Nach Auswertung des Großversuchs und Simulationen liefert Restart-19 nun die ersten evidenzbasierten – und hoffnungsvollen – Daten als Basis für eine wissenschaftlich fundierte Auseinandersetzung zum Thema „Risiko“ Großevents.
In einer Pressekonferenz am 29. Oktober 2020 stellten Projektleiter Dr. Stefan Moritz und Epidemiologe Prof. Rafael Mikolajczyk die mit Spannung erwarteten Ergebnisse der Studie RESTART-19 vor, deren nach außen wohl sichtbarster und öffentlichkeitswirksamster Teil eine am 22. August durchgeführte Konzertsimulation in der Arena Leipzig war (s. Artikel „RESTART-19“ in Ausgabe 08/2020).
Eröffnet wurde die Präsentation durch Prof. Dr. Michael Gekle, Dekan der Universitätsmedizin Halle (Saale), den wir an dieser Stelle in Auszügen zu Wort kommen lassen wollen, da er in seiner Einleitung sehr zielsicher die richtigen Worte fand – gleichermaßen zur allgemeinen Situation wie zu den Ergebnissen der Studie: „[…] Wie wohl die Lage komplex ist, keine Kultur ist keine Lösung! Und wir müssen diese Komplexität akzeptieren, wir müssen mit dieser Komplexität umgehen und wir müssen um Lösungen ringen. Um Lösungen, die dieser Komplexität gerecht werden. Und meine Lebenserfahrung sagt mir, für komplexe Probleme gibt es selten einfache Lösungen – aber es gibt Lösungen. Lösungen, die angemessen sind. Lösungen, die den unterschiedlichen Aspekten der Lage, in der wir sind, gerecht werden.
[…] Und es gab und gibt sehr viel Meinung und Glauben. Markus Söder hat […] in der Pressekonferenz gesagt: ‚Man muss das tun, woran man glaubt‘ – ich glaube, wenn man das tut, was man weiß, hilft das auch! […] Es ist und bleibt komplex und somit herausfordernd. Wir wollen prospektiv, wir wollen risikoadaptiert und wir wollen auch verantwortungsvoll mutig agieren. Wir wollen das Bestmögliche für die Gesellschaft als Ganzes erreichen.
[…] Es geht hier nicht um das Publizieren als Selbstzweck, es geht nicht um akademischen Lorbeer für ein paar Wenige – nein, bei diesem Projekt geht es um Daten, Berechnungen und Handlungsempfehlungen für eine Politik der gesundheitlichen Daseinsfürsorge in der Wirklichkeit, in der konkrete Empfehlungen erwartet werden. Es geht primär um raschen gesellschaftlichen Nutzen und weniger um Impact-Punkte. Auch das ist eine Frage der Ethik und der Haltung.
Und somit macht es die Dynamik der Pandemie mit ihren gesamtgesellschaftlichen Folgen notwendig, Daten und Schlussfolgerungen in dem Reifegrad, den wir gerade geschildert haben, den Verantwortlichen zu übergeben […], damit sie ihr Handeln evidenzbasiert für eine lebenswerte Gesellschaft einsetzen können – und müssen!“
Das ganze Forschungsprojekt „RESTART-19“ bestand im Wesentlichen aus drei Kernprojekten:
Mit einem Großexperiment am 22. August diesen Jahres wurden mittels Tracern alle Kontakte während einer „realen Konzertsimulation“ ermittelt. „Real“ deswegen, weil hierfür „echte Besucher“ unter strengen Hygiene- und Infektionsschutzvorgaben als freiwillige Probanden in der Arena Leipzig zusammenkamen – letztlich aber kein Konzert, sondern lediglich eine „Konzertsimulation“ in drei Szenarien mit unterschiedlich strengen Hygiene- und Infektionsschutzkonzepten und lediglich kurzen Showblöcken inkl. Pause geboten bekamen, die Sänger und Songwriter Tim Bendzko mit entsprechenden Mini-Auftritten garnierte.
Virtuell wurde in Schritt zwei mittels Computersimulation die Aerosolbelastung in der Arena unter Berücksichtigung der Lüftungssituation und -anlage errechnet und bewertet. Zuletzt wurden die Ergebnisse aus 1 und 2 in ein epidemiologisches Modell überführt, um eine Aussage über die Auswirkungen einer Veranstaltung auf die Krankheitslast in der Bevölkerung treffen und die Ergebnisse somit im sozialen Kontext bewerten zu können.
Im Live-Experiment wurden die für eine Verbreitung des Virus aktuell als relevant angesehenen Kontakte ermittelt, die in den drei Szenarien mit unterschiedlichen Abstands- und Kontaktregelungen entstanden. Simuliert wurden hier eine prä-pandemische Situation, in der alle Besucher die gleichen wenigen Ein- und Ausgänge nutzten, ohne Abstand saßen und auch während der Pause keinerlei Distanz wahrten.
Szenario 2 simulierte eine moderate Abstands-Version mit „Schachbrett-Bestuhlung“, die einzelnen Besucherblöcke wurden hinsichtlich der Zugänge getrennt. Im dritten Szenario wurde durch ein umfangreiches Hygienekonzept der Mindestabstand von 1,5 m unter allen Umständen gewahrt, neben jedem als Pärchenvariante ausgelegtem Sitzplatz herrschte im Radius von 1,5 m gähnende Leere.
Erfasst wurden alle Kontakte, die den Abstand von 150 cm länger als 3 s unterschritten, hinsichtlich der Verbreitung interessant waren vor allem aber die Langzeitkontakte, die – nach aktueller Faktenlage und auch Definition des Robert-Koch-Instituts – in einem Abstand kleiner 1,5 m länger als 15 Minuten andauerten.
Die Anzahl der Kontakte verringerte sich mit steigender Abstandsregelung deutlich, was natürlich noch wenig überraschte. Interessant war aber, dass die Zahl der Langzeitkontakte – selbst in Szenario 1 ohne Abstand – mit durchschnittlich neun Kontakten pro Besucher doch erstaunlich niedrig war. Diese Kontakte reduzierten sich in Szenario 3 auf lediglich einen Kontakt, der entsprechend der Pärchen-Sitzinseln dem direkten Sitznachbarn und damit in den meisten Fällen wohl einem Mitglied des gleichen Hausstandes zuzurechnen sein dürfte – ein Umstand, der in diesem Fall die Zahl der externen Kontakte auf Null reduziert!
Der Logik einer Veranstaltung entsprechend, entstanden die meisten Langzeitkontakte dabei nicht während Einlass, Pause oder Auslass, sondern in den Showteilen, in denen das Publikum mittels Bestuhlung „fixiert“ war. Um dieses Plus an Kontaktarmut in den peripheren Phasen einer Veranstaltung nicht zu verspielen, darf natürlich kein entsprechender Stau während dieser Phasen entstehen und muss konzeptionell berücksichtigt werden, z.B. durch eine entsprechend hohe Zahl an Ein-/Auslässen, ggf. gänzlicher Verzicht auf eine Pause und ausreichende Anzahl an Cateringständen sowie Toiletten.
Die kumulativen Kontakte, also die Zahl der Langzeitkontakte über den Veranstaltungsverlauf, stiegen in Szenario 1 nur leicht an, flachten in Szenario 2 bereits stark ab und verliefen in Szenario 3 quasi waagerecht. Außer des Sitznachbarns wurden keine weiteren Kontakte generiert.
Kombiniert man nun die reduzierten Kontakte durch die jeweiligen Abstands-Szenarien mit den durch die strengen Konzepte ebenfalls sinkenden Besucherzahlen des Events, ergab sich eine in Szenario 2 um 74% sowie in Szenario 3 sogar um 96% reduzierte Kontakthäufigkeit im Vergleich zur „sorglosen Variante 1“ – Zahlen, die dem pauschalen Verbot der „unberechenbar gefährlichen Großveranstaltungen“ mächtig Wind aus den argumentativ sehr dürftigen Segeln nehmen!
Mittels einer rein virtuellen Computersimulation („Computations Fluids Dynamics“) wurden in einem zweiten Schritt die Effekte der Lüftung auf die Verbreitung der Aerosole im Raum erfasst. Dabei wurde die Arena Leipzig im Rechner nachmodelliert, mit 4.000 gesunden sowie 24 infektiösen Probanden besetzt und deren Ausstoß und Inhalation von Aerosolen „gemessen“.
In einer ersten Simulation der realen Lüftungsanlage mit Auslässen unter den Tribünen sowie Wurfdüsen an der Decke der Hallenseiten stellte sich dabei heraus, dass die Luft (inkl. Aerosole) in großen Schleifen in Richtung Hallendecke und anschließend wieder abwärts über die Tribünen strömte – eine auf den ersten Blick eher ungünstige Situation.
Daher wurde eine theoretische Alternative entworfen, ohne Einsatz der Wurfdüsen und mit mächtigen „Absaugrohren“ mittig an der Hallendecke. Die Idee dahinter war, so eine perfekte Schichtlüftung zu erzeugen, deren Abluft unter der Tribüne beginnend direkt nach oben hin abgesaugt werden kann.
„Das ist ganz gründlich in die Hose gegangen“, so Projektleiter Dr. Stefan Moritz während der Pressekonferenz: Die Aerosole stiegen zwar tatsächlich in der Mitte auf, erreichten allerdings die Ablufteinrichtungen nicht und zerfielen auf halber Höhe in diverse kleine und unkoordinierte Schleifen.
Anstelle der großen „Luftwalzen“ der echten Lüftung erzeugte die theoretische Anlage nun viele kleine Strömungen, im Ergebnis also eine schlechtere Umwälzung, schlechtere Frischluftzufuhr und schlechtere Strömungsverhältnisse – damit aber letztlich ein für die Studie durchaus brauchbares Modell einer schlechten Lüftung, das fortan im direkten Vergleich mit der realen, in der Praxis tatsächlich sehr guten, Lüftung herangezogen werden konnte.
Im Vergleich zeigte sich dabei deutlich, dass Aerosole bei schlechter Belüftung ein erhebliches Ansteckungsrisiko darstellen können. Im Gegensatz zu nur einigen wenigen Aerosolexponierten bei guter Lüftung zeigten sich im Modell bei schlechter Belüftung riesige „Aerosol-Seen“ auf den Tribünen.
Ansteckungsrisiko durch Aerosole
Bild: Universitätsmedizin Halle (Saale)
Bei schlechter Belüftung stellen Aerosole ein erhebliches Ansteckungsrisiko dar: im Gegensatz zu nur einigen wenigen Aerosolexponierten bei guter Lüftung (links) zeigten sich im Modell bei schlechter Belüftung riesige „Aerosol-Seen“ auf den Tribünen (rechts).
Bild: Universitätsmedizin Halle (Saale)
Bei schlechter Belüftung stellen Aerosole ein erhebliches Ansteckungsrisiko dar: im Gegensatz zu nur einigen wenigen Aerosolexponierten bei guter Lüftung (links) zeigten sich im Modell bei schlechter Belüftung riesige „Aerosol-Seen“ auf den Tribünen (rechts).
Die Zahlen der im Schnitt mit mind. 1% des Aerosolstroms eines Infektiösen in Kontakt kommenden Personen wuchsen dabei von lediglich 3 bis 4 auf teilweise bis zu 100, unter schlechten Bedingungen hinsichtlich Abstandsregelungen und Lüftung, an.
Im Umkehrschluss bedeutet dies aber auch, dass gute Lüftungsanlagen, wie sie baurechtlich aufgrund der hohen Anforderungen aus der jeweils geltenden VStättVO an „offizielle“ Versammlungsstätten gestellt werden, in einer Vielzahl der Fälle bereits eine gute Ausgangsbasis für weitere Maßnahmen und Überlegungen darstellen.
Simulation der Luft
Bild: Universitätsmedizin Halle (Saale)
Simulation der realen Lüftungsanlage, in der die Luft in großen Schleifen in Richtung Hallendecke und anschließend wieder abwärts über die Tribünen strömte
Bild: Universitätsmedizin Halle (Saale)
Simulation der realen Lüftungsanlage in der die Luft in großen
Schleifen in Richtung Hallendecke und anschließend wieder abwärts
über die Tribünen strömt
Dazu kommt auch eine – allen Querdenkern und Verschwörungstheoretikern zum Trotz – hohe Akzeptanz, im Gegenzug für endlich wieder stattfindende Veranstaltungen, geringfügige „Unannehmlichkeiten“ in Kauf zu nehmen.
Getreu dem TOP-Prinzip aus dem Arbeitsschutz, bei dem nach technischen (Lüftung) und organisatorischen (Abstand) die persönlichen Maßnahmen folgen, wurden die Teilnehmer in Leipzig auch hinsichtlich des eigenen Sicherheitsempfindens und der Bereitschaft zum Maske-Tragen befragt. Der Großteil fühlte sich dabei mit zunehmendem Abstand sicherer, eine Veranstaltung ohne jegliche Abstandsregelungen wurde tendenziell eher als unsicher empfunden – ein Wunder, wäre in den aktuellen Zeiten etwas anderes herausgekommen.
Befragungen
Bild: Universitätsmedizin Halle (Saale)
Der Großteil der Teilnehmer fühlte sich mit zunehmendem Abstand sicherer, eine Veranstaltung ohne jegliche Abstandsregelungen wurde von vielen dann doch tendenziell unsicher empfunden. Positiv, auch im Hinblick auf zukünftig nötige Konzeptionen und Vorgaben, war dennoch die große Bereitschaft, auch während der Veranstaltung eine Mund-Nase-Bedeckung, ggf. sogar eine FFP2-Maske zu tragen – größer als das Unbehagen war dann doch die enorme Sehnsucht nach Kultur und Sport.
Bild: Universitätsmedizin Halle (Saale)
Der Großteil der Teilnehmer fühlte sich mit zunehmendem Abstand sicherer, eine Veranstaltung ohne jegliche Abstandsregelungen wurde von vielen dann doch tendenziell unsicher empfunden. Positiv, auch im Hinblick auf zukünftig nötige Konzeptionen und Vorgaben, war dennoch die große Bereitschaft, auch während der Veranstaltung eine Mund-Nase-Bedeckung, ggf. sogar eine FFP2-Maske zu tragen – größer als das Unbehagen war dann doch die enorme Sehnsucht nach Kultur und Sport.
Bild: Universitätsmedizin Halle (Saale)
Der Großteil der Teilnehmer fühlte sich mit zunehmendem Abstand sicherer, eine Veranstaltung ohne jegliche Abstandsregelungen wurde von vielen dann doch tendenziell unsicher empfunden. Positiv, auch im Hinblick auf zukünftig nötige Konzeptionen und Vorgaben, war dennoch die große Bereitschaft, auch während der Veranstaltung eine Mund-Nase-Bedeckung, ggf. sogar eine FFP2-Maske zu tragen – größer als das Unbehagen war dann doch die enorme Sehnsucht nach Kultur und Sport.
Positiv, auch im Hinblick auf zukünftig nötige Konzeptionen und Vorgaben, war dennoch die große Bereitschaft, auch während der Veranstaltung eine Mund-Nase-Bedeckung, ggf. sogar eine FFP2-Maske zu tragen – größer als das Unbehagen war dann doch die enorme Sehnsucht nach Kultur und Sport.
Es bleiben die Fragen: Wie wirken sich (Groß-)Veranstaltungen auf die Krankheitslast in der Bevölkerung einer Region/Stadt aus? Inwieweit tragen Veranstaltungen dazu bei, dass sich das Virus bzw. die Epidemie in der Bevölkerung weiter verbreitet?
Essenzielle Fragen also bei der Bewertung der obigen Ergebnisse im gesellschaftlichen Kontext – und nicht zuletzt der Frage: Wie groß darf der Anteil von Sport und Kultur am alltäglichen Infektionsgeschehen sein?
Zu diesem Zweck wurden die obigen Erkenntnisse in ein Modell der gesellschaftlichen Kontaktstrukturen (Polymod-Studie aus 2007/2008) integriert. Neben den dort erfassten Kontaktsettings wie „zu Hause“, „Arbeit/Schule“ und „anderen“ (ÖPNV, Einkaufen, Sport usw.) wurde hier das Setting „Event“ mit aufgenommen und so die Auswirkungen der zusätzlichen Kontakte auf die Gesellschaft betrachtet.
Aus diesem Grund waren hier vor allem die in letzter Zeit so viel beschworene Inzidenz, also die Zahl der Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner über den Zeitraum der letzten sieben Tage, relevant. Ebenso die Anzahl an Personen, die pro Monat an Veranstaltungen teilnehmen – beides wichtige Kenngrößen zur Bestimmung der Viruslast auf, sowie der Auswirkung hinsichtlich der Verbreitung nach einer Veranstaltung.
Berücksichtigt wurden nur Personen, die für andere ansteckend sein und den Virus in eine Veranstaltung einbringen können, also präsymptomatische, asymptomatische und leicht symptomatische Personen. Noch nicht infizierte/infektiöse, immune oder aufgrund schwerer Verläufe im Krankenhaus befindliche Personen wurden nicht berücksichtigt.
Geht man nun von einer niedrigen Inzidenz von 10 sowie von 200.000 Besuchern pro Monat aus, die statistisch in Leipzig pro Monat eine Veranstaltung besuchen, so kommt man laut Studie auf lediglich rund 15 Infizierte, die sich innerhalb eines ganzen Monats auf Veranstaltungen aufhalten. Dies kann sich natürlich bei einer Inzidenz von 100 auf bis zu 75 infektiöse Besucher steigern – wohlgemerkt aber stets im Mittel, über den Zeitraum eines ganzen Monats und auf alle Veranstaltungen innerhalb dieses Zeitraums in der Region verteilt.
Damit ist aber noch keine Aussage zur Ansteckung, also der weiteren Verbreitung des Virus, getroffen. Diese hängt im Wesentlichen von verschiedenen, bereits angesprochenen Faktoren wie regionaler Inzidenz, Abstandsszenario, Belüftungssituation und dem Tragen einer Maske ab, so dass wir hier lediglich auf die Extremwerte eingehen wollen.
Bei einer niedrigen Inzidenz von 10 und einer um 50% reduzierten Gesamtanzahl an monatlichen Veranstaltungs-Besuchern auf 100.000 steigt die Zahl der Infizierten von (rechnerisch) unter 1 auf maximal 8 pro Monat – selbst im schlimmsten Szenario ohne Abstand, ohne Maske und bei schlechter Belüftung.
Anders verhält es sich nach den Restart-19-Ergebnissen bei einer hohen Inzidenz, beispielsweise einem Wert von 100. Zwar bleiben auch hier bei optimalen Voraussetzungen (gute Lüftung, großer Abstand, Maske tragen) die Werte mit zwei bis drei Ansteckungen pro Monat sehr niedrig, steigern sich aber unter schlechten Bedingungen (schlechte Lüftung, niedriger Abstand, keine Maske) auf bis zu knapp 80 Fällen, in denen es zu einer Ansteckung kommen kann.
Die dritte Komponente, die untersucht wurde, ist nun die Frage, wie viele zusätzliche Infektionen im Mittel durch die Ansteckungen in einer Veranstaltung als Folge einer Infektionskette regional angestoßen werden. Auch hier gilt, dass die zusätzlichen Infektionen bei niedriger Inzidenz und verantwortungsvoll durchgeführten Veranstaltungen sehr gering sind.
Um das obige Positiv-Beispiel fortzuführen: hier wird aus einer möglichen Ansteckung auf der Veranstaltung maximal ein weiterer Covid-Fall in der Region pro Monat. Aber auch hier gilt, bei einer hohen Inzidenz können diese Fälle auf bis zu knapp 180 zusätzlich Infizierte in der Bevölkerung führen, wenn die Voraussetzungen für die Durchführung einer Veranstaltung nicht stimmen.
Zusammenfassend lässt sich daher sagen, dass sich auf Veranstaltungen – selbst bei einer hohen Inzidenz von 100 – die Zahl der Infizierten durch geeignete Maßnahmen um das 70fache(!) reduzieren lässt. Betrachtet man diese Zahlen nun im direkten Vergleich mit dem Alltagsgeschehen (hier bezogen auf die Studien-Region Leipzig), muss also nüchtern festgestellt werden, dass der Anteil der Neuinfektionen in der Bevölkerung durch professionelle Veranstaltungen mit 3-4 zusätzlichen Infektionen pro Monat hinsichtlich rund 2.400 Infektionen im Alltag einen verschwindend geringen Anteil darstellt – gemessen am durchaus systemrelevanten Wert von Kultur und Sport für die Psyche des Menschen.
Verbote von Veranstaltungen unter schlechten Voraussetzungen (Lüftung) und ohne entsprechende Hygiene- und Infektionsschutzkonzepte sind also durchaus berechtigt – mit entsprechenden Gegebenheiten und Maßnahmen ist das Risiko einer Übertragung und Ansteckung aber – sowohl auf der Veranstaltung selbst als auch hinsichtlich der Fallzahlen in der Region, selbst bei hohen Inzidenz-Werten – sehr gering.
Die wichtigsten Empfehlungen, wie sie auf Basis der Erkenntnisse der RESTART-19-Studie vorgelegt wurden:
1. Keine Veranstaltung mit voller Kapazität
Eine Veranstaltung ohne Abstand ist nicht nur hinsichtlich des Sicherheitsempfindens der Besucher aktuell nicht zielführend, sondern führt auch zu einer stetig wachsenden Kontaktzahl. Ein entsprechendes Hygienekonzept muss hierbei also die Kapazität reduzieren.
2. Keine Stehkonzerte, nur Sitzkonzerte
Virologisch relevante Langzeitkontakte entstehen vor allem während der Showzeiten, feste Sitzplätze „fixieren“ den Besucher auf die festgelegte Distanz und halten die Anzahl der Kontakte konstant.
3. Anzahl der Einlass-Schleusen erhöhen
Die Kapazität der Einlässe sollte auf 250 Personen/Stunde/Schleuse halbiert werden, um die Einlassphase lockerer zu gestalten und Langzeitkontakte zu vermeiden. Wo immer möglich, sollten Wartezonen ins Freie verlegt werden.
4. Maskenpflicht auch auf Sitzplätzen
Das Tragen einer Maske auch am Platz reduziert die Übertragungswahrscheinlichkeit in den Phasen der Veranstaltung, in der die meisten Langzeitkontakte entstehen. Die Verwendung einer Mund-Nasen-Bedeckung gilt hierbei als ausreichend.
Dies dient in erster Linie der Vermeidung zusätzlicher Kontakte. Alternativ ist natürlich auch der Verzicht auf eine Pause oder ggf. eine Verpflegung im Freien denkbar.
6. Adäquate Raumlufttechnik
Einer der wichtigsten Punkte der Studie und zentraler Punkt auf der To-do-Liste: Benötigt wird in naher Zukunft ein Bewertungssystem für Lüftungsanlagen in Versammlungsstätten, die verschiedene Kriterien hinsichtlich Umwälzung, Frischluftanteil und Luftstrom hinterfragt und eine Aussage über die – nennen wir es – „Aerosol-reduzierende Qualität“ der Anlage zulässt. Weiterhin wurde hier ein mögliches Investitionsprogramm von Bund und Ländern für die technische Auf- oder Umrüstung von Versammlungsstätten ins Spiel gebracht, denn „(…) diese Pandemie ist nicht in ein paar Monaten vorbei“, so Projektleiter Dr. Stefan Moritz.
7. Inzidenz von <50/100.000/7 Tage
Reduktion um rund 50% – also Bestuhlungsplan nach Szenario 2 (Schachbrett), Einlassschleusen für max. 250 Personen/Stunde/Schleuse sowie eine Deckelung der max. Zuschauerzahl/Woche/Veranstaltungsort auf 50% der regulären Besucherzahlen.
Hintergrund hierfür ist, dass beispielsweise keine 8.000er-Konzerte in zwei 4.000er-Veranstaltungen am Nachmittag und Abend aufgeteilt werden – eine Halbierung der Besucherzahlen bei gleichzeitiger Verdoppelung der Veranstaltungen würde sämtliche positiven Effekte der Konzepte ad absurdum führen!
8. Inzidenz von >50/100.000/7 Tage
Konkrete Empfehlungen bei einer Inzidenz von >50/100.000/7 Tage: Veranstaltungen sind bei guter Lüftung immer noch möglich, aber Reduktion um rund 75% – also Bestuhlungsplan nach Szenario 3 (strikter Abstand 1,5m), Einlassschleusen max. 250 Personen/Schleuse sowie eine Deckelung der max. Zuschauerzahl/Woche/Veranstaltungsort auf 25% der regulären Besucherzahlen.
9. Einsatz von Hygiene-Stewards
Dies ist einer der größten Vorteile einer professionellen Veranstaltung – im Gegensatz zu einer privaten Feier ist es hier ein leichtes, Personal zur Sicherstellung der Hygienemaßnahmen abzustellen sowie Besucher, die sich nicht an die Auflagen halten, mittels Hausrecht der Versammlungsstätte zu verweisen.
Ein Erarbeiten, Umsetzen und Prüfen von Maßnahmen also, wie es für professionelle Veranstalter – das soll hier noch einmal in aller Deutlichkeit gesagt werden – im Rahmen von klassischen Sicherheitskonzepten bereits seit vielen Jahren Standard ist.
Was bleibt nach der Studie? Zuallererst große Erleichterung über die insgesamt sehr positiven Ergebnisse und den lang ersehnten Hoffnungsschimmer – es hätte für die Branche auch deutlich negativer kommen können, wie die um Objektivität/Neutralität bemühten Wissenschaftler betonten.
Zum Zweiten eine gewisse Hoffnung, mit den gewonnenen Daten endlich eine evidenzbasierte Grundlage für die Wirksamkeit von Infektionsschutz- und Hygienemaßnahmen geschaffen zu haben und somit die Wiederaufnahme bestimmter Veranstaltungsformate unter klar definierten Bedingungen zu ermöglichen.
Zum Zeitpunkt der Pressekonferenz kurz vor dem zweiten Lockdown und einer allgemein wieder dramatisch verschärften Lage bleibt jedoch eine gewisse Resignation und Zurückhaltung, trotz dieser wissenschaftlichen Basis erneut nicht voranzukommen – wie das die letzten Wochen und Monate trotz vielfältiger Überzeugungsarbeit, Demonstrationen und zahlreicher Proteste leider der Fall war.
Die Zukunft wird zeigen, ob wir es schaffen, endlich das zu tun, was wir – unter anderem dank RESTART-19 – nun wissen und nicht mehr nur das, was wir glauben. Notwendige, erforderliche und zumutbare Maßnahmen zur Eindämmung des Virus sind zweifelsfrei wichtig und richtig. Diese dürfen aber mit zunehmendem Wissen nicht mehr einfach pauschal über ganze Branchen „gekippt“ werden, sondern müssen – zur langfristigen Vereinbarkeit von Wirtschaft, Kultur und Gesundheitsschutz – individuell angepasst, überprüft und korrigiert werden.
Diese Erkenntnisse sind jetzt VIER! Monate alt und es hat sich nichts geändert, ausser dass die Situation in der Veranstaltungsbranche und in vielen anderen auch immer prekärer wird. Herr Söder besteht immernoch darauf, dass ganz Deutschland seinen Glaubenssätzen folgt, es werden immernoch nach dem Gießkannenprinzip großzügig Schliessungen verordnet und über ASusgangssperren diskutiert, von denen viele berufene Münder sagen, sie würden eh nichts bringen. Die Leute trinken und feiern zuhause ohne die Gastronomen, die als Hygienestewards fungieren.Es werden neue Modellversuche gestartet, die vermutlich wieder nichts ändern werden. Wieso ist die Politik null lernfähig? Man kann doch seinen Blick auch mal dahin wenden, wo es funktioniert und nicht immer nur dahin, wo es gerade ganz schlimm ist.
Diese Erkenntnisse sind jetzt VIER! Monate alt und es hat sich nichts geändert, ausser dass die Situation in der Veranstaltungsbranche und in vielen anderen auch immer prekärer wird. Herr Söder besteht immernoch darauf, dass ganz Deutschland seinen Glaubenssätzen folgt, es werden immernoch nach dem Gießkannenprinzip großzügig Schliessungen verordnet und über ASusgangssperren diskutiert, von denen viele berufene Münder sagen, sie würden eh nichts bringen. Die Leute trinken und feiern zuhause ohne die Gastronomen, die als Hygienestewards fungieren.Es werden neue Modellversuche gestartet, die vermutlich wieder nichts ändern werden. Wieso ist die Politik null lernfähig? Man kann doch seinen Blick auch mal dahin wenden, wo es funktioniert und nicht immer nur dahin, wo es gerade ganz schlimm ist.