vMix ist aktuell in aller Munde – aber kann die bildmischende, zuspielende und mehrspuraufzeichnende Streamingsoftware tatsächlich auch eine ganze Videoregie ersetzen?
Studiocoast PTY Ltd. entwickelte 2009 um Firmenchef Martin Sinclair eine erste Version der Mix- und Streaming-Software vMix – mittlerweile in Version 23. Schon lange bevor die Veranstaltungsszene auf solche Streaming-Produkte aufmerksam wurde, füllte dieses Produkt eine Lücke für Gamer und Webbroadcaster. Die windowsbasierte Software kann aufgrund der langen Entwicklungszeit inzwischen sehr viel und arbeitet, wie keine andere Software, sehr zuverlässig mit NewTek’s Video-over-IP-Standard NDI. Diese IP-basierte Video-Transportmöglichkeit schafft, gerade in Zeiten, in denen Latenz eine eher untergeordnete Rolle spielt, viele neue Möglichkeiten und scheint sich gegenüber anderen Protokollen durchzusetzen. In einem optimal konfigurierten Gbit-Netzwerk kann inzwischen für HD-Signale eine Latenz von bis zu einem Frame erreicht werden, was einige konventionelle Bildmischer in Sachen Geschwindigkeit schlägt.
Aber vMix ist nicht nur Bildmischer: Die Software wurde geschrieben, um eine kleine, herkömmliche Regie zu ersetzen. So kann ein versierter Operator damit gleichzeitig auch noch Clips zuspielen, mehrspurig aufzeichnen, Titel einkeyen, streamen, externe Calls verwalten und noch vieles mehr. Ist das sinnvoll? Wir haben es getestet – unsere Ergebnisse lest ihr hier.
Die auf vier Inputs beschränkten Basic-Varianten sind eher für den Heim- und semiprofessionellen Gebrauch gedacht. Professionell wird es dann erst ab der HD-Ausführung, die (theoretisch) bis zu 1.000 Inputs verwalten kann. Die HD-Variante kann leider auch nur einkanalig ausspielen, noch nicht mehrspurig aufzeichnen und keine PTZ-Kamera steuern. Die beiden 4k-fähigen Varianten 4K und Pro unterscheiden sich, außer im Preis, nur noch in der Anzahl der externen „LiveCall“-Schalten (8 vs. 4) und der Anzahl der Instant-Replay-Kameras (4 vs. 1).
Beim Besuch der Homepage fällt sehr positiv auf, dass es eine Hardware-Empfehlung in verschiedenen Stufen gibt: Einige Gerätekombinationen wurden für verschiedene Leistungsklassen getestet und empfohlen. Natürlich hat man so immer noch keine Garantie für einwandfrei zusammenarbeitende Komponenten, aber mit diesen Empfehlungen weiß der Operator grob, was er seiner Hardware zumuten kann. vMix fordert alle Komponenten, verteilt aber den Rechenbedarf geschickt zwischen CPU und GPU.
Das schnörkellose GUI erleichtert den Einstieg in vMix. Sofort erkennt man die grundsätzliche Bedienung und kann sich nach erstem Kontakt mit den fortgeschrittenen Funktionen beschäftigen. Die Bedienoberfläche kann auf bis zu drei Monitore erweitert werden und lässt hiermit eine übersichtliche Anordnung der einzelnen Komponenten wie Tonmischer, Playlist, Eingänge oder Multiviewer zu.
Die direkte Bedienung beschränkt sich leider nur auf einen Main Mix; weitere M/E-Ebenen sind nicht vorhanden und die Zuspielung auf Rednermonitore, Backdrops oder separate Bildmischungen für Stream und Recording muss umständlicher erfolgen. Es ist kein direkter Zugriff von der GUI aus möglich. Tipp: Es bietet sich an, hierzu Mix-Inputs anzulegen und die über NDI und Wandler versorgten Monitore auf diese Inputs zu routen. Mit diesem Trick sind alle Möglichkeiten der Bildkomposition offen.
In kleineren Setups kann ein einzelner Operator auf dieser Oberfläche viel zaubern. Auf vier Keyer / Overlays kann direkt zugegriffen werden und es ist möglich, selbst erstellte Untertitel oder Wasserzeichen unabhängig und animiert ein- und auszublenden. Hierfür ist auch eine eigene Grafiksoftware, der „GT Title Designer“, im Paket enthalten, der direkt aus vMix erreicht werden kann. Mit dieser Software lassen sich eigene Grafiken über einem Alpha-Kanal erstellen, animieren und zurück in vMix exportieren.
Problematisch wird es allerdings, wenn der Tonanteil der Produktion größer und komplizierter wird. Ganz nebenbei zu bedienen ist auch noch ein komplettes Tonmischpult mit bis zu vier Aux-Bussen, EQs und Noise Gates. Das Konzept ist, die Signale kombiniert mit eingebettetem Ton zu verarbeiten. Alle Signalarten wie SDI, NDI, HDMI und interne Zuspieler bieten die Möglichkeit, den Ton einzubinden und automatisch mit dem Bild mitzumischen. Es empfiehlt sich aber ein kleines Tonmischpult, das wenigstens Mikrofone vormischt, pegelt und einen schnellen Zugriff erlaubt. Ein separater Tonoperator, der sich auf die verschiedenen Pegel und Aussteuerungen konzentrieren kann, ist von Vorteil, aber die gesamte Bedienung ist leider auf nur einen Operator ausgelegt; hier wäre es angenehm, wenn auf einzelne Teile, wie den Tonmischer, separat per Webinterface zugegriffen werden könnte. vMix bietet zwar die Integration von zahlreichen MIDI- oder USB-Interfaces zu diesem Zweck an, aber dies erfordert zusätzlichen Programmieraufwand, der oft mit erheblichem Zeiteinsatz verbunden ist. Genannt sei vor allem das oft genannte StreamDeck von Elgato, mit dem auch komplette Befehlsketten auf eine Taste gelegt werden können. Hier leisten inzwischen die Plugins der Software Companion schon mehr als die interne Programmierung, bei der die Tasten z. B. wieder nur extern gestaltet und beschriftet werden können.
Mit dem integrierten Tool „vMix Call“ können stabil und einfach externe Teilnehmer in guter Qualität zugeschaltet werden, die auch automatisch akustisch mit n-1 konfiguriert werden. Es wird ein Schlüssel erzeugt, mit dem externe Teilnehmer sich einfach per Browser ohne Wasserzeichen einwählen können. Leider bietet vCall dem externen Sprecher nicht die Möglichkeit, seinen Bildschirm zu teilen. Dies kann besser über eine NDI-taugliche App wie Microsoft Teams realisiert werden. Hiermit lassen sich sowohl die einzelnen Teilnehmer einer Konferenz als auch geteilte Bildschirme als separate NDI-Inputs anlegen und ohne erhöhten Verkabelungsaufwand variabel im Sendebild anordnen und mischen.
Anwendertipp: Was nicht offiziell verlinkt und beschrieben wird: über die Einwahladresse https://advanced.vmixcall.com erreicht man eine Einwahlseite, auf der es doch auch möglich ist, den Bildschirm zu teilen und andere fortgeschrittene Einstellungen vorzunehmen. Diese ist aber nicht per Link aus dem Programm zu erreichen sondern muss händisch per Passwort verlinkt werden. Mit an Bord sind auch einige vorprogrammierte, virtuelle Studios und Setups, in die Moderatoren mit Hilfe eines Greenscreens eingebunden werden können. Eine Parallaxenkorrektur findet man nicht, aber trotzdem wirken die Vorlagen realistisch und es sind verschiedene virtuelle Kamerafahrten möglich.
Als weiteres nützliches Feature findet man die Steuerung von PTZ-Kameras. Hier können PTZ-Kameras diverser Hersteller über verschiedene Steuerungsprotokolle per Netzwerk oder serielles Interface integriert werden. Damit können Presets als separater Input oder im Rahmen einer Komposition gespeichert und aufgerufen werden, so dass im Programmablauf kein manueller Eingriff mehr erforderlich ist.
Für kleinere Streaming-Events wie sie momentan alltäglich durchgeführt werden, ist vMix als Live Production Software ein sehr gutes und übersichtliches Programm. Im Endeffekt gehört es aus unserer Sicht aber eher in die Hände eines Operators, der genau weiß, wo welcher Haken gesetzt und wie sein System konfiguriert ist, als in den Vermietpark einer Rental Company. Natürlich kann auch hier mit einer Recovery-Partition ein Grundzustand wiederhergestellt werden, aber diese Zeit ist auf einem „schnellen“ Streaming-Event selten vorhanden und so ist es immer fraglich, welche Einstellungen der Vorgänger hinterlassen hat.
Um unsere Eingangs gestellte Frage also abschließend zu beantworten: Eine kleine Regie ist durchaus zu ersetzen, es gibt aber viele Situationen, in denen man als Operator an seine Grenzen kommt. Wenn kurz vor der Veranstaltung noch schnell zu mikrofonieren ist, der externe Caller sich zuschaltet, die Untertitel final angepasst, der Clip nochmals ausgetauscht und letzte Änderungen an der PowerPoint-Folie vorgenommen werden sollen, dann kann es schnell zu vermeidbaren Stresssituationen kommen.
Betriebssystem: Windows 10
Unterstützte Eingänge: HDMI, SDI über Grabber-Karte, NDI, Videos, Audio, Bilder
Aufnahme: bis zu zwei Output-Kanäle; in 4k- und Pro
Version: „MultiCorder“
Audio: ein Master und vier AUX-Kanäle
Streaming: bis zu drei Streams gleichzeitig
Auflösung: bis zu 4k
Lizenz: Aktivierung per Software Key, Download auf Herstellerseite
Preis: fünf Varianten von 50 bis 1.000 €
Die Pro-Version kann für 60 Tage kostenlos getestet werden.