkonen gerecht zu werden. „Befindet man sich unter den Balkonen, ganz besonders im hinteren Bereich, lässt durch HF- Kompression über 500 Hz die Sprachverständlichkeit hörbar nach“, erklärt Andreas Hammerich und weist auf die komplexen akustischen Eigenschaften des Saales hin. Sie sind vor allem auf die Anordnung der verschiedenen Zuschauerebenen und das hohe Dach mit seiner fast gewölbeähnlichen, stark reflektierenden Fläche zurückzuführen. Aus Denkmalschutz-Gründen muss man sich zudem mit einer eingeschränkten Anzahl möglicher Hängepunkte zufrieden geben. Die theoretisch optimale Positionierung der Lautsprecher ist somit nicht immer machbar. Das ganze System wurde mit der SysTune-Software von AFMG eingemessen: Mittels Winkelung der Lautsprecher, Delayline-Lautstärken und Verzögerungen sowie EQing wurde dann eine möglichst gleichmäßige Lautstärkeverteilung im Saal und viel Gain before Feedback für die Vocals erzielt.
»Es sind sicher mehr Emotionen im Spiel als nötig: Ich bin davon überzeugt, dass im Live-Kontext die Mikrofonauswahl oftmals überschätzt wird.«
Andreas Hammerich | schätzt eine optimale Mikrofonpositionierung
Mikrofone und Monitoring
Die Musiker erhalten ihr Monitoring mittels eines über MADI eingebundenen „Pit Mix“-Systems. Im Einsatz sind Personal-Live-Mixer Roland M48, mit denen sich jeder Musiker seinen individuellen Mix erstellen kann. Die entsprechenden Mix-Outs vom FoH-Pult werden dazu via MADI-Bridge in Rolands REAC-Protokoll umgesetzt und an die einzelnen M48-Mixer verteilt: „Die Zuordnung der mischpultseitig zur Verfügung gestellten Mixe muss man auf der einen Seite sorgfältig planen, auf der anderen wollen die Musiker dann sowieso etwas anderes. Deswegen gefällt mir vor allem die Flexibilität des Systems“, erklärt Andreas Hammerich.
Bezüglich Mikrofonauswahl ist Andreas ein Freund von pragmatischen und unkomplizierten Lösungen: „Jeder Sound-Designer hat so seine Standards und Ideen. Aber an dieser Stelle sind sicher mehr Emotionen im Spiel als nötig. Ich bin davon überzeugt, dass im Live-Kontext die Mikrofonauswahl oftmals überschätzt wird. Man kann mit zahlreichen Mikrofonen wirklich gute Ergebnisse erzielen, wenn sie geeignete technische Daten haben.
Zudem spielt die optimale Positionierung eine große Rolle – das passende Mikro muss an die richtige Stelle. Das bringt ein besseres Ergebnis als das beste Mikrofon der Welt an der falschen Stelle. Ich persönlich mag gerne Audix D4 an den Toms. Natürlich kann man auch Sennheiser E604 verwenden oder klassisch Sennheiser MD421 oder SM57 einsetzen. Speziell bei diesem Musikstil, aber auch generell, finde ich das MD441 hervorragend für die Trompete. Das ist aber letztlich alles Geschmacksache. Soweit möglich, nutzen wir gerne den Mikrofon-Fundus von Stage Entertainment – dort gibt es eigentlich immer das geeignete Gerät im Regal. Zudem ist der Aufbau des Orchestergrabens und die Konstruktion der Drum-Booth sowie die Positionierung der Musiker ebenfalls sehr wichtig für eine gute Kontrolle des Mixes und somit für das klangliche Resultat.“
Die Akteure auf der Bühne sind mit DPA-Lavaliermikrofonen 4061 und Sennheiser-Taschensendern SK5212 ausgestattet. Die geeignete Positionierung der Mikros erfordert, abhängig von Kostümen, Perücken und Frisuren, viel Individualität und technisches Improvisationsvermögen. Standardlösungen gibt es auch hier keine.
Stage Tec in the House
Auch die Mischung am FoH erfolgt bei der Ghost-Inszenierung nicht automatisch: Hier ist man jeden Abend aufs Neue gefordert, denn der Wechsel der vorprogrammierten Snapshots erfolgt von Hand. Die Snapshots beinhalten im Wesentlichen die wechselnde Belegung der Master-VCAs und Routing-Änderungen. So liegen die aktuell notwendigen Darsteller-Mikros immer zentral und direkt nebeneinander im Zugriff.
Das Mischen der einzelnen Szenen erfolgt ebenfalls in Handarbeit. Andreas: „Der Mixer hat reichlich zu tun: Ein schneller Wechsel von Dialogen, Musik und eingeworfenen Sätzen erfordert jeden Abend höchste Aufmerksamkeit – da sollte man keine Sekunde lang an etwas anderes denken als Wie klingt es gerade? und Was muss ich als nächstes tun? Wenn man nur ein einziges Mal vergisst einen Regler zur richtigen Zeit hochzuziehen, dann ist der entsprechende Darsteller einfach nicht zu hören.“
Die Auswahl des FoH-Mischpultes bei Ghost bedarf besonderer Erwähnung: Es handelt sich hier um ein Stage Tec Aurus/Nexus-System mit 138 Eingangskanälen. Stage Entertainment nutzt diese Pulte gerne für große Produktionen. Andreas Hammerich: „Wir haben 2007 für Disneys Aida-Produktion erstmals Stage-Tec-Pulte eingekauft, weil wir uns sicher waren, damit eine sehr zukunftssichere Investition zu tätigen. Das hat sich bisher bestätigt. Man kann noch immer jedes System mit aktuellen Karten bestücken und so auf den neuesten technischen Stand bringen. Uns von Stage Entertainment ist viel daran gelegen, unsere Systeme weit über ihre Abschreibungszeit hinaus zu nutzen. Insofern lohnt sich die Investition in ein hochwertiges Produkt, welches zehn Jahre oder noch länger in Betrieb bleiben kann.
Allerdings ist das Pult etwas gewöhnungsbedürftig, denn es fehlen ein paar komfortable und besonders für die Musical-Welt recht angenehme Automatisierungs- und Speicherfunktionen. So ist etwa das nachträgliche Editieren von bereits angelegten Projekten ein wenig problematisch. Die sog. „Direct Access“-Oberfläche von Stage Tec mit Zugriff auf alle Funktionen in jedem Kanalzug ist zunächst Geschmacksache. Die Bedienung erfordert auch hier eine gewisse Umgewöhnung. Wer sich aber mit ein paar Workarounds anfreundet, wird schnell die extreme Zuverlässigkeit, die Schnelligkeit und vor allem die überragende Audioqualität der Nexus-Wandler zu schätzen wissen. Letztere spielen definitiv in einer eigenen Liga. Das hat schließlich viele Sound-Designer von den Stage-Tec-Pulten überzeugt.“
»Als Mixer sollte man keine Sekunde lang an etwas anderes denken als: Wie klingt es gerade? Was muss ich als nächstes tun?«
Andreas Hammerich | zur geforderten Konzentration am Mischpult