Wie gestaltet FOH Ingo Thürauf Arena-Pop mit „Impact“ für Max Giesinger?
von Nicolay Ketterer, Artikel aus dem Archiv vom
Max Giesinger lieferte in Stuttgart eine nahbare wie professionelle Show mit kräftigem Sub-Schub. FOH Ingo Thürauf erklärt, warum er ein dynamisches Mikrofon für Pop-Hauptgesang einsetzt und für „Impact“ eine überdimensionierte PA wichtig sei. Die größte Herausforderung stelle mitunter die Bearbeitung von Backing Tracks dar, um sie in den Live-Kontext einzubetten.
(Bild: Nicolay Ketterer)
FOH Ingo Thürauf ist mit dem Soundcheck fertig, die Vorband übernimmt. Wer vor dem pandemiebedingt mehrfach verschobenen Konzert durch die leere Porsche-Arena läuft, dem wehen lange Nachhallzeiten entgegen. Der gegenüberliegende Hallenteil zur Bühne ist mit Molton abgehangen, weil nicht komplett ausverkauft ist. „Die ganz harten Reflexionen bekommt man damit etwas in den Griff“, hofft Thürauf. Bekanntes Detail auf dem Weg in den Backstage-Bereich zum Gespräch: Die Unterseiten der hochgeklappten Sitze sind gelocht, wie Thürauf auffällt. Die punktuelle Durchlässigkeit helfe mitunter etwas, die schallharte Fläche beim Soundcheck teils aufzubrechen – „verglichen mit Arenen mit Kunststoffsitzen, die komplett ‚dicht‘ sind. Das gibt sich natürlich idealerweise, wenn es voll ist.“
FOH Ingo Thürauf: Mit Sarah Connor, Adel Tawil und Max Giesinger auf Tour
Ingo Thürauf ist lange im Geschäft, beispielsweise seit über 14 Jahren als FOH bei Sarah Connor. „Ursprünglich komme ich aus dem Rock’n’Roll, aus der Gitarrenmusik-Ecke, bin sozusagen ‚der Mann der ersten Stunde‘ der Guano Apes.“ In den späten 1990er Jahren war er viel mit der Band unterwegs. Neben Sarah Connor betreut er auch Adel Tawil. „Die Max-Giesinger-Produktion hat mich 2019 angesprochen, ob ich Zeit hätte – sie suchten jemand mit entsprechender Erfahrung, und offenbar gefiel ihnen mein Mix-Style.“ Wie würde er den beschreiben? „Ich denke dabei gerne amerikanisch: Fett, plakativ, trotzdem aber kreativ-dynamisch und nah an der Band. Technisch gesprochen: Am besten nicht kaputtkomprimieren. Mein Ansatz besteht darin, erstmal auf der Bühne – an der Quelle – mit der Band zusammen einen Sound zu entwickeln, den man nach draußen ‚groß‘ macht. Sprich: Nicht von vornherein, überspitzt formuliert, ‚Schadensbegrenzung‘ am Mischpult betreiben, also pauschal mit Technik einzugreifen. Die Band sollte von sich aus gut klingen, auch dynamisch spielen und aus der Dynamik ‚fett‘ werden: Wenn das Arrangement auf der Bühne groß wird, soll es auch draußen groß werden. Umgekehrt darf ein leiser Song natürlich auch intimer sein. Alles wie im Studio hochzukomprimieren und als Balken ‚zusammenzuschieben‘, ist live noch kritischer, weil du über die gesamte Show Kompromisse machen musst: Ich kann beispielsweise nicht bei jedem zweiten Song den Schlagzeug-Mix umbauen oder das Gitarren-Setting vollkommen ändern – da sind Grenzen gesetzt. Letztlich kann ich die klanglichen Unzulänglichkeiten des Raumes nur sehr begrenzt beeinflussen. So ist es meist erforderlich, auch bei leisen Songs in einer Arena eine gewisse Grundlautstärke für die Ortung und Sprachverständlichkeit zu fahren, insbesondere auf den Lead Vocals. Generell gilt: Wenn du alle Sounds zu sehr durch Kompression verdichtest, oder bereits das Arrangement der Band zu dicht und komprimiert ‚dasteht‘, ist dies anstrengend für den Zuhörer. Es geht darum, ‚Luft‘ reinzubringen, den Mix lebendig zu gestalten – und trotzdem modern und plakativ darzustellen.“
Für den entsprechenden Klangeindruck verwendet die Produktion vor Ort ein angeliefertes d&b KSL. „Das hat eine sehr gute Sprachverständlichkeit, da ist alles top ‚im Gesicht‘ – so ist es nicht nötig, die Stimme extrem nach vorne zu mischen. Man kann fast einen Vocal-Down-Mix machen, ohne dass die Stimme absäuft.“ Ingo Thürauf schätzt die bewusste Wahl für ein gut dimensioniertes System. „Es gibt viele Systeme am Markt, die theoretisch und in der Simulation eine recht gute Abdeckung des Raumes schaffen, auch mit kleinen Mittel-/Hochton-Elementen in den Lautsprechern. Manche 6,5- oder 8-Zoll-Systeme werden über moderne Lautsprecherhhassis, Neodym-Magnete, spezielle Membran-Technologie und eine gute thermische Abführung hochgetunt. Dann hast du einen Lautsprecher, der möglicherweise sehr hohen Hub macht und dadurch relativ viel Energie erzeugt. Aber bei solchen Systemen sehe ich klare Grenzen: Wenn du Tonalität und ‚Impact‘ willst, brauchst du eine gewisse Systemgröße.
Das sollte im Idealfall etwas überdimensioniert sein, mit entsprechendem Headroom – selbst wenn die Leistung bei der Show nur an zwei, drei Momenten abgerufen wird, wo Bass, Mittel- oder Hochtonbereich mal wirklich auf 90 Prozent arbeiten. Das passiert nicht oft in der Show – so sollte es zumindest sein – aber um Impact zu haben, verbunden mit Tonalität, muss der Grundtonbereich sauber übertragen werden. Er sollte eben nicht elektronisch, durch überbetontes System-Processing – oder DSPs künstlich aufgeblasen sein. Das verfälscht letztlich den Sound.“ Er zieht einen Vergleich mit einem Motor heran: „Energie lässt sich über Drehzahl rausholen, oder über Volumen, also Hubraum. Beim Lautsprecher ist es ähnlich. Dazu kommt: Das Aus- und Einschwingverhalten braucht seine Zeit, wenn ein Lautsprecher mit weniger hoher Auslenkung arbeitet, ist dieser impulstreuer. Das heißt: Lieber ein bisschen mehr hinhängen, vielleicht ein größeres Chassis, gerade im Arenenbereich: Das wichtigste Element ist der Mittel- und Hochtöner, weil dort viel Musikinformation passiert.“ Er empfiehlt mindestens ein 10-Zoll-System – wie es auch beim d&B KSL zum Einsatz kommt.
„Das KSL hat – ebenso wie sein großer Bruder, das größere Arenen-System GSL – die Besonderheit, dass die Lautsprecher in sich mit kardioidem Abstrahlwinkel arbeiten, durch passend angeordnete Chassis im rückwärtigen Gehäusebereich, die zeitlich korrigiert werden. Gerade im Low-Mid- und Bassbereich des Line-Arrays ist es hinter dem Lautsprecher sehr ruhig.“ Das biete bei einer Bühne mit vielen offenen Mikrofonen – wie Streicher im Pop-Kontext – deutliche Vorteile, „weil insbesondere weniger Low-Mid-Energie durch die Main-PA rückgestrahlt wird. Diese sollte sich zwar ausschließlich in Richtung Publikum ausbreiten, aber physikalisch gilt bekanntlich: Je tiefer die Frequenz, desto mehr geht das Abstrahlverhalten in Richtung Kugelstrahler und strahlt demnach ebenfalls in die Bühne.“ Im Bassbereich werden bei anderen Herstellern mehrere Lautsprecher nebeneinander angeordnet, teilweise nach hinten gerichtet, um in dieser Anordnung den kardioiden Effekt zu erzeugen. „Dadurch, dass bei d&b das Basselement in sich ebenso cardioid aufgebaut ist, hast du bereits mit jedem einzelnen Lautsprecher-Element eine recht gute Performance.“ Beim Giesinger-Konzert kommen 24 KSL-Module und 24 SL-Subs im der Main-PA, 16 V8-Module in der Side-PA und 6 V10P-Module als Nearfills zum Einsatz.
Thürauf verwende sowohl das KSL als auch das GSL-System sehr gerne, weil die Technologie sehr gut funktioniere. „Dazu kommt, dass jeder Lautsprecher einzeln angesteuert wird, das sogenannte ‚Array Processing‘. Dadurch ergeben sich technische Möglichkeiten, auf das System dezidierter zuzugreifen. Die KSL-Mittel- und Hochton-Elemente haben eine sehr gute tonale Abbildung und Sprachverständlichkeit: Im oberen Mittel-/Hochtonbereich, im Übergang ab 1, 1,2 kHz nach oben, da, wo in einem Mix sehr viele Informationen stattfinden: Dort stehen Gitarren, Vocals, Keyboards, Synthie-Sounds, die Attacks der Drums. Der Bereich ist sehr dicht, und eine gute Tiefenstaffelung und Auflösung ist hier wichtig. Das macht das System sehr gut.“
Stichwort Gesang: Für Giesinger setzt er eine dynamische Kapsel Shure Beta 58 auf einem Axient-Wireless-Body ein. „Eine dynamische Kapsel deshalb, weil Max ohnehin immer sehr nah am Mikrofon ist. Wir brauchen kein Kondensator-Mikrofon, um einen weiteren Einsprechbereich abzudecken. Dazu kommt: Es ist Popmusik. Max bewegt sich viel auf der Bühne, er geht ins Publikum. Eine dynamische Kapsel ist viel ‚gutmütiger‘ im Umgang, was Übersprechen auf der Bühne betrifft – zum Beispiel durch Becken oder Snare. Ansonsten würden zusätzliche Laufzeiten im Mix entstehen: Die Snare hätte ich nicht nur auf dem Snare-Mikrofon und den Overheads, sondern nochmals auf dem Gesangsmikrofon, das sich ständig bewegt auf der Bühne. Das bedeutet, dass die Snare im Mix nach hinten rückt, und auf dem Gesang eine Menge ‚Schmutz‘ drauf ist, den man vielleicht wieder korrigieren müsste. Das dynamische Mikrofon funktioniert bei Max super, dahinter folgt eine entsprechende Plugin-Kette, um die oberen Mitten und Höhen hervorzukitzeln, und die Obertöne anzuheben.“ Die Produktion hat zwei Digico-Pulte SD12-96 angeschafft, die Version mit 96 Kanälen – eines dient als Monitorkonsole. Thürauf nutzt die Plugins der installierten Waves-Soundgrid-Server. Auf den Vocals findet sich beispielsweise eine Waves-Kette aus dem NLS-Channelstrip, Primary Source Expander, SSL-Channelstrip, dem RVox-Kompressor, dem dynamischen „F6 Floating Band“-EQ, RDeEsser sowie API-550B.
Einer der Gitarristen spielt einen Kemper-Amp, dessen Signal der FOH direkt bekommt – ebenso wie das Gitarrensignal von Max Giesinger, der vereinzelt E-Gitarre spielt. Beim weiteren Gitarristen nimmt Ingo Thürauf einen Amp mit einem SE VR2-Voodoo ab, einem aktiven Bändchen-Mikrofon. Davor hat er ein SE Reflexion Filter-X Akustik-Shield positioniert, um das Mikrofon mit der Acht-Charakteristik abzuschirmen. Dass bei einem Akustik-Shield durch die Polsterung wiederum frequenzselektive Absorption auf kurze Distanz entsteht und umgekehrt „überbleibende“ Reflexionen zurückgeworfen werden, sei für ihn in der Anwendung nicht problematisch, für ihn überwiegen hier die Vorteile.
„In der Live-Umgebung ist es oft ein Kompromiss, die einzelnen Instrumente isoliert zu bekommen. Da musst du schauen, wo der sinnvollste gemeinsame Nenner liegt.“ Ein anderes mögliches Problem sei die Positionierung des Amps: „Gerne geht es darum, zu vermeiden, einen Amp auf der Bühne in Richtung Publikum strahlen zu lassen. Stattdessen wird er irgendwo nach hinten gerichtet. Dabei musst du aufpassen, den Verstärker nicht komplett vor eine schallharte Fläche ‚blasen‘ zu lassen, weil dort deutliche Reflexionen entstehen. Die Laufzeiten nimmst du als Phasing wahr.“
Mit SE Electronics und einem der Entwickler der Schlagzeugmikrofon-Serie begann er vor einigen Jahren eine Zusammenarbeit, testete Prototypen. Das Schlagzeug mikrofoniert er größtenteils mit SE-Mikrofonen, darunter „V-Kick“ an der Bassdrum, je ein V7X auf der Oberseite der beiden Snares, und jeweils „V-Beat“ an den Toms, allesamt dynamisch. Als Overheads setzt er auf zwei Bändchenmikrofone VR2-Voodoo, an der HiHat auf ein Kleinmembran-Kondensatormikrofon Shure SM81.
(Bild: Simon Stoeckl)
Die Haupt-Snare nimmt er auch von unten ab, hier kommt ein Großmembran-Exemplar SE X1S zum Einsatz. Alternativ verwendet er gerne ein AKG C414 – beide funktionierten an der Position praktisch gleich gut, so der FOH. „Das C414 nutze ich in dem Fall als breite Niere, um den Teppich möglichst breit einzufangen. Die Charakteristik ist dann fast eine ‚Halbkugel‘, sehr nah am Resofell, mit einem Abstand von rund drei Zentimetern. Den Teppich mische ich mir dann nach Geschmack dazu, je nach Song und Färbung.“
In der Bassdrum liegt zusätzlich zum dynamischen Exemplar auch eine SE-Grenzfläche – ein Prototyp, der erst noch auf den Markt kommt. „Sonst war dort immer ein Beta 91 drin, was natürlich auch ein völlig solides Mikrofon ist. Da kann man jetzt nicht sagen, dass eines besser oder schlechter ist – ich hatte Lust, das SE auszuprobieren. Die Grundfläche ist genauso groß wie beim Beta 91, was den Vorteil hat, dass es in vorkonstruierte Bassdrum-Halterungen passt. Die SE-Grenzfläche lässt sich im Sound sich zwischen ‚Flat‘ und Variationen wie ‚modern‘ und ‚classic‘ umschalten – schaltbare Filter, um das Mikrofon vorzufärben. Es macht einen guten Job in der Bassdrum.“ Die Grenzfläche hat er zusammen mit dem V-Kick übereinander in der Trommel fest eingebaut, „so, dass sie bereits mechanisch in Phase zueinander sind. Natürlich können Laufzeiten und Phase nachträglich ‚hingefummelt‘ werden, aber hier liegen teilweise per Trigger Samples auf Bassdrum und Snare mit drauf, wo ein zusätzlicher Sound getriggert wird. Das Bassdrum-Sample wird mit der Natur-Bassdrum gemischt. Da ist es umso wichtiger, dass ich die Mikrofone der Bassdrum zueinander in den Laufzeiten in Phase zu bringen. Fange ich an, die beiden Mikrofone nachträglich in den Laufzeiten zueinander zu verschieben und bringe noch ein drittes Sample-Signal ein, was ich einsortieren muss, so hätte ich drei Zeiten, die zueinander passen müssen.“
Den E-Bass nimmt er über eine Röhren-DI-Box, den Noble „Double Vacuum Tube Preamp/DI“, vor dem Amp des Musikers ab. „Die Bühne ist relativ leise. Bei Popmusik ist es für mich kein passendes Konzept, den Bass noch zusätzlich am Amp mit einem Mikrofon abzunehmen. Bei einer Rock-Band würde ich es vielleicht anders machen, weil eine Bass-Box auf der Bühne eventuell lauter gedreht ist. Um auf der Bühne einen Nutzpegel am Mikrofon ohne Übersprechen vom Schlagzeug zu bekommen, müsste eine Bassanlage recht laut aufgedreht werden.“
Im aktuellen Fall bearbeite er lieber ein direktes Basssignal am Pult, „auch gerne per Sidechain-Kompression, getriggert von der Bassdrum, um entsprechend Platz zu schaffen“ Auch auf dem E-Bass setzt er beispielsweise eines der von ihm neu entdeckten Waves Magma-Plugins ein, deren Sättigung und Verdichtung ihm gefällt.
Piezo-Tonabnehmer weniger künstlich klingen zu lassen
Die Gitarristen spielen gelegentlich Akustikgitarren – hier setzt er ebenfalls auf ein Direktsignal der Piezo-Tonabnehmer. „Die Pickups klingen leider oft sehr unnatürlich.“ Dennoch ist er bei verbauten Mischsystemen aus Mikrofon und Tonabnehmer vorsichtig: „In einer Arena, wo eine gewisse Lautstärke in der Halle steht, schaukelt sich eine Akustikgitarre recht schnell auf. Setze ich dabei zu sehr auf Mikrofonsignal-Anteile, habe ich dort natürlich die ganze Halle drauf. Aus dem Grund nutze ich eigentlich fast bei allen Akustikgitarren Piezo-Systeme und bearbeite sie entsprechend: Ich schneide gerne mal die Höhen weg, um die sehr höhenlastigen, unnatürlich klingenden Sounds in den Griff zu bekommen – das heißt, bei 7 -10 kHz abschneiden, je nach Klang der Gitarre. Unten schneide ich das Signal auch ‚sauber‘ – je nachdem, was gespielt wird und wie die Gitarre im Kontext steht.
Neben weiterer EQ-Bearbeitung und einer kleinen Kompression setze ich auch gerne eine Stereo-Verbreiterung per Hallraum oder auch den Waves PS22-Stereoverbreiterer ein. Den musst du allerdings präzise einstellen. Ein dynamischer EQ – Waves F6 – funktioniert ebenfalls sehr gut: Wenn beispielsweise die Gitarre mit viel Energie in einen Chorus gespielt wird und möglicherweise höhenlastig wird, drücke ich damit gerne etwas Höhenanteile weg. Damit entsteht für meinen Geschmack ein recht guter Akustikgitarren-Sound, der künstlich wieder natürlich gemacht wird,“ schmunzelt er.
Wie sieht seine „Architektur“ auf dem Pult aus? „Ich arbeite sehr gerne mit Gruppen im Mix. Auf dem Digico-Pult ist es möglich, praktisch Busse in Busse zu routen – das geht nicht bei allen Pulten. Hier schicke ich die beiden Bassdrum-Mikrofonkanäle in eine Subgruppe ‚Mono-Kickdrum‘ – mit der Snare genauso. Dann habe ich schon mal zwei Monogruppen – so, wie es im Studio vielleicht auch gemacht werden würde. Diese Signale laufen dann in die Gesamt-Stereogruppe ‚Drums‘. Dadurch kann ich die Snaredrum und Bassdrum erstmal als Ganzes bearbeiten, zum Beispiel mit einem EQ oder etwas Sättigung.“ Thürauf verweist auf das erwähnte Waves „Magma“-Plugin, „sehr simpel – aber es funktioniert super, wenn es richtig eingestellt ist. Das ist auf der Kick Drum- und auf der Snare-Summe drauf; auf der Snare habe ich gerade mit sehr viel Sättigung gespielt, was mir recht gut gefiel, weil das den Oberton mit nach vorne bringt, und bereits eine gute Kompression im Mix entsteht. Dadurch kann ich den Snare-Kompressor eher aufmachen und stattdessen dahinter mit einem Limiter arbeiten, sodass sie Snare über Limiting nach oben gedeckelt ist, falls es auf der Bühne zu heftig wird. Trotzdem verdichte ich nicht zu sehr mit einem Kompressor, so bleibt mehr Dynamik erhalten. Stattdessen fahre ich lieber den Mix sehr viel – dazu musst du allerdings die Songs gut kennen und vielleicht einzelne Bereiche mit Snapshots unterteilen. Das ist hier bei manchen Songs der Fall, wo es Sinn ergibt – per Timecode, da auf der Bühne ein Ableton-System etwa mit Streicher-Backing-Tracks oder Chören mitläuft.
Der Timecode ermöglicht mir, Songs in Snapshots zu strukturieren und einzelne Mix-Parameter zu automatisieren. Dazu gehören auf jeden Fall Mutes: Wo eine zweite Snare nicht gespielt wird, muss sie nicht offen sein. Ich könnte zwar ein Gate verwenden, aber das müsste ich so ‚straff‘ einstellen, dass es ‚flattert‘ – und du bekommst die Ghost Notes nicht durch. Daher automatisiere ich gerne unter anderem die Snare-Mutes. Dadurch habe ich währenddessen mehr ‚Kapazitäten‘, um musikalisch und kreativ am Mix zu arbeiten und muss mich folglich nicht ständig um ‚organisatorische‘ Dinge im Song kümmern.“ Der Timecode läuft jeweils Song-, nicht Show-bezogen. „Es gibt auch Songs, die teilweise ‚frei‘ gespielt sind, ohne Timecode.
Die E-Gitarren sind ebenfalls über Subgruppen organisiert, pro Gitarre existiert eine Stereo-Subgruppe. „Manchmal mache ich eine Gitarre im Stereobild etwas breiter, oder halte sie in der Strophe vielleicht mehr mono – um den Sound über den Songverlauf hinweg etwas interessanter darzustellen.“ Hier gilt ähnlich wie bei den Drums die Möglichkeit, dezidiert in das Gesamtbild eingreifen zu können: „Global kann ich über die Gruppen EQ-Anteile korrigieren: Wenn ein Raum sehr viele Reflexionen hat und in den oberen Mitten nervt, setze ich in den Gitarren-Gruppen einfach einen kleinen Filter, um das etwas zu entzerren. Dann habe ich wieder mehr Platz für die Stimme. Dies ist nicht in der jeweiligen Programmierung drin – es ist ‚Recall Safe‘ – sondern bleibt einfach über die komplette Show über allem stehen.“
Die Gruppen laufen auf den Stereo-Bus und werden dort mit einer Summen-Kette bearbeitet, darunter eine dezente Summenkomprimierung. Ihm gefällt auch die Waves „Abbey Road TG Mastering Chain“: „In dem Plugin sind viele Tools enthalten, zum Beispiel eine kleine Stereo-Verbreiterung oder M/S-EQ’ing, um sich die Mitte etwas nach vorne zu holen und die Seiten ‚größer‘ zu machen, in dem ich im Höhenbereich die Brillanz etwas anhebe oder die Low-Mids aufmache. Das ist allerdings Millimeterarbeit, höchstens 1,5 oder 2 dB.“ Als Outboard dient ihm auf der Summe beispielsweise der analoge SSL-Fusion-Prozessor (siehe Kraftklub-Reportage mit FOH Andreas „Andi“ Zwirchmair): „Der kommt nochmal hintendran zum Färben, damit habe ich manchmal auch etwas HF-Kompression drin – je nachdem, was im Raum nötig ist. Wenn ein Raum sehr diffus klingt, braucht es mal ein bisschen mehr obere Mitten, oder wenn die PA in der Location im Hornbereich nicht so gut performt und die Stimme weniger vorne steht, korrigiere ich das gerne mal über Frequenzen und nicht immer ausschließlich über Energie, also Lautstärke.“ Das sei heute mit dem d&b-System allerdings kein Problem.
Im Rack ist ein Bricasti M7 eingebaut – er liegt auf dem Leadgesang, dazu auf Streichern oder Keyboards aus der Konserve, „um den Mix zu ‚kleben‘. Das Gerät liefert den besten Hallraum, den ich live am Start habe. Die Priorität liegt auf den Vocals – da nutze ich ein Hardwaregerät.“ Wie würde er den Unterschied zu den Waves-Plugins beschreiben? „Der Hallraum ist tatsächlich viel dichter – das wird gerade bei einem langen Hallraum mit mehreren Sekunden Ausklang deutlich: Bei Streichern oder Bläsern wird bei weniger guten Hall-Algorithmen hörbar, wie der Ausklang zerfällt. Der Bricasti erscheint mir sehr natürlich – er klingt so gut, dass ich mich dabei ertappe, zu viel reinzudrehen. Du nimmst ihn nicht richtig dezidiert wahr, weil er sich so gut einfügt – wenn ich ihn dann ausmache, denke ich: Was ist jetzt kaputt?“, lacht er.
Was ist das schwierigste Element im Mix? Thürauf verweist auf die Backing-Tracks: „Wenn von Ableton Chöre, Percussions oder Streicher zugespielt werden, muss ich ein bisschen dran arbeiten, damit die Zuspieler natürlich klingen, sich gut einbetten – nicht ‚draufgetackert‘ wirken. Das ist superwichtig und geht über EQ, Räume und Kompression – und natürlich Level. Manchmal ist das nicht so einfach, da die Stems meistens aus der Studio-Produktion stammen. Dort bestehen etwas andere Anforderungen als für die Bühne. Live sticht im absoluten Low-End-Bereich etwas heraus, was du im Studio vielleicht drin lassen würdest – oder das im Mastering noch korrigiert wird. In einer Halle mit massiven Subs, die auch bei 30 Hz noch richtig Energie machen, entstehen schnell unkontrollierte Situationen im Mix. Genau wie im Höhenbereich: Es passiert zum Beispiel hin und wieder, dass vielleicht oberhalb von 16 kHz eine Spitze mit viel Energie heraussticht. Wenn du das mit einem sehr potenten PA-System mit mehr als 100 dB in eine Halle reinschiebst, kann das sehr schmerzhaft fürs Ohr werden – das wollen wir natürlich nicht! Da musst du wachsam sein und auch mal mit einem Analyzer schauen, was dort passiert. Bei der Produktionsprobe, wenn der Mix entwickelt wird, lohnt es sich, darauf zu achten, sich hier keinen ‚Schmutz‘ reinzuholen.“
Gesang: im Vordergrund, aber „kein extremer Vocal-Up-Mix“
Insgesamt Der Gesang sei naturgemäß die absolute Priorität, „der muss immer bombenfest im Mix stehen und überall super zu verstehen sein. Nicht ‚Schlager-mäßig‘, also kein extremer Vocal-Up-Mix, wo vielleicht auch der Druck der Band ein bisschen auf der Strecke bleibt. Es soll plakativ sein, aber darf nicht ‚weh‘ tun im oberen Mittenbereich. Natürlich kann eine Gitarre mal ein bisschen ‚schneidig‘ sein, aber kontrolliert, und eben ‚groß‘, mit entsprechender Energie. Ich habe meinen Finger immer auf dem Fader der Stimme, und auch an Instrumenten wie Gitarre oder Keyboards, weil die Sounds sich schnell gegenseitig maskieren.
Anders gesagt: Wenn die Gitarren zu laut sind, machen sie im Mix sehr schnell die Vocals platt.“ Trotz aller Programmierung und Kontrolle gelte: „Wir haben es auf der Bühne immer noch mit Menschen zu tun, in einer Show, wo Emotionen und Adrenalin bei den Musikern stattfinden. Es kann auch mal sein, dass nicht jeden Tag alles wie Copy & Paste, wie in Stein gemeißelt ist, was einem so ins Mischpult reinfliegt. Das ist auch das Schöne – und dafür bin ich da, um das anzupassen!“