Automotive-Events: Ritual oder Zeit für eine Reformation?
von Redaktion,
Die Reformation hat im Gottesdienst der Automobilindustrie immer noch nicht stattgefunden. Elon Musk hat keine digitalen Thesen an eine Launch-Location projiziert, und auch kein moderner Ketzer konnte bisher die Kirche der letzten Eventrituale aus der Ruhe bringen. Ob in China, Katar, Nordamerika oder München – die Liturgie bleibt erstaunlich gleich.
(Bild: Shutterstock)
Alles ändert sich – oder auch nichts. Wer die Diskussionen zur Automobilindustrie auf Social Media verfolgt, könnte leicht den Überblick verlieren. Dieselben Quellen, die die Elektromobilität loben, verkünden kurz darauf die Renaissance des Verbrenners. Dabei handelt es sich nicht nur um clickbait-abhängige Medien, sondern auch um renommierte Häuser. Doch lassen wir einmal außen vor, was es für die Mutter aller Industrien bedeutet, wenn die europäische – insbesondere die deutsche – Autoindustrie ins Straucheln gerät. In dieser Welt voller Multikrisen und Unsicherheiten bleibt eines konstant: die Launches der Automobilindustrie. Es hat fast etwas Liturgisches, ähnlich einer Messe, die sich dem Zeitgeist kaum anpasst.
Anzeige
Vom medial-inszenierten Gloria über die Evangeliumsverkündung des CEOs bis hin zum Glaubensbekenntnis der Fachleute: Alles folgt einem festen Ritual. Händlertagungen bieten dann noch motivierende Fürbitten für ambitionierte Umsatzziele, und statt Weihrauch und Orgelmusik gibt es Lightshows, Mediengewitter und wummernde Bässe – für den großen Auftritt der Fahrzeuge, die am Ende das tun, was sie immer getan haben: fahren.
Mein Großvater, der Event-Zorro, seufzte, als ich ihm auf dem iPad die neuesten Inszenierungen zeigte. Er war verwirrt, aber nicht wegen einer Demenz, sondern wegen der erschreckenden Reproduzierbarkeit dieser Rituale. „War das Shanghai 2008, Kapstadt 2010 oder LA 2018?“ fragte er. Leider konnte ich ihm keine Antwort geben. „Aber früher war mehr Lametta!“ fügte er hinzu, während er sich an Zeiten erinnerte, in denen Sportwagen gegen Düsenjets antraten oder eAutos als Premiere um die Welt geflogen wurden.
Heute mag es weniger Lametta geben, aber der Baum ist immer noch reichlich geschmückt. Ob zu Wasser, zu Land oder in der Luft – Autos werden nach wie vor auf die gleiche Weise gelauncht. Vielleicht projiziert aber irgendwann jemand ernsthaft Nachhaltigkeits-Thesen an die Location und bringt die Branche zum Nachdenken. Doch bis dahin sitzt unsere Branche weiterhin bequem auf ihrem Ast, auch wenn das Wasser längst an die Wurzeln reicht.
Ob wir schwimmen können, wenn der Baum fällt? Das ist eine andere Frage.